Was ist neu

Serie AugenBlicke

Mitglied
Beitritt
03.09.2004
Beiträge
126
Zuletzt bearbeitet:

AugenBlicke

Fortsetzung zu "Momente der Sehnsucht"

Nichts ist der Seele schädlicher als der Versuch,
gegen Gefühle anzukämpfen,
über die sie keine Herrschaft hat.

- Dschuang Dsi -​

Ein weiterer Morgen, ein weiterer Tag. Es ist November – die Morgenluft ist klar und eisig. Sieben Monate sind vergangen, seit du in mein Leben getreten bist und mit der Zeit immer tiefere Spuren darin hinterlassen hast. Auf meinem Gang hierher, als sich die ersten Sonnenstrahlen mühsam ihren Weg über den Horizont bahnten und die Wolken in ein leuchtendes Rot tauchten, warst du bei mir. Wie so oft. Wir haben uns unterhalten und ich habe dir alles erklärt. Es war ganz einfach. Die Worte waren sicher gewählt und sofern es möglich ist, beschreiben sie sehr gut, was ich für dich empfinde. Du hast mir zugehört und hast verstanden was ich dir sagte. Dann nahmst du mich schweigend in den Arm. Alles war gut.
Phantasie. Reine Phantasie. Hör doch auf zu Träumen!!

Jetzt bin ich wieder alleine und ich realisiere, dass es nur eines dieser Selbstgespräche war, die ich so häufig mit dir führe. Ich wünschte mir diese Kraft und diesen Mut in den Momenten, in denen du vor mir stehst und meine Gefühle drohen mir die Luft zum Atmen zu nehmen.
Denn du weißt noch immer von nichts. Sobald mich die leise Versuchung überkommt, dir mein Innerstes zu offenbaren, warnt mich mein Verstand und so blieb es dir bisher stets verborgen.
Zögernd bringe ich den Rest des Weges hinter mich, atme tief durch und mache mich bereit für eine weitere Aufführung, in der ich meine Rolle auf der Theaterbühne des Lebens überzeugend spielen muss. Wie überzeugend sie noch wirkt – ich weiß es nicht. Dass ich diese Rolle nicht mehr spielen will, macht keinen Unterschied – ich habe keine Wahl.
Oder?!

Wie jeden Morgen sitze ich hier auf meinem Stuhl und warte, dass du durch die Tür trittst, dass du den Raum mit deiner Anwesenheit erfüllst. Ja, ich warte auf dich. Ich vermisse dich, wenn du nicht da bist, aber ich kann auch nicht leugnen, dass es schmerzt, wenn ich dich sehe.

Auf der ziellosen Suche nach Antworten – Antworten die es nicht gibt – gleitet mein Blick aus dem Fenster. Graue Schleierwolken ziehen ihre einsame Bahn über den blassblauen Herbsthimmel, während der Sonnenschein die letzten Zeugen des nächtlichen Regens tröstend zu trocknen versucht. Die Bäume haben bereits ihr Blätterkleid verloren und sind nun schutzlos den Launen der Natur ausgeliefert.
Fast unmerklich, wie von einem unsichtbaren Band gezogen, wandert mein Blick wieder zu dir. Einen Moment halte ich inne und betrachte dich. Ich lächle unwillkürlich ein wenig, während ich deinen Anblick auf mich wirken lasse. Es ist deine ganze Art, die mich berührt.
Die Art wie du sprichst, wie du lächelst, wie du dich bewegst, wie du ganz alltägliche, banale Dinge tust. Du faszinierst mich. Immer wieder. Immer mehr. Alles an dir hat eine Wirkung, der ich mich nicht entziehen kann.

Du wirst ihn nie haben können. Nie!

Wie hätte ich auch erwarten können, dass mein Verstand schweigt und mich diesen Moment genießen lässt? Stattdessen schleudert er mir diese Worte von denen ich weiß, dass sie wahr sind, unbarmherzig entgegen. Das Lächeln in meinem Gesicht stirbt den Tod der Erkenntnis und ich wende mich ab.

In Augenblicken wie diesem fühle ich mich, als sei ich einer dieser blattlosen Bäume. Wehrlos. Hilflos. Machtlos. Nichts ist da, was mein Herz vor dem Sturm bewahrt, der in deiner Gegenwart unaufhaltsam über mich hereinbricht, der unsanft an den Zweigen meiner Seele zerrt und meine Gedanken durcheinander wirbelt wie gefallenes Herbstlaub. Ein Blick in deine Augen, in denen sich das Sonnenlicht spiegelt, ein Lächeln deiner Lippen – all das vermag mich zu verzaubern, eine Saite meiner Seele zum Klingen zu bringen und mich gleichzeitig endlos zu quälen, denn ich weiß, dass dieser Blick und dieses Lachen nie das bedeuten werden, was ich so sehnlich in ihnen suche. In deinem Blick, deinen Worten wird nie mehr als Sympathie für mich mitschwingen.

