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Auf dem elektrischen Stuhl
"Ich würde gerne auf meine Henkersmahlzeit verzichten, oder vielmehr bitte ich darum sie einzulösen."
"Gegen was willst du deine Henkersmahlzeit eintauschen, Tom?"
"Gegen ein paar Minuten länger auf dem Stuhl. Ich möchte eine Rede halten, ich weiß nicht ob ihr mir glaubt, aber ich sitze morgen zu unrecht auf dem Stuhl!"
"Das können wir nicht machen und dabei spielt auch keine Rolle, ob wir dir glauben oder nicht. Der Hinrichtungstermin liegt genau bei 12:00, wir können, nein wir dürfen keine Minute später anfangen."
"Bitte, meine Frau kommt morgen, sie glaubt ich wäre schuldig, doch ich liebe sie noch immer. Ich kann sie nicht in dem Glauben lassen ich sei schuldig, aber es müssen auch noch andere Menschen davon erfahren, dieses Justizsystem funktioniert nicht. Wie viele Menschen beteuerten unschuldig zu sein, noch während sie auf dem Stuhl saßen?"
"So ziemlich jeder, Tom."
"Ich würde die Mahlzeit morgen um 11:30 bekommen, ich möchte diese Zeit, die ich mit dem essen verbringen würde für meine Ansprache nutzen."
"Die Leute werden erst um 11:55 eingelassen."
"Die Zeit reicht mir, bitte!"
"Wir werden sehen was wir tun können."
11:30 des nächsten Tages.
Das leise kratzen des Rasierers war zu hören, während Tom der Hinterkopf rasiert wurde. Er atmete schwer und sein Herz hämmerte ihm gegen die Brust. Allen stand der Schweiß auf der Stirn. Paul zitterte,
während er Tom den Kopf rasierte, doch er verletzte ihn nicht.
11.35
Tom war nervös, er erleichterte sich in seine Zellentoilette. Er ging in seiner Zelle auf und ab. Während der Zeit die er im Todestrakt verbrachte, hatte er nicht nur einmal an den Selbstmord gedacht. Als es besonders schlimm war, biss er sich ins Handgelenk und verlor eine Menge Blut. Jetzt dachte er daran, es erneut zu versuchen.
11.40
Tom übergab sich in seiner Zelle. Ihm ging es in diesem Moment sehr schlecht, er bekam ein Beruhigungsmittel angeboten, doch er lehnte ab, er brauchte seinen klaren Verstand, wenn er wirklich eine Rede halten würde. Den angebotenen Tee nahm er an, und trank ihn schnell leer. Dabei verbrannte er sich die Zunge.
11:45
Das Wärtergespann trat erneut in die Zelle und legte ihm die Handschellen an. Er bekam auch Fußketten angelegt. Er fragte sich nicht zum ersten Mal, wie der Verdacht jemals auf ihn kommen konnte. Er war ein liebender Familienvater und Ehemann. Laura, seine älteste Tochter müsste inzwischen fünfzehn sein.
Mit Jonathan war Claudia schwanger als ihm dies passierte. Nein, er fragte sich ganz bestimmt nicht zum ersten Mal, warum gerade ihm dies passieren musste.
11:50
In einem kleinen Raum wartete der Pfarrer auf ihn. Er könnte von den Katholiken sein, wer wusste das schon? Er erklärte dem Pfarrer, dass er seine Dienste nicht in Anspruch nehmen wolle. Er hatte nichts getan, wofür er sich hätte rechtfertigen müssen. Außerdem hat er seit seinem zwölften Lebensjahr nicht mehr gebetet, obwohl er die Kirche weiterhin respektierte. Er würde auch in dieser Situation seinen Glauben nicht neu gewinnen. Das wäre irgendwie falsch.
11:55
Ihm wurden die Handschellen und Fußketten abgenommen. Er musste sich nun auf den elektrischen Stuhl setzen. Die Beine wurden ihm an kaltes Metall gedrückt und fest gebunden. Auch die Arme wurden sehr fest an den Stuhl gebunden. Es war nicht schön anzusehen, wenn der ganze Körper zuckt, wenn der Strom durch einen hindurch fährt. Der Kopf wurde ebenfalls sehr stramm befestigt, jetzt konnte er nur noch geradeaus sehen. Das war für ihn irgendwie das schlimmste. Er hatte Claudia noch nicht entdecken können, aber er spürte das sie hier war. "Ist Claudia gekommen, Paul?" "Ja, sie sitzt hinten rechts, sie wirkt sehr angespannt. Ich glaube sie liebt dich ebenfalls, Tom."
