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Arzt oder Patient?

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14.07.2003
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Arzt oder Patient?

Behutsam umschlang er mit seinen Händen die frisch gebrühte Tasse heißen Brennesseltee und schlürfte daran als würde er gerade das kostbarste Gut der Welt konsumieren. Anschließend stellte er die Tasse auf einem Buch ab, welches über die menschliche Anatomie Aufschluss gab, weshalb die ebenfalls dort platzierten "Übungskatheter" auf den sorgfältig gesäuberten Parkettboden hinunterpurzelten. Er war angehender Arzt im zweiten Semester seines Studiums.

Seit er begonnen hatte zu studieren, begann er, Menschen anders zu betrachten. In seinem besten Freund, dem rauchenden Literaturstudenten, sah er oftmals nur mehr das Lungenkarzinom, welches sich vielleicht schon in ihm bildete. Und wenn er abends an der leidenschaftlich schnapstrinkenden Hauswartin vorbeiging, war der einzige Gedanke der sich ihm ins Gehirn brannte, ihre vom Fusel zerfressene Leber. Über dies hinaus war er nicht einmal dazu in der Lage, Arbeiter von der Straßenmeisterei, die drei Blocks weiter eine Kreuzung in frischen Teer tunkten, davon zu überzeugen, aufgrund der gesundheitlichen Risken ihre Arbeit niederzulegen.

Er konnte diesen Hang zur medizinischen Analyse seiner Mitmenschen, der sich mittlerweile schon automatisch in ihm ausbreitete, nicht mehr stoppen. Ein Studienkollege hatte ihn darüber aufgeklärt, dass dies eine Art Berufskrankheit sei, die er nun mal zu akzeptieren habe. Er wolle ja immerhin Arzt werden und ein solcher muss mit seinem Beruf leben, auch in seiner Freizeit.

Mit einem einzigen entspannten Schluck trank er genüsslich seinen Tee aus und platzierte sich vor den Fernseher. Als er dann allerdings das Programm von RTL2 betrachtete, überkam ihn unmittelbar ein gewaltiger Brechreiz, der fast dazu führte, dass der eben eingenommene Tee aus ihm herausquoll. Es waren Frauen zu sehen, die ihre verschwitzten, sekundären Geschlechtsmerkmale auf einer Theke herumwälzten. Wenige Sekunden später wackelte ein schwerst alkoholisierter Mann daher und platzierte sein frisch erworbenes Kebap direkt auf diesen bunten Bakterienpool. Kurz danach schlang er die türkische Spezialität grinsend hinunter.

Angewidert verließ er das Fernsehzimmer und begab sich in sein Schlafgemach. Die Sauerstoffzirkulationspumpe, die verhinderte, dass sich zu viele Staubmilben im Raum ansammelten, schaltete er noch mit einer routinierten Handbewegung ein. Danach zog er den Reißverschluss von seinem Quarantänezelt zu, schloss seine Augen und freute sich auf seine Vorlesung morgen an der Uni.

 

Welch sonniger Tag Jingles (hoffe doch, dass es bei dir sonnig ist?!)...

Hab jetzt gerade deine Geschichte gelesen und war anfangs etwas verwirrt, da ich nicht ganz wusste, was du mit auszudrücken suchtest. Nach erneutem Durchlesen desselben hielt ich mir aber den Titel vor Augen, und da war er: der Sinn. Denke mal, dass du auf eine Art von Neurose anspielst, die eben den "werdenden" Arzt gleichzeitig zum "werdenden" Patient gedeihen lässt. Gefällt mir ganz gut.
An deiner Stelle hätte ich noch mehr neurotische Anzeichen eingeflochten, die die verkehrte Situation noch ein wenig mehr dramatisiert.
Aber eine Frage: Was für eine Sendung hat denn dieser Mann gesehen? Wurde soetwas tatsächlich mal ausgestrahlt?

Kleine Korrektur noch:
"Er wolle ja immerhin Arzt werden und "und" ein solcher muss mit seinem Beruf leben, auch in seiner Freizeit."
Ist ein "und" zu viel.

Mir hat das ganze wirklich gut gefallen.
Gruss, fröstelnder Olm.

