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Atelophobie

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03.09.2018
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Anmerkungen zum Text

Bei diesem Text handelt es sich um eine Kurzgeschichte, die ich für einen Contest geschrieben habe, welcher die Regelung hatte, dass die Geschichte nicht mehr als 10 Word-Dokument Seiten umfassen darf.
Die beiden Protagonisten heißen Deidre und Eika, zwei Namen also, die in unserer Gegend eher unüblich sind. Das Thema, an welches die Geschichte angelegt ist, lautet "Identität" und war ebenfalls vom Wettbewerbsaustragenden vorgegeben wurden.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und freue mich wirklich auf eure Kritik, egal wie hart sie ist ^^"

Atelophobie

Weißt du noch damals, als wir uns das erste Mal über den Weg gelaufen sind? Nein? Dann lass mich dir noch einmal ein wenig auf die Sprünge helfen, okay Deidre? Denn diesen Tag werde ich niemals vergessen können, denn dafür hat er sich einfach viel zu sehr in mein Gedächtnis eingebrannt.
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Kapitel 1 – Die erste Busfahrt
Es war ein kühler, wolkenverhangener Tag im September gewesen und ich befand mich im Schulbus, der mich zu meiner neuen Schule bringen würde. Dies war das allererstes Mal, dass ich eine öffentliche Schule besuchen durfte, nachdem ich meine Eltern endlich davon überzeugen konnte.
Sie hatten zuvor stur darauf beharrt mich weiterhin privat unterrichten zu lassen, aber ich hatte es satt. Ich hatte es einfach so satt immer allein zu sein, ich wollte unter Menschen. Ich wollte einfach wissen, wie das Leben dieser Jugendlichen war, die keine reichen Eltern hatten. Dies wollte ich herausfinden und sogar noch einen Schritt weiter gehen: ich wollte selber spüren, wie es ist so ein Leben zu haben.
Nun stand ich dort im Bus, umgeben von Jungs und Mädchen meines Alters. Sie alle standen dicht beieinander, sodass man kaum Platz zum Atmen hatte und mit jedem neuen Fahrgast der einstieg, wurde es sogar noch enger. Die stickige Luft war erfüllt von Wärme und den diversesten Gerüchen – überwiegend jedoch Schweiß, das stellte ich recht schnell fest -, welche mir zum Teil noch nicht einmal bekannt waren. Zusammengefasst ließ sich jedoch sagen, dass der Geruch im Bus alles andere als angenehm war. Unzählige Stimmen drangen an mein Ohr, so viele, dass ich einen Großteil der Worte nicht verstehen und stattdessen nur einzelne Wortfetzen erfassen konnte. Aber es störte mich nicht. Im Gegenteil. Dort zu sein, in diesem Bus mit all den Menschen und ihren Stimmen und Gerüchen, ließ mein Herz vor Aufregung etwas schneller schlagen. Denn sie alle waren völlig normale Teenager. Ihre Eltern waren weder reich, noch einflussreich; sie konnten an Wochenenden ausgelassen feiern gehen oder mit ihren Freunden Zeit verbringen, ohne ständig unter Kontrolle der eigenen Eltern zu stehen.
Sie konnten so vieles machen. Sie konnten machen, was sie wollten. Sie konnten frei sein. Alles Dinge, die mir bislang immer verwehrt geblieben waren und erstmals wurde mir bewusst, wie neidisch ich auf solch ein normales Leben war.
Doch bevor meine Gedanken weiter abschweifen konnten, hielt der Bus und alle drängten sich zur Tür hinaus ins Freie. Ich wartete eine Weile ab, bis der größte Andrang vorbei war und wollte dann selber aussteigen, aber jemand hinderte mich daran.
Ich stand an der Türschwelle und wollte den ersten Schritt nach draußen tun, als sich plötzlich eine Hand auf meine Schulter legte und diese mit einem festen, bestimmten Griff festhielt. Verdutzt wandte ich den Kopf zur Seite und sah ein Mädchen. Ein Mädchen mit langen, bordeaux-roten Haaren und blasser Haut. Sie schubste mich aus dem Weg, ohne mir überhaupt direkt ins Gesicht zu schauen und verließ den Bus. Ungläubig folgte mein Blick ihr und ich war aus irgendeinem Grund fasziniert und erschüttert zugleich von dieser Begegnung. Ich war so gebannt, dass ich nicht einmal mehr bemerkte, was um mich herum passierte und ehe ich mich versah, spürte ich einen dumpfen Schmerz und die Welt wurde für einen Augenblick lang schwarz, als ich, durch den Schubs von eben jenem Mädchen, aus dem Bus auf den Gehweg stürzte.

