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Auch mir kommt oft das große Kotzen (flüssiges Gold und andere Dinge)
Montag, 09. Juni 2013
Ich sitze jetzt also hier und starre auf die leere Seite vor mir. Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, heute mal über alles zu schreiben. Über die letzten Jahre, über die Trinkerei, über alles. Jetzt war ich mir aber nicht mehr so sicher, vielleicht war es noch nicht an der Zeit, alles auf Papier zu bringen. Die Erinnerungen waren noch zu schmerzlich, um länger darüber nachzudenken. Totschweigen machte die Sache allerdings auch nicht besser.
Komischerweise bereitete mir all das angst. Als müsste ich, während ich alles aufschreibe, diese Hölle noch einmal durchleben. Obwohl, Hölle ist wahrscheinlich nicht die richtige Bezeichnung, denn das war es in dem Moment nicht. Erst hinterher begreift man, wie schrecklich alles war, man wird sich erst bewusst, was man alles falsch gemacht hat, wenn man weiß, wie man es richtig macht. Vielleicht weiß ich das jetzt, höchstwahrscheinlich aber nicht. zumindest weiß ich jetzt, wie weit ich gehen kann, ohne komplett im Abgrund zu versinken.
Mir geht andauernd ein Satz durch den Kopf: sometimes an addict actually has to hit rock bottom. Ist wohl so. Erst ganz unten angekommen sieht man, wie tief man gefallen ist. Von der spitze aus scheint der Abgrund vor einem nie sehr tief. Schön, wenn es dann jemanden gibt, der einen aus diesem Abgrund herauszieht oder zumindest ein Seil hinunter wirft. Ich hatte diese Personen immer. Wahrscheinlich hab ich es deshalb so weit getrieben, weil ich wusste, dass ich immer jemanden finden würde, der mir aus der Patsche hilft. Dafür bin ich euch übrigens sehr dankbar, nur damit ihr es wisst.
Wenn ich daran denke, wie es noch vor 3 Monaten war, beginnt es in meinem Bauch zu kribbeln. Die ganze Alkohol Geschichte ist mein persönliches tabu Thema. So lange ich wieder im trinken drinnen bin, kann ich darüber reden, noch und nöcher, den ganzen Tag, es wird zu meinem Lieblingsthema, doch kaum finde ich wieder einen Weg aus dieser Sucht, kann ich nicht einmal darüber nachdenken, ohne diese grassliche innere Unruhe, ja fast schon Panik zu verspüren. Natürlich wüsste ich, wie ich dieses Unbehagen beseitigen könnte, ein paar Gläschen Wein oder, besser noch, Tequila, würden mir meine Qualen erleichtern, doch das wäre wohl der falsche Ansatz.
Ein blick auf die Uhr: in 4 stunden musste ich wieder zur Arbeit. Ein einfacher Kellnerjob, sehr anstrengend und schlecht bezahlt aber immerhin eine gern gesehene Ablenkung.
Ursprünglich wollte ich den freien Nachmittag auf der Terrasse verbringen, doch knappe 35 Grad und kaum ein Lüftchen vernichteten meine Pläne. Unausstehlich dieses Wetter. Früher hatte ich den Sommer geliebt, als Kind. Jetzt mochte ich ihn nicht mehr besonders. Ist mir einfach zu heiß. (Da wird mein Wein zu schnell warm. Immer wieder diese Gedanken). Gehört wohl zum erwachsen werden dazu, aber was weiß ich schon vom erwachsen werden.
Meine Blase schmerzte, die auf meiner Ferse natürlich. Verfluchte Ballerinas. Sind eben doch nicht für 10 Stunden Gäste bedienen geeignet. Pflaster habe ich auch keine, aber das würde sowieso nur den reiz des Schmerzes nehmen, wie langweilig.
Zigarettenpause.
Ich hab mir in meiner Alkoholiker - Zeit immer wieder denselben Witz erlaubt: manchmal, wenn ich wieder total übermütig im Unterricht saß, fragte einer meiner Klassenkameraden scherzhaft: „Was is los, bist angsoffn oder was?“ meine Antwort darauf war jedes Mal dieselbe: „Ja, sicher. Jeden Tag. du nicht?“ Für mich war der Spaß dabei, dass ich meine Antwort völlig ernst meinte, während die anderen meine Antwort als Sarkasmus auffassten und lachten. Diesen spaß vermisse ich schon irgendwie…
Dienstag, 10. Juni 2013
Neuer Tag, neues Glück. Mein heutiges Glück bestand aus einem freien Tag, einer Flasche Wein aus der Heimat (weil wir einfach den besten Wein machen, kurz vor Chile, ach da kommt man ins schwärmen) und ein gutes Buch, wobei ich das soeben zu Ende gelesen habe.