Trotz dieser schmerzlichen Gewissheit lässt sich der winzige Funke einer Hoffnung nicht ganz auslöschen und in den dunkelsten Momenten meiner Gefühle für dich lässt er mich spüren, dass ich noch nicht aufhören kann zu kämpfen, zu hoffen. Noch nicht. Nicht, bevor du diesen Funken selber löschst.
Und doch wird jede Begegnung mit dir immer unerträglicher und schmerzhafter für mich. Ich habe verstanden, dass meine Träume mir nicht mehr reichen. Träume, in denen du mir nah bist. Endlich nah genug um glücklich zu sein. Aber jeder dieser Träume lässt mich sehnender erwachen und ich weiß, dass nur du diese Sehnsucht stillen könntest.
Es ist längst nicht mehr dieses unschuldige Gefühl einer Schwärmerei, das ich für dich empfinde und dem ich mich einst lächelnd hingeben konnte. Schleichend wurden die Gefühle für dich stärker und ehe ich es begriff, gab es keinen Weg mehr, der zurück geführt hätte.

Aber wünsche ich mir diesen Weg? Wünsche ich mir die Möglichkeit, umkehren zu können, wieder zu mir zu finden und deine Spuren verwischen zu können? Und gäbe es diesen Weg – würde ich ihn wirklich gehen?
Ich weiß es nicht.

Ehe ich meine Gedanken zu Ende denken kann, offenbart mir der Klingelton, dass der Unterricht wieder beginnt. Ich räume meine Sachen zusammen und mache mich langsam auf den Weg in den Rechnerraum, wohl wissend, dass ich die nächsten 90 Minuten an deiner Seite verbringen werde.
Es ist beinahe schon makaber, wie es das Schicksal, der Zufall oder welche Macht auch immer, derzeit darauf anzulegen scheint, mich in deine Nähe zu katapultieren, denn ständig sucht mich das zweifelhafte Glück heim, mit dir zusammen arbeiten zu dürfen.
Oder sollte ich sagen, zusammen arbeiten zu müssen?

Kaum habe ich mich vor einem der Rechner auf den Stuhl fallen lassen, kommst du herein und ich sehe aus den Augenwinkeln wie du dich neben mich setzt. Jetzt heißt es Ruhe bewahren, lächeln und locker bleiben.
Verdammt, ist das nicht ein bisschen viel verlangt?!

Nur wenige Zentimeter trennen uns. Die Tatsache, dass es physikalisch betrachtet nicht einmal hundert Millimeter sind, ändert aber nichts daran, dass du für mich unerreichbar bist. Vielleicht ist es auch gerade diese scheinbare Nähe, die mir diese Wirklichkeit umso deutlicher vor Augen führt. Und dennoch würde mich wahrscheinlich nichts dazu bringen, jetzt aufzustehen und auch noch diese Nähe aufzugeben, weil sie alles ist, was ich von dir habe.
Ich frage mich, welches Ziel das Schicksal damit verfolgt, mich immer wieder in deine Nähe zu zwingen, mich immer wieder diesen zwiespältigen Gefühlen auszusetzen, die mich in solchen Situationen gefangen nehmen. Ich möchte dich ansehen dürfen ohne es heimlich tun zu müssen, möchte sanft über die weichen Härchen deines Unterarms streichen, möchte wieder deine Hand halten, möchte dich küssen – ich will davon laufen, weg von dir, weg von meinen Gefühlen für dich, weg von allem was mich an dich erinnert und mir weh tut. Nichts davon ist möglich. Ich bin in die Ecke gedrängt, sitze in einer Sackgasse – hinter mir eine unüberwindliche Mauer und vor mir meine Gefühle, die mich nicht entkommen lassen.

„Sollen wir das dann jetzt so machen?“ fragst du, siehst mich an und deutest auf den Monitor. Das war mein Stichwort. Der Gedankenvorhang hebt sich. Es wird wieder Zeit – das Publikum erwartet eine weitere hinge-bungsvolle Darbietung meiner lächerlichen und ungeliebten Rolle. Ich beuge mich ein wenig vor, sehe dir für einen Moment in die Augen. Es ist verrückt, dass ich jedes Mal wenn ich hinein sehe den Eindruck habe, dass sie noch nie so schön und klar waren wie in diesem Augenblick.
Dann starre ich konzentriert auf den Monitor um zu erkennen, was du mir eben zeigen wolltest. Als ich glaube es entdeckt zu haben, nicke ich bekräftigend „Ja, sieht doch gut aus, können wir so lassen…“
„Okay, dann weiter…“ murmelst du. Zufrieden tippst du wieder und ich hasse es, dass ich sogar eine leblose Tastatur beneide, weil du sie berührst.