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Erinnerst du dich nun wieder? Vermutlich nicht, immerhin war es für dich ein ganz
normaler Tag gewesen, wie jeder andere bisher auch. Was war schon dabei, wenn man jemanden schubste? Diese Person ist doch selbst daran schuld, wenn sie im Weg steht und andere behindert, nicht wahr? Jedenfalls war dies unser erstes Aufeinandertreffen und dein Anblick ließ mich von da an nicht mehr los, ohne dass ich überhaupt wusste, wieso dies so war. Doch eines wusste ich; ich wollte dich kennenlernen und herausfinden, wer dieses rothaarige Mädchen mit den kühlen, azurblauen Augen war. Aber vor allem wollte ich deine Freundin werden. Ein Vorhaben, dass sich als weitaus schwieriger herausstellen sollte, wie ich zunächst angenommen hatte und es dauerte lange, bis wir uns endlich näherkamen, was zum Teil an deiner recht eigensinnigen Art lag. Zum Glück besitze ich aber, so wie du, ebenfalls einen sturen, dickköpfigen Charakter; mit anderen Worten: so schnell wurdest du mich von da an nicht mehr los.
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Kapitel 2 – Das geheuchelte Lächeln

Seitdem ich an die Schule gekommen war, war mittlerweile ein ganzer Monat vergangen. Es war wieder einmal Montag – genau der gleiche Wochentag, an dem ich vor ungefähr vier Wochen das rothaarige Mädchen zum ersten Mal getroffen hatte. Von diesem Treffen hatte ich einen großen, hässlichen blauen Fleck als Andenken behalten, welcher sich nicht einmal abdecken ließ und mein Gesicht völlig entstellt hätte, wenn es denn etwas gegeben hätte, was sich daran verunstalten ließe. Die Schmerzen waren schon längst verschwunden und ich vergeudete auch keine weiteren Gedanken an diesen Vorfall; dachte ich zumindest.
Gerade war die letzte Unterrichtsstunde beendet worden - es war Sport gewesen - und während die anderen Mädchen bereits kichernd in der Umkleide verschwanden, sich umzogen und vermutlich noch Pläne für den heutigen Nachmittag schmiedeten, ging ich auf die Toilette und verschloss die Tür hinter mir.
Ich war ein unauffälliges Mädchen, dass nicht aus der Menge herausstach; eine Tatsache, die ich jedes Mal erneut feststellte, wenn ich mich selber im Spiegel betrachtete. Die grau-grünen Augen, aus denen mich mein Spiegelbild direkt ansah, schienen mir regelrecht zu sagen, dass ich nichts Besonderes war. Das ich nichts weiter war, als eines von vielen, normalen Mädchen. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich wollte doch normal sein. So sein, wie jedes andere Mädchen auch oder etwa nicht? Wieso aber schnürte sich meine Kehle dann zusammen, während ich den dunklen Fleck auf meiner Stirn weiterhin mit aufgerissenen Augen anstarrte? Wieso fing ich an zu zittern, als mein rechter Zeigefinger – eine fremde Kraft schien meine Hand dabei zu steuern – unter meinen Augen entlangfuhr und dabei den Concealer verwischte, der meine Augenringe verdeckte? Wieso kämpfte ich plötzlich mit den Tränen und legte meine verkrampften Finger, der anderen Hand, um den Rand des Waschbeckens vor mir, um mich zu stützen, weil plötzlich jegliche Kraft aus meinem Körper entwichen zu sein schien. Was war bloß los auf einmal? Was war der Grund dafür?! Es ist dieser starre, durchdringende Blick dieses Mädchens im Spiegel, dachte ich, der mich ankotzt. Der Anblick dieses Mädchens machte mich krank und angewidert wandte ich den Blick von ihr – mir – ab.
Ich fing an tief ein und aus zu atmen, um meinen Puls zu beruhigen, der in den vergangenen Minuten in die Höhe geschossen war und schloss die Augen. Leise begann ich mit brüchiger Stimme zu flüstern: „Eins; du bist nicht, wie die Anderen. Zwei; du bist nicht normal. Drei; du darfst es nicht sein. Vier; gib nicht auf. Fünf; du musst Vater und Mutter stolz machen. Sechs; du musst ihren Anforderungen gerecht werden, um dir ihre Liebe zu verdienen. Sieben; ohne sie bist du ein Nichts. Acht; also reiß dich nun endlich zusammen. Neun; schau nach vorne. Zehn; und mach einfach mit einem Lächeln auf den Lippen weiter, wie du es bisher immer gemacht hast.“
Danach verstummte ich und öffnete meine Augen wieder, um erneut in den Spiegel zu schauen. Die Augen im Gesicht des Mädchens waren vom weinen noch rot und glänzten vor Nässe, aber es flossen keine weiteren Tränen mehr. Doch da war noch eine andere Veränderung, eine viel Markantere und zugleich Erschreckendere. Es war ihr Mund, der zu einer grässlichen Grimasse verzogen war, beim Versuch ein Lächeln zustande zu bringen. Es wirkte falsch und vollkommen inszeniert; eine Maske, um ihre wahren Gefühle zu verstecken und vor den Anderen geheim zu halten. Mit anderen Worten: es war eine Lüge.
Doch ich war nicht in der Lage diese Lüge zu erkennen; auf mich wirkte es wie ein ganz normales, aufrichtiges Lächeln und ich schob sofort jeglichen Gedanken beiseite, der mir etwas anderes, als das, einreden wollte. Ich fühlte mich besser als vorher und ging dann mit langsamen Schritten zurück zur Tür, wobei meine Schritte in dem leeren, gefliesten Raum laut hallten. Auch das Klicken – welches ertönte, als ich die Badtür entriegelte – klang in meinen Ohren weitaus intensiver, als sonst.
Ich beachtete es jedoch nicht weiter und verließ das Mädchenklo, um mich in die, mittlerweile verlassene, Umkleide aufzumachen.

