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Aufbrechen

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02.11.2001
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Aufbrechen

Der war sich seiner Sache, der gerechten, wie er meinte, vollkommen sicher an diesem nebelverhangenen Donnerstagmorgen.
Der stand unwirsch und noch müde auf, der verbrühte sich bald darauf mit dem zu heißen Kaffee die Lippen und versuchte dennoch, den beginnenden Tag als gegeben hinzunehmen, wie wir später hinlänglich erfuhren.
Der zog doch heute ein frisch gebügeltes Hemd über und auch das war bald überstanden und der konnte nun das Haus verlassen, wurde uns irgendwann danach gesagt.
Der erkannte die Strassenbahn hinter parkenden Wagen auftauchen, hetzte zum offenen Einstieg und fuhr alsbald zum Büro seines Dienstgebers, wo wir ja schon alle schweigend zusammen saßen, dumpf und wortlos.
Der fluchte nicht, lachte und dachte nur, während er wiederholt heißen Kaffee konsumierte, ohne Zucker, jetzt im Kreise der stummen anwesenden Kollegen, also uns. Über die wöchentliche Ölpest wollte der jetzt tatsächlich reden, am frühen Morgen, in diesem unbedarften Land. Der war doch noch nicht munter, noch nicht da, der klopfte noch dazu mit den Fingern einen imaginären Takt auf die Tischplatte.
Was wußte der von zu wenig Schlaf in zu kurzen Nächten, von Einkaufsmartyrien mit der ganzen Familie, von unseren täglichen kleinen Scharmützeln, von uns Konsumkrüppeln. Der hatte doch Eigenes zu denken.

Hatte der die rechte Einstellung zum Thema?
Wußte der unser Thema, unsere Bedürfnisse?
Wußten wir?

Der hatte eigene Gedanken im Kopf, saß klopfend da und sprach eben diese auch noch an. Der dachte sich das so, daß dies so ginge. Der sprach Dinge an, der hinterfragte Dinge, der machte doch den Donnerstag unruhig schon kaum, daß der begonnen hatte.
Der spielte mit uns völlig fremden Redensarten, der wollte den anderen, also uns, die Morgenstunde versalzen. Den mußte man, also wir, erst verstehen, der meinte doch tatsächlich sich seiner gerechten Sache sicher zu sein, sagte der.
Der erzählte von entsetzlichen Bärentreibjagden irgendwo im Kaukasus und noch immer vorhandenen Walfangflotten. Der nahm uns unser mühsam dazu aufgestecktes Lachen und keiner fand es wieder an diesem nebelverhangenen Donnerstag, bemerkten wir.

Der kam und damit begann da etwas anders zu werden, der malte neu aus in den Köpfen, in denen doch schon der Dienstgeber sein Gedankennest eingerichtet hatte. Der sprach da zu uns über den Unsinn eines unproduktiven Unglücks, also dem unseren, der nötigte uns unsere Meinung darüber ab und letztendlich bekam der Recht von uns, stellten wir erschaudernd fest.
Der verging sich doch an unserem Unmut.
Der machte altes, bestehendes, zu Diskussionsgrundlagen, der verstand es, unseren Glauben auszuhöhlen, unseren Istzustand mit wenigen Worten als einen erbärmlichen hinzustellen.

Der spielte doch mit unseren einstudierten kargen Visionen.
Der ließ uns doch immer wieder erstaunt zurück mit unseren Tageszeitschriften, in denen wir danach unschlüssig blätterten.
Der kam auch diesen Morgen mit dem freundlichen Lächeln und wir saßen nur da, müde und stumm und wußten noch nichts. Der griff doch unversehens wieder ein Thema auf, dem wir so plötzlich nichts entgegen zu setzen hatten, bei dessen Abhandlung uns dann aber wieder die Zeit knapp wurde. Der schlürfte den heißen Kaffee ohne umgehängter Krawatte, der nahm nie Zucker dazu, in dem elitären Kreis, dem wir meinten anzugehören.
Der arbeitete im Schein der Schreibtischbeleuchtung und saß sonst gerne im Dunkel des Zimmers, wenn wir uns im Glanz und der Helle des Neonlichtes unserer Zimmer aalten.

Der sagte uns Staunenden glatt und unbekümmert das bevorstehende Lichten der Nebel draußen vor den Fenstern voraus an diesem Donnerstagmorgen. Wie der uns da zum Lachen brachte, wie der uns wieder versorgte mit Unterhaltung und Amüsement darüber, dachten wir. Wie wir dankbar und blind danach griffen.

Der kam dann nicht mehr am nächsten Morgen und wir vermißten ihn doch sofort, schweigsam und auf die Tischplatte starrend. Der verbrannte sich bei uns nicht länger die Lippen mit heißem Kaffee und doch suchten wir zum Trotz in den abgegriffenen Seiten der Tageszeitungen jetzt nach Meldungen über entsetzliche Bärentreibjagden und irgendwo doch existierenden Walfangflotten. Ölteppiche suchten wir in diesem Geschreibe unverdrossen und fanden sie nicht mehr. Der ließ seinen Platz leer zwischen unserem Schweigen zurück und die Leere in unseren Tageszeitungen war greifbar und machte unser Miteinander schon am Morgen zur Hölle. Wir griffen haltsuchend nach unseren dampfenden Kaffeetassen und verbrannten uns die Lippen an den heißen Rändern, während wir ungläublig das Lichten der Nebel draußen vor den Fenstern zur Kenntnis nehmen mußten.

