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Arbeiteraufstand am 19 Juni 2003 im Sieben-Seen-Center Schwerin?

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Arbeiteraufstand am 19 Juni 2003 im Sieben-Seen-Center Schwerin?

50 Jahre und zwei Tage nach dem historischen Arbeiteraufstand, der die gesamte damalige DDR erfasste, sieht es so aus, als sollte sich die Geschichte wiederholen.

Wer heute Morgen durch den Real-Supermarkt schlendert, wird sofort gemerkt haben, dass etwas anders ist als sonst. Wo sonst weißbekittelte semifreundliche Damen durch die Regale wuseln und mit ihren Hubwagen palettenweise Waren spazieren fahren, hat der Kunde heute zumindest vordergründig Platz, die von ihm gewünschten Waren sogar mit seinem Einkaufswagen zu erreichen.

Dass sich der Platz aber nicht nur auf den Gang vor den Regalen, sondern auch auf die Auslagen der Regale erstreckt, bemerkt der aufmerksame Besucher spätestens, wenn er in die Frischeabteilungen kommt.

Wer es gewohnt ist, morgens um acht, seine frisch aufgebackenen Brötchen für einen Spottpreis abzuholen und dafür einen Hindernisslalom durch unentschlossene Kunden, herrenlose Einkaufswagen und hubwagenbewehrtes Verkaufspersonal in Kauf zu nehmen, der sieht sich heute erst um viertel zehn den ersten Brötchen gegenüber. Sonst ist noch keine einzige Backware in dem sonst recht ansehnlich gefüllten Regal ausgelegt.

Nicht anders sieht es in der Frischfleischabteilung aus.
„Man hat uns ja aus dem Schlossparkcenter hierher geschickt, damit wir wenigstens eine Grundversorgung gewährleisten können. Die Kollegen hier streiken ja im Grunde für uns alle.“ Soweit Hubert K., der sich als Fleischfachverkäufer allein dem wüsten Ansturm von drei Rentnerinnen ausgesetzt sieht, die sich noch nicht ganz schlüssig sind, ob sie zum Wochenende einen Braten oder Rouladen machen sollen, oder ob sie überhaupt Fleisch benötigen würden.
„Heute ist das Angebot ja ein bisschen mager, im Gegensatz zum ausgelegten Fleisch. Da macht es ja gar keinen richtigen Spaß, sich die Ware herzeigen zu lassen.“ Meint Hermine O. aus Lankow. „Da muss ich wohl morgen noch mal wiederkommen.“

Großes Geschrei auch an der Fischtheke, wo es heute, trotz des drohend nahenden Freitags absolut keinen einzigen Fisch gibt. „Wir werden auch heute keinen Fisch mehr auslegen, dafür fehlt es uns einfach an Personal.“ Sagt Herbert V., Verkaufsleiter der Frischwarenabteilung. Es sind heute nur zwei Mitarbeiter zur Arbeit erschienen, die werden benötigt, die abgepackte Ware in die Regale zu bringen.“

Franz K. Filialleiter der Filiale Schwerin Grabenstraße meint dazu. „Das Ganze hat sicher keine politischen Dimensionen, selbst wenn gewisse Parallelen zu 1953 erkennbar sind. Auch wenn wir wegen der Umsetzung der neu geltenden Ladenöffnungszeiten an Samstagen so etwas wie eine Normerhöhung haben, so wird diese jedoch, im Gegensatz zu 1953 mit dem vollen Stundenlohn vergütet. Es gibt also keine Lohnkürzungen. Damit ist das hier etwas ganz anderes.“

Die Geschäftsführung scheint von dem Streik der Belegschaft kalt erwischt worden zu sein. Alle Maßnahmen, die hier ergriffen werden, wirken provisorisch. Besonders deutlich wird das an den Kassen, wo statt der üblichen finster dreinblickenenden Damen heute nette junge Männer sitzen, die die Kunden mit lockeren, frech-witzigen Sprüchen bei Laune halten wollen. Das müssen sie auch, denn es fehlt ihnen an der Übung, die Waren gekonnt über den Scanner zu ziehen. Besonders deutlich wird die Unerfahrenheit, wenn die jungen Männer die Wareneingabe beenden müssen und der Kassencomputer die Summe aus den Waren bilden soll. Viele sind von der Vielzahl der Tasten auf der Kasse überfordert.„ Es sind ja nicht nur die vielen Tasten hier, man hat uns hier von Bochum hergeschickt, und da hat man uns gerade mal 2 Minuten lang erklärt, wie diese Kassen hier funktionieren. Und wie das hier mit dem Band funktioniert, das weiß ich auch nicht. Aber das hält die Kunden ja fit, jetzt brauchen sie sich nicht nur um die Waren kümmern, die ich bereits gescannt habe, jetzt müssen sie auch noch die Waren nachschieben, die ich noch scannen muss. Da wird Einkauf doch wieder zum Erlebnis“ meint Stefan B, der heute an der Kasse sitzt.

