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Auf der Suche
„Ich wünsche dir sehr, dass du neben deinen vielen freiwilligen und unfreiwilligen Verpflichtungen noch Zeit für dich selbst findest!“
Die Dame, die das eben ausgesprochen hatte, meinte es ehrlich.
Der Angesprochene, ein feiner Herr im Anzug, entgegnete spöttisch: „Nun, ich denke nicht, dass es diese Differenzierung zwischen unfreiwilligen und freiwilligen Verpflichtungen gibt, allerhöchstens zwischen freiwilligen Tätigkeiten und Verpflichtungen.“
Fräulein Wunder kannte Herrn Filou schon seit Jahrhunderten, aus den vielen Leben, die sie inzwischen durchschritten hatte.
Dieses war ihr neuntes, und in den vorherigen war sie immer wieder auf den kauzigen Herrn im Anzug gestoßen. Sie wußte also seine Aussage einzuschätzen.
„Genauer gesagt, meine ich damit den Unterschied zwischen intrinsischen und extrinsischen Verpflichtungen“. Wie erwartet, reagierte ihr Gegenüber schnell.
„Meine Verpflichtungen entstehen alle intrinsisch, sie werden in mir geformt und als meine inneren Entscheidungen umgesetzt.“ Schlagabtausch.
Fräulein Wunder mußte grinsen. Eigentlich müßte Herr Filou Wunder heißen und nicht sie, dachte sie, sagte aber laut: „Nun, dann kann ich das auch noch genauer differenzieren.
Was ich meine, ist, dass manche Verpflichtungen aus einer Entscheidung des Verstandes entstehen, zum Beispiel Verpflichtungen existenzieller Art, wie sich sein Brot verdienen zu müssen, und andere Verpflichtungen auf einer Entscheidung der Gefühle beruhen, zum Beispiel die Haustiere und Blumen der geliebten Freundin zu versorgen."
Nachdem nun klar war, was Fräulein Wunder meinte, dachte Herr Filou nach.
Sie beide sprachen unterschiedliche Sprachen, gaben den Worten, die sie verwendeten, unterschiedliche Bedeutung.
Das war in den vergangenen Leben schon immer so gewesen, und Herr Filou hatte es satt, sich immer wieder damit auseinandersetzen zu müssen.
Fräulein Wunder schien an diesen Diskussionen auch noch Gefallen zu finden, dachte er aufgebracht.
Wieso wurde er dieses aufdringliche Wesen von Mensch nicht los? Wieso begegnete sie ihm immer wieder? Was hatte er eigentlich mit ihr zu schaffen?
Er merkte, dass Wut in ihm aufstieg und er Zeit brauchte, um sich wieder zu beruhigen.
„War mir ein Vergnügen“. Herr Filou drehte sich abrupt weg und ging schnellen Schrittes davon.
Fräulein Wunder blieb nachdenklich zurück. ´Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können und doch begegnen sie einem immer wieder.´ Vielleicht war aber gerade dieses Phänomen der Wiederbegegnung das Faszinierende daran.
Was reizte sie eigentlich so an Herrn Filou?
Den Anderen verstehen zu können, von seiner Andersartigkeit zu lernen, sich selbst zu erkennen durch das Anderssein eines Menschen...
Grübelnd setzte sich Fräulein Wunder auf einen Stein.
Die Tatsache, dass sie Herrn Filou in jedem neuen Leben wieder traf, verwunderte auch sie und es schien ihr, als ob das auch kein Ende finden würde, bevor...
Ja, bevor was? Bevor sie nicht beide gelernt hätten... Aber was?
Fräulein Wunder trollte davon.
Klar war ihr, dass es da etwas für sie zu lernen gab. Sie wußte auch, dass das ein entscheidender Schlüssel war.
Aber vielleicht würde sie noch weitere Leben benötigen, bevor sie erkannt hatte, was es war und vielleicht würde sie dann, eines Tages, ihre Leben beenden können, dann, wenn sie sich selbst erkannt hatte.