 
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Danke für den Hinweis mit dem "und", habe ich schon geändert. Nein, diese Sendung wurde in der Form nie ausgestrahlt, das habe ich erfunden.

Es erfreut mich, dass du den eigentlichen Sinn dieser Geschichte genauso aufgefasst hast, wie es von mir beabsichtigt war.

 
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Ein angehender Arzt als Neurotiker, ich finde diese Idee sehr gut.
Obwohl, bei dem was du über diese RTL2 Sendung erzählst, würde auch mir der Kaffee hochkommen ;).
Ausgefallene Idee mit viel Ironie, klasse! LG Bumuku

 

Freut mich, dass dir diese Geschichte gefallen hat. Die Idee kam mir übrigens ganz spontan während dem Schreiben des Textes, anfangs hatte ich nur einen teetrinkenden Menschen vor meinem geistigen Auge.

 

Hallo Jingles,
habe nun deine Geschichte gelesen. Was mir auffiel war:

„…als würde er gerade das kostbarste Gut der Welt konsumieren.“
Ich verstehe zwar, was du ausdrücken möchtest, aber ich weiß nicht, ob der Zusammenhang mit Konsum wirklich passt. Tee konsumieren ???

„Er sah in seinem rauchenden, Literatur studierenden, besten Freund oftmals nur mehr das Lungenkazinom, welches sich vielleicht schon in ihm bildete.“
Diesen Satz würde ich anders formulieren. Der Leser braucht zu lange, um den Satz zu verstehen. Wie wäre es mit: Er sah in seinem besten Freund, der Literatur studierte …

„…der sich ihm ins Gehirn brannte, ihre vom Fusel zerfressene Leber.“
Diese Passage gefällt mir gar nicht. Viel zu Klischee behaftet.

Und nun zur Story an sich.
Die Idee ist wie immer spitze. Vor allem der letzte Abschnitt war sehr überzeugend. Schöner fände ich, wie Fröstelnder Olm bereits erwähnt hat, wenn du noch weitere Beispiele heranziehen könntest. Ich denke 2 würden auf jeden Fall reichen.
Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass er Gummihandschuhe trägt.

Viele Grüße
Herbert

 

Ich werde die Story auf jeden Fall noch bearbeiten, ein paar weitere Beispiele einbauen, auf jeden Fall will ich aber das mit den Handschuhen integrieren, die Idee gefällt auch mir irrsinnig gut.

@Tobias Berlin: Nein. Und wie findest du meine Geschichte? :)

 

Meine anfängliche Begeisterung für die Idee mit den Handschuhen muss ich widerrufen, habe festgestellt, dass vor allem der Überraschungseffekt flöten geht, wenn ich Handschuhe in die Story einbaue.

Was dien Satz mit dem Literatur studierenden Freund betrifft, so bin ich der Ansicht, dass es keine viel bessere Möglichkeit gibt, diese Flut an Informationen in einen Satz angenehmer auszudrücken. Für Vorschläge wäre ich allerdings dankbar.

Was die Beispiele bezüglich seinen analytischen Wahn betrifft, wäre ich für konkrete Beispiele dankbar. Wir hatten schon die Lunge und die Leber. Was könnte ich noch einbauen?

 

Hallo Jingles!

Ich hab Deine Geschichte auch ganz amüsant gefunden. :)
Das von Dir geschilderte Verhalten trifft glaub ich auf viele Berufsgruppen zu: Ich könnte eine ähnliche Geschichte mit absolut wahren Begebenheiten über einen Elektriker erzählen… Ich glaube, sowas gibts häufiger als man denkt. Und wahrscheinlich merken es die Betroffenen selbst gar nicht.

