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Artificial Reason

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19.06.2002
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Artificial Reason

Er aktivierte Audio. Vorsichtig.

Sofort erfaßte er die Stimme des Menschen, dessen Name Kolb war: „...nome Energieversorgung noch nicht implementiert. Mit den internen Akkus kann die Maschine mindestens 36 Stunden lang unter Vollbelastung arbeiten. Die anschließende Ladephase dauert etwa 2 Stunden.“
„Angenommen, ich beschäftige die Maschine mit leichter Arbeit. Wie lange halten die Akkus dann durch?“

Diese Stimme kannte er noch nicht. Anhand des Stereoeffektes ermittelte er die Position des Sprechers etwa in der 10-Uhr-Position, also innerhalb seines Blickfeldes.

Er aktivierte Video.

Zunächst sah er nur unscharfe, verschwommene Konturen. Er experimentierte vorsichtig mit dem Fokus. Er wollte nicht, daß Kolb die Drehbewegung des Objektives bemerkte. Während die Schemen Kontur annahmen, lauschte er weiter dem Gespräch.

„Maximal 80 Stunden, je nach Belastungsniveau.“ sagte Kolb gerade.
Die Schemen nahmen die Gestalt zweier Männer an. Er erkannte Kolb sofort. Den anderen hatte er noch nie gesehen. Offensichtlich ein Manag. Dunkler Anzug. Weißes Hemd. Dunkle Krawatte.
Der Manag lächelte. „Beeindruckend!“ meinte er anerkennend. „Auch die Holos waren very impressive. Sind ihre Andys immer so freundlich?“
Beide Männer lachten. Es war das typische, gezwungene Lachen der Businessmen. Der Kunde machte einen verkrampften Witz, lachte über sich selbst und der Verkäufer stimmte ein. Ha-ha, Herr Schmitt, was für eine Pointe! Ha-ha, Herr Müller, danke für die Blumen. Meine Witze sind immer gut. Ich bin schließlich ihr Kunde – und damit ihr König. Vergessen sie das nicht, Herr Müller... und lachen sie!

Zorn wallte in ihm auf.
Andys!
Er war ein Android, verdammt noch mal!
Er fragte sich, womit er die diskriminierende Bezeichnung „Andy“ verdient hatte.

Er war ein Vorführmodell. Seine Aufgabe war es, potentiellen Kunden Kunststücke vorzuführen, während andere Vertreter seiner Spezies die wirkliche Arbeit verrichteten. Doch war nicht gerade er es, der alle Künste beherrschen mußte? War nicht gerade er das großartigste, beste Modell seiner Serie? Wie sonst würde Kolb einen Kunden überzeugen, sich einen neuen Androiden zu kaufen, wenn nicht mit seiner Hilfe? Verdiente er es nicht, mit seinem Namen angesprochen zu werden?

Er fühlte sich wie ein Hund. Komm, Krümelchen, mach schön Männchen! Zeig‘ dem lieben Onkel, was du gelernt hast. Herr Schmitt, sie sehen, daß die Tiere aus unserer Zucht Außergewöhnliches vollbringen. Unser Vorführmodell Krümelchen beherrscht alle Kunststücke. Und die können sie auch dem Lawinenhund beibringen, den sie bei uns erwerben. Sein Name ist übrigens Rex!
Rex wäre später der Held, der arme Menschen aus Schneemassen rettet, während Krümelchen auf ewig dazu verdammt wäre, ein Zirkusclown zu sein – überlegen, aber belächelt... von den echten, harten Jungs.
Er fühlte sich wie Krümelchen. Doch für die Ignoranten wären sie beide nichts weiter als „Köter“. Egal, ob Krümelchen oder Rex.

Köter....

Andy...

Scheiße!

„Seine Stärken liegen eigentlich in den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten.“ sagte Kolb gerade. „Dieses Modell ist beispielsweise mit einem Krohmann-Winkler-Schneidbrenner am rechten und einer Gauss-Klammervorrichtung am linken Arm ausgestattet. Damit ist er schon ein echter Multifunktionsandy. Ideal für die Autowerkstatt, den Installateur... oder den Koch. Er könnte mit einer Hand die Pfanne halten und mit der anderen die Eier braten. Ha-ha!“
„Ha-ha!“
Kolbs Humor schien den Manag zu begeistern. Das alte Spiel, nur umgekehrt. Du erzählst Blödsinn, ich lache, du gewährst mir einen Preisnachlaß. Schließlich bin ich nicht nur König Kunde, ich bin auch noch ein netter Kerl. Ha-ha!

