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Auf die falschen Blumen gesetzt
Auf die falschen Blumen gesetzt.
An jenem Tag wehte der Largo, ein eisiger Wind, der den Körper auskühlt und die Augen rötet. Mich fröstelte in meinem Mantel, ich schritt rascher aus und freute mich auf mein warmes Häuschen. Als ich um die große Schlehdornhecke bog, stand ein nackter Mann vor mir. Er fror entsetzlich - seine Haut war bläulich, seine Nase violett.
“Ich bin”, sprach er zähneklappernd, “von allem entblößt.”
“Man sieht es”, erwiderte ich. “Ich will Ihnen gerne helfen.”
“Haben Sie eine Zigarette bei sich?”
“Gewiss.” Ich holte die silberne Dose hervor. Seine Finger zitterten so sehr, dass er keine Zigarette greifen konnte. Ich steckte ihm eine zwischen die blauen Lippen.
“Und Feuer?” murmelte er.
Wohl ein Dutzend Streichhölzer mußte ich anreiben, ehe die Zigarette brannte, so heftig blies der Wind. Der Nackte Mann stieß eine Rauchwolke aus, die sofort zerstob.
“Ein Anzug”, meinte er, “wäre bei diesem Wetter nicht übel.”
Er dauerte mich tief. “Sie sollen einen haben. Kommen Sie mit.”
Es war mir recht, dass der kalte Largo die Leute von den Straßen hielt, denn ich mochte nicht gern in Gesellschaft eines nackten Mannes gesehen werden. Unterwegs bemerkte ich an den Fenstern nur die alte Donnert; seither weicht sie mir auf der Straße geflissentlich aus oder drückt sich flach an die Hausmauern. Sie will von mir nicht gegrüßt werden.
Erleichtert schloss ich die Haustür auf, ließ den nackten Mann eintreten und sperrte die Kälte aus.
Einmal ins Geben geraten, gab ich ihm alles, was er verlangte; ich bin nicht für halbe Sachen. Er bekam einen Anzug, keinen von den besten, aber auch nicht den schlechtesten; es war ein karierter, der mich an Schachbrett erinnert, und beim Schach verliere ich immer - dann gab ich ihm den Anzug. Er bekam Geld, denn ohne Geld kann man nicht menschenwürdig leben, und er war doch nun einmal ein Mensch.
“Sie werden einsehen”, sprach er bei Tisch, “dass ich eine Wohnung benötige. Nach allem, was Sie für mich schon getan haben, möchte ich Ihre Gastfreundschaft nicht länger beanspruchen.”
“Morgen miete ich Ihnen eine Wohnung”, gab ich zurück. “Bitte nehmen Sie noch etwas Apfelkompott. Wie viel Zimmer sollen es sein?”
“Danke, keine Apfel mehr.” Er führte den Zahnstocher zum Mund und blickte mich sinnend an. “Drei Zimmer könnten genügen.”
“Nur nicht so kleinlich!” riet ich ihm. “Der Mensch braucht Auslauf. Bei starkem Regen kann man nicht spazieren gehen, man ist auf die Wohnung angewiesen.”
Er lächelte fein. “Der Mensch braucht noch mehr - beispielsweise eine Geliebte.”
Ich mußte ihm beipflichten. “Das versteht sich, wir alle unterliegen dem Naturgesetz. Soll ich Ihnen eine aussuchen?”
Er drohte scherzhaft mit dem Finger. “Nein, Verehrter, das besorge ich lieber selbst.”
So kam es, dass er eine prächtige Wohnung bezog und die Sängerin Käthe zu sich nahm. Jeder Einheimische hätte anders gewählt, denn es war bekannt, dass Käthe ihre Liebhaber gründlich ausnahm und das Geld beiseite legte. Natürlich waren meine Ausgaben sehr groß, aber ich wollte - wie gesagt - auf halben Weg nicht stehen bleiben, und so versorgte ich ihn, bis er auf eigenen Füßen stand.
Zu meinem Glück ließ das nicht lange auf sich warten. Er warf sich auf die Blumenspekulation, hatte Erfolg und wurde bald ein reicher Mann, der von mir nichts mehr annahm, weder Geld, noch Ratschläge.
“Nein”, sprach er, “Sie haben wirklich genug gespendet. Schonen Sie Ihr Geld und sparen Sie Ihren guten Rat - auch er ist wertvoll. Beides werden Sie noch einmal gut gebrauchen können.”
Er hatte zweifellos recht, denn schon damals war meine Lage bedenklich. Abgesehen von den Summen, die ich ihm dargebracht hatte, verzehrte sich der Rest meines Vermögens in Geschäften, die kläglich stockten oder fehlschlugen.