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Warum bist du noch einmal zurückgekommen?
War es vielleicht sogar Schicksal gewesen, dass du genau an diesem Tag, zu diesem Zeitpunkt, noch einmal umgekehrt bist und mein wahres ICH mit eigenen Augen zu Gesicht bekommen hast?
Ich weis es nicht und werde es auch niemals erfahren; vielleicht ist es auch wirklich besser so. Es gibt jedoch eines, dass ich weiß und zwar, dass diese - unsere zweite, unsere richtige - Begegnung noch einmal alles auf den Kopf stellte.
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Kapitel 3 – Die Umkleide

Mein Körper war nach der schnellen Dusche noch immer mit einer Gänsehaut überzogen und zitterte ein wenig. Als ich hereingekommen war, waren die anderen Mädchen schon alle weg gewesen – so, wie ich es mir gedacht hatte – und ich hatte die gesamte Umkleide für mich. Deswegen konnte ich mir auch Zeit beim Umziehen lassen, ohne Angst vor der Reaktion anderer beim Anblick meines Körpers, zu haben.
Ich trug nur noch Unterwäsche und hatte weder meine lange Jeans, noch meinen dicken Wollpullover an, welche meinen Körper sonst den gesamten Tag über verhüllten. Zu Beginn hatten mir meine weiten, langärmligen Oberteile viele fragende Blicke eingehandelt, denn ich trug sie auch an Tagen, wenn es warm genug war, um Shirts anziehen zu können. Wenn ich darauf direkt angesprochen wurde, mied ich es näher darauf einzugehen und schüttelte lediglich lächelnd den Kopf, während mein Mund wie von selbst anfing zu sagen: „Ich bin nun mal eine kleine Frostbeule, was soll man da machen?“ Damit war das Thema dann immer erledigt gewesen.
Der Grund, warum ich meinen Körper vor allen zu verstecken versuchte, war jedoch ein ganz anderer und niemand sonst, außer mir, kannte ihn. Ich hasste meinen Körper und während meine Finger von meinem Brustkorb bis hinab zu meiner Hüfte strichen, überkam mich erneut Übelkeit. Die weiche, labbrige Haut, unter der sich das Fett nur so spannte. Ich hatte das Gefühl noch dicker zu sein als sonst und zog scharf die Luft ein, um nicht erneut mit heulen anzufangen. Es gab nur eine Lösung für dieses Problem und zwar, dass ich von nun an weniger Essen durfte.
„Scheint, als wäre die Scheibe Toast heute früh zu viel gewesen. Ich werde heute nichts mehr essen, sonst bekomme ich mein Gewicht niemals in den Griff!“, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und bohrte meine Fingernägel dann langsam in mein dickes Fleisch – ich dachte es würde mich die Schmerzen nicht spüren lassen, doch das Gegenteil war der Fall. Ich zuckte plötzlich zusammen und sah an mir hinunter zu den Stellen, wo ich die Nägel in meiner Haut vergraben hatte. Überrascht blinzelnd zog ich meine Hände zurück, wobei ich feststellte, dass meine Aktion von eben rote, blutunterlaufene Flecken hinterlassen hatte.
Im Moment hatte ich jedoch andere Probleme und zwar musste ich abnehmen, verdammt nochmal! Wie sollen meine Eltern sonst stolz auf mich – ein fettes, unbeholfenes Schwein – sein, ging es mir durch den Kopf.
Hastig griff ich anschließend nach meiner Hose und zog sie innerhalb weniger Sekunden an, da ich den Anblick dieser schwabbeligen Oberschenkel nicht mehr aushielt. Danach tastete ich sofort nach meinem Pullover, der neben mir auf meiner Schultasche lag und machte mich daran diesen über meinen Kopf zu ziehen.

