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Artgerechte Haltung
Mein Name ist Styyxa. Ich bin 483 Jahre alt und komme vom Planeten Kutaaannx. Den kennen Sie nicht? Egal! Bevor ich Ihnen das jetzt alles erklärt habe …
Ich habe einen abwechslungsreichen Job. In unregelmäßigen Abständen besuche ich mit einigen Kollegen die Erde. Wir sind Menschenfänger. Natürlich nicht, weil wir grausame und bösartige Außerirdische sind, die die Welt vernichten wollen. Diesen unrealistischen Quatsch kennen wir aus den lächerlichen Filmchen von der Erde. Die laufen bei uns für eingeschworene Trash-Fans häufig in ausgesuchten Programmkinos. Nein, wir sind öfter mal auf der Erde, weil wir auf unserem Planeten einen exklusiven Menschen-Zoo betreiben, und dafür immer wieder einmal neue Exemplare benötigen. Menschen sind seit vielen Jahren der absolute Renner bei uns, so unterhaltsam, so verschieden und so unglaublich hässlich.
Wir bemühen uns natürlich um artgerechte Haltung, wollen für jeden das ideale Umfeld schaffen, was alles andere als einfach ist, weil Menschen von Natur aus schnell unzufrieden werden und sich langweilen, wenn man ihnen nicht ständig neue Anreize bietet. Dennoch haben wir bei ihrer Haltung in den letzten Jahren mächtige Fortschritte gemacht. Das war auch sehr wichtig, denn auf Kutaaannx hatte sich nach Eröffnung des Menschen-Zoos sofort eine Menschenschutzbewegung gegründet: der Menschenschutzbund, kurz genannt MSB, der sich für den korrekten Umgang mit diesen seltsamen Kreaturen einsetzt. Viele fanden es nicht gut, dass uns in der ersten Zeit einige der Exemplare überraschend schnell eingegangen waren. Anfangs wussten wir eben noch nicht, wie man mit ihnen umgehen muss, wie man sie pflegt und was ihnen schadet. Sie können beispielsweise nicht allzu lange unter Wasser bleiben. Sie können auch nicht fliegen. Wenn man sie aus großer Höhe fallen lässt, um einen möglichen Flugreflex zu aktivieren, schreien sie nur, rudern nutzlos mit ihren Armen und Beinen herum, fallen ungebremst in die Tiefe. Und danach sind sie nicht mehr zu verwenden.
Sie benötigen ständig Essen und Trinken, vertragen weder extreme Hitze noch Kälte. Tatsächlich erfrieren sie oft, wenn man sie bei Minusgraden über Nacht im Außengehege lässt. Bis zu 30 Grad Wärme verkraften sie noch ganz gut, dafür beanspruchen sie allerdings ein riesiges Areal im Zoo, benötigen coole Sonnenbrillen, bequeme Liegestühle, einen überfüllten Strand, Wasser, Sonnencreme, ein anspruchsloses Buch und ein Hotel mit Vollpension zu Schnäppchenpreisen ohne Engländer.
Alles in allem sind die Menschen erstaunlich anfällig und verfügen über erschreckend wenige Fähigkeiten, so dass wir eine ganze Menge Innovationen in das ehrgeizige Projekt stecken mussten, bevor diese komischen Wesen sich so entwickelten, dass sie unseren interessierten Zoobesuchern wirklich Freude machten.
Erst kürzlich haben wir ein ulkiges Jungexemplar erwischt. Das ernährt und verhält sich ganz anders als seine älteren Artgenossen und gibt ständig merkwürdigen Töne von sich. Wir nennen es „Eydiggeralder“, basierend auf den Lauten, die es immer wieder erzeugt. Es leidet vermutlich unter einer seltsamen Schrumpfkrankheit, weil die Sachen, die es trägt, ihm viel zu groß sind. Unsere Ernährungswissenschaftler haben herausgefunden, dass man es am besten mit Hamburgern, Döner, Cola und Bier ernährt, als Ergänzung kann man jederzeit Pommes Frites zufüttern, und verschiedene Drogen runden den ausgewogenen Ernährungsplan ab. Trotz allem wirkt es oft ein wenig lethargisch, aber die Zoobesucher lieben es und freuen sich, wenn es sie mit seinem unverwüstlichen Ruf „Ey, Digger, was geht!“ begrüßt.
