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Auf dem heißen Stuhl
Auf dem heißen Stuhl
Sie war eine ganz besondere Patientin. Groß, schlank, brünett, extravagant gekleidet, mit unübersehbaren Absätzen. Etwa um die dreißig. Nicht hübsch, aber auf ihre eigene Art interessant und attraktiv. Ihr Gang war federnd und tänzelnd zugleich und ihre Stimme so abwechslungsreich wie die Jahreszeiten. Sie klang mal sanft, mal erotisch und mal burschikos. Man wusste nie, worauf man bei ihr gefasst sein musste. Sie sah mich mit ihren stechend grünen Augen, die wie tiefe Seen in den Höhlen lagen intensiv und neugierig an, als würde sie zum ersten Mal einen Menschen sehen.
Ihr leuchtend roter Lippenstift haftete an meinen Handschuhen und den Arbeitsgeräten. Auch am Glas hinterließ er Spuren und wenn sie aus dem Behandlungsraum verschwunden war, stand ich vor der Versuchung daraus zu trinken, nur um ihren Lippen nahe zu sein. Sie muss bemerkt haben, dass in ihrer Gegenwart meine Sicherheit ins Wanken geriet, doch sie lachte nur kokett. „Nun machen Sie wegen mir extra Überstunden, Doc, Sie haben etwas bei mir gut…“, sagte sie mit einem charmanten Augenzwinkern, als ich sie als Notfall eingeschoben hatte. „Notfälle gehören zu jeder Praxis dazu. Damit leben wir Zahnärzte…“, entgegnete ich etwas verlegen lächelnd.
„Ich habe einen Verbesserungsvorschlag zu machen. Wissen Sie, was Ihnen hier fehlt?“ fragte sie einmal. „Nein. Was meinen Sie?“, fragte ich zurück. „Ihnen fehlt ein großes Aquarium im Behandlungszimmer. Und zwar genau hier. Das wäre der ideale Platz dafür.“ Sie deutete auf die leere Wand, auf die die Patienten blicken, die auf dem Behandlungsstuhl liegen, um auf den Zahnarzt zu warten.
„Das wäre sehr originell. Sie haben recht.“, sagte ich überrascht. „Das wäre nicht nur originell, sondern auch noch beruhigend. So etwas wie eine Hypnose und Sie bräuchten weniger Betäubungsmittel, meinen Sie nicht?!“, entgegnete sie voller Enthusiasmus.
Sie kam meist nur einmal im Jahr und in Notfällen zu mir. Ihre Zähne waren nicht übermäßig gut, aber gut gepflegt. Sie hatte zahlreiche Kronen und Wurzelbehandlungen machen lassen müssen, die meisten jedoch lagen viele Jahre zurück. Vor Terminen der professionellen Kariesprophylaxe schien sie sich zu drücken, wahrscheinlich hielt sie es einfach für überflüssig.
Vor kurzem rief sie abends in meiner Praxis unter meiner Notfallnummer an. Sie habe starke Zahnschmerzen, ob sie heute Abend noch vorbeikommen dürfe…Es war ein grauer Novembertag mit Nieselregen. Ich hatte an diesem Tag vier Notfälle gehabt und war ganz schön kaputt, doch als ich ihre Stimme am anderen Ende des Telefons hörte, war ich sofort hellwach. Ich schob sie ein und sie war meine letzte Patientin an diesem Tag. Die Assistentinnen waren schon gegangen. Ich konnte von ihnen nicht verlangen, dass sie mich bis spät in den Abend bei der Arbeit unterstützten. Außerdem kam ich in Notfällen auch ganz gut alleine klar. Kurz nach halb neun Abends traf sie in meiner Praxis ein.
Ich begrüßte sie, bat sie, auf dem Behandlungsstuhl Platz zu nehmen und sah mir sogleich den Übeltäter in ihrem Munde an. Nachdem ich den Zahn mit dem Häkchen inspiziert hatte, sah ich, dass unter einer alten Krone ein Teil der Zahnsubstanz durch Kariesbefall herauszubröckeln begann. „Wie fühlen sich die Schmerzen genau an? Können Sie es mir beschreiben?“, hörte ich mich professionell distanziert fragen. Sie dachte einen Moment nach und fing an zu beschreiben: „ Es ist ein dumpfer Schmerz von tief unten. Tiefer als beim letzten kranken Zahn. So, als würde ein kleines Männlein von innen mit einem großen dicken Wollklöppel gegen eine schwere Holztüre schlagen. Nicht regelmäßig, nur von Zeit zu Zeit. In keinem bestimmten Takt, vielmehr arhythmisch und unberechenbar. Das macht den Schmerz so schwer erträglich, obgleich er nicht spitz stechend ist“, sagte sie gedankenverloren. Ich sah ihr dabei so tief in die grünen Augen wie noch nie und sie kam mir wie ein zauberhaftes Wesen aus einer fremden Welt vor.