„Was zum-… Was ist denn mit dir passiert?!“
Der Klang dieser Stimme ließ mich beinahe sofort erstarren und langsam drehte ich mich in die Richtung um, aus der sie zu kommen schien. Bislang hatte ich nur meinen Kopf durch die Öffnung des Pullovers gezwängt, der Rest, also mein Oberkörper und der Bauch, waren noch völlig entblößt. Ich erkannte die Person sofort, die im Türrahmen stand und sich offensichtlich nicht sicher war, was sie nun tun sollte. Anhand ihrer Haare wusste ich sofort wer es war, denn sie waren tiefrot und an meiner Schule gab es nur ein einziges Mädchen, mit solch einer Haarfarbe. Sofort schoss mir ein Gedanke durch den Kopf: Wie war ihr Name doch gleich? Ich bin mir sicher, ihn schon einmal gehört zu haben, aber ich kann mich einfach nicht mehr erinnern.
Schweigen erfüllte den Raum, während das Licht der Nachmittagssonne durch eines der Fenster – die sich relativ weit oben an den Wänden befanden, damit niemand in die Umkleiden schauen konnte – fiel und die Staubpartikel leuchten ließ, während sie durch die Luft schwebten.
Ich wagte nicht einmal zu atmen und hatte Mühe ihrem Blick standzuhalten. Dann kam sie mit unerträglich langsamen Schritten näher auf mich zu und streckte eine Hand vorsichtig in meine Richtung. Zwischen uns waren schätzungsweise noch 3 Meter übrig, doch sogar auf diese Entfernung hin konnte ich erkennen, dass ihr ausgestreckter Arm ein wenig zitterte.
Wieso, schoss es mir durch den Kopf, wieso zittert sie? Während ich mir darüber noch weiter den Kopf zerbrach und die Lippen fest aufeinanderpresste, um einen verzweifelten Aufschrei zu verhindern, erhob sie erneut die Stimme.
„Dein Körper, wieso?“, brachte sie lediglich zustande und musterte meinen entblößten Oberkörper. Ich glaubte regelrecht den Ekel in ihren Augen zu erkennen, während sie weiterhin meine Unmengen an Fett betrachtete. „Schau nicht hin!“, schrie ich sie nun an, da ich mich nicht länger zurückhalten konnte und wich vor ihr zurück. „Schau mich nicht an!“, wiederholte ich noch einmal und drückte die Fäuste gegen die Augen, als wieder die Tränen kamen. Ich rechnete damit, dass dieses Mädchen vor mir nun jede Sekunde anfangen würde zu lachen oder mich zu verspotten, doch stattdessen geschah etwas anderes; erneut legte sich wieder ihre Hand auf meine linke Schulter.
„Wie könnte ich bei so etwas wegschauen?“, fragte sie mich ernst; etwas, womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte. „Bist du krank oder wieso bist du so abgemagert?“, fragte sie weiter und versuchte mit der anderen Hand meine Fäuste beiseite zu schieben, damit ich gezwungen war sie anzuschauen. „A-abgemagert? Wovon sprichst du?“, stammelte ich verwirrt und begegnete ihrem entsetzten Blick ungläubig. „Kannst du nicht sehen, wie fett ich bin?“, fragte ich leise flüsternd und bekam als Antwort darauf von dir einen festen Schlag gegen die Wange.

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Ich war magersüchtig gewesen und außer dir wusste niemand zu diesem Zeitpunkt davon. Ich erkannte diese grausame Wahrheit nicht, weil ich es nicht konnte. Ich sah nicht, wie meine Haut sich über den Knochen bereits spannte und wie deutlich meine Rippen zu erkennen waren. Du hast mich wachgerüttelt und von diesem Tag an – ich weis nicht wieso es so war, aber ich spürte es mit einmal ganz deutlich –, war da eine Bindung zwischen uns. Eine starke Bindung zwischen zwei Menschen, begründet auf all den Leiden, die sie bereits durchgemacht hatten und aushalten müssten.
Deine Ohrfeige hat mich zur Besinnung gebracht und deine anschließende Umarmung hat mich etwas fühlen lassen, etwas was ich in all den Jahren zuvor sehnlichst vermisst habe, aber am Meisten gebraucht hätte: Geborgenheit.
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Kapitel 4 – Die Frage
„W-willst du mit mir zusammen sein?“
Verdutzt drehte ich den Kopf zur Seite und sah dich an, doch du wichst meinem Blick konsequent aus. „Wie bitte?“, erwiderte ich nur und wollte nicht glauben, was ich eben gehört hatte.
„Du hast mich schon verstanden!“, murrte Deidre beleidigt, verschränkte die Arme und drehte sich von mir weg in Richtung Fenster, um nach draußen zu schauen. Wir saßen im Bus, es war 14:37 Uhr und wir befanden uns auf dem Nachhauseweg, so wie jeden Tag. An das Geschehen in der Umkleide dachten wir beide nicht mehr zurück, da seitdem fast ein halben Jahr vergangen war und in dieser Zeit waren wir – wider Erwarten – gute Freunde geworden; und wie sich nun herausstellte vielleicht sogar mehr als das.
„Meinst du das ernst oder ist das wieder einer deiner doofen Scherze?“, hakte ich vorsichtig nach und rutschte etwas näher zu ihr hinüber. Da sie am Fenster saß, gab es für sie kein Entkommen und das wusste sie auch. Außerdem dauerte es noch ungefähr eine Viertelstunde, bis wir unsere Haltestelle erreichen würden und aussteigen konnten. „Über sowas macht man keine Späße, nicht einmal ich. Also, was sagst du nun? Ich weis es kommt etwas plötzlich und das hört sich für dich sicherlich völlig absurd an, weil wir beide Mädchen sind, aber ich meine es so, wie ich es gesagt habe.“ Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus und sie wirkte völlig hilflos, so als ob sie jemandem zum ersten Mal ihre Gefühle gestehen würde. Sonst sagte sie nämlich nie so viel und machte nach außen hin einen ruhigen, aber auch kühlen Eindruck. Ein aufrichtig amüsiertes Lächeln huschte über mein Gesicht und dann fing ich an zu lachen; wir waren die letzten Passagiere im Bus.
„Was gibt’s da zu lachen? Ich wusste doch, dass es eine total dämliche Idee war dich zu fragen und mich jetzt auch noch auszulachen, ist wirklich scheiße von dir!“, fuhr sie mich verletzt an und ihre wütenden Augen sahen nun doch zu mir herüber. Ich hatte Mühe mich zu beruhigen und begegnete ihrem Blick, immer noch lächelnd – diesmal jedoch war es ein verlegenes Lächeln. „Ja, ich will.“, antwortete ich mit einem leichten Nicken und im ersten Moment schien sie nicht zu verstehen, was ich damit sagen wollte. Doch mit einmal wurde es ihr klar, denn auf ihre Wangen legte sich ein rosa-rotfarbener Schimmer. „Nichts lieber als das.“, fuhr ich fort, als sie noch immer kein Wort herausbrachte und griff vorsichtig nach ihrer Hand. Nach kurzem Suchen fand ich sie und verschlang ihre Finger mit den meinen. „Ich bewundere dich wirklich sehr Deidre, weist du das überhaupt? Allein dein Geständnis schon, denn nicht jeder hätte den Mut dazu gehabt.“, meine Stimme war ruhig und ich hatte das Gefühl, als wäre in diesem Augenblick einfach alles perfekt. Die sonst so lauten Geräusche des Busses waren nur noch gedämpft im Hintergrund zu hören, aber ich nahm sie nicht einmal wirklich wahr, da meine ganze Aufmerksamkeit auf Deidre lag. Ich rückte noch näher an sie heran, bis nicht einmal mehr ein Blatt Papier zwischen uns passte und lehnte mich zu ihr hinüber. „Ich weis wirklich nicht, ob ich so jemanden wie dich verdient habe, aber ich weiß, dass ich dich brauche und deshalb will ich von jetzt an immer an deiner Seite bleiben. Du hast mich bereits schon einmal vor mir selbst gerettet und dies ist mein Dank dafür.“ Noch bevor sie darauf antworten konnte, legten sich meine Lippen schüchtern auf ihre. Es war ein kurzer, unschuldiger Kuss; eigentlich nichts Besonderes, aber für uns war es das Allergrößte überhaupt.

