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Augenblick
Augenblick
Chronik der großen Schlacht.
Tropfen, die der Wind verweht, fallen von Bäumen im Nebel. Sieben Tage sind vergangen. Etwas bewegt sich schnell im Dickicht, huschend raschelt es im Laubwerk, Vögel kreisen. Der Boden wie nach Regen, Wasser und Schlamm. Bäche, die den Grund ausspülen. Tanzende Blätter, welk in ihrer Konsistenz, legen sich auf meine Haut. Wind, der unaufhörlich tobt. Der wartende Moment ist der fatalste: Im Alleinsein liegt die Konfrontation mit dem Selbst.
Sehende fühlen weniger. Darum die Binde aus weichem Stoff um meine Augen. Wenn Er es so will. Akzeptiere die Situation völlig, gehst du in ihr auf, mag sie zum Lebensinhalt werden. Ideologie ist für Tyrannen, Glaube ist gerecht. Glaube ist einzigartig.
Wieder vergehen endlose Tage. Kein Bild, außer dem Schwarz vor meinen Augen.. Aggression überträgt sich als logische Konsequenz auf ein Feindbild, aber das Erkennen des Gegners kommt bei reinem Geist aus dir selbst. Gut und Böse ist nicht länger Entscheidung, sondern Wissen. Darum sitze ich hier, nur aus diesem Grund.
Szenerie: Weiße Gestalt, allerdings grau in der Umgebung, kauert auf einem Felsvorsprung. Vor ihm eine weite Mulde. Am Grund der Mulde befindet sich etwas, dass wie ein Tor erscheinen könnte. Schwert in beiden Händen haltend, senkrecht in den Boden gerammt. Sofortige Assoziation: Kreuz. Binde um die Augen, fest verschnürt. Wülste am Rücken, vernarbte Risse, die sich von der Wirbelsäule in beide Richtungen hinfort ziehen. Dort Erhebung unter der Haut, noch kein Buckel, aber uneben.
Kalte Flocken, die der Wind verweht, fallen von Bäumen im Nebel. Sieben Wochen sind vergangen. Weit entfernt Schreie im Rücken und Lärm und dumpfer Schlag, wie ein Inferno, das über dich kommt. Vögel kreisen. Der Boden wie nach Schnee, Wasser und Eis, Bäche, die gefroren sind. Keine Blätter, erstarrt unter dicker Schicht, Kälte beißt das Fleisch. Wind, der unaufhörlich tobt. Der wartende Moment ist der fatalste: Während er verstreicht, offenbart sich die Gewissheit, dass Zeit entrinnt, Tod kommt.
Hörende fühlen weniger. Darum die Glocke und der Hammer und ein Organ, dass platzend seine Funktion einstellt. Wenn Er es so will. Nur eine Angst: Schweben im Nichts. Was du brauchst sind Identifikation und Treue, denn löst du dich von allem, bist du verloren. Fanatismus ist für Mörder, Freundschaft ist die Rettung. Freundschaft ist einzigartig.
Wieder vergehen endlose Wochen. Kein Laut, außer dem leisen Summen in meinem Ohr. Krieg ist der Wille des Mutigen, der sich nicht abfindet mit der Herrschaft des Unterdrückers. Friede ist angenehm, aber verwerflich, es ist ein Traum. Friede ist die verblendete Weltsicht des Schwachen. Darum sitze ich hier, nur aus diesem Grund.
Szenerie: Blut entläuft den Ohren der Gestalt, zieht sich die Schläfen entlang, ein schauerlicher Anblick in winterlicher Einsamkeit. Warmes Blut läuft schnell, schneller, spaltet sich in Tropfen und fällt, um dann Eins zu werden mit dem Schnee. Roter Schnee.
Blüten, die der Wind verweht, fallen von Bäumen im grünen Gewand. Sieben Jahre sind vergangen. Weit entfernt die Schreie erloschen, der Lärm und das Grauen vergangen, das Inferno, das an dir vorüberzieht. Singende Vögel, die kreisen. Der Boden wie nach Schöpfung, Wasser und Gras, Bäche, die in Täler strömen. Knospen, nah der Stunde ihrer Geburt, Wärme kehrt wie Leben zurück ins Fleisch. Wind, der sich sanft bewegt. Der wartende Moment ist der fatalste: Die Achtung vor dir selbst stirbt mit jedem weiteren Gedanken, Narzissmus vergeht, doch an seine Stelle tritt der Suizid. Auf Dauer kann sich wohl niemand lange ertragen, nicht einmal Er.
Fühlende sind weniger. Darum die Glut und das Feuer, die Haut und Fleisch versengen, verbrennen, mit Gewalt durchfurchen und Asche hinterlassen. Wenn Er es so will. Mein Krieg im Herzen am Höhepunkt, all meine Sinne gespannt, gerichtet auf den letzten Tag, den letzten Schlag, was dann ist, sein wird, ohne Bedeutung. Siege sind für Blender, heiliger Kampf kennt keinen Ausgang, er treibt es auch noch gegen sich selbst. Darum sitze ich hier, nur aus diesem Grund.
