Auf zu neuen Ufern
I.
Ein gleißendes, sekundenlanges Blitzlicht drang trotz geschlossener Augen in mein Innerstes und zwang mich widerwillig, sie zu öffnen. Die komplette Zentrale verlor ihre Konturen. Nichts behielt seine ursprüngliche Form, als sei es ein Abbild auf einer sich bewegenden Wasseroberfläche. Ich selbst blieb davon auch nicht verschont, ich sah meine Arme und Hände schlangengleich zur Konsole tasten und den erlösenden Knopf drücken. Ein weiteres Blitzen, und das Universum hatte mich wieder.
Obwohl es schon mein siebzehntes Mal war, blieb das Columbus-Gefühl, die Faszination der Erforschung absoluten Neulandes. „Auf zu neuen Ufern“, verlangte mein Innerstes. Es war die siebzehnte Ruptur einer Raumfalte, die wir entdeckt und die zu erforschen ich nun die Ehre hatte. Wie die vorangegangenen Male war ich allein. Warum mehr Menschenleben riskieren, wenn man doch einen Dummen gefunden hatte, der zu solchen Aktionen bereit war? Sechzehn Mal war ich zurückgekehrt und hatte den Weg für größere Expeditionen freigegeben, hatte bewiesen, dass die Ruptur auf der anderen Seite nicht in einer Sonne, einem Asteroidenfeld, oder in sonstigen Ungemütlichkeiten mündete. Mein Raumschiff beinhaltete trotz der geringen Größe alles, was zum Überleben notwendig schien: ausgezeichnete, modernste Bewaffnung, genügend Treibstoff für knappe einhundert Lichtjahre, Verpflegung für Monate und natürlich alles, absolut alles, was mir bei einer Positionsbestimmung helfen konnte. Und das verteilt auf 7 Meter Länge, 3 m Breite und gute 2 m Höhe.
Ich blickte auf die Monitore, die mir das Neuland zeigten, den neu entdeckten Abschnitt des Universums. Zeigen sollten! Reflexartig betätigte ich alle Schalter, Hebel und Knöpfe, die eine Gegenbewegung einleiten konnten, denn mit wahnsinniger Geschwindigkeit näherte sich ein Gebirge aus Stahl. Genauer gesagt, es nahm mein gesamtes Gesichtsfeld ein, und es war auf einen Blick erkennbar künstlich. Man würde mich dort wahrscheinlich nicht wahrgenommen haben, ich war bestenfalls ein kleiner Asteroid, der entweder am Schirm explodieren, oder von der Umgebungsautomatik beseitigt würde. Schweiß stand mir auf der Stirn, die Wand begann sichtbar langsamer zu werden. Gegenschub auf voller Kraft. In welchem Abstand würde der Schirm mich zerplatzen lassen? Ein Blick auf die Kontrollen und ich korrigierte mich. Ich war innerhalb des Schirms und das, obwohl ich noch 14.300 Meter entfernt war! Das gab es doch nicht: Abstand Schirm zu Raumschiff (?), Planet (?) laut Messgerät 50 km. Erst jetzt wurde mir die Dimension dieses Monstrums bewusst. Soweit das Auge reichte erstreckte sich unter mir eine Stahllandschaft, ständig durchbrochen von meist erleuchteten Toren und Fenstern. 8.000 Meter, ich würde es schaffen, dann 4.000 noch immer bedrohliches Tempo, dann 700 Meter, geschafft. Ich kam zu relativem Stillstand bezüglich des Monstrums und glich die Geschwindigkeit an. Dann atmete ich erst einmal kräftig durch. Einen Kilometer näher und ich wäre wie Mückenschiss an die Außenwand des Raumschiffes geplatscht. Zuhause hätte man nach der vereinbarten Wartzeit von 2 Monaten einen zweiten und letzten Versuch gestartet. Ein zweiter Solopilot hätte die Ruptur durchstoßen und vielleicht wie ich gegen das Raumschiff geflogen. Die Ruptur wäre dann endgültig versiegelt worden – nicht für den Portalflug geeignet. Aber ich lebte, noch wurde nichts geschlossen.
