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Auch teilen muss man lernen
Rebecca schloß die große, schmiedeeiserne Pforte hinter sich. Der Kies, der auf der langen Auffahrt zum Haus lag, knirschte unter ihren Turnschuhen. Das neunjährige Mädchen lief über den Rasen, an ihrem Spielplatz vorbei. Sie beachtete die Blumen und die großen Bäume, die den riesigen Garten einrahmten, nicht. Sie ging am Swimmingpool vorbei, in dem sie mit ihren Eltern immer so ausgelassen herumtoben konnte. Es interessierte Rebecca heute nicht, das ihr Hund Benny an ihr hochsprang um sie zum Spielen aufzufordern.
Sie lief in ihr Zimmer, das im Obergeschoß der Villa lag. Elvira, das Hausmädchen, war gerade dabei Staub zu saugen. Keiner konnte die Puppen und das Spielzeug zählen, das in den Regalen und Kisten lag. Es versuchte auch niemand, denn das Mädchen sollte alles haben, was ein Kind in diesem Alter so wollte. Rebeccas Vater arbeitete bei einer großen Baufirma. Er war viel im Ausland unterwegs und brachte seiner Tochter oft etwas ausgefallenes mit. Sie freute sich immer auf die Wochenenden mit ihm. Sie gingen in den Zoo oder zum Strand. Sie besuchten zusammen Ausstellungen, wo er ihr immer mit viel Geduld alles erklärte. Sie unternahmen Fahrradausflüge, die sie dann mit einem Picknick verbanden. Ihre Mutter, eine hübsche Frau, engagierte sich für viele Wohltätigkeitsveranstaltungen. Sie war dabei, wenn Rebecca in der Schule eine Aufführung der Theatergruppe hatte. Sie begleitete ihre Tochter zum Schlittschuhlaufen, bastelte und malte mit ihr.
Sie waren eine glückliche kleine Familie. Nur in letzter Zeit war es etwas ruhiger geworden. Rebecca hatte keine Lust mehr, etwas mit ihren Eltern zu unternehmen. Sie hatten ihr vor zwei Wochen gesagt, dass sie ein Kind aus dem Waisenhaus zu sich nehmen wollten. Rebecca wollte das nicht. Sie sah nicht ein, das sie in Zukunft ihr Spielzeug mit einem anderen Kind teilen sollte. Manchmal wünschte sie sich zwar, das sie einen Spielkameraden hatte, aber dann lud sie sich Freundinnen aus ihrer Klasse ein. Vor allen Dingen wollte sie ihre Eltern mit niemanden teilen. Normalerweise schaffte sie es immer, ihre Eltern um den Finger zu wickeln. Aber diesmal blieben sie hart, und das machte Rebecca so wütend.
Heute sollte der Tag sein, an dem der kleine Junge das erste Mal über das Wochenende zu ihnen kommen sollte. Die Eltern sind auf dem Weg zu dem Waisenhaus um Jan zu holen. Er ist fünf Jahre alt, und hat seine Eltern bei einem Brand verloren. Der Junge wurde über die Feuerleiter gerettet, für die Eltern kam jede Hilfe zu spät. Er mußte über drei Monate im Krankenhaus liegen, bis seine Verletzungen verheilt waren. Die Narben an seiner kleinen Seele werden noch lange nicht verheilen.
Rebecca sah durch das Fenster das Auto ihrer Eltern die Auffahrt heraufkommen. Die Mutter rief nach ihrer Tochter. Das Mädchen ging ganz langsam die Treppe herunter. Ihr Vater nahm sie in den Arm, um gemeinsam zu dem kleinen Jungen zu gehen. Da stand er nun, mit traurigen braunen Augen. Rebecca ging auf ihn zu und starrte ihn an. Jan hielt ihr einen kleinen, durch Ruß verschmutzten Teddy entgegen. Er legte ihn in ihren Arm und sagte: „ Ich konnte dir leider nur diesen Teddy mitbringen, er ist das einzige, was ich von zu Hause mitnehmen konnte “
Rebecca nahm ihren kleinen Bruder an die Hand, um ihm sein neues Zimmer zu zeigen...