Gestern noch wollte ich unter keinen Umständen wieder etwas trinken, doch heute sieht das alles anders aus. Ursprünglich waren nur 1, 2 Gläschen auf der Terrasse gedacht, um Charles Bukowski ein wenig näher zu kommen, aber daraus wurden wie immer mehr. Nummer 4 steht gerade vor mir.
Vielleicht ist das wirklich der einzige Weg, um meine Geschichte los zu werden.
Ich wurde heute in einem fremden Restaurant, als ich mir gerade noch eine Serviette holte, gefragt, ob man das Klo benützen darf, ohne etwas zu konsumieren. Bin ich schon so durch und durch Kellnerin, dass ich für alle Gäste zuständig bin, auch wenn ich selbst nur essen gehe? Schräge Touristen.
Gerade habe ich übrigens herausgefunden wie Spaß schmeckt: nach Schoko Bons. Steht zumindest auf deren Verpackung.
Zurück zu den wichtigen Themen. Ich hab noch sehr genaue Erinnerungen an meine betrunkenen Abende und Morgen, es fühlt sich nur nicht an, als wäre ich die Protagonistin dieser Erinnerungen, als hätte man mir diese Geschichten nur zufällig erzählt. Das fühlt die eine Seite meines Ichs, die andere ist sich sehr wohl bewusst, dass sich diese Geschichte alleine um mich dreht und sie weiß auch, was es für Folgen hatte und immer noch hat. Sie ist sich des ganzen Ausmaßes bewusst, sie kennt die Konsequenzen, sie spürt den Schmerz dieser Erinnerungen. Doch hauptsächlich ist diese Seite die unterdrückte der beiden. Und genau diese unterdrückte Seite möchte ich herauf beschwören, um sie los zu werden oder zumindest zu besänftigen und frieden mit ihr zu schließen, ihr ihre Qualen abzunehmen.
Ich erinnere mich an eine ganz besondere Nacht.
Zu dieser Zeit stand ich auf Kriegsfuß mit meinem Bett und auch meiner Couch, deshalb schlief ich schon seit Wochen auf dem Boden, eine Decke als Unterlage und eine zum zudecken. An den Grund dafür kann ich mich zwar nicht mehr erinnern, aber das Ganze passierte in der Zeit, als ich gerade anfing regelmäßig richtig viel zu trinken. Wahrscheinlich wollte ich mich auf eine seltsame Art selbst damit bestrafen, indem ich mir verbot, in meinem Bett zu schlafen oder zumindest meine unterdrückte Seite wollte das.
An diesem Tag hatte ich besonders viel getrunken, es war so eine Art Restetrinken. Von verschiedenen Feiern war noch einiges Übrig: Bier, Wein, Vodka und auch Rum, den ich sonst eher meide. Als Bier und Wein dann leer waren und not am Mann war, kippte ich auch den Rum hinunter. Es war schon recht spät, als ich mit dem Rum begonnen hatte. Normalerweise war ich es gewohnt, schon nachmittags zu beginnen, während ich meine Hausaufgaben machte( damals machte ich sie nämlich noch) und dann gegen 10 halbwegs betrunken ins Bett zu fallen um am nächsten Morgen wieder fit zu sein. Das hatte sich aber recht schnell geändert, ich geriet immer tiefer in diesen Teufelskreis. Es war mir egal, ob ich am nächsten Tag fit für die Schule war, ob ich meine Hausaufgaben gemacht hatte, ob ich gute Noten bekam. Ich war also schon recht betrunken, torkelte in meinem Zimmer umher, warum auch immer, und rammte leider gottes den Couchtisch, mein Glas fiel auf den Boden und zerbrach. Das tat nicht nur unheimlich weh (ich hatte tage später einen riesigen blauen Fleck) sondern verursachte auch höllischen Lärm. Minutenlang stand ich davor, hielt mir mein Bein und lauschte, ob irgend jemand im Haus davon munter geworden war. Das letzte was ich brauchen kann, war, dass jemand rauf zu mir kommt und nachsehen möchte, was denn so viel Lärm verursacht hat.
Da mein Glas ja bereits kaputt war nahm ich noch ein paar kräftige Züge aus der Flasche und legte mich auf mein bett, falls man das so nennen kann, und war von einer Sekunde auf die andere weg. Ab diesem Zeitpunkt ist mir die Nacht ein Rätsel.
Am nächsten Morgen, es war ein Donnerstag, wurde ich von meinem Wecker geweckt. Ich lag auf der Couch.
