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Auf der Insel

Mja

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25.06.2014
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Auf der Insel

Marina Jarra
Auf der Insel
Die Höhle wird nur von einer Fackel erhellt. Auf der Seemannskiste sitzt ein Papagei. An den Wänden hängen eine Axt, ein Seil, ein Fischspeer und eine Machete. Auf dem Boden steht ein eiserner Topf auf drei Steinen. Robinson ist gerade draußen um weitere Schätze aus dem Schiffswrack zu bergen. Der Papagei sieht Florian mit einem Auge an.
Der Junge liegt auf dem Bauch unter seinem Schreibtisch, den er mit Decke und Bettlaken zugehängt hat. Er hält eine Taschenlampe auf die Buchseite gerichtet, der Lichtkreis zeigt einen kolorierten Kupferstich. Robinsons Behausung ist in allen Einzelheiten dargestellt , der Papagei grün mit roten Schwanzfedern, hinter einer fensterartigen Öffnung sieht man einen Palisadenzaun und großblättrige Pflanzen.
Es ist stickig-schwül in der Höhle. Florian schiebt die Decke etwas beiseite. Er wartet. „Mach endlich das Licht aus!“ soll die Mutter sagen und noch einmal in sein Zimmer kommen und „Was soll denn das schon wieder sein?“ schimpfen und Decke und Laken wieder in ein Bett verwandeln. Aber auf dem Flur bleibt alles still. Florian blättert im Buch.
Unter mächtigen Zyklonwolken kniet Robinson am Strand und umklammert eine Palme, die sich zu Boden biegt. Sein verfilzter Bart und seine Haarmähne wehen im Sturm wie die Palmwedel. Er blickt zum Himmel. Unter dem Bild steht: Robinson fleht zu Gott, dass er ihn aus seinem Elend erlöse.
Im Wohnzimmer klingelt das Telefon. Acht mal. Der Anrufbeantworter ist ausgeschaltet. Beim Abendessen hat die Mutter gesagt: „ Geh heute am besten nicht mehr ans Telefon. Morgen auch nicht.“
„Warum nicht?“
„Ich will heute keinen mehr sehen und hören, darum nicht.“
„Aber wenn Markus anruft wegen Angeln gehen oder Papa?“
„Papa meldet sich frühestens am Wochenende und Markus kannst du selbst anrufen.“
„Du willst bloß nicht mit Daniel reden, stimmts?“
„Das ist meine Sache, Flo.“
„Kommt Daniel nicht mehr?“
„Nein.“

