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Arel
Arel wusste, dass sein Herr nicht wieder aufstehen würde. Ein kleiner, winziger Schimmer von Freiheit hatte er gespürt. Nur den Hauch einer Vorahnung. Eine kurze Sekunde lang hatte er Angst, bis ihm klar wurde, dass das Geschehene alle Fesseln sprengte, die er seit Jahren mit sich trug. In seinem Kopf toste ein Wasserfall der Gedanken von neuen Möglichkeiten, die sich ihm erschlossen. Wenn ich jetzt laufe, so dachte er, wird niemand mich aufhalten.
Er sah sich kurz um. Die Soldaten um ihn herum hatten sich alle mit ihren langen Hellebarden gedreht, und schauten gemeinsam auf einen Punkt.
Da lag er. Der Herr von Hatshire-in-the-Forest. Zeit seines Lebens hatte er sich selbst für unsterblich gehalten. Für einen König. Einen Gott. Jetzt lag er da. Mit einem weltlichen Pfeil im Kopf. Sein Charisma, mit dem er seine Leute in die Schlacht geführt hatte, und seine nie zögernde Grausamkeit lagen beendet in der von Hunderten Füssen aufgeweichten Erde.
Mit dem letzten keuchenden Ausatmen des sterbenden Herren ertönte in Arel eine Stimme. “Lauf.” Arel sah hoch in den Himmel, sah die Wolken unheilvolle Formationen zusammenballen und als er seinen Blick senkte, entdeckte er die Horde, gegen die sie alle auf Befehl des Herren in den Kampf gezogen waren und aus der der Pfeil geflogen ist, der sein Leben veränderte. Vermutlich sogar sein Leben rettete. Und diese Horde bewegte sich schnell auf ihn und seine hundert Kameraden zu, denn sie tauchte immer mehr hinter der kleinen Hügelkette auf. Die Stimme in seinem Kopf schrie jetzt. “Lauf!”.
Er lief. Er schleuderte sein Schwert neben seinen toten Herren in den Morast und rannte nur noch. Gegen die eigenen Leute, gegen den Sturm von Schreiereien von den Rittern auf den Schlachtrössern, die wissen wollten, was an der vordersten Reihe passierte. Aber er ignorierte alles und rannte seiner Freiheit entgegen, bis er in der westlichen Ecke der Schlachtformation das Ende der Reihen durchschritt und in den Wald verschwand, aus dem sie gekommen waren. Man hatte ihn so schnell vergessen, wie man ihn bemerkt hatte, denn die Feindtruppen überrannten Hatshires Soldaten wie ein Mahlstein auf reifem Korn, und als er sich am Waldrand das erste Mal umdrehte, schien ihm als würde er die prunkvolle Rüstung des Leichnams seines Herren aus der Masse der Siegreichen ein letztes Mal hervorblitzen sehen. In seinem Kopf dröhnte es noch immer lautstark: “Lauf!” Sein Herz schien mit jedem Tritt zu zerspringen, als er in einem ungeheuerlichen Tempo durch die dicken Hecken des Waldes rannte und sich an den Dornen blutig kratzte. Er fiel einmal hin, doch spürte er keinen Schmerz. Es gab nur noch Rennen, so schnell es ging, so weit wie möglich, so lange wie möglich.
Nach einiger Zeit sackte er keuchend zusammen, und sah sich scheu um. Er war von Wald umgeben, und er war sich sicher nicht mehr verfolgt zu werden. Seine Lippen formten undeutlich, aber voller Überzeugung ein Wort: “Freiheit.” Er sackte auf das Laub und fiel in einen tiefen Schlaf, wissend, dass er sicher war.