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Auf eine Zigarette mit Mela
„Wie war es denn gestern eigentlich?“, fragt meine Kollegin, während ich die Tür zum Raucherraum hinter ihr schließe.
„Okay.“
Ich versuche mich zu erinnern.
„Ach ja. Meine neuen Sommerreifen sind gestern endlich gekommen. Das war vielleicht ein Theater.“ Ich unterbreche mich kurz um meine Zigarette anzuzünden.
Meine Kollegin ist schneller: „Super. Ich brauch ja auch dringend neue. Meine sind total runter, ich vergess das immer.“
Ich nicke zustimmend: „Ja, meine wa-“
„Ach, ich muss ja eh noch in die Werkstatt“, spricht Melanie einfach weiter. „Die wollten noch nach meiner Bremse gucken. Was für Reifen hast du dir denn geholt? Martin hat mir letztens von seinen vorgeschwärmt, die sind wohl Testsieger oder so was. Der hat aber so ganz breite Dinger, der fährt ja so‘n Sportschlitten. Wahrscheinlich wären die für meinen auch nicht so gut. Hast du das Auto von Martin eigentlich schon mal gesehen? Super…“
Für einen kurzen Moment komme ich mir vor wie ein Fisch und schließe den Mund wieder. Es wurde wohl keine Antwort von mir erwartet.
„…wann ich das machen soll. Freitag muss ich nach der Arbeit zum Friseur und am Samstag kommt meine Mutter zu Besuch und vorher muss ich noch dringend saubermachen. Sieht aus wie Sau bei mir. Ach ja, und am Freitag muss ich noch bei Steffen vorbei. Ich krieg nämlich ein Tablet von dem. Der hat ganz viele zuhause und jetzt darf ich mir eins aussuchen. Voll nett, oder?“
„Ähm, wieso hat der denn so viele davon?“, frage ich leicht irritiert und nicht ganz sicher, ob ich die Antwort wirklich hören will.
„Keine Ahnung. Der kriegt die immer von irgendwelchen Leuten. Ist aber alles legal, hat er gesagt. Ich bin schon ganz aufgeregt. Eigentlich wollte ich ja nix mehr mit dem zu tun haben, weil der ja so über mich gelästert hat, aber letztens hat der angerufen und sich entschuldigt und dann haben wir uns noch voll lange richtig gut unterhalten. Eigentlich ist der ja echt nett. Auf jeden Fall muss ich da Freitag noch hin. Hab ich dir eigentlich schon erzählt, was sich mein Bruder letztens geleistet hat?“
Hat die Frau hier vor mir wirklich schon die dreißig hinter sich gelassen?, frage ich mich zum wiederholten Male.
„Ne?“ Meinen fragenden Blick sieht sie nicht, denn sie hat begonnen das Pflaster an ihrem Daumen zu untersuchen.
„Der verarscht seine Freundin voll. Die arme tut mir total leid“, sagt sie gedankenversunken und dann zum Pflaster: „Warum gehst du Mist-Ding eigentlich immer ab?“ Sie blickt kurz auf um an ihrer Selbstgedrehten zu ziehen. „Jetzt brauch ich schon wieder ein neues Pflaster. Hab ich dir eigentlich schon erzählt, wie das passiert ist? Ich hab mir so ein Keramikmesser gekauft. Das ist super scharf und beim Abwaschen, hab ich mir voll in den Finger geschnitten. Eigentlich sind diese Dinger…“, erklärt sie mir zum dritten Mal in dieser Woche.
Ich konzentriere mich auf meine Augenbraue und schaue aus dem Fenster. Eine Amsel fliegt vorbei. Sie landet auf dem Dach gegenüber. Für einen Moment scheint es als würde die Amsel mir direkt in die Augen sehen. Dann putzt sie sich kopfschüttelnd den Schnabel am Dachziegel, plustert sich auf, kackt aufs Dach und fliegt weg. Lächelnd schaue ich ihr ein bisschen neidisch hinterher.
