Arbeitermotivation
Ein Grinsen überflog sein Gesicht, allerdings kein freundliches, nettes Grinsen, sondern ein schadenfrohes, wissendes, fast diabolisches Grinsen. Stefan sah aus als hätte er einen schmutzigen Witz erzählt und damit seine Zuhörer ordentlich schockiert. Der Unterschied war, dass er keine Zuhörer hatte.
„Ich fang morgen ein bisschen früher an, um ein bisschen aufzuholen“, hatte er seinem Chef gestern gesagt. Den Blick würde Stefan so schnell nicht vergessen. Sein Chef maulte ihn schon seit Wochen an, dass Stefan mit der Arbeit nicht schnell genug vorankomme. Natürlich stimmte das nicht, er kam ganz gut hinterher, aber er war der Azubi und damit wohl prädestiniert um die Manifestierungen der Frustrationen seiner Bosse zu ertragen. Wenn er ihm solche Vorwürfe machte, schwieg er normalerweise und ballte die Faust in der Tasche. Der gelackte, schleimige, schmierige, hagere Mittdreißiger, seines Zeichens Möchtegern-Unternehmer in schwarzem Anzug mit Haaren mit einem beträchtlichen Gel-Anteil, der da vor ihm stand, versuchte dann immer Augenbraue hochzuziehen und sagt etwas wie: „Hör zu Stefan, ich mag dich, wirklich, aber wenn du so weitermachst muss ich Konkurs anmelden. Und das wollen wir doch alle nicht, oder?“
Dabei wusste dieser Idiot genau dass Stefan mindestens genauso gut wie seine Festangestellten arbeitete, wenn nicht sogar besser. Er musste es wissen und doch ignorierte er diese Tatsache und machte ihn regelmäßig vor den anderen runter.
Diesmal kam er gar nicht dazu, eine Augenbraue hochzuziehen. Stefan überraschte ihn gleich nachdem er wieder um die Ecke geschlichen kam, ein untrügliches Zeichen dafür, dass er sich jetzt wieder seine wöchentliche Standpauke abholen würde.
„Was willst du?“ Was gab ihm eigentlich das Recht Stefan zu duzen? Auch wenn er ein paar Jahre jünger und Azubi war, so war er doch immerhin schon ein paar Jahre über der Volljährigkeit.
„Ich werde morgen früher anfangen. Ich hab ja einiges aufzuholen.“
Und dieser Blick! Als ob er gerade aus zehn Metern auf ein Fahrrad ohne Sattel gesprungen wäre. Na ja, nicht ganz so schmerzhaft, aber doch überrascht. Er versuchte offensichtlich, etwas zu sagen, aber Stefan kam ihm zuvor.
„Dafür brauche ich einen Schlüssel zum Büro. Wenn Sie mir damit aushelfen könnten, bitte?“ sagte er in seinem zuckersüßesten Ton. Das sollte kein Problem sein, Vertrauen sollte er nach jetzt knapp zwei Jahren Arbeit zu ihm haben.
Langsam fasste er sich wieder und versuchte ein Lächeln.
„Ja, natürlich. Freut mich, dass du endlich mal aus den Socken kommst. Ich bring dir den Schlüssel nachher. Und jetzt, weiterarbeiten, sonst muss ich Konkurs…“. Das war ja klar. Er schaltete auf Durchzug um nicht endgültig auszurasten.
Nicht viel hätte gefehlt und er wäre ihm an die Gurgel gesprungen, er hasste diesen Mann wirklich, mehr als alles andere.
Und nicht nur seine Sprüche regten ihn auf, auch die Folgen seiner Sprüche. Die Kollegen waren offensichtlich froh, endlich einen zu haben, der einstecken muss und fingen jedes Mal an zu johlen, sobald der Chef den Raum verließ. Und das nicht gerade leise, was bedeutete dass der Lackaffe es hören musste. Wahrscheinlich freute er sich jedes Mal, dass er sogar noch was für die Motivation getan hatte. Er wollte gar nicht daran denken, dass er es sogar genau deswegen machen könnte.