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So kreuzten sich unsere Wege an jenem Tag und verschmolzen zu einem gemeinsamen. Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich, dass nichts und niemand etwas daran ändern könnte; dass nichts und niemand unsere Beziehung – unsere Liebe – zerstören könnte. Ich sollte noch herausfinden, wie falsch ich damit lag.
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Kapitel 5 – Die Bewährungsprobe

Ich war die letzten beiden Tage nicht in der Schule gewesen und lag zuhause in meinem Bett. Die Zimmertür war verschlossen und die Jalousien heruntergelassen, weshalb der ganze Raum in Dunkelheit getaucht war, obwohl es erst Nachmittag war. Mein Handy lag auf dem Nachttisch neben mir; den Ton hatte ich ausgestellt, doch es vibrierte andauernd, wenn eine neue Nachricht reinkam. Schon seit gestern hatte ich es nicht mehr angerührt und ignorierte die Nachrichten, da ich auch ohne nachzusehen wusste, dass sie alle von Deidre waren. Würde ich meinen Arm ausstrecken, könnte ich mühelos nach dem Gerät greifen und sie anrufen oder zumindest kurz antworten, damit sie sich keine Sorgen mehr machen musste. Doch ich tat es nicht.
Stattdessen wandte ich den Blick ab und starrte mit leeren Augen die Decke meines Zimmers an. Der Grund warum ich nicht zur Schule ging und Deidre ignorierte, war ganz einfach: ich hatte meinen Eltern von unserer Beziehung erzählt; den größten Fehler, den ich hätte tun können und trotzdem hatte ich es getan. Sie waren alles andere als begeistert gewesen und meine Mutter hatte mir sofort eine heftige Ohrfeige verpasst – sie hatte aber den gegenteiligen Effekt von Deidres Schlag von vor ein paar Monaten – und ich verstand zunächst nicht einmal wieso sie das tat.
Es hätte mir von Anfang an klar sein müssen, dass meine Eltern Deidre ablehnen würden und sie verboten mir jeglichen Kontakt mit ihr. „So etwas ist doch nicht normal, das ist krank! Zwei Mädchen können sich nicht lieben! Schlag dir dieses Mädchen schleunigst aus dem Kopf und sollten wir merken, dass du sie weiterhin triffst, wird das Konsequenzen für dich haben!“, schrien sie mich beide an und mein Kopf fing an zu schmerzen. Ohne etwas darauf zu erwidern, rannte ich die Treppe hinauf in mein Zimmer, schlug die Tür mit einem lauten Krachen hinter mir zu und verriegelte sie anschließend noch. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und es fühlte sich an als würde es jede Sekunde in tausend Teile zerspringen.
„Was habe ich falsch gemacht? Wieso darf ich mich nicht verlieben, wie jeder andere auch?“, schluchzte ich und sank zu Boden, bis ich kniend mit dem Rücken an der Tür lehnte. Von der anderen Seite hörte ich schnelle Schritte näherkommen und wenig später spürte ich die aufgebrachten Schläge meines Vaters, der mit der Faust gegen die Tür hämmerte. „Komm sofort da raus!“, befahl er mir und ich glaubte schon, dass in wenigen Momenten die Tür nachgeben und er reingestürmt kommen würde; aber zum Glück hielt sie stand.
Ich machte nicht auf; ich machte auch sonst nichts, sondern blieb einfach geschlagen auf dem Boden und starrte ins nichts, wobei sich meine Fingernägel in die Handflächen gruben.
Dies war das erste Mal, dass ich mich meinen Eltern widersetzte und seit dieser Auseinandersetzung hatte ich mein Zimmer nicht mehr verlassen gehabt.