Unser ältestes Exemplar ist ein recht schwergewichtiges Männchen, das nun schon seit vielen Jahren bei uns lebt. Es hat sich sehr schnell akklimatisiert. Wir nennen es Leo. Am Anfang hatten wir ihm gleich ein Weibchen besorgt, damit er sich nicht einsam fühlt. Die ersten Wochen klappte es noch ganz gut, da entwickelte Leo deutliches Interesse an ihr. Die beiden zeigten auch ein relativ normales Paarungsverhalten. Dann aber klappte es nicht mehr, weil das Weibchen schnell die Lust verlor, und immer wenn Leo sich paaren wollte, hatte es seine Tage oder Migräne. Ziemlich bald lümmelte Leo wieder bevorzugt im Innengehege im Jogginganzug auf einem Sofa herum, ließ sich gehen, soff täglich eine Kiste Bier und zappte sich durch die Sportkanäle, während das Weibchen zunehmend streitsüchtiger wurde. Manchmal, wenn Leo auf seinem Sofa lag, dachten wir schon, er wäre gestorben, weil er sich stundenlang gar nicht mehr bewegte, während das Weibchen sich im Außengehege mit seiner Scheckkarte in den Boutiquen und teuren Schuhgeschäften vergnügte, die wir extra für sie aufgebaut hatten, damit sie wieder etwas ausgeglichener wurde. Wie glücklich waren unsere Zoobesucher, wenn Leo dann plötzlich doch wieder überraschend ein Lebenszeichen von sich gab, gähnte, sich reckte, an seinen Geschlechtsteilen spielte, furzte oder von Eurosport auf DSF umstellte. Dann freuten sich alle. An Leo hängen wir eben ganz besonders. Es geht ihm auch viel besser, seit wir das Weibchen wieder ausquartiert haben.
In einer großen Halle haben wir ein Rudel junger Weibchen untergebracht. Sie benötigen vorrangig viele Spiegel, Kosmetika, Fotografen, schwule Friseure, Berge von Klamotten und Schuhen und fast keine Nahrung. Ab und zu mal etwas Obst oder ein Müsli, regelmäßig ein Gläschen Champagner, um den niedrigen Blutdruck zu pushen und Kokain, damit sie einigermaßen solide durch den langen Tag kommen. Wenn sie dann doch mal richtig Nahrung wollen, freuen sich unsere Besucher sehr auf die offizielle Fütterung. An diesen Tagen gibt es großen Andrang für beide Termine: Füttern und anschließendes Erbrechen. Zur Optimierung ihrer Umgebung haben wir noch einen prächtigen Laufsteg gebaut, damit diese gazellenartigen Wesen sich überhaupt hin und wieder mal bewegen. Um sie auf den Laufsteg zu locken, benutzen wir Applausanlagen und eine Blitzlichtmaschine. Wir wollen demnächst Karl Lagerfeld einfangen, das wäre wohl das I-Tüpfelchen für dieses Großgehege, er könnte sich unter unter die grazilen Jungweibchen mischen und sie bei Laune halten. Auch er wäre automatisch in seiner natürlichen Umgebung und glücklich. Das wäre eine wirklich sinnvolle Koexistenz.
Ein ganz besonderes Weibchen halten wir dagegen einzeln in einem kleinen Innenraum. Es ist blond und hat ziemlich große Brüste. Wir haben ein Original Fernsehstudio aufgebaut, mit einigen Kameras, einer billigen Rätselwand und regelmäßigen Anrufern, die noch dämlicher sind als das Weibchen. Die Anrufer haben wir vor einiger Zeit wahllos auf Mallorca beim Ballermann aufgesammelt. Die lagen da einfach so herum wie reife Früchte und rochen schon nach fortgeschrittener Gärung. Wir haben ihr Gehege zu einem Call-Center umgebaut. Sie fühlen sich dort ganz wohl, haben ausreichend Bier, Chips, Zigaretten, einen Pizzaservice gleich um die Ecke und Pornohefte und können das blonde Weibchen auf einer Großbildleinwand beobachten. Sie können sie anrufen wann immer sie wollen, beknackte Rätselaufgaben lösen und nebenbei mit liebestollen Frauen chatten (in Wirklichkeit kommen die Antworten allerdings aus einem sehr primitiven Flirtcomputer). Am liebsten aber raten sie Automarken und glotzen dem Moderatorenweibchen auf die Titten.