11.57
"Tom, sie sind angeklagt, zwei Frauen vergewaltigt und ermordet zu haben. Durch ihren Körper wird nun solange Strom fließen bis Sie tot sind, so will es das Gesetz. Wenn sie noch etwas sagen wollen so dürfen sie es jetzt tun."
"Ich weiß sie halten mich für einen Frauenmörder, aber das bin ich nicht. Ich bin mir darüber bewusst, dass ich in weniger als drei Minuten einen Stromschock kriege, der mich töten wird, ganz gleich was ich jetzt noch sagen werde. Ich zöge also keinerlei Nutzen daraus, jetzt zu lügen, wenn ich diese Frauen wirklich ermordet hätte. Aber ich bin unschuldig. Ich werfe den Hinterbliebenen der Opfer keine Schuld für meinen Tod vor, sondern der Justiz. Ich würde mich wahrscheinlich in ihrer Position selbst als schuldig betrachten, aber auf so etwas will ich gar nicht hinaus. Als ich verurteilt wurde, spuckten mir Leute ins Gesicht, darunter war mein jüngerer Bruder, er war damals fünfundzwanzig, er brachte mir solchen Hass entgegen.
Als ich abgeführt wurde traten mich die Leute und versuchten mich mit ihren Fäusten zu ereichen. Als ich meinen besten Freund erblickte, hatte er einen seltsamen Ausdruck im Gesicht. Ich habe mich bis zu dem heutigen Tag gefragt was es gewesen ist. Mit ihm habe ich viel erlebt, es brach mir das Herz, nicht zu wissen was er in diesem Moment über mich dachte. Es hätte Erschrecken sein können, solange neben einem eiskalten Monster gelebt zu haben. Es hätte auch Mitleid sein können. Aber dies werde ich nie erfahren. Ich durfte nicht einmal Besuche empfangen, vielleicht wäre er gekommen und ich hätte ihn fragen können was er fühlte; jetzt werde ich im Tod nicht wissen, ob ich am Ende meines Lebens einen wirklichen Freund hatte oder nicht. Meine Mutter sah ich das letzte Mal vor fünfzehn Jahren, es war der Tag, an dem das Urteil des Gerichts gefällt wurde. vor nicht ganz zwei Jahren erhielt ich dann die Nachricht, dass sie an einem Herzinfarkt gestorben sei. Das letzte was ich zu ihr sagte war, das alles gut werden würde und sie sich keine Sorgen machen bräuchte.
Ich habe einmal für meine Frau Claudia gekocht, ich habe insgesamt 400 € für dieses Essen ausgegeben, denn ich hatte vorher bei meinem besten Freund mehrere Male geprobt, da alles perfekt werden sollte. Ich wollte für sie nur das Beste. Sie hört von dieser Geschichte heute zum ersten Mal, aber ich will das sie weiß, dass ich sie die ganze Zeit über nie auch nur eine Minute vergaß, ich liebe sie noch immer. Ich habe sie seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen und keinen Brief von ihr gekriegt. Ich nehme an sie hält mich für schuldig. Ich weiß dass sie hier im Raum anwesend ist, doch ich kann meinen Kopf nicht drehen um sie zu sehen. Ich würde dich gerne ein letztes Mal in die Arme nehmen, aber ich weiß, dass dies nicht geht. Claudia, ich liebe dich!"
In der hinteren Reihe rechts stand Claudia auf, doch ein Wärter drückte sie zurück auf ihren Stuhl und schüttelte nur den Kopf.
12:02
Um zwölf Uhr und zwei Minuten, starb Tom an einem Stromschlag. Er beteuerte bis zuletzt seine Unschuld. Während des Mordes, fuhr er über die Autobahn, nach Hause, er hatte für die Tatzeit kein haltbares Alibi, doch nichts wies daraufhin, dass er der Mörder gewesen sein könnte. Aber die Justiz musste die Angst der Menschen in Griff kriegen und brauchte einen Täter, der für die Morde verantwortlich gemacht werden konnte.
Tom ist nur einer von vielen dieser Menschen.