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AugenBlicke - Momente der Sehnsucht (überarbeitete Version)
Die eine ist, nicht zu bekommen was man möchte;
Und die andere ist, es zu bekommen.
- Oscar Wilde -
Die Sonne erhellt mit warmen Strahlen das Zimmer, keine Wolke wagt es den blauen Himmel zu trüben und der laue Spätsommerwind trägt die ersten Blätter in ihre Freiheit.
Verstohlen sehe ich dich über den Rand meiner Tasse an, während ich versuche den Tee auf eine passable Trinktemperatur zu bringen.
Du bist gerade in ein Gespräch vertieft und so bleibt mir ein wenig Zeit, meinen Blick unbemerkt auf Wanderschaft zu schicken. Es ist keine unbekannte Reise mehr, denn ich kenne längst jedes noch so kleine Detail deines Gesichts, jede Farbnuance deines Haares und jede Geste deiner Hände. Doch immerzu möchte ich dich aufs Neue ansehen, sehen wie deine Augen strahlen, sehen wie du lächelst und wie sich dabei diese kleinen Grübchen um deine Mundwinkel formen.
Deine Augen waren das Erste was mir auffiel, als wir uns vor fünf Monaten kennen lernten. Blau. Nicht einfach blau - nein ein uferloses, klares und tiefes Blau. Ein strahlendes Blau wenn du lachst – aber manchmal auch ein ernstes Blau, wenn du nachdenklich bist und ich mir wünsche deine Gedanken und Sorgen ergründen zu können.
Mittlerweile habe ich so oft in deine Augen gesehen, dass ich weiß, dass sie außerdem noch grün sind. Eine vollkommene, faszinierende Mischung. Die Farben der Sehnsucht und Hoffnung umrahmt von scheinbar nicht enden wollenden Wimpern. Augen die einen gefangen nehmen und ich lasse mich nur zu gerne fangen, jedes Mal.
Mein Blick wandert weiter, über deine Wangen - hin zu deinen Lippen. Wie du sprichst, wie du lächelst…
Einmal nur. Einmal nur deine Lippen spüren. Bitte.
Immer wenn ich dich so anschaue, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als fühlen zu können was ich sehe. Ich genieße deinen Anblick jeden winzigen Moment lang, will jeden Augenblick deiner Gegenwart auffangen, jedes Bild von dir in meinem Kopf speichern. Nichts soll verloren gehen, aber die Sekunden fliehen und keine kommt zurück.
Du spielst mit einem Kugelschreiber während du zuhörst und so fällt mein Blick auf deine Hände. Deine Hände sind schön. Schlank. Sanft. Sie sehen zärtlich aus. Ich frage mich, wie es ist wenn deine Hände streicheln - wenn sie geben. Allein der Gedanke daran lässt mich erschauern und sorgt für ein warmes Gefühl in der Magengegend.
Und wieder ist sie da. Diese bittersüße Erinnerung, die mich lächeln lässt, die aber gleichfalls nie den wehmütigen Beigeschmack der Unveränderlichkeit verliert.
Einmal. Ja, einmal durfte ich deine Hand halten, als wir nach einer durchtanzten Nacht gemeinsam durch die Morgendämmerung liefen. Für eine kleine Weile, eine gestohlene Stunde, warst du irgendwie mein. Ich spürte deine Hand in meiner, unsere Finger ineinander verwoben - und es machte mich glücklich. Ich habe es damals gefühlt, gewusst warum ich dir meine Hand gab. Ich wollte dir nah sein. Warum nahmst du sie? Ich weiß es bis heute nicht. Hätte ich mehr riskieren sollen?
Vielleicht. Vorbei. Selber Schuld.
Plötzlich wendest du die Aufmerksamkeit von deinem Gegenüber ab und siehst mich an. Obwohl mein Blick noch immer auf deinen Händen ruht, spüre ich es. Ich fühle mich ertappt. Ertappt beim Träumen. Ertappt beim Fühlen. Ertappt beim Herbeisehnen von Dingen die nicht geschehen werden, weil es zu viele Gründe gibt, die dagegen sprechen. Der spitze Dorn dieser Erkenntnis bohrt sich jedes Mal ein schmerzhaftes Stück tiefer, je häufiger ich mir den Traum nach dir erlaube.
Hastig wende ich meinen Blick ab und konzentriere mich wieder auf meine Teetasse, die ich noch immer in der Hand halte. Ich stelle sie auf den Tisch und denke nach. Ich frage mich, wie lange ich das noch aushalte. Dich zu sehen, in deiner Nähe – aber dir nie wirklich nah zu sein. Mein Finger zeichnet den Rand der Tasse nach und irgendwie hoffe ich eine Antwort zu finden. Ich spiele mit dem kleinen Zettel, der am Teebeutel befestigt, aus der Tasse hängt. „Momente der Sehnsucht“ steht darauf.
Tollen Tee hab ich mir da ausgesucht. Wie passend.
