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Archimbaldo

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10.09.2014
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Archimbaldo

Die umwerfende Kate mit Slawengesicht und Flachshaar und noch einigen Vorzügen, für deren Aufzählung hier der Platz fehlt, habe ich vor zwei Jahren bei einer Tischfußballmeisterschaft kennen gelernt und bin ihr von Tag an verfallen, mit Haut und Haaren, mit allen Gefühlen und meinem bisschen Verstand. Ich bin irr und wirr im Kopf vor Glück, befinde mich also in - für total Verliebte - völliger Normalität und bin sogar noch teilweise bei Sinnen! Und teilweise nicht: Ich habe keinen Schimmer, auf welche Weise wir hier gelandet sind. Immer nur Kate habe ich angeschaut, immer nur Kate. Flugpläne, Rolltreppen, Gates, Tickets, das alles konnte meine Aufmerksamkeit nicht fesseln – das konnte nur Kate.

Wir sind im Süden. Soviel Sonne über Meer und Strand und Land! Heiß ist es, zum Verrücktwerden heiß.
Wir fahren von den schön modellierten Hügeln zum Meer. Die geballte Hitze der Stadt mit ihren Wärmespeichern aus Mauerwerk bleibt zurück. Ob dieser gleißende Streifen weit vor uns schon das Meer oder immer noch Sand ist, werden wir herausfinden, doch es werden noch viele Meilen sein. Es kommt eine leichte Brise auf, wir können wieder atmen.
Wir rasen nicht. Diese schöne Zeit wollen wir ausgiebig und genussvoll erleben. Alles ist perfekt. Wir lieben uns. Dieses Licht, dieses funkelnde Wasser symbolisieren das Leben. Das Leben, wie wir es uns vorstellen.
Palmen strecken sich dem Licht entgegen, weit über die Grenze zwischen Goldsand und Türkiswasser. Es liegen Muscheln herum, wie sie ein crèateur de porcelain nicht verwegener hätte entwerfen können. Weiß schimmernd oder rosamilchig wie Mondstein - unschuldig, doch aus welchen Gründen auch immer vom Meer ausgespien. Andere mit Scharten und Narben erzählen von der Heftigkeit der Kämpfe unter der Meeresoberfläche. Und hölzerne Schiffsteile berichten von anderen schlimmen Geschehnissen.
Wir können nicht genug bekommen vom Seidensand und vom so ganz anderen Wasser, das uns glitzernd und schwerelos aufnimmt, als ob wir immer schon dazu gehörten.
Wir schnorcheln auf verschlungenen Wegen um mächtige Hirnkorallen, halbrund mit magischer Aura, erinnernd an archaische Rechenmaschinen mit tausend Windungen, Speichern und Geheimnissen. Naturwunder, die uns glauben machen wollen, tatsächlich denken und rechnen zu können.
Wir passieren Hirschhornkorallen, die aussehen wie übereinander gestapelte Jagdtrophäen, erblicken psychedelische Fische und Seeanemonen, die uns mit ihren wedelnden Tentakeln grüßen und willkommen heißen. Das Zauberwasser hält uns in der Schwebe, wir können nicht sinken. Was wir sehen, ist unglaublich schön. Die Farben der Tropen – schrill, verschwenderisch und schreiend bunt wie die Hütten der Armen oder die Cocktails der Reichen. Abenteuerliche Zusammenstellungen aus signalroter Grenadine, giftgrüner Menta, Zitronengelb und blauem Curaçao.

Dann aber verlangt unsere gesalzene Haut nach Süßwasser, unsere Kehle auch.
Der Magen morst Hunger und wir fahren zurück - zu den erquickenden Duschen und klimatisierten Restaurants.

Eine abrupte Vollbremsung. Der Wagen schlingert, kommt aber im lockeren Sand sofort zum Stehen.
Hunde - verwilderte Hunde – ein ganzes Rudel. Eine echte Notgemeinschaft!
Geschätzte zwei Dutzend in allen erdenklichen Größen und Farben, mit spitzen, runden und dreieckigen Köpfen. Zweien von ihnen fehlt eine Pfote, andere haben lediglich noch ein Ohr.
Und es gibt den Anführer mit nur einem erkennbar funktionierenden Auge. Das ist ein Typ, den man unter Tausenden wiedererkennen würde. Kurzes helles Fell mit schwarzen Schriftzeichen, groß und stämmig, kampferprobt.
Seinem linken Auge ist etwas Böses widerfahren. Der Blick ist deshalb unstet und wirkt heimtückisch. Der wilde Haufen umlagert uns, beäugt uns.
Erschreckend mager sind sie, fast durchstechen die Rippen das Fell. Seltsame Gedanken kommen auf. Ob sie in schlimmster Not...?