Ich beschloss das Ding definitiv als Raumschiff zu deklarieren und begann, mich dem Dingsda langsam und vorsichtig zu nähern. Bei uns hätte man eine Annäherung eines fremden Raumschiffes sofort bemerkt. Das heißt vielleicht; unter Berücksichtigung der Größenverhältnisse, war zu bezweifeln, dass bei uns die Annäherung eines Kleinstmeteoriten irgendjemandem auffallen würde. Dafür war die Umgebungsautomatik da, die solche Gegenstände einstufte, Größe, Geschwindigkeit, etc. und dann, falls angebracht, entsprechende Gegenmaßnahmen einleitete. Die Frage war nur, ob diese Rasse hier auch eine Umgebungsautomatik hatte und, wenn ja, wie diese mich einstufen würde.
Ich war offensichtlich keine Gegenmaßnahmen wert, konnte bis in die Nähe einer größeren Öffnung gelangen und dockte dort an der Außenseite an. Jetzt wartete viel Arbeit auf mich.
II.
Fünf Wochen war ich nun schon hier. Der große Moment stand kurz bevor. Inzwischen hatte ich einen guten Überblick und war noch immer nicht entdeckt worden. Jawohl, es war ein Raumschiff, besser gesagt eine Raumstation. Ein Würfel mit einer Kantenlänge von 1.200 Kilometern!!! Belebt von krakenähnlichen Lebewesen, die aufrecht gehend eine Größe von 80 Metern erreichten. „Gullivers Reisen“, hatte ich gedacht, das erste Mal, und in mich reingegrinst. Sie gingen auf vier Tentakeln und nutzten die anderen vier als „Hände“. Diese Hände hatten keine Finger, sondern zerfaserten, liefen in immer kleineren Tentakeln aus, bis sie so filigran wurden wie meine Hände. Wie detailliert die Riesen die Bewegung dieser kleinsten Extremitäten kontrollieren konnten, war mir weiterhin unbekannt, und ich hatte nicht vor es beim Händeschütteln zu testen. Die Sprache –im Ultraschallbereich- hatte mein Translator analysiert, so dass ich theoretisch mit ihnen kommunizieren konnte. Wenn alles glatt lief, würde ich es heute auch versuchen. Seit Wochen hatte ich heimliche Zugänge zur EDV der Station geschaffen, mit unendlicher Geduld nach einem Zugang gesucht, bis irgendwann meine Syntronik das System erfolgreich gehackt und Vollzug gemeldet hatte. An über 20 Stellen hatte ich, über Funk erreichbare, Netzzugriffe installiert, damit ich bei der Kontaktaufnahme meinen Sendeort ständig wechseln konnte. Der Versuch die Herkunft des Senders zu finden, musste kläglich scheitern. Natürlich würde ich mich nicht sofort melden, sondern erstmal nur zuhören, so, wie ich es in den letzten Tagen ständig getan hatte. Die Syntronik meldet Bereitschaft. Ich klinkte mich ins System ein, der Translator war zwischengeschaltet.
„Wann trifft der Transport ein?“
„In zwei Stunden, Dominator. Im Süd-Hangar, Tor 200. Die Quech werden am Leben erhalten, sehr geringe Verlustquote. Enzymversorgung für weitere zwei Monate gesichert. Allerdings stammen sie von einer neuen Welt, mit eigener Technik der Stufe 5 und sind folglich etwas agiler und schwieriger zu handhaben. Dunkel, aber extrem stimulierend. “
„Dann behandelt sie anständig, möchte nicht, dass es zu Reaktionen wie bei Korr kommt.“
Die Verbindung wurde offensichtlich vom Dominator kommentarlos gekappt. Die Syntronik schaltete automatisch auf eine andere Frequenz um, wobei sie die wahrscheinlich interessanteste Unterhaltung wählte. Bevor ich reagieren konnte hörte ich bereits:
„Suche nach weiteren Universal-Fenstern vorerst noch ohne Erfolg. Wir erwarten innerhalb der nächsten 4 Wochen Meldung einer neuen Passagemöglichkeit. Derzeit sind 1.587 Einheiten auf der Suche.“
Sofort wies ich die Syntronik an, die letzte Sequenz zu wiederholen, und als sie kam: „Nein, die vorletzte, die mit den Quech.“ Hatte nicht korrekt genug formuliert und bekam erst im zweiten Anlauf die Bildverbindung während des kurzen Gespräches angezeigt. Vom so genannten Dominator war kein Bildsignal abgesendet worden, wohl aber vom anderen Gesprächspartner. Ich traute meinen Augen nicht: Es war ein Hangar zu sehen, in welchem riesige Container standen, gefüllt mit Massen kleiner Lebewesen, die ich erst bei genauem Hinsehen erkannte: Menschen. Die „Quech“ waren Menschen! Das Bild eines Fischerkutters mit Kisten voller Krabben, in denen die Tiere kreuz und quer durcheinander wuselten, drängte sich mir auf. Der Seemann, eine Kiste in Händen haltend, berichtete an den Kapitän über die Qualität des Fanges. Genau diese Szene hatte ich soeben miterlebt.
