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Auch Engel müssen sterben
Wie schön sie doch war. So habe ich mir immer einen Engel vorgestellt. Ihre Augen waren geschlossen und man konnte ein Lächeln erkennen, welches ihre Lippen umspielte und somit ihr wunderschönes Gesicht nochmals hervorhob. Sie sah aus als würde sie schlafen, aber das tat sie nicht. Meine Schwester war tot.
Ich konnte meinen Blick nicht von ihr abwenden... wie sie dort lag... von einem Meer aus Blumen umgeben. Nicole hatte Blumen geliebt. Genauso wie ihr Leben...
Ich hörte wie der Pfarrer mit der Predigt begann, doch an mein Ohr drang vielmehr eine dumpfes Dröhnen als eine Anordnung bestimmter Worte.
Nicole hasste diesen ganzen Scheiß. Sie ging sogut wie nie in die Kirche. Sogar zu Weihnachten schlichen wir uns immer vor Ende der Messe heimlich davon, damit Nicole ungestört eine Zigarette rauchen konnte. Ich hasste es, wenn sie das tat, aber sie war die große Schwester. Da halfen keine Diskussionen. Ich konnte mir meine Bemerkungen trotzdem nie verkneifen:" Nicole hör auf mit diesem Scheiß! Du weißt genau wie schädlich die Dinger sind "!
Doch sie grinste mich nur jedesmal an.
Meine Schwester sagte es mir an einem Montagmorgen. Sie stand plötzlich in meinem Zimmer und beobachtete, wie ich hektisch meine Schulsachen zusammenpackte. Anfangs ignorierte ich sie, doch dann überkam mich ein beängstigendes Gefühl. Ich hielt in meiner Bewegung inne und sah ihr direkt in die Augen." Ich bin krank Sarah.Ich habe Krebs ". Mein Gott... sie sagte es so verdammt ruhig. Ich konnte sie nur anstarren. Eine Zeit lang wagte keiner von uns etwas zu sagen, doch dann brach Nicole das Schweigen." Wenigstens bist du mal im Unrecht. Die Zigaretten sind nicht schuld ". Sie zwang sich zu einem Lächeln, doch dieses erstarb, als sie sah wie eine Träne über meine Wange lief. Plötzlich löste ich mich aus meiner Starre und fiel meiner Schwester in die Arme. Ich habe keine Ahnung wie lange wir so da standen, weinten und uns einfach nur aneinander festhielten.
Ich wurde von den melodischen Klängen einer Gitarre aus meinen Erinnerungen gerissen. Jemand spielte " Tears in heaven ". Nicole's Lieblingslied. Sie hatte es in der letzten Zeit sehr oft gehört. Ich schloss erneut die Augen und floh in Gedanken zu meiner Schwester.
Die Zeit ging viel zu schnell vorbei und Nicole's Zustand verschlechterte sich mit jedem Tag. Ich stand meiner Schwester in jeder Minute ihres schrecklichen Kampfes bei. Ich hielt ihre Hand, wenn sie sich vor Schmerzen krümmte und ich war in ihrer Nähe, wenn die Nebenwirkungen ihrer starken Medikamente beinahe unerträglich wurden. Seit ich denken kann war Nicole mein Vorbild, aber ich kann mich nicht erinnern jemals so stolz auf meine Schwester gewesen zu sein, wie in dieser Zeit. Meine Schwester dachte nie daran aufzugeben. Bis zum Schluss.
Sie war gerade eingeschlafen und ich genoss den seltenen Ausdruck von Zufriedenheit auf ihrem Gesicht. Ich wollte gerade aufstehen, als mich eine Hand sanft zurückhielt. Jene Worte,die Nicole dann sagte, werde ich mit Sicherheit nie vergessen." Süße, wir wissen beide, dass ich es nicht schaffen werde. Du warst immer für mich da und dafür möchte ich dir danken. Pass auf dich auf, meine Kleine. Ich liebe dich ". Dann ließ sie meine Hand los.
Nicole Bachmann starb an einem Sonntagabend im Alter von 17 Jahren an Darmkrebs.
Als die Klänge der Gitarre verstummten, öffnete ich meine Augen. Wir erhoben uns zu einem Gebet. Ich starrte unentwegt Nicole an, die den Anschein machte, als würde sie gerade einen wunderschönen Traum erleben. Dann begann das Bild vor meinen Augen zu verschwimmen und plötzlich wurde ich von völliger Dunkelheit umhüllt. Ich fühlte wie mein Körper auf dem harten Steinboden aufschlug. Doch verspürte ich weder Angst noch Schmerz, denn in diesem Moment war ich meiner Schwester so nahe, wie ich es wohl niewieder in meinem Leben sein würde.
[Beitrag editiert von: shimmeringLight am 28.03.2002 um 14:41]