Tage später folgen wir unserer Gier nach den schönsten Muscheln, die das Meer je freigegeben hat – und hol’s der Teufel – die Hundemeute ist wieder auf Tournee!
Der Anführer hingegen, der Chefpirat, ist nicht präsent. Merkwürdig. Doch nicht merkwürdig genug, als dass wir uns viele Gedanken machten. Wir finden unsere Guggenheimmuscheln und Daliexemplare, schnüren den Beutel zu und überlegen, ob das schon genug Dekoration für eine karibische Cocktailbar wäre, die wir in naher Zukunft eröffnen könnten.
Wir fahren eine Ehrenrunde über den Endlosstrand.
Im heißen Sand nehmen wir ein lebloses Bündel wahr.
Es ist der Pirat, der Chef, der große Zampano! Dieser Preisboxer liegt jetzt danieder und macht gerade seinen letzten Schnaufer. Wir halten und nähern uns vorsichtig. Das gesunde Auge ist halbgeschlossen, die Atmung flach und viel zu schnell. Entsetzlich abgemagert ist der arme Kerl. Gegen die Fliegen um sein Maul herum kann er sich nicht mehr wehren. Er wird sich auch seiner schönsten Triumphe nicht mehr erinnern können - Siege über andere Bandenchefs, Nebenbuhler, Rivalen. Blutige Siege, der Beute wegen. Und an den seltenen Tagen, an denen der Magen nicht knurrte, auch nur des Ruhmes und der Selbstbestätigung wegen. Sein Rudel sollte wissen, dass er der Massimo ist.
Doch das war einmal. Weinen ist hier angesagt beim Anblick dieser jämmerlichen Kreatur. Noch ein paar Minuten und er hat’s hinter sich. Schaum hat er vorm Maul. Dort erkenne ich die Ursache des Debakels: Ein breiter Knochen sitzt in seiner oberen Zahnreihe quer, unabänderlich, festgebissen. Er hat resigniert.
Der Tod wird gnädigerweise alles ungeschehen machen, die Aufritte auf zahllosen willigen, zur Paarung bereiten Hündinnen, die Erinnerung an fette Mahlzeiten, als er alles in sich hineinschlang, weil er der Alpha war.
Und jetzt stirbt er.

Mit einem herumliegenden Stück Holz breche ich ihm diesen vermaledeiten Knochen aus seinem Menschenfressergebiss.
Die Zeit scheint für einen Augenblick stillzustehen. Er kann es nicht glauben und ich auch nicht. Unsere Blicke treffen sich - aber keineswegs böse oder lauernd. Erstaunlich offen schauen wir uns an, beinahe interessiert.

Das brauchte dann schon seine Zeit, bis er wieder auf den Beinen war, ohne zu wanken und zu schaukeln. Gleich nach seiner Befreiung vom fast tödlichen Knochen flößten wir ihm Wasser ein, danach etwas aus unserer Kühlbox, doch das erbrach er wieder. Und so fingen wir mit Babykost und Breichen wieder ganz von vorne an. Am vierten Tag fraß er aus eigener Kraft und mit neuem Appetit. Bis dahin war es uns auch gelungen, sein Piratenjackett zu entfilzen und durch Striegeln und Bürsten zu neuem Glanz zu bringen. Glücklicherweise konnte ein guter Tierarzt das Problem mit dem verletzten Auge lösen.

Und jetzt schaut er ganz passabel aus - der ‚Herr Archimbaldo’.

Keine Ahnung, warum ich ihn so nenne, aber mein Bauch weiß es. Ich achte ihn halt, denn als Chef dieser bunten Truppe hat er Ordentliches geleistet. Da war professionelles Management gefragt, Übersicht und Kraft.

Wenn wir nach der Hitze des Tages unseren Abendspaziergang machen und er uns stolz und gravitätisch begleitet, dann erkenne ich seine Würde, seinen Adel. Wir gehen diese großartige Allee entlang. Unter den hundertjährigen Platanen nimmt alles eine feierliche, intensive und sinnliche Bedeutung an. Auf dieser Bühne zeigen wir der Welt, was Stil bedeutet. Und wir hoffen natürlich, dass wir ein wenig bewundert werden.

