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Arabische Nächte

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03.11.2002
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Arabische Nächte

Über Kairo liegt eine dichte Dunstglocke aus Abgasen und Staub, als wir am späten Nachmittag im Landeanflug die größte Stadt des afrikanischen Kontinents überqueren. Der Nil windet sich durch ein scheinbar unendliches Meer von Häusern, dem die untergehende Sonne eine einheitlich bräunliche Färbung verliehen hat. Der Smog lässt keinen Horizont mehr am Himmel erkennen und lediglich der Cairo Tower ragt als höchstes Bauwerk der Stadt deutlich sichtbar empor.

Irgendwo vor der Ankunftshalle erwartet mich der Fahrer der A.B.A. (Association of Business Assistance), den man mir geschickt hat, mich vom Flughafen abzuholen. Mein Blick schweift suchend über die unzähligen Namensschilder, bis ich eines entdecke, auf dem in großen blauen Buchstaben geschrieben steht: „Mrs. Dillner“. Ich nicke dem Mann, der meinen Nachnamen vor seiner Brust hält zu, während ich meinen Koffer hinter mir herziehend auf ihn zu gehe.

Mahmud ist etwa einen halben Kopf kleiner als ich und mindestens doppelt so schwer. Freundlich begrüßt er mich und nimmt mir eilig meinen schweren Koffer ab. Flinken Fußes eilt er in Richtung Parkplatz und verstaut schon mal in den Kofferraum seines Taxis, während ich mit meinen restlichen, kleineren Gepäckstücken noch gemächlich die Straße überquere.

Das Hotel, in dem ich wohnen werde, liegt im Stadtteil Zamalek, in einer von schattenspendenden Bäumen gesäumten Straße. Wenn nicht vor dem Haus ein Schild gestanden hätte, das darauf hindeutet, dass sich hier ein Hotel befindet, hätte man wohl hier drin keines vermutet. Das Erdgeschoss besteht nur aus einem riesigen Hausflur mit Steinfliesen und erblindeten Spiegeln an einer Wand. Im ersten Stock befinden sich Wohnungen. Im zweiten ein Hospital. Im dritten wieder Wohnungen. Im vierten findet man das Horus Hotel. Und dann in der letzten und fünften Etage endlich das Hotel Abu Sidi. Der Aufzug, der mich dahin gebracht hat, ist schon über ein Jahrhundert in Betrieb. „Schröder – Suisse – 1874“ steht auf einem Schild.

Ich bin angenehm überrascht, als ich aus dem Fahrstuhl trete. Ein langer Flur, in dessen Mitte eine Brücke mit orientalischem Muster von der Rezeption zu einem kleinen Foyer führt, von dem aus man über eine Treppe zu den Zimmern gelangt. An den Wänden hängen Fotografien einer deutschen Schauspielerin, Bilder und Plakate eines Theaters, Lampen mit kleinen Stoffschirmchen und Hängepflanzen. Alles in allem im Stil der 30er Jahre. Ebenso ist das Mobiliar in meinem Zimmer angepasst. Von einer weiten Terrasse blickt man auf die umliegenden Häuser.

Am nächsten Morgen weckt mich das Hupen der Autos, die auf der Straße vor dem Hotel vorbeifahren. Noch im Bett liegend rufe ich die A.B.A. an, um mitzuteilen, dass ich gut angekommen bin und eine Uhrzeit für unser erstes Treffen heute auszumachen. Eine Mitarbeiterin wird mich gegen 11:00 vom Hotel abholen und zu meinem ersten Termin bringen.

Die A.B.A. ist eine Organisation, die mit Unterstützung verschiedener Ministerien und staatlicher Einrichtungen ägyptischen und deutschen mittelständischen Unternehmen ermöglicht, geschäftliche Kontakte aufzunehmen, potentielle Partner sucht, erste Gespräche organisiert und die Durchführung vor Ort gewährleistet. Außerdem ist sie bei benötigten Übersetzungen ins Arabische oder ins Deutsche behilflich. Natürlich ist die ganze Sache nicht vollkommen kostenlos.

Carmen, von deren Namen her man vermuten könnte, dass sie aus Deutschland stammt, ist Ägypterin. Sie ist in Stuttgart geboren und war erst ein paar Monate alt, als ihre Eltern nach Kairo zurückgegangen sind. Jedoch hat sie hier die deutsche Schule besucht und spricht deshalb neben Arabisch auch fließend unsere Sprache. Nachdem ich mich mit Carmen, mit der ich schon einige Male von Deutschland aus telefoniert hatte, persönlich bekannt gemacht habe, geht es zu einem ersten Gespräch mit einer ägyptischen Firma.

Mahmud, der mich gestern Abend vom Flughafen zum Hotel gebracht hat, wird auch heute unser Fahrer sein. Bereits gestern auf dem Weg in die Stadt habe ich versucht, einiges über Kairo von ihm zu erfahren. Aber sein Englisch beschränkt sich auf ein paar Redewendungen. So chauffiert er uns heute ebenso schweigsam vor seinem Lenkrad sitzend durch die Straßen Kairos.

