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Atomkrieg//Orgasmus
Der Gedanke, dass ich sterben würde, machte mich innerlich taub. Es war kein unbekannter Zeitpunkt mehr, sondern eine Sache von wenigen Minuten.
Die pilzähnliche Wolke auf dem so höhnisch blauen Himmel wuchs langsam, aber sicher an und alles, was ich tun konnte, war da stehen und wie gebannt auf das Etwas starren, das mich so bald verschlingen würde.
Mein Herz schlug immer schneller, ich hätte losrennen können vor der unvorstellbaren Angst, die ich empfand, aber es hätte nichts gebracht, es gab keine Hoffnung mehr, für keinen von uns.
Wir schwiegen. Weil Worte unwichtig geworden waren, weil nichts mehr wichtig war angesichts dieses immer größer werdenden Dings, für das es keinen passenden Namen gab. Er versuchte mit aller Kraft, sein Motorrad zum laufen zu bringen, auch wenn selbst das uns nicht mehr retten konnte - und als er scheiterte, schon wieder, tat er etwas, was in diesem Moment so absurd erschien, dass es fast schon das Einzige war, das ihm gerecht wurde: Er machte die Musik an. Es war eine kleine Musikanlage, deren Lautstärkeregler schon bis aufs Maximum aufgedreht war und aus der nun Töne erklangen, die mir zuflüsterten, dass ich noch lebte.
Die Erde bebte.
Ich spürte, wie meine Füße sich langsam vom Boden lösten und ich rücklings nach hinten flog, mit dem Kopf aufschlug und in den Himmel starrte, den so wunderbar blauen Himmel mit einer einzigen weißen Wolke, die mir für den Bruchteil einer Sekunde das Gefühl von Geborgenheit gab. Ich streckte meinen rechten Arm aus, spürte, wie sich die Muskeln bewegten und anspannten und fragte mich, wieso mir die Schönheit dieser winzigen Bewegungen nie zuvor so aufgefallen war.
Meine Finger berührten schweißnasse Mädchenhaut und unsere Hände verschränkten sich ineinander, pressten sich aneinander, bis ich die Grenze zwischen ihr und mir nicht mehr spürte. Er griff nach meiner anderen Hand und ich bemerkte, dass ich zwischen den Beiden lag, zwischen den beiden Menschen, die ich in meinem kurzen Leben lieben gelernt habe.
Das Gras unter mir streichelte meinen Nacken, meine wunde sonnengebräunte Haut und die Musik drang immer weiter in mein Herz vor, bis warme Tränen meine Wangen hinunterrannten.
Die kleine weiße Wolke auf dem Himmel wurde nun vom Wind zurückgedrängt und ich wusste, es würde in wenigen Sekunden vorbei sein.
Die Welt wurde so ungeheuer strahlend, so schrecklich scharf, als würde jede Zelle meines Körpers das Leben in sich aufsaugen wollen, jeden Windhauch, jeden Sonnenstrahl, der mein Gesicht streichelte.
Die Erde bebte.
Und als ich langsam in die Luft stieg, war es dieser eine Augenblick kurz vor dem Ende, der mein Leben ausmachte. Als die Organe in mir zerplatzten und durch meinen Mund herausquollen, als Blut unter meinen Augäpfeln hinaustrat, als ich spürte, wie meine eigene Wirbelsäule die Haut auf meinem Rücken zerriss, liebte ich, wie ich noch nie zuvor geliebt habe. Ich liebte mein Leben und ich liebte meinen Tod, der meine Geschichte auf die schönste Art und Weise beendete, die ich mir je hätte vorstellen können, denn ich versank in Farbe, versank in Licht, versank in der sterbenden Liebe, deren Vergänglichkeit ihr diese Schönheit gab, die mich von innen leuchten ließ, als ich mich in winzige Partikel und schließlich in Nichts auflöste, in dem immer noch die wundervollste Musik meines Todes erklang.