Langsam schlug ich meine Augen auf, alles drehte sich wie verrückt, mir wurde schlecht und ich rannte sofort ins Badezimmer. Mein Bein schmerzte und ich hatte ein paar kleine Schnitte auf der Handfläche. Es dauerte ein paar Minuten, bis mir wieder einfiel, warum.
Ich ging zurück in mein Zimmer, drauf und dran mir schnell etwas anzuziehen und meine Schultasche zu packen.
Erst jetzt nahm ich das ganze Ausmaß der letzten Nacht wahr:
Am Boden lag meine Decke, neben ihr, umgefallen, eine Rumflasche in einer kleinen Pfütze (Gott sei Dank war nicht alles ausgeronnen). Meine andere Decke und mein Kopfkissen lagen auf der Couch. Ich kann wirklich nicht mehr sagen, wie sie dort hin gekommen sind und wie auch ich dort hingekommen bin, aber es grenzt an ein Wunder, dass ich das überhaupt bewerkstelligt habe.
Ich stand also vor der Couch, versuchte die Welt davon abzuhalten sich wie verrückt zu drehen, als ich Flecken auf dem Boden und meiner Decke bemerkte. Es war Erbrochenes. Auch die Decke, die den Untergrund meines Schlafgemaches bildete, und mein T-shirt waren voll davon.
In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich es zu weit getrieben habe.
Ich war kurz davor loszuheulen. Mir wurde jetzt bewusst, wie tief ich in der Scheiße steckte. Es war das erste Mal, dass so etwas passiert war, dass ich kaum Erinnerungen an die letzte Nacht hatte, dass ich vollgekotzt aufwachte.
Und dann kamen die immer gleichen Schuldgefühle dazu, doch mit denen konnte ich mittlerweile etwas besser umgehen.
Ich war so geschockt von der Situation, das sich beschloss sie einfach zu vergessen. Ich zog mir ein frisches T-shirt an – den Rest meiner Kleidung vom Vortag hatte ich nie ausgezogen – und machte mich auf den Weg in die Schule.
Damals war ich der Meinung, das sei mein Rock Bottom gewesen. Ich dachte, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, als hätte ich es damit endgültig zu weit getrieben aber ich hatte ja keine Ahnung, wie weit ich es noch treiben würde. Ich war fest entschlossen, dass das das Ende sein musste, das ich jetzt an dem Punkt war, an dem ich einsah, dass es so nicht weitergehen konnte.
Auch in diesem Moment war ich mir der Personen bewusst, die mich aus dieser Sache wieder heil raus bringen würden. Ich würde ihnen gerne dafür danken, dass sie das immer getan haben, ihnen sagen, wie sehr sie mir geholfen haben, dass ich mit ihrer Hilfe mein Leben jetzt wieder normal leben kann, dass ich den ganzen Schlamassel dank ihnen überstanden habe, aber der Spuk ist noch nicht vorbei. Noch lange nicht.
Mittwoch, 11. Juni 2013
Nüchtern betrachtet war es betrunken einfacher, das zu schreiben.
Wie schon erwähnt, dachte ich zu dieser Zeit, ich hätte mein Rock Bottom erreicht. Nur die Sache ist die: erst wenn es zu spät ist, hat mann es erreicht.
Man wacht morgens auf und weiß: so, jetzt ist Schluss. Plötzlich wird einem klar, was man alles angerichtet hat. Was man sich selbst und allen anderen damit antut. Man kann die rosa Brille des Alkohols endlich ablegen und das ganze Ausmaß betrachten, und das ist oft verheerend.
Ich habe in diesen Tagen fast andauernd geheult.
Ich wusste einfach nicht, wie ich alles wieder gut machen sollte, wie ich aus diesem Schlamassel wieder raus komme. Ich wusste aber, dass es nicht mehr nur mich betraf, sondern auch einen Haufen anderer Personen.
Doch wie immer konnte ich mich auf andere verlassen. Sie haben mir wie immer unglaublich viel weitergeholfen, ohne dass sie es wussten. In solchen Situationen können ein paar aufbauende Worte echte Wunder bewirken.
Aber das Allerwichtigste sind meiner Meinung nach Routine und Beständigkeit. Diese Routine fand ich in meiner Klasse. Sie wussten nichts von all dem, obwohl sie oft etwas bemerkt hatten, sie konnten es nur nicht zuordnen. Sie behandelten mich einfach immer gleich, egal ob ich sturzbetrunken oder seit Tagen nüchtern war, sie bemerkten keinen Unterschied. Das gab mir eine gewisse Beständigkeit, die ich so dringend brauchte. Oft dachte ich mir, tu es nicht für dich, tu es für sie, manchmal fällt es einem dann leichter.
Und ich habe es vorerst geschafft, ich habe diese Kriese überwunden, dank euch.