„…eigentlich schon erzählt, was mein Ex schon wieder gebracht hat?“
„Ne, was denn?“
Das Thema Exfreund lässt sie regelmäßig zur Höchstform auflaufen.
“Der terrorisiert mich voll. Am Samstag hat‘s an der Tür geklingelt und ich dachte schon, das wäre wieder diese blöde Oma von nebenan. Ich wollte erst gar nicht aufmachen. Die dreht nämlich schon wieder völlig am Rad.“ Sie blickt auf und wedelt mit dem Zeigefinger in meine Richtung: „Muss ich dir gleich auch noch unbedingt erzählen. Auf jeden Fall steht da dann tatsächlich einer mit Blumen. Unfassbar, oder?“
Sie zieht an ihrer Zigarette. Überrascht nimmt sie die Zigarette aus dem Mund und betrachtet konzentriert das nicht mehr glühende Ende. Aus dem Augenwinkel sehe ich Frau Dewind durch die Glastür über den Flur stöckeln.
„…mein Hund was zum Spielen. Die Dewind hat dich übrigens gestern gesucht“, sagt sie und nickt in Richtung Tür. „Die ist mir vielleicht auf den Zeiger gegangen. Ich wollte gerade Pause machen und da platzt die rein. Spitzen Timing.“, nuschelt Mela gegen die Zigarette in ihrem Mundwinkel an. Zwei Finger in der engen Hosentasche und mit der anderen Hand von außen schiebend, fummelt sie nach ihrem Feuerzeug.
Fragend blicke ich sie an, ohne Reaktion. Da ich gestern nicht im Büro war, hatte ich sie bereits heute morgen gefragt, ob jemand angerufen hatte. In meinem Bauch beginnt es zu brodeln. Dies war bereits unsere dritte oder vierte Zigarettenpause, zudem hatte ich ihr schon erzählt, dass ich auf eine dringende Antwort von Frau Dewind warte. Aber das muss man wohl verstehen, schließlich hatte ich ja auch nach Anrufern und nicht nach Besuchern gefragt. Ich atme tief ein.
„Hat sie wa-?“
„Hab ich dir eigentlich schon erzählt, was die letztens gebracht hat?“ Sie ignoriert mich konsequent weiter.
Als sie ihr Feuerzeug endlich befreit hat, beginnt sie den Stummel zwischen den Fingern zu rollen und wie ein Stockbrot in der Flamme zu rösten. Für einen kurzen Moment vergisst sie zu sprechen.
„Was hat sie denn gesagt? Wollte sie sich nochmal melden?“
Sie sieht auf und runzelt die Stirn. „Äh, ach die Dewind? Nö, keine Ahnung, hat sie nicht gesagt. Ich hab ihr nur gesagt, dass du beim Arzt bist und dann ist sie wieder abgehauen. War auch besser so.“
Ich beiße die Zähne aufeinander.
„Die geht mir momentan tierisch auf die Nerven. Die kann labern ohne Punkt und Komma. Wenn die wieder losgelegt hätte, hätte ich meine Pause vergessen können. Wie kann man eigentlich den ganzen Tag so viel reden?“
Zum Glück ist bald Feierabend und ich kann endlich nach Hause. Dort wird schon mein Freund warten. Dann setzen wir uns, wie immer, in den Wintergarten, rauchen und tauschen uns über unseren Tag aus. Das tut mir immer unheimlich gut. Nur ein paar Mal ist bisher etwas dazwischengekommen. Da war ich tagelang unruhig und gereizt, bis ich endlich wieder mit ihm reden konnte. Manchmal beschwert sich mein Freund, ich würde ihm jeden Tag über Stunden haarklein das Gleiche erzählen. Aber ich finde, dass solche Rituale wichtig sind in einer Beziehung. Eigenartig ist nur, dass er kaum was von seinem Tag erzählt. Wenn ich ihn frage, wie sein Tag war, bekomme ich als Antwort ein: „Okay.“