Die ersten beiden Kontakte zu ägyptischen Unternehmen verlaufen recht erfolgsversprechend. Als wir bis zum nächsten Termin noch ein wenig Zeit haben, setzen wir uns in ein Café und plaudern. Nun habe ich endlich die Gelegenheit, von Carmen ein wenig über Kairo zu erfahren, z. B., was man am Abend machen könnte. Ich lasse mir von ihr den Namen eines Platzes aufschreiben, den Midan el-Tahrir, von dem aus man einen Einkaufsbummel durch die unzähligen Geschäfte unternehmen kann. Nach Feierabend lasse ich mich mit einem Taxi dahinbringen. Sternförmig gehen von hier aus die Straßen mit unzähligen Läden in alle Richtungen. Hier kaufen die Ägypter ein. Kleidung und Schuhe „Made in Egypt“, dazwischen kleine Fast-Food-Restaurants. In diesem Viertel trifft man nur selten einen Touristen.

Es ist bereits finster, als ich mich entschließe, ins Hotel zurückzukehren. Jedoch fahren nur voll besetzte Taxis an mir vorüber. Ich bleibe auf dem Bürgersteig stehen, in der Hoffnung, irgendwann wird schon eins vorbeikommen, das noch einen Platz frei hat.

Nach mehreren Minuten verzweifelten Ausschauhaltens hält schließlich ein alter Peugeot. Auf dem Rücksitz nur ein Fahrgast. Durch die heruntergelassene Scheibe frage ich: „Zamalek? Hotel Abu Sidi?“ Der Fahrer nickt und macht eine Handbewegung, die mir anzeigt, dass ich einsteigen soll. Na endlich. Ich dachte schon, ich muss zu Fuß zurück gehen.

Ich setze mich auf den Beifahrersitz und nachdem der alte Mann, der hinten Platz genommen hatte, ausgestiegen ist, versucht der junge, gut aussehende Taxifahrer mit mir auf Englisch ins Gespräch zu kommen. Ich schätze, dass er ein paar Jahre jünger ist als ich. Etwa so um die dreißig. Er hat sehr kurze, schwarze Haare und seine dunklen Augen funkeln im blassen Schein der Straßenlampen und der Lichter der Stadt.

„What´s you name? I am Osama.“ sagt er lächelnd und schaut dabei auf mein rotes Haar: “You are beautiful”. Ich sage ihm, dass ich Sara heiße, aus Deutschland komme und denke mir dabei, Du bist auch nicht von schlechten Eltern. Dein süßes Lächeln wirkt ein wenig verlegen. Dein Blick in den Rückspiegel, den Du verstellt hast, um mich hin und wieder während der Fahrt anzuschauen, zeigt mir Deine durchdringenden Augen, die erahnen lassen, was möglicherweise im Kopf unter diesen pechschwarzen Haaren für Gedanken aufkommen. Wenn ich es bemerke, schaust Du schnell wieder auf den Verkehr.

„Bist Du verheiratet in Deutschland?“ Ich verneine. Diese ersten Fragen sind mir bereits bekannt, werden sie doch von arabischen Männern oft als Standardfragen benutzt, um eine Unterhaltung zu beginnen: Wie heißt Du? Woher kommst Du? Bist Du verheiratet? Manchmal folgt dann auch noch: Würdest Du einen Araber heiraten? Früher versuchte ich meist zu erklären, dass es mir nicht darauf ankommt, ob der Mann, den ich heiraten würde, Araber ist oder Europäer oder was auch immer, sondern gegenseitige Zuneigung die entscheidende Rolle spielt. Heute beantworte ich die Frage mit einem Lächeln und versuche ein anderes Thema zu beginnen.

Er erkundigt sich, ob ich schon die Pyramiden von Gizeh besucht habe. „Nein, aber das habe ich mir für morgen Nachmittag vorgenommen. Da habe ich frei,“ antworte ich ihm. Darauf meint er: „Wir könnten zusammen dahin fahren und ich zeige Dir die Pyramiden,“ er schaut mich erwartungsvoll an.

Als wir an meinem Hotel angekommen sind, schreibt er mir seine Handynummer auf einen Zettel: „Du kannst mich anrufen. Jederzeit. Ich werde Dich abholen und Dich dahin bringen, wo Du möchtest.“ „O.k. Ich überlege es mir. Ma assalaama, Osama.” Er winkt mir noch einmal aus dem Taxi zu, bevor er aufs Gaspedal geht und davonfährt.

Wenn ich es mir recht überlege, warum sollte ich eigentlich nicht sein Angebot annehmen? Mit Mahmoud zu den Pyramiden zu fahren, der mich schweigsam durch Kairo chauffiert, weil wir uns wegen der Sprachbarrieren nicht unterhalten können, dann wahrscheinlich noch im Taxi wartet, bis ich mit meiner Besichtigungstour fertig bin, klingt nicht unbedingt unterhaltsam. Wenn ich mit Osama gemeinsam nach Gizeh fahre, kann er mir sicherlich auch ein wenig über Ägypten erzählen.