 
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Und wir hoffen natürlich, dass wir ein wenig bewundert werden.
Wer wünscht sich das nicht?

Was ich an deinem ersten Text noch bemängelt habe, josefelipe, die etwas anachronistisch klingende Sprache, hat sich hier für mein Gefühl merkbar verjüngt, sie wirkt viel vitaler, förmlich übersprühend vor Spaß am Fabulieren und am Wortbildermalen. Ich will’s mal einen wunderschön bunten Stil nennen.
Ich weiß schon, man soll als Leser/Kritiker nie die Figur einer Geschichte auf den Autor projizieren, aber hier fällt es mir wirklich schwer, Autor und Ich-Erzähler auseinanderzuhalten.
Der Text strotzt dermaßen vor Lebensfreude, vor tiefster Empfindsamkeit gegenüber dem Wunder des Lebens und dem Wunder der Welt, dass ich nicht anders kann, als mir den Autor als glücklichen und gleichzeitig schrecklich sympathischen Menschen vorzustellen.
Ich nehme mal an, josefelipe, du kannst mit dieser meiner Unprofessionalität leben.
Ich mochte den Text wahnsinnig gern, ehrlich. (Auch nicht gerade rasend eloquent formuliert. Was soll’s, du weißt schon was ich meine, oder?)

Einen schönen Gruß die Donau abwärts.

offshore

 
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Hallo josefelipe,

schön, dachte ich nach den ersten Absätzen, schön, aber da wird ja keine Geschichte mehr draus, nur ein bisschen Mitfeiern von Sonne, Strand und Liebe. Was definitiv auch etwas wert ist -aber mehr Stimmungsbild als Story.
Doch unerwartet (ich hatte schon die Länge des Ganzen im Kopf) taucht doch noch das Besondere auf: Die wilde Hundemeute - nicht ungefährlich, aber mitfühlend beschrieben, und er, ihr Anführer, den Stolz ausstrahlend, den er sich erkämpft hat in seinem Leben ohne Abfederungen.
Und wie ihn das Schicksal um ein Haar besiegt, trotz seiner Stärke (wie es das Schicksal ja des Öfteren bereithält, hart und zufällig wie ein querliegender Knochen). Dann die überraschende Rettung. Das ist alles stimmig und toll erzählt! Mir fehlt nur sie, die doch bei der Rettung dabei gewesen sein muss, in diesem abschließenden Bild der beiden Freunde (ich nenne sie mal so, trotz der unterschiedlichen Spezies). Zu Beginn so überschwänglich beschrieben, verliert sich ihre Spur dann irgendwie.

Aber in dieser Sommer-, Sonnen-, Hundestory dabei gewesen zu sein hat mich sehr gefreut!

Viele Grüße,

Eva

 
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Och, ist das schön.
Ich glaub, sehr professionell wird mein Kommentar auch nicht werden. Aber manchmal will man einfach seinen allerersten Eindruck loswerden. Nicht nur wunderschön geschrieben hast du deine Geschichte, die Muscheln, den Strand, die Liebe der beiden, sondern es ist einfach was für romantsche Seelen wie mich, deine Geschichte von dem sterbenden Hunderecken, der sich zum Glück nur am falschen Knochen verbissen hatte. Und was ich ganz großartig finde, es ist superromantisch und berührend, dabei aber null rührselig. Besonders gut gefiel mir dann natürlich der mitfühlende und sehr respektvolle Blick des Protagonisten auf den Hund. Das ist kein Herrchen-Hund-Verhältnis mit all seinen Rührseligkeiten, die so eine Hundegeschichte dann oft kriegt, sondern du bleibst ganz bei dem Protagonisten, der in den Hund seine Vorstellungen hineindenkt und -sieht, und den Hund dann gerade auf diese Weise individuell wahrnimmt.
Nicht sehr konstruktiv, ich weiß, aber Schlamm drüber, Josefelipe, du wirst das wohl aushalten, nur belobstert zu werden.
Viele Grüße von Novak

 

Hallo Josafelipe,

auch ich habe deine Geschichte gerne gelesen, ich mag deine Sprache sehr, sie ist so üppig und urwüchsig. Deine Unterwasserwelt entwickelt einen mächtigen Sog. Am Anfang war es mir fast zu paradiesisch, die Liebe, die Natur, alles so perfekt, Mann und Frau permanent im "Wir" verschmolzen. Als die Hundemeute kam, war ich geradezu erleichtert. Die Stelle, wo sie den Hund finden, war wunderbar geschrieben. Überhaupt finde ich den Titel absolut passend, für die Charakterisierung des Hundes wendest du am meisten Arbeit auf. Am Ende ist es mir fast wieder zu schön. Vielleicht hätte das Auge blind bleiben können, oder Archimbaldo hätte Anpassungsschwierigkeiten gezeigt.
Vielleicht ist das aber auch gar nicht nötig, wenn ich die Geschichte wie eine Fabel lese.
Ich hatte übrigens auch den Gedanken, wie die Geschichte wohl ganz ohne die Frau wirken würde und fand das ganz reizvoll.

