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AugenBlicke
Fortsetzung zu "Momente der Sehnsucht"
gegen Gefühle anzukämpfen,
über die sie keine Herrschaft hat.
- Dschuang Dsi -
Ein weiterer Morgen, ein weiterer Tag. Es ist November – die Morgenluft ist klar und eisig. Sieben Monate sind vergangen, seit du in mein Leben getreten bist und mit der Zeit immer tiefere Spuren darin hinterlassen hast. Auf meinem Gang hierher, als sich die ersten Sonnenstrahlen mühsam ihren Weg über den Horizont bahnten und die Wolken in ein leuchtendes Rot tauchten, warst du bei mir. Wie so oft. Wir haben uns unterhalten und ich habe dir alles erklärt. Es war ganz einfach. Die Worte waren sicher gewählt und sofern es möglich ist, beschreiben sie sehr gut, was ich für dich empfinde. Du hast mir zugehört und hast verstanden was ich dir sagte. Dann nahmst du mich schweigend in den Arm. Alles war gut.
Phantasie. Reine Phantasie. Hör doch auf zu Träumen!!
Jetzt bin ich wieder alleine und ich realisiere, dass es nur eines dieser Selbstgespräche war, die ich so häufig mit dir führe. Ich wünschte mir diese Kraft und diesen Mut in den Momenten, in denen du vor mir stehst und meine Gefühle drohen mir die Luft zum Atmen zu nehmen.
Denn du weißt noch immer von nichts. Sobald mich die leise Versuchung überkommt, dir mein Innerstes zu offenbaren, warnt mich mein Verstand und so blieb es dir bisher stets verborgen.
Zögernd bringe ich den Rest des Weges hinter mich, atme tief durch und mache mich bereit für eine weitere Aufführung, in der ich meine Rolle auf der Theaterbühne des Lebens überzeugend spielen muss. Wie überzeugend sie noch wirkt – ich weiß es nicht. Dass ich diese Rolle nicht mehr spielen will, macht keinen Unterschied – ich habe keine Wahl.
Oder?!
Wie jeden Morgen sitze ich hier auf meinem Stuhl und warte, dass du durch die Tür trittst, dass du den Raum mit deiner Anwesenheit erfüllst. Ja, ich warte auf dich. Ich vermisse dich, wenn du nicht da bist, aber ich kann auch nicht leugnen, dass es schmerzt, wenn ich dich sehe.
Auf der ziellosen Suche nach Antworten – Antworten die es nicht gibt – gleitet mein Blick aus dem Fenster. Graue Schleierwolken ziehen ihre einsame Bahn über den blassblauen Herbsthimmel, während der Sonnenschein die letzten Zeugen des nächtlichen Regens tröstend zu trocknen versucht. Die Bäume haben bereits ihr Blätterkleid verloren und sind nun schutzlos den Launen der Natur ausgeliefert.
Fast unmerklich, wie von einem unsichtbaren Band gezogen, wandert mein Blick wieder zu dir. Einen Moment halte ich inne und betrachte dich. Ich lächle unwillkürlich ein wenig, während ich deinen Anblick auf mich wirken lasse. Es ist deine ganze Art, die mich berührt.
Die Art wie du sprichst, wie du lächelst, wie du dich bewegst, wie du ganz alltägliche, banale Dinge tust. Du faszinierst mich. Immer wieder. Immer mehr. Alles an dir hat eine Wirkung, der ich mich nicht entziehen kann.
Du wirst ihn nie haben können. Nie!
Wie hätte ich auch erwarten können, dass mein Verstand schweigt und mich diesen Moment genießen lässt? Stattdessen schleudert er mir diese Worte von denen ich weiß, dass sie wahr sind, unbarmherzig entgegen. Das Lächeln in meinem Gesicht stirbt den Tod der Erkenntnis und ich wende mich ab.
In Augenblicken wie diesem fühle ich mich, als sei ich einer dieser blattlosen Bäume. Wehrlos. Hilflos. Machtlos. Nichts ist da, was mein Herz vor dem Sturm bewahrt, der in deiner Gegenwart unaufhaltsam über mich hereinbricht, der unsanft an den Zweigen meiner Seele zerrt und meine Gedanken durcheinander wirbelt wie gefallenes Herbstlaub. Ein Blick in deine Augen, in denen sich das Sonnenlicht spiegelt, ein Lächeln deiner Lippen – all das vermag mich zu verzaubern, eine Saite meiner Seele zum Klingen zu bringen und mich gleichzeitig endlos zu quälen, denn ich weiß, dass dieser Blick und dieses Lachen nie das bedeuten werden, was ich so sehnlich in ihnen suche. In deinem Blick, deinen Worten wird nie mehr als Sympathie für mich mitschwingen.
Trotz dieser schmerzlichen Gewissheit lässt sich der winzige Funke einer Hoffnung nicht ganz auslöschen und in den dunkelsten Momenten meiner Gefühle für dich lässt er mich spüren, dass ich noch nicht aufhören kann zu kämpfen, zu hoffen. Noch nicht. Nicht, bevor du diesen Funken selber löschst.
Und doch wird jede Begegnung mit dir immer unerträglicher und schmerzhafter für mich. Ich habe verstanden, dass meine Träume mir nicht mehr reichen. Träume, in denen du mir nah bist. Endlich nah genug um glücklich zu sein. Aber jeder dieser Träume lässt mich sehnender erwachen und ich weiß, dass nur du diese Sehnsucht stillen könntest.