„Wie sollte man sich nach so einem Mann nicht sehnen?“ frage ich mich leise, als wolle ich mich vor mir selbst rechtfertigen, als wolle ich mich – wieder einmal – geschlagen geben und mir einreden, dass ich mir das doch alles nicht ausgesucht habe. Ich stütze mein Kinn auf die Hand, seufze und nehme einen großen Schluck Tee. Aber die Antworten bleiben aus. Wie immer.
„Hey, wir können gehen.“ „Was ist?“ schrecke ich hoch und lasse mir dann von meinem Sitznachbarn grinsend erklären, dass wir nun frei haben und nach Hause gehen können.
Während ich meine Sachen in die Tasche stopfe, den letzten Rest Sehnsuchtstee beinahe schon verächtlich in den Ausguss kippe und meinen Schlüssel aus der Jackentasche krame, lasse ich dich nicht aus den Augen. Langsam schlenderst du zur Tür hinaus und ich beeile mich ein wenig um mit dir zu gehen. Darüber wirst du dich nicht wundern, denn immerhin steht mein Auto gleich neben deinem und so hatten wir bereits heute Morgen denselben Weg. Als du merkst, dass ich neben dir laufe, lächelst du mich an. Ich liebe dieses Lächeln – und ich hasse es, weil ich es liebe. Ich sollte es nicht lieben, ich sollte dich nicht so ansehen, wie ich es jetzt, wie ich es jeden Tag tue, ich sollte die Gedanken an dich abstellen und ich sollte nicht den Ring vom Finger nehmen, sobald ich dich sehe.
Verdammt, was machst du nur mit mir?
Wir unterhalten uns über Belangloses. Über das letzte Wochenende, über die nächste Klausur. Nichts von wirklicher Bedeutung – jedenfalls für mich nicht. Wie gerne würde ich jetzt mit dir über andere Dinge sprechen. Über Dinge die wirklich wichtig sind. Darüber was du liebst, wonach du dich sehnst oder woran du denkst, wenn du einen Schmetterling siehst. Darüber was ich fühle, wenn ich dich ansehe, welche Zweifel ich habe, warum ich nicht aufhören kann an dich zu denken und über meine Angst vor dem Tag an dem ich erkennen muss, dass es jemanden an deiner Seite gibt. Bei dem Gedanken an diesen Tag, der früher oder später kommen muss, beschleicht mich wieder diese leise und eindringliche Panik, die sogleich meinen Kampfgeist – aber auch den Geist der Resignation auf den Plan ruft. Einfach nicht dran denken.
Ich muss mich zusammenreißen, muss so tun als ob wir einfach nur Freunde sind. Freunde. Sind wir das überhaupt schon? Oder sind wir Klassenkameraden, Bekannte die ab und zu zusammen feiern gehen. Nicht mal unseren offiziellen Status kann ich definieren. Für mich bist du mehr – aber das sollte ich für mich behalten, wenn ich nicht riskieren will sogar das zu verlieren. „Woran denkst du?“ höre ich dich fragen. „Was? Wie? Hm? Ach an nichts Besonderes… “ murmle ich und versuche mich in einem tapferen und meine Worte bekräftigenden Lächeln. Dass mir das nicht gelungen ist, merke ich aber bereits selber.
Du bleibst stehen, siehst mich an. Ohne ein Wort zu sagen siehst du mich einfach nur an. In deinem Blick liegt ein Ausdruck von Ahnen, vielleicht von Wissen.
Ich muss es sagen. Alles sagen. Jetzt. Ich ersticke wenn ich nichts sage. Oh Gott, diese Augen.
Ich schweige. Verfange mich wieder bis zur Hilflosigkeit in deinen Augen und schweige - wie jedes Mal. Ich schlucke die Worte hinunter, die ich dir so gerne sagen würde, weil ich weiß, dass es besser ist. Zumindest rede ich mir das ein. Weil ich feige bin. Weil ich Angst habe, du könntest mir weh tun. Es würde weh tun, wenn du sagst, dass du nicht so empfindest. Weil ich Endgültigkeiten hasse. Weil ich Angst habe, du könntest so empfinden. Wem müsste dann ich weh tun? Dir? Ihm? Mir?
So oder so. Ausweglos.
„Okay, dann bis morgen.“ sagst du und gehst zu deinem Auto. „Ja, bis morgen.“ Mit diesen Worten und einem weiteren misslungenen Versuch eines tapferen Lächelns trennen sich unsere Wege für heute.
Ich hätte es doch sagen sollen. Das war die Gelegenheit. Vielleicht … Aber… Ach, verdammt!
Ich krame meinen Ring aus der Hosentasche und streife ihn wieder über den Finger. Alles ist wie immer. Ich fahre heim. Du bist weg. Ich habe geschwiegen. Nichts ist passiert. Alles nach außen hin noch geordnet.
Aber die Sehnsucht bleibt…