Die teils sehr verschachtelten oder jedenfalls sehr langen Sätze erschweren das Lesen ein bisschen. Vielleicht kannst Du in Zukunft versuchen, etwas einfacher zu formulieren, manches ruhig in zwei bis drei Sätzen erzählen, das liest sich leichter. ;)

Was die Beispiele bezüglich seinen analytischen Wahn betrifft, wäre ich für konkrete Beispiele dankbar. Wir hatten schon die Lunge und die Leber. Was könnte ich noch einbauen?
Er könnte zum Beispiel auf der Straße (im Bus, einem Geschäft) eine blasse Frau anreden und ihr Ernährungsratschläge geben (viel Eisen, Vitamine). Das Kind, das auf dem kalten Stein sitzt, könnte Blasenentzündung bekommen (klärt er die Mutter auf, die es da so sorglos sitzen läßt). Er könnte eine Frau im rückenfreien Kleid sehen und jedes Muttermal genau ins Visier nehmen. Er könnte sich von einem internetsüchtigen Freund eine Internetseite gestalten lassen, auf der er vor der Internet-Sucht warnt. Mit den Gummihandschuhen könnte er sein Essen zubereiten. :)

Ein paar Anmerkungen hab ich noch:

»weshalb die ebenfalls dort platzierten "Übungskatheter" auf den sorgfältig gesäuberten Parkettboden herunterpurzelten. Er war angehender Arzt im 2. Semester seines Studiums.«
hinunterpurzelten (außer der Erzähler liegt dabei ebenfalls auf dem Parkettboden :D)
– im zweiten Semester würde mir besser gefallen

»Er sah in seinem rauchenden, Literatur studierenden, besten Freund oftmals nur mehr das Lungenkazinom, welches sich vielleicht schon in ihm bildete.«
– mein Vorschlag: In seinem besten Freund, dem rauchenden Literaturstudenten, sah er oftmals nur mehr …

»Und wenn er Abends an der leidenschaftlich schnapstrinkenden Hauswärtin vorbeiging«
– das „Und“ würde ich weglassen
abends
– Hauswartin

»Zu allem Überdruß war er nicht einmal dazu in der Lage, Arbeiter von der Straßenmeisterei, die 3 Blocks weiter eine Kreuzung in frischen Teer tunkten, davon zu überzeugen, aufgrund der gesundheitlichen Risken ihre Arbeit niederzulegen.«
– gleich viermal „zu“ in diesem Satz (Zu, dazu, zu, niederzulegen) – zumindest zwei ließen sich ganz einfach eliminieren – wobei es auch nicht schlecht wäre, den Satz in zwei bis drei Sätzen auszudrücken, denn der Sinn erschließt sich vielleicht nicht unbedingt beim ersten Lesen
– 3 = drei

»Als er dann allerdings das Programm von RTL2 betrachtete«
– da die Sendung ja nicht echt war, würde ich die Nennung eines realen Programmes vermeiden

»sekundären Geschlechtsmerkmale«
– mir ist nicht ganz klar, was Du damit meinst, also ich hab jetzt keine Ahnung, was sie auf der Theke herumgewälzt haben :shy:

»wackelte ein schwerst alkoholisierter Mann daher«
– „daher“ find ich irgendwie zu umgangsprachlich

»schlang er die türkische Spezialität grinsend herunter.«
hinunter, wenn der Erzähler nicht im Magen sitzt…

»Staubmilben im Raum ansammelten schaltete er«
– ansammelten, schaltete

»Reissverschluss«
– Reißverschluss

»seine Vorlesung morgen in der Uni.«
– heißt es nicht an der Uni?


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Deine Korrekturvorschläge habe ich fast ausschließlich dankbar übernommen. Wegen der beiden Beispiele bezüglich seines analytischen Wahns nehme ich mir noch etwas Zeit, werde dieses Unterfangen aber ganz sicher noch nachholen.

 

Schön, daß Du das mit dem rauchenden Literaturstudenten übernommen hast :), aber die Rechtschreibfehler waren eigentlich weniger als wahlweise Vorschläge gedacht:

Es heißt nicht wahlweise Kazinom oder Karzinom, es heißt tatsächlich Karzinom.

"die 3 Blocks weiter" - mindestens die Zahlen bis zwölf schreibt man auf jeden Fall aus, nicht, wie es einem grad einfällt

Auch "genüsslich" war eigentlich nicht als Vorschlag gedacht - es heißt in neuer RS (in der Du ja schreibst) wirklich nicht "genüßlich", dann müsste ja das ü lang gesprochen werden...:shy:

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Auch diese Korrekturen wurden dankbar übernommen. Übrigens: Mit sekundären Geschlechtsmerkmalen meinte ich Brüste.

 

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