Heute morgen passiert mir beim Frühstück erst einmal ein Missgeschick. Ich bin in meinen Gedanken dabei, mir auszumalen, wie lustig der Tag mit Osama werden könnte. Wir klettern in den Pyramiden herum und hin und wieder werfen wir uns einen Blick zu. Ich schaue in seine dunklen Augen, er lächelt mich an. Dann denke ich wieder daran, welch langweiliger Nachmittag mir mit Mahmoud bevorstehen würde. Er döst im Taxi vor sich hin, ich sehe in gähnen und er wartet nur darauf, bis ich endlich zurückkomme und wir wieder fahren können.

In der Zwischenzeit steigt aus dem Toaster Qualm und es riecht leicht nach verbranntem Brot. Jetzt werde ich aus meinen Tagträumen gerissen und drücke rasch auf den Knopf des Toasters. Im hohen Bogen wirft er die kohlrabenschwarzen Toastbrotscheiben aus. Eine landet direkt in der Schüssel, in der sich die Butter befindet und die bis zum Rand mit Wasser zum Kühlhalten gefüllt ist. Peinlich. Ein Angestellter kommt sofort herbeigeeilt. Ich entschuldige mich für meine Unachtsamkeit. „Kein Problem“, meint er. Nachdem ich erneut zwei Scheiben Brot im Toaster platziert habe, weicht der Kellner nicht mehr von meiner Seite, bis der Toastvorgang erfolgreich beendet ist. Danach muss ich schmunzeln. Osama, Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf.

An der Rezeption bitte ich darum, Osama anzurufen und ihn zu fragen, ob er 14:00 Uhr vor dem Hotel sein könnte, um mit mir zu den Pyramiden zu fahren. Ich habe meinen Terminplan vor mir und schätze ein, dass ich gegen 13:00 Uhr zurück im Hotel sein werde.

Da tritt eine Dame, die Inhaberin des Hotels Abu Sidi, wie ich gleich erfahre, aus dem Büro neben der Rezeption: „Ah, guten Tag! Ich bin Madame Hibouk. Sie wohnen doch schon seit gestern bei mir und jetzt erst lerne ich Sie kennen.“ Sie fragt mich, wie es mir geht und wie sie mir helfen kann. Ich erzähle ihr von meinen Plänen für den Nachmittag und dass ich beabsichtige den Fahrer, mit dem ich gestern bereits unterwegs war, anrufen zu lassen, damit er mich am Hotel abholt.

„Gut. Ich werde ihn sofort darüber informieren, dass Sie 14:00 Uhr hier auf ihn warten. Wie heißt er?“ Ich nenne ihr seinen Namen und sie greift zum Telefon. Resolut spricht sie auf Arabisch mit Osama. Ich höre nur ein paar Mal meinen Namen, Madam Sara. „So,“ meint sie freundlich nach dem Anruf. Ihre Stimme klingt wieder liebenswürdig. „Ich habe ihm gesagt, dass er erst einmal zu mir hochkommen soll, um sich vorzustellen. Ich möchte sehen, wer Sie fährt, um Sie in sicheren Händen zu wissen.“ Ja, Frau Oberin. Lässt sich wohl nicht vermeiden, denke ich bei mir.

Aber es lässt sich durch einen Zufall doch vermeiden. Die letzte Verabredung wird um zwei Stunden vorverlegt. So bin ich schon vor dem Mittag wieder zurück. Gleich lassen ich den Mann an der Rezeption noch einmal Osama anrufen und ihn fragen, ob er vielleicht schon 12:00 Uhr da sein könnte. Dabei beobachte ich die Bürotür und hoffe, dass Madam Hibouk nicht plötzlich herausgestürzt kommt und den Telefonhörer an sich reißt. Auch der Angestellte spricht mit Osama mit energischer Stimme. Täusche ich mich oder scheine ich da eine Art Befehlston raus zu hören? Danach hebt er den Daumen und bestätigt mir: „Punkt 12:00 Uhr, Madam Sara.“

Endlich kann ich meine „Dienstkleidung“ abwerfen, unter der ich schon den ganzen Vormittag gelitten habe. Bei ca. +30°C lange Hosen und Blazer. Dazu schleppe ich die überwiegende Zeit den Laptop sowie meinen Aktenkoffer mit ein paar Kilo Dokumenten von Termin zu Termin. Aber jetzt plätschert unter der Dusche das erfrischend kühle Wasser über meine Haut. Ich denke dabei an Osama, an seine funkelnden Augen, sein etwas schüchternes Lächeln und ich freue mich darauf, ihn wiederzusehen.

Was ziehe ich an? Ich krame im Koffer. Ein paar luftige Hosen und ein kurzes T-Shirt. Nur noch einen kurzen Blick in den Spiegel und fünf Minuten später stehe ich pünktlich vor dem Eingang des Hotels.