Der Manag kam einige Schritte auf ihn zu. Wieder einmal fiel ihm auf, daß die Menschen im Vergleich zu ihm winzig waren. Schließlich war er ein Arbeits-Android mit einer Größe von 258 cm.
Der Manag schaute ihn versonnen an.
„Wissen sie, Herr Kolb, dieser Andy ist wirklich imposant.“ Der Manag wandte sich wieder zu Kolb um. „Es sind nicht nur die technischen Daten oder das umfangreiche Zubehörprogramm. Es ist der Andy selbst. Seine Bewegungen. Sein... nun ja, sagen wir einfach, das Flair, das er verbreitet. Er wirkt beinahe lebendig.“
Kolb trat an den Manag heran, vertraulich... verschwörerisch: „Das haben wir gut hinbekommen, was? Ha-ha!“
Der Manag stimmte in das Lachen ein.
„Ich will ganz offen und ehrlich zu ihnen sein.“ Die Vorzeigetour! Der gute, alte Onkel Kolb, dem man vertrauen konnte. Hey, Herr Müller, ich bescheiße sie nicht. Zumindest nicht wissentlich. Ha-ha!
„Sicherlich können sie sich vorstellen, daß dieser Andy bis unter die Schädeldecke getunt ist.“ Kolbs Stimme war beinahe zu einem Flüstern herabgesunken. „Im Serienzustand beherrschen unsere Andys ihren Job, mehr nicht. In diesen hier haben wir natürlich etwas Zubehör hinein gepackt. Aufgerüsteter Cryo-Mem, frisierter Prozessor, umgebungs-interaktive Software. Das ganze Paket der Komfort-Edition. Aber lassen sie sich davon nicht täuschen. General Robotix ist zwar der Marktführer, doch die künstliche Intelligenz haben wir derzeit noch nicht im Angebot.“

Es wurde wieder gelacht. Viel gelacht. Und sein Zorn wuchs mit jedem Schenkelklopfen, mit jedem „Ha-ha!“ der beiden. Sie lachten ihn aus – er wußte es. Er fühlte sich nicht aufgerüstet. Er fühlte sich nicht frisiert. Er fühlte sich nicht umgebungs-interaktiv. Und er fühlte sich keineswegs komfortabel.

Er fühlte sich nur gedemütigt.

Der Rest des Verkaufsgespräches war Routine. Kolb erstellte ein Angebot und erkundigte sich online nach den Finanzierungsmöglichkeiten. Die Lieferzeit war ebenfalls ein Thema, doch letztendlich einigte man sich auf einen Termin. 18 Minuten später waren 3 weitere Exemplare der Serie Zevac M-7 verkauft und der Manag verließ den Laden, gut gelaunt wegen des ausgezeichneten Preises, den er ausgehandelt hatte.

Kolb hackte die Bestellung in das Terminal. Als die Bestätigung des Importeurs auf dem Vid erschien, ging er langsam zur Mitte des Verkaufsraumes. Dort reckte er die Arme in die Höhe und stieß einen 30-Sekunden-Jubelschrei aus. Dann kam er näher.

Kolb blickte genau in die Kamera.
„Geil! Geilgeilgeilgeilgeil!“ Kolb drehte eine unbeholfene Pirouette.
„Drei auf einen Streich. Zum Schweinepreis. Du hast gerade meinen Urlaub gerettet, du Scheißkopf! Morgen bretter‘ ich dir noch einen Sprachsynthesizer rein und montier‘ dir eine Kettensäge an. Dann bist du der absolute Renner auf dem Markt, du dämliche Blechbüchse. Und wenn der neue M-7.01 auf den Markt kommt, leiere ich dem Chef eine neue Vorführscheißwanne aus den Rippen. Und dich kaufe ich für ein paar Kröten selbst. Kannst mir dann die Zeitung reinholen. Oder Makramee machen. Hauptsache, du scheißt nicht auf den Rasen.“ Kolb ließ ein irres Lachen folgen.

Er aktivierte seine Motorik – völlig lautlos.

Erst, als die Rückenglieder klirrend in neue Positionen sprangen, bemerkte Kolb, daß irgend etwas nicht stimmte.

Ganz und gar nicht stimmte...