Vorsichtig werfe ich dir einen Seitenblick zu.
Es ist absurd, aber du scheinst nichts von dem zu bemerken, was sich in mir abspielt. Hörst du die Unsicherheit in meiner Stimme nicht, wenn ich mit dir spreche? Siehst du die Sehnsucht in meinen Augen nicht, wenn sich unsere Blicke treffen? Erkennst du nicht das Zittern meiner Hände? Bist du wirklich blind für alles was ich für so offensichtlich halte? Oder hast du längst verstanden und überspielst dein Wissen, weil du nichts davon wissen willst? So viele Fragen. Du könntest sie beantworten.
Aber ich kann dich doch nicht fragen…

Die Sonne steht bereits tief am Himmel – ihre Strahlen, die sich im Glas der Fensterscheiben brechen, leuchten wie flüssiges Gold. Ein paar Wildgänse treten ihre Reise nach Süden an und ich möchte sie beinahe beneiden um ihre Freiheit, ihrem Instinkt folgen zu können, der ihnen sagt, welches die richtige Richtung für sie ist und wo ihr Ziel liegt.
Ein Blick auf die Wanduhr verrät mir, dass in fünf Minuten der Vorhang auf dieser Bühne fallen wird, und ich den Heimweg antreten kann. So wie die Sonnenstrahlen mich heute morgen hier her begleitet haben, werden sie mich auch wieder nach Hause geleiten, wenn ein weiterer Tag ohne Antworten vergangen sein wird.
Ich werde gehen und bei jedem Schritt wissen, dass die nächste Vorstellung in wenigen Stunden beginnt…

 

Kompliment, BlueSoul, du beherrschst eine schöne, gewählte Sprache, die literarisch wirkt, ohne verquast und künstlich zu sein. Dein Autorenpotenzial ist unverkennbar. Darum habe ich auch bis zum Ende durchgehalten.

Inhaltlich sind mir die AugenBlicke zu sehr Introspektion und zu wenig Handlung, jedenfalls für eine Kurzgeschichte, die - auch wenn sie Teil einer Serie ist - für sich allein einen den Leser fesselnden Spannungsbogen enthalten sollte. Dazu noch das vielfach variierte Thema unerkannte/unerwiderte Liebe - ich muss gestehen, dass meine Aufmerksamkeit einige Male abschweifte.

Hinzu kommt die leider in diesem gefühlsschwangeren Genre so gern gewählte Perspektive der direkten Anrede, die mir als Leser das Gefühl vermittelt, dass das Geschilderte mich eigentlich gar nichts angeht. An deiner Stelle würde ich wirklich überlegen, so umzuformulieren, dass der angeschmachtete Mann in der dritten Person dargestellt wird.

LG!
Chica

 

Hallo BlueSoul,

mir ging es wie Chica.

Du schreibst sehr schön, so schön, dass man beinahe in deiner Sprache versinken kann, allerdings gibt mir die Geschichte zu wenig her, zumal sie ja doch relativ lang ist. Ich werde mir noch den ersten Teil der Geschichte durchlesen, vielleicht versteh ich dann manches besser - aber wie Chica schon sagt: Selbst bei einer Fortsetzungsgeschichte sollten die einzelnen Teile fesseln.

LG
Bella

 

Hallo ihr zwei!
Danke fürs Lesen und danke für die Kritik!

@ Chica: Ich glaube bei den beiden Geschichten fällt mir einfach die Ich-Perspektive leichter um Gefühle zu übermitteln, weil das ganze autobiographische Züge hat und ich glaube, dass ich so mehr Tiefe vermitteln kann.

@ Bella. Stimmt, nach außen hin passiert nicht sehr viel an Handlung. Aber für die Erzählerin passiert in solchen "Augenblicken" unendlich viel. Mehr als ihr manchmal lieb ist. ;)

LG Blue

 

BlueSoul schrieb:
Die Sonne steht bereits tief am Himmel – ihre Strahlen, die sich im Glas der Fensterscheiben brechen, leuchten wie flüssiges Gold.

Ich muss sagen, deine Sprache hat mich beeindruckt. Kompliment. Ein sehr interessanter Text, der neugierig auf mehr macht, auch wenn zwischen den beiden wenig passiert und die Protagonistin vom inneren Leiden klagt, welches sie nicht mehr loslässt.
Wie andere schon geschrieben haben, kann man in deinen Geschichten versinken. Ich finde es immer sehr ansprechend, wenn Texte in Bildern erzählt werden. Das schaffst du in einigen Passagen wunderbar.
Ich glaube, dass jeder Tag für die Protagonistin eine Qual sein muss, wenn sie sich ihrem angebeteten Mann gegenüber findet. Während ich gelesen habe, konnte man spüren, wie schwierig es für sie sein muss, ihre wahren Gefühle ihm gegenüber zu offenbaren. Unweigerlich holt man sich hier seine eigene Vergangenheit zurück und es wird wohl jedem so ergangen sein, dass er den entscheidenden Schritt wohl nie gewagt hat.