„Das dürfen Sie jetzt so auch wieder nicht sagen.“ entgegnet Franz K. auf Vorwürfe, völlig planlos zu agieren.. „Wir haben viele Maßnahmen ergriffen, um die Lage unter Kontrolle zu behalten. Erst einmal haben wir bewusst darauf verzichtet, die Kunden auf unseren Personalmangel hinzuweisen, schließlich wollen wir sie ja nicht unnötig beunruhigen. Dann weise ich darauf hin, dass dies ja gar nicht so überraschend kommt, wie es jetzt dargelegt wird. Wir haben zwar draußen darauf hingewiesen, dass wir ab dem 01. Juni samstags bis 20.00 Uhr geöffnet haben wollen, haben aber schon seit Ende Mai in der Verkaufshalle einen Hinweis abgebracht, dass es in dieser Filiale vorerst bei den gewohnten Öffnungszeiten bleibt. Hier konnte also jeder sehen, dass sich da etwas anbahnte. Weiterhin ist es unsere Taktik, heute nur fünf Kassen geöffnet zu halten. Sie haben ja gesehen, dass es mit dem Kassenpersonal heute mehr Schwierigkeiten gibt, als gewöhnlich, das liegt aber daran, dass dieses Personal noch nicht richtig eingearbeitet ist. Die Konzentration auf die fünf Kassen soll kommunikationsfördernd auf die wartenden Kunden wirken und somit das Erlebnis Einkauf steigern. Wir erhoffen uns davon höhere Umsätze im zweistelligen Prozentbereich.“

Dass es mit den Kassen wirklich nicht so reibungslos verläuft, wie man das gewohnt ist, merkt man an der Informationstheke, wo viele Kunden ihren Kassenbon in Geld umtauschen können. Nämlich immer dann, wenn sich der Kassierer verdrückt hat. Wenn jener nämlich die Kombination 5-0-Eingabe drückt, statt 5-0-K, wenn der Kunde mit einem 50 Euroschein bezahlen will, dann wird diesem nämlich eine Telefonkarte im Wert von 50 Euro mit auf die Rechnung gesetzt. Und da diese Falschbuchung auch nicht ohne weiteres wieder aus dem Rechner genommen werden kann, müssen die Kunden diese fiktive Telefonkarte bezahlen, und bekommen an der Information gegen Vorlage des Bons das Geld ersetzt. „Ich war ganz schön erstaunt über den doch recht hohen Preis für einen Feudel und eine Schinkenwurst“ sagt Erna G. „Aber das hat sich schnell aufgeklärt. Eine Telefonkarte kann ich gar nicht gebrauchen, alle Neuigkeiten erfahre ich ja von meiner Nachbarin.“

Einzig die Anhänger der Partei Bibeltreuer Christen, die vor den Eingängen freudig Plakate hochhält und Infostände errichtet hat, wo für die Wiedereinführung des Fronleichnamstages als bundesweitem Feiertag die Werbetrommel gerührt wird, kann der Situation nur Positives abgewinnen. Christian H., der Landesvorsitzende der PBC Mecklenburg-Vorpommern meint dazu. „Es geht den Mitarbeitern gar nicht um die Mehrarbeit am Samstag, sondern um diesen Feiertag. Das kann aber die Geschäftsführung nicht zugeben, denn würde der Fronleichnam wieder als Feiertag eingesetzt werden, dürften die Händler an einem weitern Tag im Jahr nichts verkaufen, also deklarieren sie diesen Streik als normale Arbeitskampfmaßnahme. Wir wissen es aber besser und unterstützen die Mitarbeiter deshalb und sorgen hier für Aufklärung.“

Ob dieser Streik jetzt wirklich der Einführung eines neuen Feiertages in Mecklenburg-Vorpommern dient oder eine schnöde Arbeitskampfmaßnahme ist, ob hier ein neues Verkaufkonzept ausprobiert wird oder ob versucht wird, den Kunden mehr in die Kaufhandlungen einzubeziehen, davon können Sie sich noch den ganzen Tag hier im Sieben-Seen-Center überzeugen. Nur Frischwaren sollten Sie dann nicht unbedingt kaufen wollen....

 

Ich fand deine Geschichte echt witzig! Jedoch glaube ich, dass sie an einigen Stellen gekürzt, besser rüberkommt. Vielleicht kannst du sie ja noch "cutten".

Tschau!
Puni

 

Ich bin keineswegs der Meinung, dass diese Geschichte gekürzt werden sollte - ich finde sie gut so, wie sie ist!

Habe mich gut amüsiert!

Aragorn

 

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