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Aufwachen
Kommando: Aufwachen!
Der Wecker klingelt und ich sitze senkrecht im Bett.
Mit dem nächsten Atemzug springe ich in meine Klamotten und flitze daraufhin ins Bad.
Und als ich nach der Zahnbürste greife bemerkt mein Gehirn die fehlende Hand.
Seine geistigen Augen wandern an meinem imaginären Körper hinab, welcher meinen Geist mit konsequenter Abwesenheit straft.
Sofort schieben sich die nicht vorhandenen Augenbrauen tiefer in das körperlose Gesicht und mit einem unhörbaren grummeln stapft mein Gehirn wieder zurück ins Schlafzimmer wo ich friedlich vor mich hin dösend schlummere.
Allein das nervige Gedudel meines Radioweckers hindert mich permanent daran wieder tiefer in das Rosenreich der geistigen Nicht-Aktivität zurück zu sinken.
Mit einem langen Seufzer wende ich mich meinem linken Auge zu und sage ihm es solle einmal nachsehen wie spät es doch mittlerweile sei, worauf hin sich das dazugehörige Augenlied um einige Millimeter nach oben bewegt.
"Sir! Es ist sieben Uhr fünfundvierzig, Sir!"
"Nun gut." erwidere ich, reibe mir meine substanzlosen Hände, doch bevor ich ein: "Alle Mann auf ihre Posten, wir stehen auf!" befehlen kann, kommt nur ein: "Kannst du nicht da rüber gehen und den Wecker ausschalten?" aus meinem Mund.
Ob ich das nun gesagt habe oder nur gedacht, vermag ich nicht zu beantworten. Jedenfalls habe ich in einem Anfall kindlicher Naivität meinen Wecker vor geraumer Zeit in die andere Ecke meines Zimmers gestellt um mich morgens dazu zu zwingen aufzustehen, ihn auszuschalten und dabei so schnell wie möglich wach zu werden.
Vielleicht war es auch ein unterbewusster Masochismus.
"Sir! Nein, Sir!" bekomme ich als Antwort.
"Warum nicht?" gebe ich zurück.
"Sir! Weil ich nicht Sie bin, Sir!"
"Und warum das nicht?"
Morgens sind meine geistigen Fähigkeiten auf Dinge beschränkt, die man am besten in horizontaler Lage vollbringt.
"Sir! Das weiß ich nicht, Sir!"
Welcher Depp hat denn dem Typen diesen Posten gegeben, frage ich mich.
Dann drehe ich mich wortlos herum und wende mich meinen Beinen zu. Besser gesagt, den Teilen meines Körpers, die am weitesten von meinem Einflussbereich entfernt sind.
"Heda!" brülle ich hinunter und ernte als Antwort ein unwirkliches Echo aus den Tiefen der Arbeitshallen wo Gestalten arbeiten sollten, die sich als Nerven, Muskeln und sonstiges Gewebe bezeichnen.
Also gut, meine Beine sind wieder am streiken, geht es mir durch die Gedankengänge. Das linke Auge wird von einem Idioten bedient und das rechte Auge scheint noch relativ gefechtsuntauglich zu sein, wenn ich mir die dunkle Ecke dort so ansehe.
Schließlich kommt mir die rettende Idee und ich sprinte so schnell ich kann zu meinen Ohren. Das nervtötende Gesäusel frißt sich sofort in meinen mittlerweile schon leicht gebeutelten Geist als ich die dortigen Wachtrupps bei der Arbeit sehe.
"Sofort alle Arbeiten einstellen!" brülle ich, doch meine geistige Stimme geht in der ganzen Betriebsamkeit unter.
Warum nur meine Ohren schon vor dem offiziellen Start in den Tag mit ihrer Schicht beginnen?Überstunden bezahle ich nicht!
"Wer hat hier das Kommando?!" verlange ich zu wissen.
Einer der Anwesenden zeigt in meine Richtung und ich glaube ein "Sie." zu vernehmen, also hebe ich erneut meine Stimme mit dem neuen Bewusstsein nun der Kommandeur meiner Ohren zu sein: "Alle Mann, Arbeit einstellen!"
Da tippt mir jemand von hinten auf die Schulter.
Gehetzt fahre ich herum und werde mit einem mal von mehreren Gestalten bedrängt, die alle mit kleinen gelben Zetteln winken.
"Sir! Wir haben Bericht über das Radioprogramm. Gerade eben sind folgende Worte hereingekommen, Sir!"
Er beginnt von seinem diabolischen Schrieb vorzulesen und bevor ich mich in Sicherheit bringen kann haben sich schon ein oder zwei in meine Gedanken gefressen.
"Sir! Die Informationen wurden bereits weitergereicht, Sir!"
Oh nein, denke ich verzweifelt, sobald die in der Schaltzentrale ankommen ist es mit dem Schlafen vorbei.
Mit Riesenschritten haste ich davon und versuche den infernalen Kurier der ultimativen Information abzufangen.
Nach einigen langen Augenblicken erreiche ich mein Hauptquartier nur um festzustellen, daß ich zu spät bin. Überall gehen die Lichter an und mein Kreislauf kommt leise ächzend in Fahrt.
Schweiß läuft an meiner Stirn herunter. Ich stehe kurz vorm aufwachen.
Es hilft nichts, ich habe keine Wahl mehr.
"Verzeiht mir..." murmele ich und hämmere mit aller Kraft auf den dicken roten "NICHT PRESSEN!" Knopf.
Die Titanic läuft aus, ein Bein nach dem anderen über die Bettkante geschwungen. Aufgestanden, vorwärts gewankt, ausgeholt und zugeschlagen.
Langsam umgedreht, wieder nach vorn, eine erneute Drehung und Bumm!
Um mich herum wird alles dunkel.
Ich lehne mich zurück und entspanne mich.
Fünf Minuten später bin ich wieder eingeschlafen.
Doch ich wäre nicht ich, wenn der Wecker nicht nach genau neun Minuten das zweite mal klingelt...