Ich musste versuchen Kontakt zu den Quech aufzunehmen. Meine Absicht, mit dem Dominator zu sprechen, mich zu zeigen, ein Gespräch aufzunehmen, stellte ich im Moment zurück. Die Kraken waren Menschenfresser und ich sicherlich gut beraten, mich nicht als freiwillig gekommenes „Fresschen“ zu outen. Hastig zog ich meinen Anzug über, schaltete den Deflektor an und begab mich auf den Weg zu dem Hangar, in dem die Quech gelagert wurden. Natürlich galt es wie immer extrem vorsichtig zu sein. Die Begegnung mit einem der Riesen könnte sehr schnell aus Versehen, vom Riesen unbemerkt, zu meinem Tod führen. Achtlos zerquetscht durch ein Tentakel oder dessen Lufthauch. Geschützt durch meinen Deflektor gelangte ich in den Hangar und entdeckte dort sofort die Container der Quech, Hunderte übereinander gestapelt bis in eine Höhe von ca. vierzig bis fünfzig Meter. Mein Flugaggregat brachte mich an einen der obersten, ich landete und horchte. Stimmen drangen durch die schlecht isolierten Wände. Mein Translator würde allerdings einige Zeit benötigen, um effektiv übersetzen zu können. Ich startete die Sprachanalyse und versuchte zugleich den Container aufzuschneiden. Der Hangar war leer, so, dass keiner der Riesen den Widerschein des Lasers würde erkennen können.
Es dauerte nur wenige Sekunden und ich hatte drei Seiten eines türähnlichen Rechtecks aufgeschnitten. Jegliche Geräusche aus dem Inneren waren verstummt. Ich schaltete den Deflektor aus, bog die Wand mit einiger Mühe nach außen und schaute hinein. Ungefähr einhundertfünfzig, ähnlich wie Neger aussehende Lebewesen, schauten mich mit gespanntem, aggressiven Gesichtsausdruck an. Ich hob die Hand und sagte mit eingeschaltetem Außenlautsprecher: „Hallo.“ Natürlich war mein Translator noch nicht so weit vernünftige Sätze von sich zu geben, aber eventuell würde es zu einer Lautäußerung kommen, die von ihnen als Gruß verstanden wurde. Sie reagierten nicht, nur einer trat einen Schritt vor und hob ebenfalls die Hand, als Zeichen des Friedens? Ich blieb in der Öffnung stehen und sprach ihn an: „Ich bin ein Freund. Ein Mensch. Ihr seid Quech?“
Beim Wort Quech zog er erkennend die Augenbrauen hoch und trat zu mir. Er betastete meinen Anzug, aber ich unterbrach seine Handlungen und machte ihm verständlich, dass er reden solle, damit der Translator seine Sprachanalyse fertig stellen konnte. Er begriff und begann sofort ein Gespräch mit einem der anderen, der mir daraufhin einen faustgroßen Würfel mit einigen Drähten gab. Ich verband die Drähte mit dem Syntron und zehn Minuten später avisierte der Syntron, dass er sehr viele Informationen übernommen habe, Technik, Geschichtewir könnten wir uns ab sofort fließend unterhalten.