Als ich mich wieder ein wenig gefasst hatte, sagte ich mit etwas belegter Stimme: „Da müssen wir leider ran. Die Krone wird dabei drauf gehen. Es kann sogar sein, dass ich den Nerv ziehen muss, wir werden sehen… Nun lege ich sie erst mal etwas tiefer…“, scherzte ich am Ende noch.
Sie lachte und antwortete: „Wenn es weiter nichts ist, ich dachte schon, Sie wollten flach statt tiefer sagen…“
Ich wurde mit Sicherheit rot, denn ich fühlte mich ertappt. Wie oft hatte ich daran gedacht, wie es wohl wäre, wenn ich einer Patientin auf dem Behandlungsstuhl näher kommen würde. Es war besonders schwierig bei dieser Patientin den Gedanken daran zu verscheuchen, da sie auf mich eine große Anziehungskraft hatte. Denken Sie mal nicht an einen rosa-farbenen Elefanten.. und was tun Sie die ganze Zeit? An nichts anderes als an einen dämlichen rosa-farbenen Elefanten!
Nun lag sie da, in engen Jeans und schwarzen Stiefeln, eine extravagante Tunika aus fließendem Chiffon fiel weich auf ihre wohlgeformten Oberschenkel. „Soll ich Ihnen eine Spritze geben oder wollen wir es erst mal ohne versuchen?“. Darauf entgegnete sie schelmisch lächelnd: „Bitte erst mal ohne. Ich mag es nicht, wenn meine Sinne benebelt sind. Lieber versuche ich es mit Selbsthypnose. Sie hatte die Augen geschlossen, atmete tief in den Bauch hinein und entspannte sich sogleich ganz wunderbar, als habe sie einen Knopf gedrückt der sie in eine andere Welt beamte.
Ich setzte mich auf meinen Stuhl um zu warten, bis sie für die Behandlung bereit wäre und konnte dabei meinen Blick nicht von ihr lassen. Sie sah aus wie das schlafende Schneewittchen, das in den vergifteten Apfel gebissen hatte. Ihre roten Lippen leuchteten im Kontrast zu ihrer weißen Haut wie rote Kirschen in hellem Sand. Ihre langen Haare fielen weich an der Schulter hinunter und glänzten im Licht der Lampe. Ich musste wie verzaubert einige Sekunden da gesessen und sie angestarrt haben, als sie schlagartig ihre Augen aufriss und mir direkt ins Gesicht sah. Ich war so überrumpelt, dass sich unsere Blicke berührten, viel zu lange als es gut gewesen wäre. Sie ergriff abrupt meinen Arm und zog mich an sich. Mir wurde schwindelig und ich spürte die Erregung emporsteigen. Unsere Münder berührten sich leidenschaftlich, sie zog mir den grünen Kittel aus und knöpfte mir das Hemd auf …ich spürte meine Zerrissenheit und zögerte. Sie ist eine Patientin, hämmerte es in mein Hirn. Das darfst du nicht tun, auch wenn du es willst…und war zugleich im Sog der Leidenschaft gefangen. Ich bäumte mich ein letztes Mal dagegen auf. „Halt!“, schrie ich. „Wir können doch nicht…nein, nicht hier…“, doch sie legte mir ihre feingliedrige und zugleich kräftige Hand auf den Mund und sagte: „Psst. Schalt Deinen Kopf aus und genieße einfach.“ Sie zog ihre Stiefel aus und schmiss einen davon gegen den Lichtschalter. „Getroffen. Ein guter Wurf!“, lachte sie und zog mich fest und entschieden an sich heran. Ich gab den Kampf auf und spürte, wie die Lust über die Vernunft zu siegen begann. Was sollte ich machen, es war ein Notfall…