So auch diesmal. Kaum schloss sich die Tür, fing die Frau neben ihm an, leise zu kichern. Die anderen setzen natürlich prompt ein, als hätten sie auf ein Stichwort gewartet. Der Idiot links hinter ihm, natürlich besoffen, wie immer, war am lautesten und lallte: „Na Kleiner, da hat er dich doch wieder drangekriegt.“
Von irgendwo traf ihn ein Stück zusammengeknülltes Papier am Kopf und dieses dicke Säufer-Schwein hinter ihm schlug auf den Tisch vor lachen.
Einer stand auf und sagte: „Ich mach Schluss, kommt wer mit ein Bier trinken?“ Was für eine blöde Frage, in Sekundenbruchteilen war die Hälfte der Leute verschwunden. Die andere Hälfte befand, es „lohne sich jetzt eh nicht mehr zu arbeiten“ und setzte sich ebenfalls ab. Natürlich würde er das wieder ausbaden müssen, schließlich war er der langsame Arbeiter, der alle anderen zeitlich zurückwirft.
Da saß er jetzt, alleine. Es war so unheimlich still in diesen beinahe sterilen Räumen. Kein Bild, keine Pflanzen, keine persönlichen Gegenstände. Stefan lehnte sich zurück und starrte an die Decke.
Hier konnte er nicht bleiben.
Keinen Tag länger. Er konnte es einfach nicht. Aber was dann? Er hatte keinen guten Abschluss und hatte mit viel Glück diese Stelle bekommen. Eine abgebrochene Ausbildung würde seinen Karriereplänen endgültig den Todesstoß verpassen. Aber hier konnte er nicht bleiben.
Der Chef schaute Fernsehen, man konnte es deutlich aus seinem großen, protzigen Büro hören. Dieser verdammte Idiot, er war Schuld an seiner Lage. Er hätte einfach gute Arbeit geliefert und wäre nach der Ausbildung wieder weg gewesen, stattdessen wurde er hier systematisch tyrannisiert. Nicht er war hier das schwache Glied, er wurde zu ihm gemacht. Seine Verzweiflung schlug um in Hass. Endloser Hass auf den Chef, auf die Kollegen und diesen teuflischen Plan, seine Karriere zu ruinieren.
Das konnte nicht mehr anders sein, er konnte jetzt klar sehen. Er sah die Dinge vor sich: Dieser Halbintelligente Möchtegernboss machte das mit Absicht. Er hatte Spaß daran, ihn solange zu quälen, bis er kündigte und alle seine Träume wegschmeißen konnte.
Und die Kollegen waren entweder eingeweiht oder machten aus Spaß mit.
Nicht Stefan war der Idiot, er hatte den Plan durchschaut. Aber das würde er nicht passieren lassen.
Jetzt saß er hier, halb sechs Uhr morgens, und grinste. Nicht dieses nette, freundliche Grinsen, sondern das diabolische. Er starrte aus dem Fenster und spielte mit einem Glas mit Schwefelsäure, das er mal aus einem Chemielabor auf einem Außeneinsatz hatte mitgehen lassen. Säure faszinierte ihn, es konnte Sachen verletzen ohne bedrohlich auszusehen. Manche könnte man für Wasser halten und trinken. Man könnte genauso gut von einem netten Arbeitgeber ausgehen, der einen trotz schlechter Zeugnisse anstellt..
Ein Auto parkte auf dem Parkplatz. Der Chef stieg aus und auf einmal ging alles ganz schnell. Was wollte der schon hier? Kontrollieren ob er auch arbeitete? Der würde sich wundern wie sehr er arbeitete. Stefan sprang von seinem Platz auf, stellte sich neben die gläserne Einganstür und wartete auf das, was gleich passieren würde. Seine Augen leuchteten und er konnte das Kichern nicht mehr unterdrücken, das Kichern das sich zu einem Lachen entwickelte, einem lauten Lachen, das beinahe den Türsummer, und damit sein Stichwort übertönte.