Man muss nämlich wissen, dass unsere Stadt der Zucht schöner Blumen obliegt und dass alle seine Einwohner ständig in Spekulationen verstrickt sind. Wer Blumen gezogen oder sein Geld in solchen angelegt hat, die plötzlich Mode werden, kann Reichtümer anhäufen, die Welt bezahlt ihm närrische Preise. Welche Blumen in Mode kommen werden, ist allerdings nie zu erraten; es hängt von allerlei Zufällen ab und stellt sich immer erst im Frühsommer heraus, wenn nichts mehr zu ändern ist. Meist wird eine einzige Blume die erklärte Königin, und nur zwei oder drei andere Sorten bestehen neben ihr. Alle übrigen gelten so gut wie nichts, sie müssen, wofern sich überhaupt ein Abnehmer findet, billig verhökert werden.
Ja, unser Städtchen führt ein eigenartiges Leben. Seinem biederen Gehaben zum Trotz ist es die reinste Spielhölle. Man kann von einem Tag auf den anderen sehr reich und ebenso schnell wieder arm werden. Wer mit spekuliert - und das tun alle - genieß Spannung und Gefahr. Am ärgsten treiben es die Greise; erst ihr Tod erlöst sie von ihrer Leidenschaft.
Der Leser errät, dass ich auf die falschen Blumen gesetzt hatte, und ich will es auch gar nicht verhehlen. Leider war es mehrmals geschehen, zu Schaden meines früheren Wohlstandes. Das Häschen gehörte mir längst nicht mehr, der Pfandleiher sah mich fast alle Tage. In dieser Not beschloss ich, den Mann aufzusuchen, den ich einst gekleidet und genährt hatte.
“Sie kommen ungelegen”, sprach er missmutig. “Geht`s nicht ein anders Mal?”
Ich schilderte ihm den Stand der Dinge und bat um Hilfe. Alte Rechnungen hervorzukramen, liegt mir nicht; ich wollte nur ein Darlehen. Binnen kurzem, versicherte ich ihm, sei ich über den Berg. Er lachte auf. “So reden alle, die schlecht zu Fuß sind. Ich halte nichts von Darlehen, ich bessere keine Krücken aus. Da haben Sie einen Notgroschen!” Er hielt mir eine Münze hin.
Ablehnung hätte ihn sicherlich gekränkt; darum nahm ich das Almosen an. Aber seine Haltung verdross mich doch ein wenig.
“Das Glücksrad”, sprach ich mahnend, “kann sich drehen.”
“Gewiss”, entgegnete er. “Wichtig ist nur, dass es bei der richtigen Nummer hält; bei meiner Nummer. Auf Wiedersehen - aber erst, wenn es Ihnen besser geht.”
Ich verließ sein Haus. Eigentlich hätte meine Küche einiger Zufuhr bedurft, denn es ging schmal her bei mir, doch die Spielsucht trieb mich am Metzger, am Bäcker vorbei zum Samenhändler. Da ich dort gut bekannt war, durfte ich in den Regalen wühlen. Ich hatte es auf die alten, verstaubten Bestände abgesehen, bei denen man viel gewinnen und wenig verlieren konnte. Einerseits mochte einem eine schöne Entdeckung gelingen, andererseits war es zweifelhaft, ob die dürren Samen noch keimfähig waren.
Nun, mir fiel etwas Seltenes in die Hand. Meine Finger bebten, als ich nach den staubigen Tütchen fasste, ich hatte das Gefühl, Juwelen zu ergreifen. Um den Fang zu tarnen, kaufte ich noch dieses und jenes und ging erregt nach Hause.
Freilich konnte ich enttäuscht werden, den es war durchaus nicht ausgemacht, dass die altertümliche, verschollene Nelkensorte den Preis erringen werde. Doch ich setzte nun einmal meine Hoffnung darauf. In den folgenden Monaten mußte ich bitter darben; mein Leib schnurrte zusammen wie eine Dörrpflaume, und ich weiß heute nicht zu sagen, wovon ich mich damals genährt habe.
Das Unternehmen ließ sich gut an. Im Mistbeet wuchsen zierliche Setzlinge heran, die ich beizeiten ins Freie umpflanzte. Die Erde schmeckte Ihnen, Sonne und Regen gingen mir zur Hand. Als die ersten Knospen sich öffneten, bat ich Professor Basiswissen den besten Blumenkenner unseres Städtchens, um einen Besuch. Er kam, machte große Augen und ließ sich die Tütchen zeigen. “Sie haben uns”, sprach er feierlich, “eine verlorene Kostbarkeit wiedergeschenkt. Die sagenhafte Blume aus dem Wappen der Karl von Holtei, die Wundernelke, von der mein Freund Walter auf dem Totenbett sprach, die er verzückt beschrieb und mit seinen bleichen Finger in die Luft malte, obwohl er sie nie gesehen hatte - hier steht sie, auf Ihrem Mist ist sie gewachsen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, welche Blume in diesem Jahr triumphieren wird.”
So sprach er und so geschah es. Der Erfolg war beispiellos, noch nie hatte ein Blumenzüchter solches Glück gehabt. Natürlich kam es daher, dass geheimnisvoller Reiz die vergessene Blume um webte; doch war sie auch schöner als alle anderen Nelken.
Man bezahlte mir Unsummen für jedes einzelne Stück und kaum weniger für den Samen, den ich zog. Und wie sonderbar: auch meine anderen Blumen verkauften sich gut und teuer - sie gehörten gleichsam zum Gefolge der Herrscherin. Ich wurde fast reicher, als es mir lieb war.
Der Spender des glücksbringenden Geldstücks jedoch hatte falsch spekuliert, nicht nur in diesem Jahr, sondern zuvor schon. Sein Reichtum stand auf schwanken Füßen - der Arme wusste es bloß noch nicht. Er war eben ein Fremder in unserem Stadt, und mit Fremden nimmt es selten ein gutes Ende, weil ihnen die Erfahrung fehlt. Wir Einheimischen mögen zeitweise Pech haben, so wie ich es an mir erfuhr, aber zum Schluss kommen wir mit heiler Haut davon. Uns hilft der Ortsgeist, und die alten Hausgötter stehen uns bei.
Mitleid hieß mich den Toren aufsuchen. Sein Haus war festlich erleuchtet, er gab eine große Einladung. Als ich mich melden ließ, erschien er sogleich und eilte auf mich zu.
“Welch lieber Besuch!” rief er aus. “Und wie so anders als der letzte. Jenen Bittgang hätten Sie sich wahrlich ersparen können.”
Ich wusste es besser, sagte jedoch nichts davon. Nun trat auch die Käthe ein, schön anzusehen und herrlich gekleidet. Sie nahm mich beim Arm.
“Wir lassen Sie nicht fort, wir lieben die Glückspilze.”
Obwohl ich mich wehrte, wurde ich ins Getümmel des Festes entführt.
Eine Viertelstunde gab ich daran, doch war ich nicht gesonnen, länger die Luft des Unheils einzuatmen. Ich zog den Hausherrn beiseite.
“Sie waren”, sprach ich, “neulich so gütig, mir einen Notgroschen zu schenken. Er hat mir tüchtig fortgeholfen. Heute tue ich dasselbe an Ihnen. Bewahren Sie ihn gut.”
Er nahm das Geldstück in die Hand und lachte laut. “Nein!” rief er. “Notgroschen ziehen Not an - ich will keinen haben. Wer braucht Geld?” wandte er sich an die Gäste. Als keine Antwort kam, warf er die Münze mitten unter sie. Zuerst mochte niemand sie aufheben, aber dann bückte sich der steinreiche Baron nach ihr und steckte sie schmunzelnd ein.
“Geld kommt zu Geld!” sagte er.
Ich verabschiedete mich und ging. Acht Tage darauf brach das reiche Haus zusammen. Man nahm dem Unglücklichen alles, was er besass, und es reichte nicht hin, die Schulden zu tilgen. Niemand half; auch die Käthe verließ ihn.
Beim einem Spaziergang trat er mir abermals nackt in den Weg. Ihn fror, denn wieder blies der kalte Largo.
“Ich bin”, sprach er zähneklappernd, “von allem entblößt.”
“Man sieht es”, erwiderte ich.
“Wissen Sie, was es heißt, alles zu verlieren?”
“Ich habe es vor Ihnen gewusst.”
“Helfen Sie mir!”
“Nein”, sprach ich. “Ich helfe nur einmal. Leben Sie wohl!”
Damit ließ ich ihn stehen und wanderte weiter. Als nackten Mann hatte ich ihn kennen gelernt,
als nackten Mann sah ich ihn zum letzten mal. Er ist bald danach außer Land gegangen.
Die Käthe wurde meine Geliebte. Ich bot ihr einen bescheiden, jedoch auskömmlichen Unterhalt, und sie willigte ein, denn ich war ja kein Fremder.
Herbstliche Liebesglut zog in mein Haus - gerade das Richtige für mich. Vor zwei Jahren haben wir geheiratet, und so ist auch das Geld, welches ich einst dem nackten Mann gab, zu mir zurückgekehrt.
Wie gesagt: uns Einheimischen hilft der Geist des Ortes, und unsere alten Hausgötter stehen uns bei.