Daniel ist ein Riese vom Stamm der Menschenfresser. Mit seinen Riesenfüßen tappt er auf ihrer Insel herum und hinterlässt Spuren auf dem gelben Teppichboden. Mit seiner Riesenhand schlägt er Florian auf die Schulter. Beim Fernsehen drückt er den Kopf der Mutter an seine Riesenschulter. Bevor er morgens im Bad die Zähne fletscht, joggt er eine Runde ums Karree und brüllt mit seiner Riesenstimme zu Florian hinauf: „Hey, komm runter! Los, eine Runde! Wer als erster oben ist, ich geb dir Vorsprung!“ Robinson joggt nicht. Er hat wichtigere Dinge zu tun. Er beobachtet den Riesen genau, denn der hat vor, die Insel in seine Gewalt zu bringen.
Aber es gelingt ihm nicht. Er ist weg. Die Mutter hat gesagt, er kommt nicht mehr. Gut. Gut.
Robinson kehrt von seiner Expedition an die entfernteren Strände der Insel in seine Höhle zurück. Gott hat sein Flehen erhört und ihm einen Gefährten geschickt. Er ist nicht mehr allein. Auf dem Bild hat Freitag lange schwarze Haare und eine zarte Gestalt. Er kniet vor Robinson, aber der reicht ihm die Hand, damit er aufsteht. Draußen vor der Höhle lärmt die Tropennacht. Es fiept, kreischt, zirpt , zischelt faucht. Erschrocken versteckt sich Freitag hinter Robinson, als die gelb-rot gestreifte Raubkatze in die Höhle springt. „Keine Angst, Freitag, das ist Leo“, sagt Robinson und krault den jungen Panther zwischen den Ohren. Dann schließt er den Höhleneingang, bereitet Freitag ein einfaches Lager aus Fellen, löscht die Fackel und beide legen sich zur Ruhe.
In der Nacht wacht Florian auf dem harten Boden auf. Kater Leo schläft in seine Kniekehlen gekuschelt. Die Mutter ist also nicht mehr ins Zimmer gekommen, sonst hätte sie ihn ins Bett gescheucht. Er kriecht unter dem Tisch hervor, zieht die Decke hinter sich her und will ins Bett. Der Kater streicht an ihm vorbei, bleibt an der offenen Zimmertür stehen und sieht in den dunklen Flur. Florian leuchtet mit der Taschenlampe in die Richtung.
Spuren im Sand. Freitags Lager ist leer. Große, feuchte Fußspuren führen in Richtung Meer. Am Horizont schimmert ein Lichtstreifen. Robinson gürtet sich mit dem Seil, steckt das Beil hinein, setzt die Fellmütze auf und zündet die Fackel an. „Komm, Leo!“ flüstert er dem Panther zu. Der Papagei wacht auf und flattert auf seine Schulter. Entschlossen folgt Robinson den Fußspuren. Brennt dort hinter den Dünen nicht ein Lagerfeuer? Er hört Stimmen. Der Menschenfresser ist zurück. Und er hat Freitag in seiner Gewalt!
Vorsichtig drückt Florian die Klinke der Schlafzimmertür herunter. Abgeschlossen. Das Schlüsselloch ist dunkel, der Schlüssel steckt von innen.
„Mama?“
ES rummst im Zimmer, etwas Schweres fällt herunter, ein halblauter Fluch folgt.
„Mama? Mama!“
Der Papagei schägt mit den Flügeln und kreischt, der Panther faucht, die Schiffsaxt kracht gegen die Tür.
Jetzt dreht sich der Schlüssel von innen, die Tür öffnet sich einen Spalt. Die Mutter steht da in ein Bettlaken gehüllt, mit wirren Haaren und heißem Gesicht. Ihr Körper verdeckt die Sicht auf das Zimmer.
„Was machst du denn?“ flüstert sie und blickt auf die Spielzeugaxt in Florians Händen.
Er steht stumm da. Sie hat gelogen. Er ist wieder da. Gleich lügt sie wieder, denkt er.
Die Mutter sagt: Es ist alles in Ordnung. Geh ins Bett! Morgen erklär ich dir alles, Großer.“ Sie stupst ihn an die Brust und schließt die Tür.
Robinson kehrt in die Einsamkeit seiner Höhle zurück. Freitag ist verloren. Im ersten Morgengrauen öffnet er die Tür des Palisadenzauns und entlässt den Panther in die Freiheit. Das Tier schleicht sich ins Unterholz. Zurück in der Höhle nimmt Robinson das alte Buch und reißt die Seite mit Freitags Bild heraus. Dann holt er eine Schachtel Streichhölzer aus der Seemannskiste, zündet das Bild über dem eisernen Topf an und wartet, bis die Asche im Topf verglüht ist. Er packt etwas Schiffszwieback und einen Schlauch Frischwasser in seinen Fellbeutel und hängt sich den Speer um. Der Papagei setzt sich auf seine Schulter. Es ist Zeit zu gehen.
Robinson verlässt die Festung und verschwindet im Dämmerlicht des Regenwaldes. Am Strand wird er seine Barke besteigen und die Fahrt zu neuen Ufern wagen.

 
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Draußen vor der Höhle lärmt die Tropennacht. Es fiept, kreischt, zirpt , zischelt faucht. Erschrocken versteckt sich Freitag hinter Robinson, als die gelb-rot gestreifte Raubkatze in die Höhle springt. „Keine Angst, Freitag, das ist Leo“, sagt Robinson und krault den jungen Panther zwischen den Ohren. Dann schließt er den Höhleneingang, bereitet Freitag ein einfaches Lager aus Fellen, löscht die Fackel und beide legen sich zur Ruhe.
Wie schön!

Servus Mja, darf ich dich Marina nennen? Okay, danke.