Es ist längst nicht mehr dieses unschuldige Gefühl einer Schwärmerei, das ich für dich empfinde und dem ich mich einst lächelnd hingeben konnte. Schleichend wurden die Gefühle für dich stärker und ehe ich es begriff, gab es keinen Weg mehr, der zurück geführt hätte.
Aber wünsche ich mir diesen Weg? Wünsche ich mir die Möglichkeit, umkehren zu können, wieder zu mir zu finden und deine Spuren verwischen zu können? Und gäbe es diesen Weg – würde ich ihn wirklich gehen?
Ich weiß es nicht.
Ehe ich meine Gedanken zu Ende denken kann, offenbart mir der Klingelton, dass der Unterricht wieder beginnt. Ich räume meine Sachen zusammen und mache mich langsam auf den Weg in den Rechnerraum, wohl wissend, dass ich die nächsten 90 Minuten an deiner Seite verbringen werde.
Es ist beinahe schon makaber, wie es das Schicksal, der Zufall oder welche Macht auch immer, derzeit darauf anzulegen scheint, mich in deine Nähe zu katapultieren, denn ständig sucht mich das zweifelhafte Glück heim, mit dir zusammen arbeiten zu dürfen.
Oder sollte ich sagen, zusammen arbeiten zu müssen?
Kaum habe ich mich vor einem der Rechner auf den Stuhl fallen lassen, kommst du herein und ich sehe aus den Augenwinkeln wie du dich neben mich setzt. Jetzt heißt es Ruhe bewahren, lächeln und locker bleiben.
Verdammt, ist das nicht ein bisschen viel verlangt?!
Nur wenige Zentimeter trennen uns. Die Tatsache, dass es physikalisch betrachtet nicht einmal hundert Millimeter sind, ändert aber nichts daran, dass du für mich unerreichbar bist. Vielleicht ist es auch gerade diese scheinbare Nähe, die mir diese Wirklichkeit umso deutlicher vor Augen führt. Und dennoch würde mich wahrscheinlich nichts dazu bringen, jetzt aufzustehen und auch noch diese Nähe aufzugeben, weil sie alles ist, was ich von dir habe.
Ich frage mich, welches Ziel das Schicksal damit verfolgt, mich immer wieder in deine Nähe zu zwingen, mich immer wieder diesen zwiespältigen Gefühlen auszusetzen, die mich in solchen Situationen gefangen nehmen. Ich möchte dich ansehen dürfen ohne es heimlich tun zu müssen, möchte sanft über die weichen Härchen deines Unterarms streichen, möchte wieder deine Hand halten, möchte dich küssen – ich will davon laufen, weg von dir, weg von meinen Gefühlen für dich, weg von allem was mich an dich erinnert und mir weh tut. Nichts davon ist möglich. Ich bin in die Ecke gedrängt, sitze in einer Sackgasse – hinter mir eine unüberwindliche Mauer und vor mir meine Gefühle, die mich nicht entkommen lassen.
„Sollen wir das dann jetzt so machen?“ fragst du, siehst mich an und deutest auf den Monitor. Das war mein Stichwort. Der Gedankenvorhang hebt sich. Es wird wieder Zeit – das Publikum erwartet eine weitere hinge-bungsvolle Darbietung meiner lächerlichen und ungeliebten Rolle. Ich beuge mich ein wenig vor, sehe dir für einen Moment in die Augen. Es ist verrückt, dass ich jedes Mal wenn ich hinein sehe den Eindruck habe, dass sie noch nie so schön und klar waren wie in diesem Augenblick.
Dann starre ich konzentriert auf den Monitor um zu erkennen, was du mir eben zeigen wolltest. Als ich glaube es entdeckt zu haben, nicke ich bekräftigend „Ja, sieht doch gut aus, können wir so lassen…“
„Okay, dann weiter…“ murmelst du. Zufrieden tippst du wieder und ich hasse es, dass ich sogar eine leblose Tastatur beneide, weil du sie berührst.
Vorsichtig werfe ich dir einen Seitenblick zu.
Es ist absurd, aber du scheinst nichts von dem zu bemerken, was sich in mir abspielt. Hörst du die Unsicherheit in meiner Stimme nicht, wenn ich mit dir spreche? Siehst du die Sehnsucht in meinen Augen nicht, wenn sich unsere Blicke treffen? Erkennst du nicht das Zittern meiner Hände? Bist du wirklich blind für alles was ich für so offensichtlich halte? Oder hast du längst verstanden und überspielst dein Wissen, weil du nichts davon wissen willst? So viele Fragen. Du könntest sie beantworten.
Aber ich kann dich doch nicht fragen…
Die Sonne steht bereits tief am Himmel – ihre Strahlen, die sich im Glas der Fensterscheiben brechen, leuchten wie flüssiges Gold. Ein paar Wildgänse treten ihre Reise nach Süden an und ich möchte sie beinahe beneiden um ihre Freiheit, ihrem Instinkt folgen zu können, der ihnen sagt, welches die richtige Richtung für sie ist und wo ihr Ziel liegt.
Ein Blick auf die Wanduhr verrät mir, dass in fünf Minuten der Vorhang auf dieser Bühne fallen wird, und ich den Heimweg antreten kann. So wie die Sonnenstrahlen mich heute morgen hier her begleitet haben, werden sie mich auch wieder nach Hause geleiten, wenn ein weiterer Tag ohne Antworten vergangen sein wird.
Ich werde gehen und bei jedem Schritt wissen, dass die nächste Vorstellung in wenigen Stunden beginnt…