Kurz nach 12:00, gerade mal drei Minuten nach der vereinbarten Zeit, fährt Osama vor. Sofort entschuldigt er sich für die paar Sekunden Verspätung. Ich sage ihm, dass dies doch kein Problem sei. Weiß ich doch, dass der Verkehr in Kairo alles andere als ein ungehindertes Durchkommen ermöglicht und was sind schon drei Minuten! Das hält ihn aber nicht davon ab, sich noch einmal zu entschuldigen.

Wir fahren auf einer dieser großen, achtspurigen Hauptstraßen in Richtung Gizeh. Ich bin schon den ganzen Tag voller Erwartung auf diese gigantischen Bauwerke, die Pyramiden. Der Verkehr auf dieser Straße ist ziemlich dicht und manchmal geht es nur schleppend voran. Immer wenn wir an einer roten Ampel halten müssen, schaut Osama in seinen zurecht gerückten Rückspiegel, der mich genau im Visier hat. Er lächelt, wenn ich auch in den Spiegel schaue.

Kaum haben wir Gizeh verlassen, nur ein paar hundert Meter nach den letzten Häusern, befindet man sich auch schon an den alles überragenden Pyramiden. Und da stehe ich nun überwältigt bei ihrem Anblick vor ihnen. Sie, die schon Tausende von Jahren überdauert haben. Die Pyramiden von Gizeh. Im ersten Moment habe ich den Eindruck, neben einem Berg zu stehen und es fällt schwer zu glauben, dass diese Bauwerke von Menschenhand erschaffen wurden.

Nachdem wir unseren Rundgang um die Pyramiden beendet haben, verweilen wir noch ein wenig auf dem Parkplatz und ich genieße noch einmal den Blick auf diese außergewöhnlichen, kolossalen Bauten. Osama nutzt die Zeit, um einen Ägypter ausfindig zu machen, der gut englisch spricht (Osama´s englischer Wortschatz ist nicht sehr umfangreich) und der mir folgendes erzählt: “Ich soll Dir sagen, dass er nicht der Eigentümer des Taxis ist, sondern nur ein einfacher Fahrer. Und am nächsten Morgen muss er seine Einnahmen abliefern. Wenn man ihn einen Tag lang mieten möchte, kostet das 100 Pfund.“ Ich bemerke, wie peinlich es Osama ist und während der Mann mit mir spricht, schaut er auf den Boden.

Ich antworte ihm: „Ich weiß, dass das Taxi nicht ihm gehört. Dass er angestellt ist und seinen Tagesumsatz abzugeben hat. Bitte sage ihm doch, dass das kein Thema ist. Er kann mich auf der Rückfahrt am Basar Khan Al-Khalili absetzen. Und es ist doch wohl ganz selbstverständlich, dass ich die Fahrt zu den Pyramiden bezahle.“ „Wie viel gibst Du ihm?“ Ich nenne ihm die Summe, die mir Carmen für den Fall, dass Mahmoud mich fährt, vorgeschlagen hat. „Das ist o.k.“ meint er.

Osama steigt in das Taxi und wir fahren wieder in Richtung Stadtzentrum. „Hast Du in Deutschland einen Freund?“ fragt er mich . Ich verneine und frage ihn daraufhin, ob er denn verheiratet ist. „Ja. Und ich habe einen Sohn. Er ist 1 ½ Jahre alt.“ Ich erzähle ihm, dass ich einmal verheiratet war und auch einen Sohn habe.

Eine Weile schweigt er, während wir durch einen Vorort von Kairo fahren. „Würdest Du einen Ägypter heiraten?“ Ich lächle. Wieder einmal diese Frage. „Ich beabsichtige nicht, in naher Zukunft zu heiraten. Wieso fragst Du?“ „Nun, würdest Du mich heiraten?“ „Osama, ich kenne Dich doch kaum, genauso wenig wie Du mich. Und... Du bist bereits verheiratet.“ „Das macht nichts, dass ich verheiratet bin. Du und Samira, das ist kein Problem.“ „Nun,“ entgegne ich, „mir macht das schon etwas aus.“ Dabei belassen wir es erst einmal. Auch weiß ich nicht so recht, ob er dies wirklich so richtig ernst meint. Ich als Zweitfrau. Aber ich denke schon, dass es kein Scherz seinerseits ist. Polygamie ist in Ägypten erlaubt, wenngleich sie auch heutzutage nur noch selten praktiziert wird. Schließlich muss der Mann auch seine Frauen ernähren und ausstatten können, ebenso wie seine Kinder.

Ein paar Minuten später fragt er mich, ob er nicht doch mit mir gemeinsam in den Basar kommen kann. Er legt einfach eine Pause ein und wir könnten zusammen durch die schmalen Gassen bummeln. „Natürlich,“ sage ich. „und ich möchte auch gern die Al-Azhar Moschee besuchen. Zeigst Du sie mir?“ Wir sind uns einig.

Gleich neben dem Basar steht eine weitere große Moschee, die El-Hussein Moschee. Daneben gibt es einige Straßencafés, die auch arabische Musik spielen. Die Al-Azhar Moschee befindet sich auf der anderen Straßenseite und wir erreichen sie durch einen Fußgängertunnel.