Das ist eine ganz wunderbare Geschichte, Marina, und es wundert mich, dass sie seit zwei Tagen ohne Kommentar geblieben ist. (Vermutlich ist die WM dran schuld.)
Ich finde die Geschichte nicht nur wirklich gut geschrieben, sondern obendrein sehr klug konstruiert. Du hast eine originelle Idee einfach sehr, sehr gut umgesetzt. Wie du die Fantasiewelt des Jungen mit seinem realen Erleben verknüpfst, mit diesen fließenden, oft nicht eindeutigen Übergängen, das ist einfach klasse. Dazu deine bilderreiche und trotzdem schnörkellose Sprache, also das passt alles schon sehr gut zusammen. Und es steckt noch dazu wirklich viel drin, was mich nachdenken ließ: über die kindliche Eifersucht des Kleinen, über seine Mutter, die ja auch nur glücklich sein will, überhaupt über das Los von Trennungskindern. Und auch den Titel finde ich passend gewählt, einerseits durch den Bezug zu Defoes Buch, andererseits als Allegorie sozusagen auf Florians Situation.

Obendrein weckte der Text nicht nur Erinnerungen an eines der allerliebsten Bücher meiner eigenen Kindheit, Robinson Crusoe natürlich, sondern auch an das großartige Kinderbuch „Die wilden Kerle“, das ich meinen Söhnen früher ich weiß nicht wie viele hundertmal vorlesen musste.

An Fehlern sind mir nicht viel mehr als ein paar Kleinigkeiten aufgefallen, wobei ich sagen muss, dass ich sehr bald nicht mehr auf etwaige Fehler geachtet habe, dazu hat mich der Text einfach zu sehr vereinnahmt.

Robinson ist gerade draußen [Komma] um weitere Schätze aus dem Schiffswrack zu bergen.

den er mit Decke und Bettlaken umhängt [besser: zugehängt oder behängt] hat.

Wer [als] erster oben ist, ich geb dir Vorsprung

Dann holt er eine Schachtel Streichölzer [Streichhölzer]aus der Seemannskiste,

Für mich eine wirklich hinreißende Geschichte, Marina. Ich möchte mehr von dir lesen.

offshore

 

Hallo Mja,

ich finde Deine Geschichte auch sehr schön. Am Anfang war ich ein bisschen irritiert, dass da plötzlich ein Junge war, der einen Schreibtisch hatte, aber dann hab ich mich schnell in die Handlung gefunden. Du hast es auch prima umgesetzt, dass Florian die Realität so mit Robinsons Geschichte verstrickt, das gibt Deiner Geschichte noch einen besonderen Kick.

Der Papagei schägt mit den Flügeln und kreischt, der Panther faucht, die Schiffsaxt kracht gegen die Tür.
Jetzt dreht sich der Schlüssel von innen, die Tür öffnet sich einen Spalt. Die Mutter steht da in ein Bettlaken gehüllt, mit wirren Haaren und heißem Gesicht. Ihr Körper verdeckt die Sicht auf das Zimmer.
„Was machst du denn?“ flüstert sie und blickt auf die Spielzeugaxt in Florians Händen.

Das gefällt mir sehr gut.

Sehr gut geschrieben.

khnebel

 

Deine Kritik freut mich sehr. Es ist für mich das erste mal, dass ich eine Geschichte ins Netz stelle.
Danke auch für die Berichtigungen, obwohl man heute nach neuer Rechtschreibung kein Komma mehr vor erweitertem Infinitiv mit zu braucht. Danke! Ich bin nun beschwingt und werde noch eine Geschichte einstellen.
Marina

 

Hi,
nett wäre es, auch andere Geschichten zu lesen und zu kommentieren. Dieses Forum lebt von Geben und Nehmen. Nur so ein Tip.

Herzlich Willkommen.