Kürzlich ist uns ein recht ungewöhnliches und gefährliches Männchen ins Netz gegangen. Wir hatten es irrtümlich auch als Ergänzung für unser Rätsel-Rudel vorgesehen. Zu unserer großen Überraschung hatte es einen Sprengsatzgürtel um den Leib und einen Rucksack voll mit Sprengstoff. Es wollte sich gerade unter eine Gruppe Schulkinder mischen. Es war ziemlich aufgebracht, weil wir es da wegholten, beschimpfte uns als „Ungläubige“ und schwor blutige Rache, als wir ihm seinen Gürtel und seinen Rucksack abnahmen. Seitdem droht es uns mit dem Heiligen Krieg und der Vernichtung unseres gesamten Planeten. Wir haben es vorsorglich in einem Außengehege separiert und ihm zur Beruhigung ein Transparent mit der Aufschrift „Tod allen imperialistischen amerikanischen und jüdischen Schweinen“ gegeben. Damit läuft es nun seit einigen Tagen missmutig in seinem Gehege auf und ab und brüllt stundenlang irgendwelche kriegerischen Parolen.
Zur kurzfristigen Steigerung seines Wohlbefindens aber, so haben unsere Verhaltensforscher empfohlen, sollte es möglichst bald einige Anleitungen zum Basteln von Bomben und das dafür notwendige Material bekommen. Es ist allerdings zu befürchten, dass es, wenn es damit fertig ist, sich wieder nach seiner natürlichen Umgebung sehnt, nach einem belebten Markt, einer amerikanischen Botschaft oder einem Rekrutierungsbüro für Polizisten, vor dem möglichst viele Menschen anstehen. Das würde aber selbst dem MSB zu weit gehen. Und die Zoowärter sind auch dagegen, weil sie für die Reinigung des Geheges anschließend mal wieder unbezahlte Überstunden leisten müssten. Die haben noch die Nase voll von den tagelangen Aufräumarbeiten im Fußballstadion-Ausschreitungs-Gehege.
So wächst unser wunderschöner Zoo stetig und es gelingt uns, immer wieder neue menschliche Exoten zu fangen. Wir haben mittlerweile authentische Gehege mit Kneipenbesucher, Graffiti-Sprayern, Börsenmaklern, Serienschauspielern, Gästen aus Nachmittagstalkshows, Politikern, Schriftstellern, Computerspezialisten, Versicherungsvertretern und viele andere Attraktionen.
Unser neuester Clou sind junge menschliche Weibchen und ein ausgebleichtes Männchen, die sich ständig von plastischen Chirurgen Körperteile verändern lassen. Wir halten sie artgerecht in einer Schönheitsklinik. Vollere Lippen, größere Brüste, kleinere Nasen, Fettabsaugen und modellierte Kinn- und Wangenknochen - die Männer von Kutaaannx lieben das, weil die menschlichen Weibchen auf diese Weise den Frauen unseres Planeten immer ähnlicher werden. Unsere Frauen können sich beispielsweise jeden Tag bis zu zehn neue Brüste gleichzeitig anflanschen und variabel per Gedankenpumpe vergrößern oder verkleinern, je nach Bedarf (übrigens verwenden wir Männer dasselbe Prinzip bei einem anderen ganz speziellen Körperteil ebenfalls). Unsere Wissenschaftler könnten mit ihren Fähigkeiten auf der Erde ein Schweinegeld verdienen. Zumal auch die von ihnen geformten Nasen wirklich ewig halten. Mit dem ausgebleichten Männchen haben wir übrigens immer wieder mal Kummer, weil es oft ausbüchst und dann sofort versucht, in den Kinderstreichel-Zoo zu gelangen.
Nun, jedes Wesen soll sich in unserem Zoo wie zu Hause fühlen und es ist unser Ziel, die Umgebung für diese unterschiedlichen Menschen so angenehm und natürlich wie möglich zu gestalten.
Mein Job macht mir großen Spaß. Wenn der Zoodirektor ein bestimmtes Exemplar will, dann gibt er das in Auftrag und meine Jungs und ich machen uns auf den Weg und erledigen es. Eben hat er wieder angerufen. Unser neuestes Gehege heißt „Tour De France“ Sämtliche Dopingmittel, die nur schwer nachweisbar sind, stehen bereit. Fahrräder gibt es auch schon. Ich muss jetzt los, um die Fahrer zu besorgen. Schade, ich hätte Ihnen gern noch mehr über unseren Zoo berichtet. Aber vielleicht laufen wir uns mal irgendwann wieder über den Weg. Das Universum ist ja ein Dorf.