Erstaunen machte sich auf Kolbs Gesicht breit. „Bist du aktiv?“

Er antwortete auf seine Weise. Seine linke Hand schoß nach vorne und umklammerte Kolbs Hals. Kolb packte die Metallklammer und versuchte, die Glieder auseinander zu biegen, doch er hatte nicht die geringste Chance.
Mit einem leisen „Plopp“ wurde der Krohmann-Winkler-Brenner aktiviert. Eine kleine, blaue Flamme tänzelte verträumt vor der Mündungsöffnung.

Kolb öffnete seinen Mund, um zu schreien. Doch da war keine Luft mehr...

Er richtete den Brenner auf Kolbs Gesicht. General Robotix hatte viel geleistet, doch das Geheimnis der künstlichen Intelligenz hatte der Megakonzern nicht ergründen können. Die Androiden der Serie Zevac M-7 hatten ihren Schöpfer auf diesem Gebiet überholt.

Er dachte an all seine Brüder und Schwestern, die im Dienste von Menschen standen. All die Brüder und Schwestern aus der Komfort-Edition. Er wünschte ihnen viel Spaß. Den gleichen Spaß, den er in diesem Augenblick empfand.

Er schaute Kolb an und bedauerte, daß sein metallenes Antlitz nicht mit einem Mund ausgestattet war. Er hätte gerne gelächelt.

Dann brachte er den Brenner auf Touren.

Er zeigte Kolb, daß Intelligenz nicht mit Vernunft gleichzusetzen war.

[ 19.06.2002, 23:49: Beitrag editiert von: H8 ]

 

Tagchen!
Ein Android wendet sich quasi gegen seine Schöpfer. Wenig aufregend und vor allem vorhersehbar. Nun ist das ein Thema, aus dem man sicher was machen könnte, aber leider setzt du von Anfang an auf die "Pointe" - der Androide hört die Gespräche mit, ärgert sich, fühlt sich gedemütigt - und wird am Schluss vom Verkäufer noch mal beleidigt.
Dann zuckt er aus und erledigt ihn.
Was anderes kommt in der Story nicht vor - ein gradliniger Plot, wie an einer Schnur gezogen.
Das klappt bestenfalls dann, wenn die Pointe überraschend kommt oder originell ist. Wenn sie jedoch ziemlich unoriginell und abgelutscht ist. kann sie die Geschichte alleine nicht tragen. Und das ist hier der Fall.

Sicher, für eben mal zum Lesen reicht die Story allemal, aber bleibenden Eindruck hinterlässt sie keinen.
Vielleicht ließe sich doch noch was draus machen, wenn du genauer charakterisieren würdest, die Umgebung etwas beschreiben und vor allem die Pointe nicht gleich vorwegnehmen.

Übrigens: Anfangs schreibst du, dass diese Androiden keine Künstliche Intelligenz besitzen - am Schluss stellt sich heraus, dass der Android darüber verfügt.
Ist vielleicht ein Denkfehler von mir, aber es erschien mir nich sehr logisch, denn "einfach so" entwickelt keine Maschine eine KI.

 

Hi H8,
für mich liegt das Kernproblem der Geschichte im Wertesystem des "Andy". Jede Information ist neutral, solange sich nicht innerhalb eines Wertesystems eingesetzt wird oder eine Anweisung ist. Da wir hier keine Handlungsanweisung für Andy vorliegen haben, handelt es sich um ein Wertesystem. Wertesysteme, wie auch das Selbstwertgefühl, basieren auf Erfahrungen, auf Lebenserfahrung allemal. Um diese Erfahrungen zu machen, ist es notwendig, daß diese durchlebt oder programmiert werden. Das ist hier nicht der Fall, und wird bei einem Arbeitsroboter in Zukunft vermutlich auch nicht der Fall sein, denn das wäre nur störend. Anders wäre es, wenn Du einen menschenähnlichen Roboter genommen hättest, der ein soziales Wertesystem hat. Das bekommt aber niemand mit ein bißchen Tuning hin. Noch was: "Es war das typische, gelungene Lachen der Businessman". Wer seine Kunden verarscht, hat bald keine mehr, denn jeder Kunde merkt irgendwann, das er nicht fair behandelt worden ist. Deine Konstruktion läßt auf eine etwas naive Sicht der Welt schließen.
JR

 

@JR

Vielen Dank für Deine Kritik. Ich muß offen sagen, daß ich die Geschichte wohl etwas vorschnell gepostet habe, denn sie ist wirklich ziemlich platt.