Gruss Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Mja, auch von mir ein herzliches Willkommen.
Gut, dass es den offshore gibt, ich hab schon bestimmt hundert Mal deinen Text angeklickt, weil ich es blöd fand, dass er noch unbeantwortet war. Aber ich bin zur Zeit so eingespannt, dass ich mich mit dem Lesen auf dem Computer schwer tue. Aber wenn der offshore sagt, eine Geschichte ist gut, dann gefällt sie mir meistens auch gut.
Und so war es dann auch.
Was ich sehr mochte, das war, dass du die Handlung aus der Perspektive des Jungen erzählst und ihn die Ereignisse seines Lebens märchenhaft darstellen lässt. Alles ist verwoben mit seiner Crusoelektüre, da verwandelt sich sogar sein Kater in einen Leoparden und die Decke über dem Schreibtisch wird zur Höhle.
Das gibt der einfachen Handlung, dass ein Kind mit dem Freund der Mutter nicht klar kommt, und nach einem Streit hoffft, ihn endlich los zu sein, dann aber doch von der falschen Versprechung der Mutter enttäuscht ist, eine ganz neue Melodie. Er ist noch Kind, denn er sieht sich und Florian und die Mutter in Fantasierollen und den Kater Leo sowieso, aber gleichzeitig entwickelt er auch Beschützerinstinkte der Mutter gegenüber, die hinter den Eifersuchtsgefühlen zum Vorschein kommen. Symbolisiert in den Rollen Crusoes und Freitags. Schön auch, wie du schon am Anfang zeigst oder andeutest, dass der Bub sich ein wenig in die Crusoe-Rolle flüchtet, weil er mit der Situation nicht zurechtkommt, gleichzeitig aber auch von der Mama gerügt und liebevoll geschimpft werden will, sie soll kommen und ihn aus der Höhle befreien und alles wieder normal machen. Ganz ohne moralischen Zeigefinger zeigst du außerdem, dass er sogar vernachlässigt wird, er schint ja noch recht klein zu sein, und dennoch lässt ihn die Mutter einfach allein, so dass er morgens auf dem Boden aufwacht, weil sie so in die Beziehung mit ihrem Florian verstrickt ist.

Es ist stickig-schwül in der Höhle. Florian schiebt die Decke etwas beiseite. Er wartet. „Mach endlich das Licht aus!“ soll die Mutter sagen und noch einmal in sein Zimmer kommen und „Was soll denn das schon wieder sein?“ schimpfen und Decke und Laken wieder in ein Bett verwandeln. Aber auf dem Flur bleibt alles still. Florian blättert im Buch.
Das mochte ich so gerne, weil du damit die Widersprüchlichkeit , die widerstreitenden Wünsche oder Rollen des Kindes zeigst.

Endgültig hattest du mich dann an dieser Stelle für die Geschichte eingenommen:

Daniel ist ein Riese vom Stamm der Menschenfresser. Mit seinen Riesenfüßen tappt er auf ihrer Insel herum und hinterlässt Spuren auf dem gelben Teppichboden. Mit seiner Riesenhand schlägt er Florian auf die Schulter. Beim Fernsehen drückt er den Kopf der Mutter an seine Riesenschulter. Bevor er morgens im Bad die Zähne fletscht, joggt er eine Runde ums Karree und brüllt mit seiner Riesenstimme zu Florian hinauf: „Hey, komm runter! Los, eine Runde! Wer als erster oben ist, ich geb dir Vorsprung!“ Robinson joggt nicht. Er hat wichtigere Dinge zu tun. Er beobachtet den Riesen genau, denn der hat vor, die Insel in seine Gewalt zu bringen.

Schön fand ich es auch, wie der Kleine das Bild von Freitag zum Schluss verbrennt.
Ich hab das ausgesprochen gerne gelesen. Und freu mich auf weitere Geschichten von dir.


Ach übrigens, der erweiterte Infinitiv mit um zu / ohne zu / anstatt zu / als zu / außer zu / statt zu (und so ein Beispiel war es bei offshores Hinweisen) wird immer mit einem Komma abgetrennt, auch nach der Rechtschreibreform.
Weiß ich zufällig hundertprozentig. Wenn du trotzdem im Duden gucken willst, da findest du es unter Regel 117.

Es gibt noch ein paar Fälle, wo man bei erweitertem Infinitv ein Komma setzen muss. Aber das ist jetzt auch nicht so wichtig. Wollte es nur am Rande bemerken.


Viele Grüße von Novak

 

Hallo Mja,

ein schöner Einstieg bei den Wortkriegern. Du hast sehr feingesponnen die Überlebensstrategie eines Jungen angesichts der mütterlichen Partnerschaft geschildert. Es ist ein schönes Beispiel für die Wirkung und Leistung von Literatur zu Lebensbewältigung geworden und zur Reifung eines Heranwachsenden.
Sprachlich hast du dies insofern gut gemeistert, dass der Rhythmus relativ kurzatmig ist, was auf den Spannungszustand hindeutet. Die Kürze der Sätze gibt dir auch die Sicherheit bei den Formulierungen.
Fröhliche Grüße
Wilhelm Berliner

 

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