 

Hallo BlueSoul!

Schöne gefühlvolle Sätze. Sie haben mich wirklich tief berührt. Ich konnte mich gut in die Protagonistin einfühlen. Der Text ist eine "runde Sache", vom ersten bis zum letzen Wort, unglaublich harmonisch. Es fiel mir überhaupt nicht schwer, bis zum Ende ohne Pause zu lesen. Du kannst dich wirklich hervorragend ausdrücken! Man merkt auch, dass Teile von dir in der Geschichte leben.
Allerdings muss ich Chica auch recht geben. Zu einer Geschichte gehört auch ein gewisser Spannungsbogen. Indem du die Geschichte in den Ablauf eines Tages (mit Sonnenaufgang/Sonnenuntergang) einbettest, entsteht zwar teilweise solch ein Spannungsbogen, aber es passiert letztendlich rein äußerlich zu wenig. Sicherlich erlebt die Protagonistin einen inneren Spannungsbogen über den Tag hinweg. Er gipfelt darin, dass sie am Ende die Tastatur beneidet ...

Trotzdem! Einfach schön zu lesen! :)

Gruß,
Theo

 

@ Marco

Vielen Dank für deine zweite sehr liebe Kritik zu einer meiner Geschichten. Freut mich sehr, dass auch Teil 2 dir gefallen hat. :) Ich versuche ständig an meinen Texten zu arbeiten, aber die Diskussion über meine Intentionen und Hintergründe hatten wir ja heute schon. ;)

@ Teo

Auch dir vielen Dank für das Lesen und für die Kritik an meinem Text. Es freut mich auch sehr, dass dir diese Geschichte gefallen hat. Ich glaube, der Spannungsbogen ist nicht so sehr in dem einzelnen Text zu suchen, als viel mehr in allen 3 Teilen dieser "Serie". Äußerlich geschieht in der Tat nicht wirklich viel, aber der innerliche "Spannungsbogen" ist oftmals viel größer und aussagereicher als äußerliche Handlungen.

In diesem Sinne wünsche ich euch eine traumreiche Nacht.

LG Blue

 

Mag sein, dass ein Spannungsbogen ausschlaggebend ist für eine Geschichte - die Geschichte lebt von einer Handlung. Hier ist die Handlung eher in den Hintergrund gerückt. In meinen Augen spielt hier nicht die Protagonistin die Hautprolle, sondern ihre Gefühle. Sie entwickeln ihr eigenes Leben, versuchen sich mitzuteilen, versuchen zu ertasten, welche Möglichkeiten sie haben. Die Spannung beim Leser entsteht, weil er wissen möchte, ob der Versuch sein Gegenüber zu erreichen, funktioniert oder eben nicht.

Die Art, mit Geschichten einen Menschen zu berühren finde ich immer noch viel wertvoller, als mit einem Spannungsbogen einen Leser an die Geschichte zu fesseln.
Ich glaube aber auch, das geht nur bei wenigen Genres.

 

Hallo BlueSoul,
ich danke dir für diese tolle Geschichte. Man fühlt richtig mit und hat die Situation genau vor Augen. Die Sätze sind toll formuliert und die Wortwahl weiß auch zu überzeugen. Du scheinst richtig in dieser Geschichte aufzugehen und dich an deinem Schreibstil zu berauschen. Nutze dein Talent weiter.

Maddog1985

 

Hallo BlueSoul!
Mit großem Vergünugen habe ich gerade deine KG durchgelesen und bin wirklich schwer beeindruckt!
Du vermittelst diese Gefühle hervorragend und ich begann tatsächlich, mich an die eine oder andere Begebenheit in meiner noch zarten Jugend zu erinnern. ;)
Das Gefühl, dass man einer geliebten Person nahe sein möchte, aber auch Schmerzen in deren Nähe (wobei ich mich geschlechtsneutral auf die Person beziehe) empfindet, kenne ich in der Tat sehr gut und hätte niemals eine bessere Formulierung finden können, als du sie gefunden hast.
Ich bin schwer beeindruckt von deinen wunderschönen, traumhaften Formulierungen und Beschreibungen! (Ich beneide dich sogar richtig, das gebe ich offen zu, denn mir fehlen häufig die richtigen Worte, das ausdrücken zu wollen, was mir vorschwebt :()
Ich hoffe, bald mehr von dir zu lesen, mach weiter so oder steiger dich noch, das ist immer gut! ;)
Alles Liebe
BlackMilan

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom