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13.03.2007
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„Ich wünsche dir sehr, dass du neben deinen vielen freiwilligen und unfreiwilligen Verpflichtungen noch Zeit für dich selbst findest!“
Die Dame, die das eben ausgesprochen hatte, meinte es ehrlich.
Der Angesprochene, ein feiner Herr im Anzug, entgegnete spöttisch: „Nun, ich denke nicht, dass es diese Differenzierung zwischen unfreiwilligen und freiwilligen Verpflichtungen gibt, allerhöchstens zwischen freiwilligen Tätigkeiten und Verpflichtungen.“
Fräulein Wunder kannte Herrn Filou schon seit Jahrhunderten, aus den vielen Leben, die sie inzwischen durchschritten hatte.
Dieses war ihr neuntes, und in den vorherigen war sie immer wieder auf den kauzigen Herrn im Anzug gestoßen. Sie wußte also seine Aussage einzuschätzen.
„Genauer gesagt, meine ich damit den Unterschied zwischen intrinsischen und extrinsischen Verpflichtungen“. Wie erwartet, reagierte ihr Gegenüber schnell.
„Meine Verpflichtungen entstehen alle intrinsisch, sie werden in mir geformt und als meine inneren Entscheidungen umgesetzt.“ Schlagabtausch.
Fräulein Wunder mußte grinsen. Eigentlich müßte Herr Filou Wunder heißen und nicht sie, dachte sie, sagte aber laut: „Nun, dann kann ich das auch noch genauer differenzieren.
Was ich meine, ist, dass manche Verpflichtungen aus einer Entscheidung des Verstandes entstehen, zum Beispiel Verpflichtungen existenzieller Art, wie sich sein Brot verdienen zu müssen, und andere Verpflichtungen auf einer Entscheidung der Gefühle beruhen, zum Beispiel die Haustiere und Blumen der geliebten Freundin zu versorgen."
Nachdem nun klar war, was Fräulein Wunder meinte, dachte Herr Filou nach.
Sie beide sprachen unterschiedliche Sprachen, gaben den Worten, die sie verwendeten, unterschiedliche Bedeutung.
Das war in den vergangenen Leben schon immer so gewesen, und Herr Filou hatte es satt, sich immer wieder damit auseinandersetzen zu müssen.
Fräulein Wunder schien an diesen Diskussionen auch noch Gefallen zu finden, dachte er aufgebracht.
Wieso wurde er dieses aufdringliche Wesen von Mensch nicht los? Wieso begegnete sie ihm immer wieder? Was hatte er eigentlich mit ihr zu schaffen?
Er merkte, dass Wut in ihm aufstieg und er Zeit brauchte, um sich wieder zu beruhigen.
„War mir ein Vergnügen“. Herr Filou drehte sich abrupt weg und ging schnellen Schrittes davon.
Fräulein Wunder blieb nachdenklich zurück. ´Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können und doch begegnen sie einem immer wieder.´ Vielleicht war aber gerade dieses Phänomen der Wiederbegegnung das Faszinierende daran.
Was reizte sie eigentlich so an Herrn Filou?
Den Anderen verstehen zu können, von seiner Andersartigkeit zu lernen, sich selbst zu erkennen durch das Anderssein eines Menschen...
Grübelnd setzte sich Fräulein Wunder auf einen Stein.
Die Tatsache, dass sie Herrn Filou in jedem neuen Leben wieder traf, verwunderte auch sie und es schien ihr, als ob das auch kein Ende finden würde, bevor...
Ja, bevor was? Bevor sie nicht beide gelernt hätten... Aber was?
Fräulein Wunder trollte davon.
Klar war ihr, dass es da etwas für sie zu lernen gab. Sie wußte auch, dass das ein entscheidender Schlüssel war.
Aber vielleicht würde sie noch weitere Leben benötigen, bevor sie erkannt hatte, was es war und vielleicht würde sie dann, eines Tages, ihre Leben beenden können, dann, wenn sie sich selbst erkannt hatte.

 
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Hallo akira,

mhh..., zunächst mal ziemlich rätselhaft, das Ganze. Vorausgesetzt wird in dieser Begebenheit die Tatsache einer Art singulären Wiedergeburt mit der Eigenschaft, dass es eine personale Identifikation mit einer gewissen Anzahl (nämlich acht) vorhergehender Leben gibt. Das scheint zumindest auf die Frau Wunder zuzutreffen. Wie es sich genau bei ihrem Kontrahenten verhält erfahren wir dagegen nicht.

Selbsterkenntnis war einmal ein Leitgedanke der griechischen Philosophie ("Erkenne dich selbst" stand einst über dem Eingang des Orakels von Delphi). Jedoch war damals in diesem Kulturraum das Konzept der Wiedergeburt noch unbekannt oder wurde zumindestens nicht ernstgenommen (mit Ausnahme von Platons Seelenlehre allerdings).

Damit ergibt sich für mich die Frage, wie das vermeintliche Ausbleiben von Selbsterkenntnis und das Konzept der Wiedergeburt miteinander in Einklang zu bringen sind. Wer oder was sollte beispielsweise entscheiden, wann denn nun ausreichend Selbsterkenntnis erreicht wurde, um aus der Kette der (miteinander personal identifizierten) Wiedergeburten ausbrechen zu können? Die betroffene Person kann das wohl kaum zuverlässig entscheiden. Brauchen wir also einen Gott dafür? Wenn ja, würde das sofort weitere Fragen ethischer Art ins Spiel bringen. Weshalb soll es so wichtig sein, sich selbst zu erkennen u. ä.?


Also, originell finde ich diese Idee durchaus. Aber zugleich wirft es natürlich einige Fragen auf, für die ich keine Antworten finde ...

 

Hallo philosophische Ratte,
Wiedergeburt ist in dieser kg nicht im klassischen Sinne gemeint, sondern als Metapher für die Weiterentwicklung eines Menschen durch die verschiedenen Lebensphasen hindurch. Immer wiederkehrende Erlebnisse oder Situationen eröffnen hier die Chance, an sich zu arbeiten - sofern man das möchte oder kann.
Der Mensch auf lebenslanger Suche nach Erkenntnis seiner selbst, die nie abgeschlossen ist (Hierin irrt die Prot., denn sie denkt, irgendwann ihre Leben beenden zu können).
Deine Anregungen finde ich sehr interessant, wäre eine gute Diskussionsgrundlage...;)
Ich hab offensichtlich gar nicht so tief geschürft wie du, :)
hat mich aber persönlich sehr inspiriert!
lg, akira

 
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hallo akira,

wenn ich die situation, die du als eine geschichte aufarbeitest, nicht besser kennen würde, könnte ich mit der geschichte nicht viel anfangen.
es scheint, als habe die begegnung mit diesem menschen erinnerungen in fräulein wunder, die ein wiederkehrendes element der eigenen entwicklung darstellt, geweckt. das ist bistimmt ziemlich fazinierent und auch fesselnt für frau wunder, da diese form der ausseinandersetzung sie zu sich selbst bringt. allerdings wirkt die auseinandersetzung für herrn filou doch entscheident anders, er zieht sich zurück. mich würde interessieren, was wohl seine beweggründe sein könnten, außer eine sich einschleichnde wut, die durch die aufdringlichkeit seitens frau wunder entsteht. vielleicht könntest du mich aufklären.

schöne grüße, germane

 

Hallo Germane,
da Herr Filou in den vergangenen Leben immer wieder Frl. Wunder begegnet war

Fräulein Wunder kannte Herrn Filou schon seit Jahrhunderten, aus den vielen Leben, die sie inzwischen durchschritten hatte.
befindet mmn auch er sich auf der Suche nach Selbsterkenntnnis.
Ob Frl. Wunder ihm aufdringlich erscheint und er deshalb wütend wird oder ob er die Auseinandersetzung mit der immer wieder kehrenden Situation bezüglich seiner eigenen Weiterentwicklung scheut...
hier bleibt es dem Leser überlassen, zu interpretieren...;)
sollte zum Nachdenken anregen...:)
lg, akira.

 

Hej akira,

die Idee, Verpflichtungen - oder was man als solche empfindet/ empfinden möchte - als Diskussionsgrundlage für eine über viele Leben reichende, andauernde Selbsterkenntnis zu verwenden, gefällt mir gut. So zumindest verstehe ich Deinen Text, nach dem Motto: Sage mir, wo und wie du dich verpflichtest, und ich sage dir, wer du bist.

Inwieweit Verpflichtungen ihren Zweck in sich selber tragen, wodurch sie sich unterscheiden, von solchen, die eben dies nicht tun, warum man sich für beide entscheidet oder wie Herr Filou nur für eine Sorte (ich frage mich, wie er das macht, oder behauptet er das einfach nur?) - das finde ich sehr interessant, nicht so abstrakt wie die Diskussion über vergangene und zukünftige Leben, die mich etwas aus der Bahn geworfen und weniger interessiert hat.

Eine Kleinigkeit:

Eigentlich müßte Herr Filou Wunder heißen und nicht sie, dachte sie, laut aber sagte sie

soviele sie
besser fände ich z.B.: Eigentlich müßte Herr Filou Wunder heißen, dachte sie, sagte aber laut:

Viele Grüße von
Ane

 

Danke, Ane,
ich finde, du hast die Charaktere sehr gut erfaßt :D
die Figur des Filou hab ich absichtlich im Dunklen gelassen, denn genau die Fragen, die du dir bei ihm stellst, stellt man sich bei manchen Menschen wirklich und das macht mich zum Beispiel immer wieder neugierig, das Weltbild von solchen Menschen zu ergründen.
Danke für den Tipp mit den vielen "sie", hab ich mal so geändert. :)
akira.

 

hallo akira,
liest sich sehr gut, ich finde deine KG sehr interessant. Ist es ein Zufall, dass sich gerade der Mann (Herr Filou) schweigend zurückzieht? Die Frau hingegen lieber sich die Frage stellt, warum sie immer wieder diesen Herrn trifft. So meine Erfahrungen (meine Generation), Männer lieber schweigend im Kreise laufen, scheint der Herr Filou ein Vielfaches mehr an Wiedergeburten zu erleben. So hoffe ich
Wirklich gelungen deine Geschichte

 

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