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Asphalt
"Hast du es getan?"
Eine einfache Frage. Hatte er es getan? Natürlich. Er hatte es tun müssen. Die Frage musste also lauten: Wie hatte er es getan, wie hatte er sich gefühlt dabei?
"Ja."
Eine einfache Antwort. Und wie erwartet kam die nächste Frage.
"Wie hast du es getan?"
Diese Frage war auch einfach, die Antwort darauf konnte es nicht sein. Er würde weit ausholen müssen, um sie zu geben. Das sagte er ihr.
"Ich will es wissen", kam es zurück.
Also begann er. Er fühlte nichts dabei, keine Freude, keine Begeisterung, wie es in seinen Augen eigentlich von ihm erwartet wurde. Aber er bedauerte es auch nicht. Er hatte es eben getan - weil es sein musste, wie gesagt. Und deshalb empfand er auch nichts. Niemand empfand etwas bei den Dingen, zu denen es keine Alternativen gab außer sie eben zu tun. Das war schon immer seine Ansicht gewesen. Sie wollte es wissen? Er würde es ihr erklären.
"Zuerst war es ganz einfach", begann er. "Wirklich einfach. Ich musste es nicht einmal planen. Es war alles ganz spontan. Aber trotzdem problemlos. Ich ging geradewegs meinem Ziel entgegen und tat es. So einfach."
"So einfach?"
Er hatte gewusst, dass sie es ihm nicht abnehmen würde. Trotzdem hatte er es versucht. Weil es zu einem Spiel zu werden begann, das ihm langsam Spaß machte.
Er liebte Spiele. Sie hatten so etwas Klares. Es gab genau definierte Regeln, die man zu befolgen hatte. Kein Vertun. Und bei vielen Spielen stand in den Regeln, dass man es tun musste. Natürlich stand dort nicht "Tu es!" Aber es lief darauf hinaus. Im Spiel tat man das, an was man sonst nicht einmal denken durfte.
"Haben Sie schon einmal auf ein Stück Asphalt geblickt?" fragte er sie.
"Sicher."
"Das glaube ich nicht. Denn ich meine: Haben Sie schon einmal richtig geschaut? Das Grau in sich aufgenommen? Sind Sie in ihm versunken?"
"Ich gebe zu, dass ich so noch nicht darauf geguckt habe."
"Sehen Sie, habe ich es nicht gesagt? Ha! Aber worauf ich hinaus will... wenn man lange genug drauf blickt, dann verschwindet das Empfinden für den Ort. Sehen Sie es sich lange genug an, dann wissen Sie nicht mehr, wo Sie sich befinden. Natürlich, Sie wissen es noch, aber nur wenn Sie bewusst daran denken. Ohne das Denken daran sehen Sie nur noch den Asphalt. Sie leben in einer Welt, die aus dem kleinen 50 Quadratzentimeter großen Asphaltstück besteht. Und wissen Sie, was dann passiert?"
"Sag' es mir."
Darauf antwortete er nicht. Stattdessen meinte er:
"Dieses kleine Stück Asphalt findet man an Millionen Orten auf der Welt. An Milliarden Orten. Man findet es Millionen Mal auf einer Autobahn. Und wie viele Autobahnen und Straßen gibt es? Und denken Sie an die Parkplätze. Jedes Stück Asphalt ist eine Welt. Steht für sich alleine - wenn man das Drumherum ignoriert. Wenn man nur auf den Asphalt blickt."
"Soweit waren wir, glaube ich, schon mal."
"Ja. Sicher waren wir schon mal soweit. Verunsichert Sie das?"
"Sollte es das?"
Er blickte auf den Boden.
"Dieser Teppich hier ist ebenfalls grau. Und schwarz. So wie Asphalt. Wer sagt mir, dass es keiner ist?"
Und jetzt war es still. Weil er es so wollte.
"Ich komme bald wieder", sagte sie und verschwand.
Er war wieder allein, allein mit den Wänden, dem Boden, dem Schwarzgrau des Teppichs. Er würde es wohl noch einmal tun müssen.