Hier müssen wir erst einmal, bevor wir den roten Teppich vor dem Eingang der Moschee betreten, unsere Schuhe ausziehen. Dann kommt auch gleich ein Ägypter herbeigeeilt, der mir eine lange und weite, dunkelblaue Kutte überreicht. Die darf ich mir nun so überwerfen, dass mein Haar bedeckt ist. Der Schnitt dieses Gewandes ist alles andere als passend und es rutscht mir ständig vom Kopf. Ich habe die ganze Zeit nur damit zu tun, es gerade zu ziehen und festzuhalten.

Es findet sich auch sogleich ein Führer, der mir alles über die Moschee erzählen kann. Während ich noch an der Kutte zupfe, hat sich Osama auf den Weg zur Waschung gemacht. Er will die Möglichkeit nutzen, sein Nachmittagsgebet durchzuführen. Man kommt ja auch nicht jeden Tag in die Al-Azhar Moschee.

Mein neuer Begleiter zeigt mir die Gebetsräume für die Frauen und die Madrassa (Koranschule), in der sogar gerade Unterricht abgehalten wird. Die „Schüler“ sitzen gespannt lauschend vor dem islamischen Gelehrten, dessen langer, weißer Bart fast bis zum Boden reicht. Er liest aus dem Koran. Nun, man kennt ja dieses Bild aus dem Fernsehen.

Nachdem wir den Rundgang beendet haben, gelangen wir an den Gebetsraum, in dem sich auch Osama befindet. Ich setze mich draußen auf einen Vorsprung an der Mauer, von wo aus ich ihn gut beobachten kann. Mich würde brennend interessieren, was er jetzt zu Allah spricht, als er kniend, mit dem Gesicht auf dem Boden betet. Ich werde es wohl nicht erfahren.

Wir verlassen die Moschee und gehen in Richtung Basar. Zum Nachmittag ist hier nicht all zu viel los. Das gibt den Händlern die Möglichkeit, jeden Vorübergehenden anzusprechen, um ihn in sein Geschäft zu locken. Mittlerweile habe ich von Osama ein paar Worte Arabisch aufgeschnappt. Jedes Mal wenn mir jetzt einer der Verkäufer hinterhergelaufen kommt und auf Englisch seine Waren anpreist, entgegne ich ihm: „La, shukran. Ana mish aisse.“ Was soviel heißt wie: “Nein, danke. Ich möchte nicht.“ Danach bleiben sie entweder erstaunt stehen und sagen gar nichts mehr oder sie plaudern munter weiter auf Arabisch auf mich ein. Nun verstehe ich natürlich kein Wort mehr und muss grinsen. Wir amüsieren uns prächtig, schlendern lachend durch die schmalen Gassen, während ich an jedem meine neuerworbenen Arabischkenntnisse teste.

„Was hältst Du davon, wenn wir heute Abend noch einmal hierher kommen und im Café Fishawy eine Shisha rauchen und etwas trinken?“ frage ich Osama. Er ist erfreut über meinem Vorschlag und seine Augen funkeln vor Begeisterung. Er wird mich zur vereinbarten Zeit abholen.

Wir fahren erst einmal zurück nach Zamalek zu meinem Hotel. Ich habe noch ein paar Sachen für die morgigen Termine vorzubereiten. Dafür bleiben mir noch drei Stunden. Also genügend Zeit.

Pünktlich fährt Osama´s Taxi vor. Als er aus dem Wagen steigt, sehe ich, er hat sich wohl sein bestes, weißes, frisch gebügeltes Sonntagsausgehhemd angezogen. Wenn das kein Zeichen ist. Er öffnet mir die Beifahrertür und bittet mich einzusteigen. Sein Blick schweift über meinen Körper und verweilt dann in meinen Augen. Ein paar Sekunden schauen wir uns schweigend an. Gern möchte ich jetzt seine Gedanken lesen können. Was geht ihm durch den Kopf, wenn er mich so durchdringend ansieht? Was mag er denken, wenn ich ebenso zurückschaue?

Ich unterbreche den intensiven Blickkontakt mit einem Lächeln und sage: „Lass uns fahren, Osama.“ Wir steigen ein, er tritt aufs Gas und wir machen uns auf den Weg zum Basar Khan Al-Khalili.

Das Café Fishawy ist voller Menschen und es ist schwierig noch einen freien Sitzplatz zu bekommen. Touristen und Ägypter sitzen dicht gedrängt an kleinen Tischchen, trinken Kaffee, Tee oder Softdrinks und rauchen eine Shisha (Wasserpfeife). Dieses Kaffeehaus ist schon seit über 200 Jahren sieben Tage die Woche und 24 Stunden rund um die Uhr geöffnet. An den Wänden rings herum hängen große Spiegel in den unterschiedlichsten Formen. Durch den schmalen Durchgang zwischen den Tischen und Stühlen drängen sich flink die Kellner, in einer Hand eine Wasserpfeife, in der anderen ein Tablett mit Getränken. Schuhputzer und Händler mit allerlei Kleinzeug, wie Schlüsselanhänger mit bunten Lämpchen, Uhren, Öllampen versuchen den Gästen etwas zu verkaufen. Eine Atmosphäre wie aus 1001 Nacht um uns herum.