Und jetzt kommen noch ein paar Kleinigkeiten, die mir aufgefallen sind.

Platzt
vermutlich Tippfehler, müßte "Platz" heißen

und bin sogar noch teilweise bei Sinnen! Und teilweise nicht:
finde ich ein bisschen umständlich, würde mir nicht fehlen

Was wir sehen, ist unglaublich schön.
Das ist mir nach deinen wunderbaren Beschreibungen schon vollkommen deutlich geworden, deshalb finde ich diesen Satz etwas "doppelt gemoppelt".

Wir schnorcheln auf verschlungenen Wegen um mächtige Hirnkorallen, halbrund mit magischer Aura, erinnernd an archaische Rechenmaschinen mit tausend Windungen, Speichern und Geheimnissen. Naturwunder, die uns glauben machen wollen, tatsächlich denken und rechnen zu können.

Den ersten Satz finde ich traumhaft, den zweiten Satz wieder ein wenig umständlich. Auch ist der Inhalt eigentlich schon im ersten Satz enthalten, oder?

Vielen Dank dafür, dass du mich aus diesen trüben Novembertagen in die gleißende Hitze des Südens entführt hast!
LG Chutney

 

Hola ernst offshore,
willst Du mich wirklich heiraten oder ist das nur Wortgeklingel? Ich vermisse die roten Rosen (Besonders zu dieser Jahreszeit bestehe ich darauf, denn jetzt sind sie am teuersten).
Du machst mich erröten! Aber lieber ernst, jetzt ganz im Ernst, ich habe mich so gefreut, dass ich bei Dir landen konnte. Zugegeben, ich habe mir meine Betulichkeit dieses Mal in einem echten Kraftakt abgeschminkt, aber wenn ich bei Euch mitpokern will, muss ich lernen. Der ursprüngliche Text war einige Kilometer länger und das Kürzen war oft wie eine Amputation.
Aber wenn ich jetzt arm- und beinlos herumliege, hat das doch nichts zu bedeuten. Der Kopf ist noch dran und die gute Beurteilung eines ernst offshore freut mich mehr als vieles andere.
Außerdem müssen wir Donauanrainer zusammenhalten!
Viele Grüße
Joséfelipe

 

Hola Eva,
ich danke Dir, dass Du Dich meiner Geschichte angenommen hast. Und Dein Urteil freut mich sehr. Dass beim Auftauchens des ‚Herrn Archimbaldo’ die attraktive Kate beinahe abtaucht, ärgert mich im Nachhinein fürchterlich - das ist beim Kürzen passiert. Sie ist aber von Anfang bis Ende dabei „....und er uns stolz und gravitätisch begleitet.“
Sei gegrüßt
Joséfelipe

 

Hola Chutney,
ich danke Dir, dass Du meinen "Archimbaldo" durchforstet hast. Ich muss Dir in allen Punkten recht geben.
Nur eines hat mich ziemlich verblüfft: Dein Einfall, die Frau eventuell einzusparen!
"Auf der Welt kann nichts gelingen, wenn die Frau nicht zugegen ist." (R. Tagore - ihm von mir persönlich in den Mund gelegt). Nein, nein, Witzchen beiseite - ohne Frauen geht gar nichts, auch keine Kurzgeschichte. So viel Mann bin ich, um davon felsenfest überzeugt zu sein. Und alt genug, um diese Behauptung mit selbst gemachten Erfahrungen zu stützen. Ich hoffe, Du schließt Dich meiner Meinung an.
Sei herzlich gegrüßt
Joséfelipe

 

Hola Novak,
och, ist das schön, von Dir gelobt zu werden. Daran könnte ich mich gewöhnen, doch das hätte mit harter Arbeit zu tun, Tag und Nacht. Ich will mal schauen, was meine Kondition zulässt.
Jedenfalls danke schön für Dein Interesse
und alles Gute
Joséfelipe

 

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