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Auf die Liebe
Es war einmal eine Flasche Rotwein, die sich in eine Flasche Weißwein verliebte. Sie lebten zusammen auf einem Regal im Keller, und jeden Tag, kurz nach Sonnenaufgang, ging der Rotwein auf den Weißwein zu und bat ihn um seine Hand.
„Wie geht es dir denn heute, mein Schöner? Willst du mein Partner werden?“
Und jeden Morgen schlug der Weißwein dieses Angebot mit derselben Antwort aus:
„Nein, nein und wieder nein!“
Das stürzte den Rotwein immer in Melancholie, denn er war eine sehr nachdenkliche Flasche, die häufig von Gedanken über den Tod und die Sinnlosigkeit des Lebens geplagt wurde. Er beneidete den Weißwein, der so glücklich und gedankenfrei in den Tag hinein lebte. Sie waren von ihrer Natur her ganz anders, der rote und der weiße Wein, und doch hatten sie vieles gemeinsam. Beide waren wortgewandt und intelligent, beide interessierten sich für gutes Essen und beide verfügten über einen trockenen Sinn für Humor. Deswegen glaubte auch der Rotwein, dass sie füreinander bestimmt seien. Er schrieb dem Weißwein Briefe und Gedichte, pries seine Schönheit und komponierte gar Lieder für ihn, alles in dem Versuch, ihn von seiner Liebe zu überzeugen.
Doch der Weißwein blieb kalt.
Er genoss die Aufmerksamkeit, die er vom Rotwein bekam, und auch die Briefe und Gedichte, nahm er dankbar entgegen, aber seine Liebe wollte er nicht hergeben, denn sie galt der Flasche Sekt, die für ihre Schönheit und ausschweifende Lebensweise im ganzen Keller berüchtigt war. Dem Weißwein verschlug es immer den Atem, wenn er den Sekt mit seinem goldenen Kopf daher stolzieren sah, und er wünschte sich, auch so schön zu sein und so wundervolle Dinge zu unternehmen wie er. Der Weißwein wollte den Sekt unbedingt heiraten, und darin steckte er sein ganzes Schaffen. Er versuchte sich zu ändern, versuchte süßer zu sein und auch so golden zu strahlen.
Aber auch der Sekt konnte diese Liebe nicht erwidern, denn er war in die Flasche Bier verliebt, die ebenfalls im Keller hauste. Diese Liebe war sehr stürmisch, und von vielen Höhen und Tiefen geprägt, denn sie hatten fast nichts gemein, das Bier und der Sekt, das einzige was sie verband, war ihr sprudelndes Temperament. Sie stritten sich häufig, und der Sekt verbrachte viel Zeit damit, das Bier zu hassen, denn es war oft sehr grob zu ihm. Doch er fand auch einiges an ihm liebenswert, vor allem seine offene, derbe Art, die dem Sekt schwach werden ließ. So fanden sie nachts immer wieder zueinander, und jedes Mal, wenn sie sich liebten, glaubte der Sekt, fortan würde alles gut werden, dass das Bier jetzt milder würde, und sich auf ihn einließ.
Doch der Sekt wachte jeden Morgen alleine auf, und das Bier war wieder in seiner Kiste. Da schrie und kreischte der Sekt, doch es hatte keinen Zweck, das Bier hatte einfach keine Lust auf eine Partnerschaft.
Das Bier glaubte lange von sich, dass er für die Lust und nicht die Liebe gemacht war, dass Romantik es nichts anginge. Aber es pflegte seit vielen Jahren eine enge Bekanntschaft mit dem Rotwein, der, ganz anders als der Sekt, ein guter Gesprächspartner war.
Und eines Abends dann, als er den Rotwein wieder in so schwärmerischen Tönen von dem Weißwein erzählen hörte, stellte es fest, dass es ihm weh tat.
War Bier nicht auch liebenswert?
Da nahm das Bier seinen ganzen Mut zusammen und sagte zu dem Rotwein:
„Rotwein, wir haben nun einige Abende hier zusammen verbracht. Ich habe dir von meinen Ausschweifungen mit dem Sekt erzählt und du mir von deiner Liebe für den Weißwein, und nun werden wir älter, und wir wissen beide, unsere Tage sind gezählt. Willst du nicht mein Partner werden, Rotwein? Ich liebe dich.“
Da stutze der Rotwein, hatte er doch nie erwartet, vom Bier geliebt zu werden. Er zog sich zurück, grübelte eine Weile nach und stellte dann fest, dass er auch das Bier liebte, und somit seine Liebe für den Weißwein doch nicht die einzig wahre sein konnte. Er sagte Ja zum Bier, und sie fielen vor Glück übereinander her.
Als der Sekt hörte, dass das Bier mit dem Rotwein vermählt war, begann er zu sprudeln vor Wut.
„Was willst du mit dieser hässlichen, alten Flasche?“, schrie er dem Bier entgegen. „Ich bin doch tausend Mal schöner!“
Da antwortete das Bier kurz und knapp: „Halt die Klappe, du Schlampe!“
Da platzte dem Sekt der Kragen, sein Korken schoss nach oben und er begann überzuschwappen – ein tödlicher Zustand für eine Sektflasche.
Der Weißwein beobachtete all dies mit Unbehagen, stellte aber fest, dass seine Gedanken in dieser schrecklicher Stunde nicht dem Verlust seines Schwarms galten, sondern vielmehr dem Verlust der Liebe des Rotweins.
Er wandte sich vom sterbenden Sekt ab, und ging auf den Rotwein zu.
„Ich habe es mir anders überlegt, Rotwein! Ich und du, wir sind füreinander bestimmt! Willst du mein Partner werden?“
Da sprach der Rotwein:
„Ich bin dir sehr lange hinterher gelaufen, Weißwein, weil ich dachte, wir seien uns so ähnlich. Doch ich habe mich geirrt, wir sind doch sehr verschieden, und wir gehören auch nicht zueinander. Lebe wohl, mein Freund.“
Der Weißwein ging traurig davon. Jetzt kannte auch er die Melancholie, die den Rotwein all die Jahre geplagt hatte.
„Was ist denn mit dir los, schöner Weißwein?“, fragte eine Sprudelflasche, die ganz in der Nähe war.
„Ich bin verloren“, sagte er. „Ich wollte so süß und schön sein wie der Sekt, aber ich kann das nicht. Ich bin ein Wein. Ich werde nie so sein wie der Sekt.“
Die Sprudelflasche rückte ein wenig näher.
„Na, vielleicht kann ich dir da helfen …“