Wir nehmen vor einem dieser riesigen Spiegel Platz, die die Wände des Kaffeehauses zieren. Arabische Musik dringt von einem benachbarten Musikgeschäft herein. Von jedem Tisch hört man eine andere Sprache. Hier arabisch, dort englisch und da russisch. Die Menschen scherzen, lachen oder unterhalten sich ernsthaft. Und der Duft von Apfeltabak liegt in der Luft.

Während ich mich umschaue und mir die Atmosphäre dieses Ortes reinziehe, steckt Osama in einer Diskussion mit dem Kellner. Ich vermute, worum es dabei geht. Und ich scheine richtig zu liegen. Man kann hier nicht einfach so rumsitzen und nur eine Shisha rauchen, ohne etwas zu trinken. Denn nachdem ich ihr Gespräch unterbreche und zwei Softdrinks bestellt habe, ist der Kellner auch schon verschwunden.

Mir scheint, dass sich Osama offensichtlich unwohl fühlt bei dem Gedanken, dass eine Frau, mit der er ausgeht, jede Zeche zahlt. Er dazu noch in einem Cafés sitzt, in dem an einem Abend sein halber Monatslohn draufgehen würde.

„Wann hast Du eigentlich Feierabend?“ frage ich Osama. „Meist so gegen 3 oder 4 Uhr morgens. Das ist egal,“ antwortet er. „Und wann beginnst Du Deine Arbeit?“ „Jeden Tag so gegen 10 Uhr. Mein Vater, er fährt auch Taxi hier in Kairo. Jetzt schon über 40 Jahre.“ Und ich denke mir so, auch Du wirst immer auf den Straßen dieser Stadt unterwegs sein. Dein ganzes Leben lang. Tagein, tagaus. Jahr für Jahr. Wirst Du außer Kairo jemals etwas anderes kennen lernen?

„Sag, wann fliegst Du zurück nach Deutschland?“ seine Augen blicken mich fragend an. „Übermorgen früh,“ antworte ich. „Was, schon übermorgen?“ entgegnet er, als würde eine Hoffnung dahinschmelzen. Die Hoffnung, dass ich noch ein paar Tage in Kairo bleibe. „Lass mich Dich zum Flughafen bringen,“ wieder erwartungsvolle Augen. „Ich weiß nicht,“ und zeige ihm die Visitenkarte von Carmen. „Sie wird mich zum Airport bringen. So ist es abgesprochen.“ „Ich werde Madam Carmen anrufen und sie bitten, dass ich Dich zum Flughafen bringen darf,“ entgegnet er. Ich muss schmunzeln: „Nein, lass´ mal. Das mache ich schon. Dann hast Du aber spät Feierabend. Meine Maschine geht 6:00 Uhr und Du müsstest so gegen 3:00 Uhr vor dem Hotel sein.“ Ich habe schon vorsichtshalber mal eine Stunde zum Verabschieden mit eingerechnet. Er willigt sofort ein.

„Sollten wir nicht langsam aufbrechen? Es ist schon fast Mitternacht,“ äußere ich vorsichtig. „Du möchtest schon ins Hotel?“ „Nun ja,“ erwidere ich, „ich treffe mich sehr zeitig mit Madam Carmen.“ „Und,“ fragt Osama, „können wir uns morgen noch einmal wiedersehen, bevor ich Dich zum Flughafen bringe? Ruf´ mich an, wann immer Du willst, ich werde da sein!“ „Ich weiß noch nicht, ab wann ich frei habe. Abends ist noch ein Termin mit einer Firma.“ „Rufe mich einfach an. Ja?“

Wir fahren durch das nächtliche Kairo in Richtung Zamalek. Jetzt schaut er nicht mehr in den Rückspiegel. Nein, er schaut mir direkt in die Augen. Sein Blick sagt mir, ich möchte dich berühren, ich möchte deine Haut auf meiner spüren. Möchte ich das vielleicht nicht auch? Seine Hand streift kurz die meine und beim ersten Mal ziehe ich sie noch weg. Dann lasse ich ihn gewähren. Während er das Auto behutsam durch die Straßen lenkt, beginnt er zart meinen Arm zu streicheln. Wir bewegen uns im Schneckentempo durch die Stadt. Als möchte er diesen Augenblick hinauszögern, dass er nie enden solle. Ich lehne meinen Kopf zurück in den Sitz und genieße seine Berührungen, seine feurigen Augen.

Wir sind angekommen. Er umschließt meine Hand. Blicke treffen sich. Sollte es das jetzt gewesen sein? Steige ich aus, sage: “Vielleicht bis morgen“, schließe die Beifahrertür hinter mir und gehe ins Hotel? Verweile kurz in der Eingangstür, schaue mich noch einmal um und sehe, wie er davonfährt? Es vergehen nur Bruchteile einer Sekunde, als mir diese Gedanken durch den Kopf schießen. Was soll ich tun? Wartet er auf ein Zeichen von mir?