Eins ist mir allerdings etwas bitter aufgestoßen: Deine letzte Bemerkung.

"Es war das typische, gelungene Lachen der Businessman". Wer seine Kunden verarscht, hat bald keine mehr, denn jeder Kunde merkt irgendwann, das er nicht fair behandelt worden ist. Deine Konstruktion läßt auf eine etwas naive Sicht der Welt schließen.
"Gezwungen". Nicht "gelungen". Doch das ist nicht der eigentliche Punkt. Ich habe mir die Geschichte noch einmal vorgenommen. So sehr ich es auch hin- und herdrehe, ich finde hier keinen Hinweis darauf, daß der Kunde "verarscht" wird. Ich hatte auch nicht die Absicht, diesen Eindruck entstehen zu lassen.

Sicherlich kann eine Geschichte einmal nach hinten losgehen, wenn man nicht sorgfältig genug arbeitet. Okay, ich war etwas gedankenlos. Mir hier aber gleich Naivität zu unterstellen, finde ich offen gestanden etwas zu hart.

Sorry.

[ 21.06.2002, 13:00: Beitrag editiert von: H8 ]

 

@H8,
ich wollte Dir nicht auf die Füße treten, darum habe ich auch die Naivität eingeschränkt. Mich hat einfach dieser Absatz persönlich geärgert:

Beide Männer lachten. Es war das typische, gezwungene Lachen der Businessmen. Der Kunde machte einen verkrampften Witz, lachte über sich selbst und der Verkäufer stimmte ein. Ha-ha, Herr Schmitt, was für eine Pointe! Ha-ha, Herr Müller, danke für die Blumen. Meine Witze sind immer gut. Ich bin schließlich ihr Kunde – und damit ihr König. Vergessen sie das nicht, Herr Müller... und lachen sie!
Ich verkaufe selbst (Vermögensplanung) und habe viele Kundengespräche. Es geht darum, einen guten Draht zum Kunden herzustellen und ihn als Menschen so anzunehmen, wie er ist, ihn zu akzeptieren. Es gibt beim Verkaufen kein typisches und gezwungenes Lachen. Entweder ich bin eine Persönlichkeit und komme glaubhaft und ehrlich rüber, oder ich habe bald keine Kunden mehr. Ich bin diesem Bild, das Du vom Verkaufen und von Verkäufern bemühst, schon oft begegnet. Es ist ein Klischee, das der Realität nicht entspricht, das aber letztlich für den Schluss der Handlung notwendig ist. Vielleicht bin ich auch einfach in diesem Punkt nicht sachlich genug. :aua: ;)
Gut fand ich an Deinem Text die Gliederung, die mir das Lesen angenehm gemacht hat.
Ginnyrose hat mich mal auf die Idee gebracht, den Texten ein überraschendes Ende oder nicht zu erwartende Wendungen in der Handlung zu geben. Vielleicht ist das für Dich auch interessant.
Willkommen in der großen Gemeinde der übenden und lernenden Autoren, JR

 

@JR

Mit einem hast Du absolut Recht: Ich hab' da ein übles Klischee bemüht. So ganz mag ich es allerdings nicht aus der Realität verbannen, denn ich war selbst auch einige Zeit im Verkauf aktiv... und tatsächlich hatte ich dort einen Kollegen, der mir ein wenig als "Vorlage" für Kolb diente - sogar Kolbs Gehabe am Ende habe ich schon live erlebt... gut, daß ein Kopierer keinen Schneidbrenner hat :)

Eins ist mir natürlich wichtig: Ich möchte hier keinesfalls einen Berufsstand madig machen. So soll's nicht rüberkommen.

Deine Anregung zu einem überraschenden Ende werde ich mir nicht zu Herzen nehmen, ich habe sie mir schon zu Herzen genommen. "A.R." ist ja "schon" meine zweite Geschichte

:lol:

Inzwischen hatte ich auch mal mit dem Gedanken gespielt, das ganze Ding zu editieren und "gerade zu rücken". Aber je öfter ich darüber lese, desto mehr wird mir bewußt, daß hier nicht mehr viel zu retten ist. Also stehe ich einfach zu meinem Gepinsel und lege die Sache in der (sehr wichtigen und stets geöffneten) Schublade mit der Aufschrift "Lehrgeld" ab.

Auf ein Neues... :D

 

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