Quant 1, so hieß er wohl, war Kommandant eines Stützpunktes und hatte keine Chance, als ein Raumschiff mit einer Größe von ca. zehn Kilometer über dem Planeten erschien und mit einer Strahlung alle Quech außer Gefecht setzte. Sie kamen erst in den Containern wieder zu sich. Wie sie eingesammelt worden waren, hatte nicht einer mitbekommen. Dabei hatten sie nur, was sie zu diesem Zeitpunkt am Leib getragen hatten. Quant war deprimiert, als ich ihm mitteilte, dass ich nur ein winziges Erkundungsschiff dabei hätte, mit dem ich maximal fünf Personen befördern könnte. Natürlich überlies ich ihm den Laser, damit seine Leute sich Zugang und somit Kontakt zu den anderen Containern verschaffen konnten. Schnell waren wir uns über die weitere Vorgehensweise einig. Quant gab diverse Anweisungen und klammerte sich dann an mir fest. Meinem Flugaggregat machte das zusätzliche Gewicht nichts aus und Minuten später waren wir am Schiff. Quant betrat es mit angespannter Neugier, stets bereit auf einen Angriff oder Ähnliches zu reagieren. Ich erklärte ihm von mir aus ohne Vorbehalte alle Einrichtungen, die er teils als „genial“, teils als „altertümlich“ kommentierte. Die Technik der Quech hatte sich ähnlich wie auf der Erde entwickelt, mit anderen Ausprägungen, daher hatten sie in diversen Bereichen einen Vorsprung, in anderen waren sie rückständig. Quant war fasziniert, als er von der Möglichkeit hörte, riesige Distanzen mittels Durchquerung von Raumfalten zu überbrücken. Allerdings konnte er nach Sichtung meines Kartenmaterials genauso wenig eine Standortbestimmung in Relation zur Erde machen, wie mein Syntron. Ich bot ihm an, ihm unsere technischen Kenntnisse, soweit sie in meinem Syntron gespeichert waren, zur Verfügung zu stellen. Wenn überhaupt, konnten wir gegen die Riesen nur gemeinsam vorgehen.
Es dauerte nicht lange und wir hatten eine freundschaftliche Beziehung entwickelt. Die Quech waren nette Kerle. In den nächsten Tagen brachte ich ihn, bzw. sein Aufzeichnungsgerät auf den aktuellsten irdischen Wissensstand, wir verabredeten, dass er mir folgen würde, sobald seine Wissenschaftler die Baupläne für Raumfaltendurchdringung umgearbeitet und entsprechende Maschinen in ihre Raumschiffe eingebaut hätten,. So waren sie in der Lage, die Erde von sich aus zu erreichen, mit einem gut ausgestatteten Raumschiff, mit einem gut gefüllten Wissensspeicher, zum Technologieaustausch zwischen unseren Rassen. Irgendwie würden unsere Wissenschaftler einen Weg finden, wie man die Riesen erfolgreich bekämpfen konnte. Quant´s Leute hatten inzwischen viele andere aus den Containern befreit und begannen sich zu organisieren. Ich verabschiedete mich von den Quech, voll motiviert und mit der frohen Kunde für die Menschen, endlich Freunde im Universum gefunden zu haben. Wie nicht anders zu erwarten, bemerkten die Riesen meinen Abflug ebenso wenig, wie meine Ankunft.
III.
„Quant an Alle. Illusionszentrale, er hat soeben die Raumfalte durchflogen. Psychostrahlung kann komplett abgeschaltet werden. Verlagert die Riesenkraken-Kulisse zur Raumfalte 2704. Priorität Alpha auf Auswertung der erhaltenen Daten. In maximal drei Zeitzyklen ist die Invasionsflotte umzurüsten. Mit der lang ersehnten Technik der Raumfaltendurchdringung wird sich uns ein völlig neues Universum eröffne, mit unendlichen Ressourcen, mit unzähligen Sklavenrassen. Erstmalig können wir von uns aus passieren, nicht länger sind wir staunende Zuschauer der Nutzung dieser phantastischen Möglichkeit. Wir reagieren nicht, wie agieren! Sie werden uns untertan sein. Stimmt ein in unseren Schlachtruf: „Auf zu neuen Ufern.““