Mitglied
- Beitritt
- 27.05.2008
- Beiträge
- 66
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Auf dem Wasser
Dreieckig lag das Mondlicht auf dem sanften Wellengang. Nur das Dröhnen der Dieselmotoren störte die absolute Stille dieses Anblicks. Die Fähre, noch etwa eine Meile von der Bucht entfernt, rollte gemächlich und ohne jedes Schwanken dahin. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, sie stünde auf der Stelle, wäre da nicht die Zeit, die bei jedem Blick auf die Uhr zweifelsfrei verstrich.
Brooklyn stand an der Heckreling, mit dem Rücken ans Geländer gelehnt und beobachtete Curtis´ Rücken. Er stand ein paar Meter weiter, das Gesicht dem offenen Wasser zugewandt und war in einen seltenen Zustand vollkommener Reglosigkeit verfallen. Er schien ganz und gar seinen Gedanken nachzuhängen, sinnierte Brooklyn und empfand einen Moment lang tatsächlich so etwas wie mütterliche Zuneigung. Rasch schüttelte sie dieses Gefühl ab und ging zu ihm hinüber. Seit das laut schwatzende Rentnerpärchen in die Passagierkabine zurück gekehrt war, befanden sie beide sich allein an Deck. Vielleicht war das ein Grund für Curtis´ seltsame Stille. Sie legte ihm von hinten sanft eine Hand auf die Schulter und lehnte sich, als er den Blick danach wandte, gegen die andere.
„Was ist los, Süßer?“ Er richtete sich ein wenig auf und räusperte sich.
„Irgendwas ist doch heute mit dir. Stress mit einer deiner Affären?“
Ihr Lächeln verklang unerwidert.
„Hör auf damit, ja.“
„Versteh mich nicht falsch“, sagt sie und legte eine Hand auf seinen Hals. „Ich finde es gar nicht so unsexy, wenn du einmal nicht der laute, starke Mann bist, den du immer so gerne markierst.“
Diese Aussage schien er als einen Weckruf misszuverstehen, denn im Handumdrehen hatte er sich ihr zugewandt, sie bei der Hüfte gepackt, zu sich gezogen und jede Nachdenklichkeit aus seiner Stimme getilgt. Selbst das fadenscheinige Lächeln ersparte er ihr nicht, das sein Gesicht seltsamerweise nicht attraktiver, sondern höchstens verdorbener erscheinen ließ. Von diesem Zeitpunkt an lieh sie seinen Worten nur noch auf mimische Weise Gehör, denn alles was ihm über die Lippen ging - daran bestand für sie kein Zweifel - war nur der eilig hinterher gefeuerte Kitt für die ins Bröckeln geratene Fassade. Das tat er immer, wenn sie ihn in einem Zustand der Schwäche überraschte. Dieser Zustand der Offenheit, das versuchte sie ihm seit Jahren schon beizubringen, war durchaus nichts Schlechtes. Seit sie diese Seite an Curtis das erste Mal beobachtet hatte, wusste sie, dass sie sie brauchte, mehr noch als er selbst, wollte sie ohne die Last des schlechten Gewissens bei ihm bleiben. Manchmal, wenn er wieder seine spartanischen Gebaren vorschob, dann wünschte sie, niemals auf seinen weichen Kern gestoßen zu sein. Wäre das der Fall gewesen, hätte sie nie einen Blick auf den anderen Curtis erhascht, dann hätte sie jetzt einen potenten, liquiden Anwalt von einem Gatten, von Zeit zu Zeit etwas unsensibel und grob, aber gerade deshalb die perfekte Zielscheibe für die bedingungslose Liebe einer narzisstischen Hausfrau. Doch diese höchst femininen Gelüste konnte sie ein für alle Mal begraben. Statt eines Mannes hatte sie nun einen vollwertigen Menschen vor sich. Einen Menschen, der sich schämte, sich unter der eigenen Last wand und Selbstzweifel hegte.
Als vor dem Bug schon die Laternen der Kaimauer in den Himmel ragten, kam Curtis auf eine seiner Klientinnen zu sprechen. Automatisch wurde Brooklyn hellhörig. Auch das war eine Folge seines Persönlichkeitswandels, früher wäre es ihr nicht im Traume eingefallen, auch nur einen Funken Eifersucht an seine jungenhafte und betont umtriebige Art zu verschwenden. Allein der Gedanke an einen Seitensprung seinerseits wirkte nun erschreckender und verletzender als jemals zuvor, ja war überhaupt erst plastisch denkbar geworden.
„Wie war der Name?“
„Hä?“
„Der Name deiner Klientin?“
„Pelham“, sagte er und sah kurz auf ihre Lippen hinab, „Wieso fragst du?“
„Und ihr Vorname?“
„Irgendwas mit ,M´ - Mildred, oder so. Wenn dich die Sache nicht interessiert, dann sag´s einfach.“
„Nein, nein - ich wollte nur ihren Namen wissen.“
„Aha.“
Er erzählte ihr, dass es sich bei jener Pelham um eine ältere Frau handelte, die in einem Pflegeheim wohnte und ihren Postboten auf Schadenersatz verklagen wolle. Brooklyn hörte ihm schon gar nicht mehr zu, als er auf den vermeintlich fehlerhaften Modellbausatz zu sprechen kam, der die Sache ins Rollen gebracht hatte. Vielmehr erging sie sich in Gedanken über das Ansehen seiner Professur, der Juristerei, und dem Abglanz den sie noch auf ihre eigene Person warf. So sehr sie auch die Worte still vor sich hin sagte, allen voran „Anwalt“ und „Gattin“, es wollte sich nicht mehr das angenehm schauernde Gefühl kaum vergangener Tage einstellen, jene Hoffnung stiftende Leichtigkeit, die hinwegtäuschen konnte über die Einfältigkeit ihrer Beziehung - als wäre sie das Natürlichste der Welt. Ihre Gefühle für Curtis und für seine Anstellung waren vergangen und vergessen, wie die Schwäche eines überwundenen Schnupfens.
Mit den Fingern seinen Hals umspielend, lehnte sie sich gegen seine Hüfte. Hinter ihnen bimmelte die Hafenglocke und mit einem Zischen wurde die Rampe herunter gelassen.
„Ich liebe dich“, sagte sie, „und hoffe, du tust das auch noch.“
„Wir müssen zum Auto zurück, komm.“
Einen Moment lang blieb sie an der Reling zurück und sah ihm hinterher. Wenn er es nicht mehr tut, dachte sie, dann tut es niemand mehr. Sie sah auf das Kielwasser hinab, das nun gar nicht mehr glitzerte, sondern dunkler noch als der Himmel war. Wie schwarzes Glas bewegte sich der Wasserspiegel auf und ab und schien bei jedem Zyklus ein wenig tiefer zurück zu weichen. Ihr war, als träfe sie ein Lockruf der undurchsichtigen Tiefe, etwas, das ihr einen Schrecken hätte einjagen müssen, doch es überhaupt nicht tat. Bevor sich die Gedanken vollends ihrer Kontrolle entzogen, stieß sie sich vom Geländer ab. Es war auch ganz und gar lächerlich, sagte sie sich und eilte Curtis hinterher, denn selbst bei solch abwegigen Dingen wie dem Tarot, stand das Bild des Todes ausschließlich für eine anstehende Veränderung.