Wieder vergehen endlose Jahre. Kein Gefühl, außer dem sanften Hauch von Luft und den ersten Ausläufern des Sturmes, der sich aufreiht. Solange ich hier sitze, atme und lebe, werden sich eure Armeen an meinem Felsen versuchen und vergehen und eure Legionen brechen wie riesige Wellen in der Brandung. Dann throne ich auf Leichen, meine Heimat unberührt.
Szenerie: Im Hauch des Windes, der seine Kleider wallend bewegt, gibt die Hand des aufkommenden Sturmes wieder und wieder angezündetes Fleisch frei: Vernarbt und tot umschließt es seine sterbliche Hülle. Etwas tritt aus der Mulde, erklimmt den Felsen, kommt näher, überall Getöse und Geschrei, der Wind heult und Dunkelheit legt sich über die Welt.
Ohne Sinne, doch spüre ich es.
Er fasst den Griff, die Klinge folgt, sammelt seine Kraft im ausholenden Schlag und setzt, die Richtung und den Feind nur erahnend, zum Streich an. Er schlägt mit solcher Wucht einen Halbkreis um seinen eigenen Körper, dass er den schwachen Widerstand, auf den die Waffe kurz trifft, kaum wahrnehmen kann. Etwas fällt zu Boden, zum Schreien keine Luft mehr, zum Sterben keine Zeit mehr, schon tot bevor der Fall eintritt. Zuerst auf die Knie, als auch diese wegsacken, schlägt ein Kopf gegen Felsen.
"Um jeden Preis, Wächter. Aber wie soll es nun weitergehen?", eine Stimme im Hintergrund.
Der Wächter reißt sich die Binde von den Augen, die Stimme so schwach in seinem zerstörten Gehör. Sein Blick, geblendet von strahlender Sonne, fällt zuerst auf den Leichnam eines Mädchens zu seinen Füßen. Keine zehn Jahre auf dieser Welt, schätzt er kalt, während seine Augen dem Strom aus Blut folgen, der den Felsen herab in eine Mulde fließt, die mit Sand ausgefüllt ist. Roter Sand. Als er sich dreht, entdeckt er den Quell der Stimme: Ein Mann, bärtig, alt, in einer braunen Robe, steht vor der Silhouette einer Ruine, weit im Hintergrund.
Heißer Sand, den der Wind verweht, wo sind die Bäume? Wieviel Tage, Wochen, Jahre mögen vergangen sein? Kein Laut außer den Stimmen der Wüste. Kreischende Geier, die im Himmel kreisen. Der Boden wie nach Fegefeuer, zerklüftet und rauh, keine Bäche, nicht einmal Wasser, nur ein Meer aus Sand. Wind, der Körner in sein Gesicht peitscht. Der wartende Moment ist vorüber: Als er ging, nahm er das Leben mit sich.
"Wer bist du? Wer ist... das Mädchen?", fragt er in die Stille, sein Schwert umklammernd.
"Ich möchte dir eine Geschichte erzählen", antwortet der Mann,"Sie beginnt im stürmischen Herbst, zieht sich durch den kalten Winter, erblüht im Frühling und fällt im Sommer, der kein Sommer ist."
"Das Mädchen..."
"Eine Geschichte, ohne Moral oder Lehre. Sie handelt von dem, was bleibt, wenn alle Reiche zerfallen, alle Götter gegangen und alle Führer verendet. Was bleibt, ist ..."
" ... der Hass."
"Er bleibt. Ihr tragt ihn mit euch, durch eure Existenz, seid bestimmt durch ihn. Gibst du ihn fort, durch Mord und Gewalt, bleibt..."
" ... die Schuld."
"Sie bleibt. Du trägst sie mit dir, durch deine Existenz, sie richtet über dein Handeln. Fortgeben kannst du sie nicht, sie ist Teil von dir."
" ... kein Ausweg. Meine Welt, vergangen. Mein Sinn leer. Ohne meine Schuld. Was wäre ich ohne meine Schuld?"
"Ohne Hass, ohne Schuld? Du wärst erlöst. So, lebst du weiter."
" ... das Mädchen, der Erlöser?"
"Nein, deine Verdammnis. Auf ewig verdammt. Wächter... Wir werden uns nicht wiedersehen."
Der Mann greift mit beiden Armen über die Schultern und zieht eine Kapuze über den Kopf, die sein Gesicht in Schatten hüllt. Er geht fort und entschwindet in den Wirren der Dünen. Als er kurz innehält, hört er einen dumpfen Ton, wie Kopf gegen Felsen, dann einen hellen, wie ein Schwert, dass Stein hinunter gleitet.
"So einfach ist es nicht, mein Freund. So einfach nicht."
Ewigkeit kommt, die Ruinen bleiben, die Wüste bleibt, der Wächter bleibt.
Allein.
Einsam.
Den Augenblick genießend.
Der wartende Moment ist der fatalste, wenn er nicht endet.