Seine Hand hält immer noch die meine. Ich ziehe sie zu mir herüber: „Möchtest Du mit nach oben kommen?“ Es schien, als hätte ich ihm etwas abgenommen. Vielleicht das, was ihm durch den Kopf geht und er aber nie wagen würde, auszusprechen. Möglicherweise hatte er ähnliche Gedanken wie ich. Wenn sie jetzt aussteigt, dann geht sie ins Hotel auf ihr Zimmer und wer weiß, ob wir uns morgen, außer auf der Fahrt zum Flughafen noch einmal wiedersehen?

Der alte Schweizer Fahrstuhl bewegt sich ächzend aufwärts. Ich habe auf den Knopf für die vierte Etage gedrückt. Bis in die fünfte gehen wir dann zu Fuß weiter. So haben wir die Möglichkeit, unbemerkt ins Hotel zu gelangen. Der Lift würde direkt neben der Rezeption halten.

Als wir die Treppe nach oben gehen, lege ich den Zeigefinger auf meine Lippen, um Osama anzudeuten, dass er sich leise bewegen soll. Ein kurzer Blick um die Ecke, am Empfang ist keiner zu sehen. Schnell gehen wir noch die paar Stufen bis zu meinem Zimmer hoch. Aber da, rechts aus dem Flur, ein Lichtschein. Osama zuckt zusammen: „Madam Hibouk?“ und ich bin daraufhin selbst erst einmal erschrocken. „Nein. Da geht es zu den anderen Zimmern,“ entgegne ich schmunzelnd.

Ich drehe den Schlüssel vorsichtig im Schloss herum, öffne leise die Tür und wir schlüpfen schnell hinein. Geschafft. Wir sind niemandem unterwegs begegnet. Keiner hat uns gesehen. Glauben wir jedenfalls. Vielleicht hat uns doch jemand bemerkt? Am nächsten Tag sehe ich vorn an der Rezeption, dass in dem kleinen TV, der da in der Ecke steht, gar kein Fernsehprogramm läuft, sondern den langen Flur zu den Zimmern zeigt. Aber das war mir im Nachhinein vollkommen egal.

Ich setze mich auf die Bettkante und bitte Osama Platz zu nehmen. Er wählt die Bettkante gegenüber. Da sitzen wir nun und schauen uns an. Glühende Augen, die Sehnsüchte äußern, Verlangen ausdrücken. Die sagen, ich will dich spüren, deine heißen Küsse, deine warme Haut, deinen schneller werdenden Atem, wenn ich dich berühre. Mein Herzschlag erhöht sich, als er näher zu mir heranrutscht und seine Hand zärtlich über meine Wange streichelt. Sie gleitet weiter entlang meines Halses bis zu meinen Brüsten. Seine Lippen berühren meine. Der erste Kuss. Ein zweiter und ein dritter. Wir liegen auf dem Bett.

Er hat mein Oberteil angehoben und ich spüre seine warme Hand auf meiner Haut. Ein Kuss jagt den anderen. Ungeduldig zieht er mir mein T-Shirt aus, streift mir die Träger das BHs herunter und seine Zunge berührt meine Brüste. Ich ziehe an seinem weißen Hemd, taste nach dessen Knöpfen. Er hilft mir dabei sie zu öffnen und ich streife es ihm über die Schultern. Endlich Haut an Haut. Hände die eifrig tasten, gierig nach der letzten noch am Körper befindlichen Kleidung greifen, um sie loszuwerden.

Zwei erregte Körper, die miteinander verschmelzen. Augen schauen sich begierig an. Heißes Verlangen. Jede Bewegung steigert das Gefühl der Lust in uns, bringt uns beide immer näher an den Punkt der höchsten Empfindung. Ich spüre im Rausch seine heftiger werdende Erregung. Meinen Körper durchdringt ein Strom heißer Leidenschaft und im nächsten Augenblick umklammern meine Hände fester seinen Körper. Ein leises Stöhnen und wir verlieren uns beide.

Einen Moment verweilen wir regungslos. Dann sagt er: „Ich muss jetzt gehen. Meine Arbeit beenden.“ Dass er die Nacht nicht bei mir verbringen wird, war mir klar. Aber ein so übereiltes Gehen? Als er sich ins Bad begibt, zünde ich mir eine Zigarette an. Ich höre die Dusche nebenan plätschern.

Er hat sich nicht abgetrocknet. Seine braune Haut ist nass und kalt, als er sich wieder neben mich aufs Bett legt. Er fragt mich nach einer Zigarette, obwohl er nicht raucht. Tief zieht er den blauen Dunst in sich hinein. Ich schaue ihn dabei an, blicke in seine nachdenklichen Augen. Täusche ich mich oder sind sie wirklich feucht? Was geht in ihm vor? Die Sprachbarriere ist zu groß, um zu erfahren, welche Gedanken jetzt den anderen bewegen.

Oft sagen Gesten mehr als Worte. Ich streiche über sein kurzes Haar, streichle sein Gesicht, meine Finger berühren seine Lippen. Ich zeichne sie nach, immer wieder. Er gibt mir einen Kuss auf meine Stirn und sagt etwas auf Arabisch zu mir. Wie sehr hasse ich es in diesem Moment, nicht ein Wort davon verstehen zu können.

