Was ist neu

Aroma

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13.06.2002
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Aroma

Gustav kam aus Ostpreußen und war mit meiner Mutter eine Seele. Er wohnte zur Untermiete bei Tante Else. Wenn ich im Sommer zu Besuch kam, ging ich mit ihr in den Garten und wir holten Rhabarber für den Vanillepudding. Ihre Tochter hieß Heidi, sie war neunzehn und ihre Haare fließendes Gold. Als mir die Eltern erlaubten bei Gustav und Tante Else zu übernachten, hab' ich in ihrem Bett zum ersten Mal in meinem Leben eine ganze, lange Nacht kein Auge, kein Nasenloch und kein Ohr zugemacht. Mit neun Jahren eröffnete sich, offenbarte sich mir in all ihrer Schönheit, die Weiblichkeit. Ich war aufgeregt vor Glück, weil ich sie erfuhr, ohne mein Zutun. Alles Neue war schön! Ich lag unter der Decke und machte mich mit ihrem Duft bekannt. Ich atmete, legte meinen Kopf in ihr Kissen, roch immer wieder. Alles Schöne war neu! Ganz fein empfand ich das Aroma der Liebe. Anderes atmete ich nicht.
Ich war allein und doch war sie schon da. Dann hab' ich eine Ewigkeit gewartet, bist du von der Party kamst. Ich hab' genau gesehen, daß du erst nachgeguckt hast, was da in deinem Bett liegt. Ich hab' natürlich so getan, als ob ich schlafen würde, und ich glaube, du hast dem Braten auch nie getraut. Irgendwann wird sie sich ausziehen; sie wird sich ausziehen müssen. Die Einsicht war Triumph.
Alle Mädchen machen das gleich: beide Hände überquer, dann wird der Pulli über den Kopf gestreift. Es konnte mich nicht wirklich verblüffen, weil ich geahnt hatte, daß sie so aussehen müssen. Dennoch war ich baß vor Erstaunen. Himmel, so was hatte ich noch nie gesehen. Als du zum Waschbecken gingst, lief ich dir den Rücken runter, und tanzte Boogie-Woogie, als du dir die Zähne putztest. Meine Zeit, sie war auf meiner Seite. Sie wird ins Bett kommen, es geht kein Weg daran vorbei. Mach ganz schnell - nein, beeil dich nicht. Die Decke hast du nur ein wenig zurückgeschlagen, dann federte die Matratze und du warst drin. Aber noch nicht bei mir! Ich wußte, du schläfst nicht. Ich wußte, du dachtest und begannst langsam zu spüren, daß ich für immer neben dir lag.
Unsere Annäherung geschah millimeterweise. Sie schob und zog die Erwartung über eine so lange Zeit hinaus, daß ich hell wach war. Ich werde nicht den ersten Schritt tun, ich dreh' mich nicht um. Du wirst die Seite wechseln. Du sollst kommen, ich warte. Ich warte, denn du bist ja bei mir.
Dann passierte es schließlich, wonach ich mich so sehr gesehnt hatte. Es erwischte mich doch völlig unvorbereitet, obgleich es Wunsch und Erwartung war. Mit einem Mal bewegtest du dich, ich sah für einen Bruchteil einer Sekunde dein Gesicht, dann umschlossen mich deine Arme. Die erste Berührung, das erste Wahrnehmen floß durch meinen Körper in ein Bewußtsein, das gerade erst geweckt wurde. Mein Ziel zum Weg zu dir durch meinen Körper, durch deinen. Eine Befriedigung umschloß mich, die ich in mir aufnahm. Eine nie vorher gekannte Harmonie, der Gleichklang unserer Verschiedenheit barg mich in absoluter Sicherheit.
Vielleicht hat mich dann doch die Müdigkeit durch die Anspannung, durch die Anstrengung, die sich so zärtlich vollzog, einschlafen lassen.
Bevor die Sonne aufging, war ich wach. Ich wußte genau, das Glück hält an, es geht weiter und weiter mit uns. Ich rührte mich nicht, tat wieder so, als ob ich schlafen würde. Um unseren Zustand zu fühlen, öffnete ich alle Sinne zur Wahrnehmung deiner Ausstrahlung.
Die Logik zum Zweck des Sehens und der Liebe! Du wirst bald wach werden, dann werde ich dich neu und anders sehen. Was wirst du tun? Wirst du mich drücken? Bekomm' ich einen Kuß? Egal, wie das ausgeht, du wirst aufstehen, und ich werde durch meinen Augenschlitz dich und alle deine Bewegungen verfolgen, denn ich bin neugierig. Ich weiß, ich werde dein Bewunderer sein. Ja, genau so ist es gekommen, als du wieder vor dem Waschbecken standest, schautest du in den Spiegel nach mir. Ich zählte vier Blicke. Dir reichte einer, um mich und mein Spiel zu durchschauen. Als du angezogen warst, nachdem deine Haare nun auch richtig fielen und der Lippenstift aufgetragen war, kamst du an mein Bett. »Du brauchst nicht so tun, ich weiß, daß du nicht schläfst. Du blinzelst.« Ich bekam meinen Kuß, den Tante Else beim Frühstück lachend entdeckte.

Einige Wochen später machten Gustav mit seinem Mofa, Heidi auf ihrem 28er und ich auf meinem kleinen Fahrrad einen Ausflug ins Grüne. Ich strampelte wie ein Verrückter hinter Heidi her. Als ich endgültig schlappgemacht hatte, nahm mich Gustav ins Schlepptau, daß der kleine Hilfsmotor quäkend Kurven durch den ländlichen Frieden zog. Du weißt, was mir in Erinnerung blieb.

 

hi dockrippl.
Ich finde die Geschichte schön, die Erinnerung die der Junge hat einfach wunderschön. Klingt verträumt und romantisch.
Mach's gut.
Aitza^-^

 

Hej!

Ich schließe mich Aitzo an: Die Erinnerungen sind schön beschrieben, man fühlt diesen unglaublichen augenblick mit dem Jungen.
An manchen Stellen waren mir die Bezüge nicht ganz klar: Auf wen bezieht sich der Satz, wie alt ist der Junge, während er das ERlenbt etc. Aber insgesamt schon recht schön geschrieben, weiter so! Gefällt mir durchaus, mal die Leisen Töne auszugraben!
Lieben Gruß,

chaosqueen :queen:

 

ja! das ist eine wirklich romantische Geschichte. Und die sind hier wirklich selten. Gratulation. Die Verwirrung mit dem "du" und "sie" hast Du gut ausgespielt, um Nähe zu erzeugen. An einigen Stellen hätte ich mir nur einen etwas lebhafteren oder weniger formellen Stil gewünscht.

Lieben Gruß,
Frauke

 

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