 

Hallo Robert, was hast Du uns denn da angetan? :confused: :)

Irgendwie ist mir das zu verwirrend, wer ist "der"? Ok, bin vielleicht dümmlich, aber immerhin habe ich gemerkt, daß Dir der Naturschutz am Herzen zu liegen scheint.

Liebe Grüße
Heike

 

Liebe Heike!

"Der" kann jeder von uns sein,stell dir das ganz einfach so vor."Der" denkt,fühlt und spricht anders - und will dann eben nicht mehr mittun.Stell dir dabei einen Büroraum und ein paar nette Kollegen vor.....

Liebe Grüße - Robert

 

Sehr gute Geschichte, die es m. E. wert ist, min. zweimal gelesen zu werden. "Der" hat erkannt, dass sein Beruf eben nicht seine Berufung ist."Der" hat es nicht nur erkannt, "der" hat auch den Mut das zu tun was ihm wichtiger erscheint. Denn der Nebel vom Anfang der Geschichte lichtet sich am Ende. Und das fantastische daran, auch der Nebel der Kollegen scheint sich ein wenig gelichtet zu haben. Denn sie scheinen etwas begriffen zu haben.
Ich bin sicher es gibt eine Fortsetzung der Geschichte?
Liebe Grüße
Isa

 

Hi Isa,

ein später, aber durchaus herzlicher Dank für deine Kritik.
Du hast die Aussage, die ich in dieser Geschichte herausarbeiten wollte, erkannt. Geht es nicht vielen Gehaltsempfängern ähnlich? Ein dumpfes Zeitabsitzen in goldenen Käfigen, ein Warten auf den Scheck, auf die Rente? Schreit das nicht nach Aufbruch?

Liebe Grüße - Aqualung

 

Hei Aqualung,

vor vielen Jahren, ich war bei der Marine, ist ein "Junge" meines Alters an einer Trombose gestorben, nach einem eigentlich harmlosen Unfall.

Er hieß Frank.
Ich vermisste, daß er nie meiner Meinung war, andere Interessen hatte, andere Ziele, andere Musik hörte. Ich erinnere mich an sein Übergewicht, sein rundes Gesicht, an seinen Wohnort, an die Zigarettenmarke, an seinen hässlichen schwarzen Mantel, und und und.
Es ist 14 Jahre her.

Liebe Grüße von Archetyp

 

Hi Archetyp,

,Der' könnte es gewesen sein.

Danke für das Lesen meiner Geschichte.

Liebe Grüße - Aqualung

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Aqualung !

Ich denke es gibt oft Menschen die sich irgendwo nicht zugehörig fühlen, missverstanden vielleicht. Und dann irgendwann brechen sie auf oder wie Archtetyp erzählt gehen sie aus anderem Grund von uns weg.

Der Aufbruch kann wunderbar sein, die Lücke die jener hinterlässt der geht, auch unfeiwillig durch seinen Tod, entsteht aber doch auch weil er nie das Verbindende gesucht hat, immer nur das Trennende hervorhob.

Wäre das auch ein Denkansatz?
In der Rubrik "Sonstige" ist meine Geschichte "Anderssein" - ich denke sie passt ganz gut dazu.

Lieben Gruß an dich - schnee.eule

 

Liebe schnee.eule,

dein angeführter Denkansatz ist auch für diese Geschichte brauchbar. Der Protagonist kommt nicht mehr zur Arbeit, sein Tod wäre denkbar. Alles bleibt zurück in Ratlosigkeit, in Verbitterung und jeder vermisst nun doch sein Anderssein....

Liebe Grüße - Aqualung

 

Hallo Aqualung!

Vorher haben die Kollegen gar nicht bemerkt, wie wichtig er für sie ist... Erst als er weg ist, merken sie, welch tiefes Loch er hinterläßt. Gerade durch sein Anderssein ist er nämlich für sie so wichtig.
Diese Aussage, die ich aus Deiner Geschichte lese, finde ich sehr schön und wahr. Sie sind zu oberflächlich um es vorher überhaupt bemerken zu können. Man könnte auch sagen, sie nehmen selbstverständlich, ohne auf die Idee eines Danke zu kommen. Auf der anderen Seite steht jemand, der gibt, ohne zu bekommen.
Und überhaupt, Deine Geschichte hat mich jetzt animiert (Danke!): Plötzlich habe ich zwei eigene im Kopf, die ich möglichst schnell niederschreiben sollte... ;)

Alles liebe,
Susi

 
Zuletzt bearbeitet:

Mach es Susi, schreibe, bitte.
Es kann nichts verkehrt sein. Das Leben ist schräger als wir dem zugetraut haben. Wir haben noch Vertrauen?


Schreib bitte auf Teufel komm raus!
Liebe Grüße - Aqua

 

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