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Kapitel 6 – Entscheide dich, Eika

„Du hast es deinen Eltern also erzählt, wie ich sehe.“ Mit einem Nicken bestätigte ich Deidres Aussage und kurz darauf hörte ich sie leise seufzen. Wir saßen im Bus und die übernächste Haltestelle war bereits unsere; es blieb also nicht viel Zeit. „Hör mir zu Eika, okay?“, fragte Deidre leise und wollte meine Hand nehmen, doch ich zog sie ruckartig zurück, da wir diesmal nicht allein im Bus waren. Deidre ließ sich ihren Ärger über meine abweisende Reaktion nicht anmerken und sprach mit leiser Stimme weiter: „Wieso liegt dir an der Meinung deiner Eltern so viel? Erwachsene können auch falsch liegen und deine Eltern sind doch nicht ganz dicht, wenn sie sagen, dass unsere Beziehung krank sei!“ Ich erkannte deutlich den Zorn in ihrer Stimme und nickte wieder.
„Wie lange willst du das jetzt noch weiterhin mitmachen? Wäre ich du, hätte ich es schon längst satt mich so herumkommandieren zu lassen.“, fuhr sie ungerührt fort und sah starr nach vorn. Sie erzählte über ihre Familie nicht viel, aber ich wusste, dass ihre Mutter verstorben und ihr Vater infolgedessen in den Alkoholkonsum abgerutscht war. Trotzdem war Deidre so selbstsicher und stark – dies war zumindest der Eindruck, den ich von ihr hatte, doch ich wusste nicht, wie falsch ich mit dieser Einschätzung doch lag.
„Willst du nicht langsam mal etwas dagegen machen? Sag ihnen, dass du selbst entscheiden kannst, wer du bist und mit wem du deine Zukunft verbringen willst. Es ist dein Leben, lass es dir nicht von ihnen ruinieren.“ Wieder nickte ich bloß und mit einmal schlug Deidre mit der Faust gegen die Fensterscheibe des Busses, wodurch ein alter Mann, der bis eben noch in seine Zeitung vertieft war, aufblickte und zu uns hinübersah.
„Sag doch endlich mal etwas dazu, verdammt nochmal! Es macht mich wütend, dass du dich so einfach unterdrücken lässt. Klar, sie sind deine Eltern, aber das gibt ihnen noch lange nicht das Recht sich in jede Kleinigkeit einzumischen!“, jetzt war sie wirklich sauer und ehe ich mich versah, war sie schon aufgestanden und hatte den Stopp-Schalter zum Anhalten des Busses betätigt.
„Was machst du da, wir müssen doch hier noch nicht raus!“, erinnerte ich sie sofort und wollte ebenfalls aufstehen, doch ihr eiskalter, stechender Blick sorgte dafür, dass ich wie versteinert auf meinem Platz sitzen blieb. „Deidre ic-“, „Spar’s dir einfach!“, unterbrach sie mich barsch und kniff die Augen noch weiter zusammen. „Du sagtest doch, dass du mich brauchst und für immer an meiner Seite sein willst!“ Sie wiederholte meine Worte, die ich an jenem Tag – am Tag, wo sie mir ihre Liebe gestand – zu ihr gesagt gehabt hatte. „Oder war das nur eine Lüge gewesen?“, fragte sie leise und dies war das erste Mal, dass ich Deidre weinen sah. Ich wollte sie aufhalten und ihr sagen, dass ich damals die Wahrheit gesagt hatte, doch der Bus hielt bereits und sobald die Türen sich geöffnet hatten, stürmte sie nach draußen und verschwand aus meinen Augen. Mich ließ sie allein im Bus zurück und als sie ging, nahm sie die letzten Überbleibsel meines Herzens mit sich, weshalb von mir nichts weiter als eine irdische, leere Hülle zurückblieb.

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Es war Zeit mich nun für eine Seite zu entscheiden, aber ich wusste nicht für welche. Wer wollte ich sein? Das brave Mädchen, dass meine Eltern sich gewünscht hatten? Sollte ich weiterhin unter ihrer Kontrolle leben oder sollte ich mich von ihnen losreißen? Würde ich mich von ihnen abwenden und mit Deidre gehen, könnte ich frei sein und das wollte ich unbedingt.
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Kapitel 7 – Die letzte Busfahrt

Ich saß auf der überdachten Bank, die es an unserer Bushaltestelle vor der Schule gab und blickte nachdenklich ins Leere; meine Augen waren auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne fixiert. Am Himmel türmten sich schmutzgraue Wolken und ein leiser Nieselregen setzte nach wenigen Minuten ein. Ohne die Strahlen der Sonne und den feinen Regen, wurde es recht kühl und ein Kälteschauer ließ meinen Körper erzittern. Deidre, die neben mir saß und deren Schulter an meiner ruhte, spürte dies und linste mich von der Seite her an. Eine angenehme Stille hatte sich zwischen uns ausgebreitet, doch in nur wenigen Augenblicken würde sich dies ändern. Ich spürte den Kloß in meinem Hals größer werden und meine Hände wurden nass vor lauter Angstschweiß.
„Deidre, wir müssen reden.“, brachte ich mit trockener, erstickter Stimme hervor und erwiderte ihren Blick, wobei ich deutlich erkannte, wie ein Ausdruck der Sorge in ihre Augen trat. Sofort spürte ich, wie sich ihre Hand auf meine legte und diese fest, aber dennoch sanft, drückte. Ich war ihr so unendlich dankbar für diese kleine Geste, denn sie gab mir die Kraft, die ich brauchte, um endlich weiterzusprechen.
„Du bist mir wirklich unendlich wichtig und ich bin so froh, dass wir uns getroffen haben und du mir in den vergangenen Monaten zur Seite gestanden hast.“, fing ich an zu erzählen und machte eine kurze Pause, um ein gestelltes Auflachen von mir zu geben. Deidre jedoch blieb stumm, aber ihre Mimik brachte mehr zum Ausdruck, als es Worte je hätten können. Misstrauen legte sich in ihre Augen und fragend runzelte sie die Stirn, während sie in Gedanken meine Sätze noch einmal durchzugehen schien. „Machst du gerade allen Ernstes mit mir Schluss?“, murmelte sie dann und ich spürte die aufsteigende Kälte in meinem Körper, als sie mir ihre warme Hand entzog. Mit einem kaum merklichen Nicken bestätigte ich ihre Frage.
„Wieso!? Ich dachte du hättest mit deinen Eltern geredet; warte. Du hast zugelassen, dass sie dir ihre Meinung aufdrücken? Du willst doch mit mir zusammen sein, warum stehst du dann nicht zu mir und vor allem zu dir selbst?“, verlangte sie zu wissen und erhob sich mit einem Mal ruckartig. Ihr war anzusehen, wie aufgewühlt sie war und es zerbrach mir das Herz sie so zu sehen. „Du liegst falsch, ich habe-“, wollte ich ansetzen, wurde aber sofort von ihr unterbrochen. „Lüg mich nicht an, Eika! Hältst du mich für so dämlich, ich kenne dich doch!“ Ihre Hände waren zu Fäusten geballt und ihre Augen glänzten vor Nässe. Die Stimmung hatte sich mit einmal so schlagartig verändert, dass jegliche Kälte verschwunden war. Die Luft zwischen uns schien vor Anspannung förmlich zu knistern und das Adrenalin ließ mein Herz vor Nervosität wild schlagen. Dann sprach Deidre weiter; doch ihre Stimme hatte ihre gewohnte Schärfe verloren und wirkte mit einmal matt und gebrochen. Dieses Mädchen vor mir schien plötzlich eine ganz andere Person zu sein und ich war schuld daran. „Zumindest habe ich geglaubt dich zu kennen, aber da lag ich wohl falsch. Ich muss blind gewesen sein, als ich mich in dich verliebt habe.“, murmelte sie und ich wusste nicht, was ich darauf erwidern konnte. Verzweifelt suchte ich nach Worten, um sie zu trösten und diese unglückliche Situation zu entschärfen, doch kein Ton verließ meine Lippen. Stattdessen saß ich nur noch immer auf der Bank und kämpfte selber mit den Tränen, obwohl ich momentan die Letzte war, die Grund dazu hatte, immerhin war all dies mein Verschulden.
Der Bus fuhr heran und das laute Geräusch der Hupe, unterbrach diesen furchtbaren, schier ewig andauernden Moment, wofür ich unendlich dankbar war. Ich stand auf, schulterte meine Schultasche und wollte nach Deidres Hand greifen. „Komm, wir reden im Bus, okay?“, fragte ich sie zaghaft, doch sie schlug meine Hand beiseite. „Das kann doch nicht dein Ernst sein. Ich wüsste nicht, worüber wir noch reden sollten. Du hast doch schon alles gesagt, was es zu sagen gab oder etwa nicht? Ich dachte du wärst schon fertig damit gewesen mein Herz zu brechen.“, zischte sie mich voller Abscheu an und wand sich von mir ab. Dann ging sie, anstatt in den Bus zu steigen, durch den Regen davon, wobei sie nicht wahrzunehmen schien, dass der Regen ihre Sachen komplett durchnässte.
Ich musste mich entscheiden, was ich jetzt tun sollte: sollte ich ihr folgen oder in den Bus steigen, um die Sache damit hier und jetzt ein für alle Mal zu beenden?
Niemand wird meine Entscheidung verstehen können, ich selbst tat es anfangs auch nicht, als ich in den Bus einstieg und dieser durch den immer stärker werdenden Regen davonfuhr. Ich glaube ich tat es einfach, um Deidre nicht noch mehr zu verletzen.
Meine Entscheidung war gefallen und sie war unwiderruflich, so sehr es auch schmerzte; aber ich konnte meine Eltern nicht enttäuschen. Das ging einfach nicht. So sehr ich Deidre auch liebte und mit ihr meine Zukunft verbringen wollte, so wusste ich, dass es unmöglich sein würde. Harte Kämpfe zahlen sich am Ende meistens aus, aber Aufzugeben war nun einmal leichter und ich hatte mich in diesem Fall nun einmal für den einfacheren Weg entschieden und dadurch den wichtigsten Menschen in meinem Leben verletzt.
Ich glaube ich weiß nun, wer ich wirklich bin: ein herzloses, feiges Monster, das nur an sich selbst denkt. Deidre scheint sich wirklich in mir geirrt zu haben, in ihren Augen war ich ein ganz anderer Mensch; jemand der ich nur vorgab zu sein. Wenigstens hatte sie die Wahrheit über mich nun erfahren, aber war es denn auch wirklich die Wahrheit oder nur eine von vielen Lügen in meinem Leben?

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Und das war das Ende unserer Geschichte gewesen, unsere Wege hatten sich schlussendlich doch getrennt, aber ob das wirklich endgültig war, würde sich noch zeigen
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Hallo @deidre_writes

Herzlich willkommen bei uns.

freue mich wirklich auf eure Kritik, egal wie hart sie ist
Das ist gut, leider hab ich einiges an Kritik dabei.

dass die Geschichte nicht mehr als 10 Word-Dokument Seiten umfassen darf.
Dafür kommt mir die Geschichte ganz schön lang vor. Normalerweise spricht man bei Ausschreibungen von Normseiten, denn je nach Schriftgröße und Schriftart, kann unterschiedlich viel auf eine Seite passen.
Ich habe deinen Text in meine Normseitenvorlage kopiert und komme dort auf fast 21 Seiten. So viel dazu. Die Länge spielt bei uns ja zum Glück nicht so eine große Rolle.
Allerdings ist ein langer Einstiegstext als Erstlingswerk schon schwierig. Wir kennen dich nicht, wissen nicht, was uns erwartet, wenn wir uns mit deinem Text beschäftigen. Ein langer Text schreckt da eher ab.
Ich muss zugeben, dass ich ihn nicht zu Ende gelesen habe. Ich erkläre dir warum:

Weißt du noch damals, als wir uns das erste Mal über den Weg gelaufen sind?
Diese ganzen Abschnitte in denen die Protagonistin den Leser bzw. Deidre anspricht können weg. Sie schaffen keinen Mehrwert. Es wirkt als würdest du deinem eigenem Text nicht trauen.
Dieses Problem zieht sich durch den ganzen Text. Du erklärst zu viel.
Dies war das allererstes Mal, dass ich eine öffentliche Schule besuchen durfte, nachdem ich meine Eltern endlich davon überzeugen konnte.
Erkläre uns das nicht. Zeige uns das. Lass den Leser selbst darauf kommen, dass diese Situation besonders ist.

Sie hatten zuvor stur darauf beharrt mich weiterhin privat unterrichten zu lassen, aber ich hatte es satt. Ich hatte es einfach so satt immer allein zu sein, ich wollte unter Menschen. Ich wollte einfach wissen, wie das Leben dieser Jugendlichen war, die keine reichen Eltern hatten. Dies wollte ich herausfinden und sogar noch einen Schritt weiter gehen: ich wollte selber spüren, wie es ist so ein Leben zu haben.
Reinster Infodump. Das nimmt mich nicht mit. Grade in einer Kurzgeschichte zählt jedes Wort, alles überflüssige muss weg.

Die Einstiegsszene im Bus ist ziemlich langweilig. Ein übervoller, miefender Bus ... joa, kenn ich. Kennt wahrscheinlich jeder. Du könntest fast alles weglassen und so einsteigen:
Ein Ellbogen stach mir in die Seite, das Mädchen links schmiss ihren Pferdeschwanz quer durch mein Gesicht, Atem und Schweiß der Teenager sammelten sich an den Scheiben des Busses und ich genoss jede Sekunde.
Kann man bestimmt auch noch schöner formulieren. Aber damit hast du die Szene auf das wesentliche reduziert. Man weiß wo man ist und man fragt sich was mit der Protagonistin los ist, dass sie so etwas genießt.

Und kaum ist man in der Szene wird man herausgerissen und ein Monat ist vergangen. Warum steigst du dann nicht erst einen Monat später ein? Die Szene des ersten Aufeinandertreffens war nun wirklich nicht so weltbewegend.

Dann kommt die Spiegelszene. Es passiert leider nichts. Ich lese nur von Gedanken eines Mädchens das ich nicht kenne. Deine Geschichte braucht eindeutig mehr Aktionen. Lass deine Protagonisten agieren mit der Umwelt, mit anderen Menschen, lass sie sich unterhalten und zeige es mir.

Ich breche hier ab, denn ich habe das Gefühl, dass du zwar einiges zu erzählen hast, aber nicht weißt, wie du diese Gedanken an den Leser bringst.
Mein Rat wäre: Schau dich hier im Forum um. Lies Geschichten und Kommentare – ganz besonders die Kommentare, da lernt man unglaublich viel! Dann schreibe selbst Kommentare. Und dann nach eine paar Wochen, lies deine Geschichte noch einmal. Ich bin mir sicher, dir wird selbst einiges auffallen, was du besser machen kannst.

Ich hoffe, ich habe dich damit nicht verschreckt und du kannst mit meinen Tipps etwas anfangen.


Liebe Grüße,
Nichtgeburtstagskind

 

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