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Aufstehen
Fiona schrie.
Sie schrie, bis sie nicht mehr konnte, schrie den Frust der letzten Tage und Wochen heraus und es war ihr egal wer sie hörte.
Ihr hübsches Gesicht war zur einer Fratze des Kummers verzerrt und ihre einstmals strahlenden blauen Augen, erschienen nunmehr matt und übermüdet. Die sonst so gepflegten schwarzen Haare klebten ihr an der Stirn und ihr fettiger Glanz zeugten davon, dass sie sie seit mehreren Tagen nicht mehr gewaschen hatte.
Es war die Trauer. Sie fraß sie förmlich von innen heraus auf und das einzige was sie ihr entgegen zu bieten hatte, waren vereinzelte, hilflose Wutausbrüche und Anti Depressiva.
Sie stützte sich mit den Ellenbogen auf ihr Bett und richtete sich auf. Langsam, wie in Trance bewegte sich ihre Hand richtung Nachttisch, bis ihre Fingerkuppen das Bild ertasten konnten. Sie griff zu. Lange dünne Finger strichen über das kalte Glas das dass Foto beschützte. Über das Gesicht des Mannes, der stolz lächelnd seine Hand um ihre Hüften gelegt hatte und über den Jungen, der fröhlich grinsend, die Arme vor der Brust verschränkt, in die Kamera schaute. Das Bild verschwamm vor ihren Augen und sie konzentrierte sich wieder auf ihre Finger, um einem erneuten Zusammenbruch zu entgehen. Angewidert starrte sie auf ihre abgekauten Fingernägel und der Selbsthass der sie in jenem Augenblick durchfur, war das Einzige Gefühl seit dem Unfall, das ihr nicht jegliche Energie raubte und sie in die zweifelhafte Sicherheit ihres Bettes zurück trieb. Nein, der Selbsthass trieb sie an. Er gab ihr wenigstens eine Person die sie verachten konnte, für das was passiert war. Jemanden, an dem sie ihre Verzweiflung auslassen und auf den Sie etwas Schuld projezieren konnte. Es spielte keine Rolle, dass sie beim eigentlichen Unfall nicht dabei gewesen war, und dass es ein ausgefallenes Triebwerk war, das ihr ihre Familie geraubt hatte. Irgendjemanden musste sie doch dafür hassen und wenn sie es am Ende selbst war. Sie sammelte ihre ganze Kraft und hievte sich aus dem Bett. Ihr Blick fiel auf den Zeitungsartikel den sie vor einiger Zeit unter ihrem Bett verstaut hatte und auf die Zeilen die sich in ihren Kopf eingebrannt hatten. Die Zeilen, die so grausam die ersten Überbringer ihres Unglücks gewesen waren und die sie wohl ihren Lebtag nicht wieder vergessen würde. ,,Tragischer Flugzeugabsturz über den Alpen. 170 Fluggäste Tot."
Sie riss sich vom Anblick der schwarz auf weiß gedruckten Tinte los und ging weiter, am Badezimmer vorbei Richtung Schlafzimmertür. Sie wollte nicht ins Bad, auch wenn die Versuchung einer warmen Dusche groß war. Im Badezimmer standen ihre Tabletten und sie würde schwach werden, das wusste sie genau. Die Tabletten boten ihr zwar einen kurzen Ausweg aus ihrem Martyrium, jedoch wollte sie den Schmerz nicht einfach vergessen, sie hatte ihn ja schließlich verdient. Kurz bevor sie endlich ihre Schlafzimmertür erreichte, drehte Fiona sich noch einmal um. Ihr Blick glitt über das Doppelbett, auf dem nur eine Seite durchgelegen war und über die leeren Weinflaschen, die sich neben ihrem Bett amgesammelt hatten und sie fragte sich, wie lange sie das noch konnte. ,,So lange bis dir das Licht auf, oder aus geht", antwortete die Stimme in ihrem Kopf. Fiona fasste den Griff der Schlafzimmertür nun fester und schritt heraus, in der Tasche ihre Pyjamas fühlte sie die kleine Visitenkarte des Psychiaters, den sie einmal probeweise besucht hatte. Als sie dann endlich die Tür hinter sich schloss, hatte sie ihre Entscheidung getroffen.