Dann steht er auf: „Ich muss jetzt...“ Ich beobachte wie er sich schweigend anzieht. Sein weißes Hemd, das er wohl extra für unseren gemeinsamen Abend angezogen hat, steckt jetzt wieder in seiner Hose. Er gibt mir noch einen Kuss auf den Mund, dann geht er zur Tür, dreht sich noch einmal um und sagt: „Bitte, ruf´ mich morgen an, wann immer es Dir möglich ist. Ich muss Dich sehen.“

Ich liege allein und nackt auf meinem Bett. Die Zigarette, die ich mir nach seinem Gehen angezündet habe, neigt sich dem Ende zu. Mein Kopf ist voller Fragen, voll von Dingen, die ich jetzt gern wissen möchte. Von ihm und über ihn. Warum hat er sich so schnell verabschiedet? Was fühlt er jetzt, wenn er durch die nächtlichen, fast leeren Straßen Kairos fährt, um noch ein paar Fahrgäste einzusammeln? Hat er wirklich in Betracht gezogen, dass wir uns so nahe kommen würden? Oder war es eher ein geheimer Wunsch, ein kühner Traum, von dem er niemals geglaubt hätte, dass er wahr werden könnte?

Ich bin heute sehr unkonzentriert. Meine Gedanken sind schon am Morgen bei Osama. Ich höre noch seine letzten Worte von gestern Nacht: „Ich muss Dich sehen.“ Gleich nach dem Frühstück lasse ich den Hotelangestellten Osama anrufen. Irgendwie bekomme ich das schon auf die Reihe, dass ich heute Abend noch einmal mit ihm zusammen sein kann, bevor es wieder nach Hause geht. 21:00 vor dem Hotel bestätigt mir der Mann von der Rezeption nach dem Telefonat.

Carmen erzähle ich, dass es mir heute nicht besonders gut geht. Dazu kommt noch der zeitige Abflug am nächsten Morgen und packen muss ich ja auch noch. Ob sie nicht meinen abendlichen Termin mit der Firma wenigstens um eine Stunde vorverlegen könnte.

Es klappt. Die Verabredung wird verständnisvollerweise vorgezogen. Ich bin im Freudentaumel. Ja, wir können uns noch einmal sehen, gemeinsam ein paar Stunden verbringen.

Aber er kommt nicht. Als ich den Schlüssel abgeben will, um nach unten zu gehen, sagt mir der Angestellte: „Es tut mir leid. Ihr Fahrer hat eben abgesagt. Sein Baby ist im Hospital. Es wird operiert. Jedoch hat er mir versichert, dass er pünktlich am Hotel sein wird, um Sie zum Flughafen zu bringen.“

Ich bin weder enttäuscht noch ärgerlich, als ich zurück auf mein Zimmer gehe. Irgendwie hatte ich schon so ein Gefühl, dass genau das eintritt. Dass er nicht zur Verabredung kommen würde. Ich weiß, dass es keine Operation gibt und ahne jetzt auch, was für mich ein Abenteuer in orientalischer Atmosphäre schien, hat seine Gedanken- und Gefühlswelt vollkommen durcheinander gebracht...

Die letzten Bilder, die ich von ihm vor mir sehe, bevor ich einschlafe, sind, wie er hinter seinem Lenkrad durch die Straßen irrt. Erst jetzt wird mir richtig bewusst, was ich eigentlich mit meiner Freizügigkeit angerichtet habe. Ich habe mit ihm geschlafen, was für ihn eine ganz andere Bedeutung hat, als für unsereinen. Wir gehen in unseren Breiten mit Sex recht aufgeschlossen und offenherzig um.

2:00 reißt mich der Wecker aus meinen Träumen. Drei Stunden habe ich geschlafen. Jetzt muss ich noch meine restlichen Sachen zusammenpacken und dann geht es heute wieder zurück nach Deutschland. Ich gehe noch einmal auf die Terrasse. Es ist tiefste Nacht und nur wenige Lichter brennen in den umliegenden Häusern.

Die Hotelrechnung habe ich gestern schon gezahlt. So gebe ich nur noch den Schlüssel meines Zimmers an der Rezeption ab, ziehe meinen Koffer in den alten Schweizer Fahrstuhl und fahre bis in Erdgeschoss.

Und da steht er schon am Eingang und wartet auf mich. Osama. Er kommt sogleich auf mich zugeeilt und nimmt mir den schweren Koffer ab. „Sara, es tut mir leid, dass ich gestern nicht kommen konnte,“ sagt er ein wenig verschämt, schaut dabei nach unten. „Komm, lass´ uns fahren und noch irgendwo einen Kaffee trinken. Wir haben noch eine Stunde Zeit, bevor ich zum Flughafen muss,“ versuche ich abzulenken.

Während der Fahrt in die Stadt schaut er mich hin und wieder an. Seine Augen sehen traurig aus. Am Khan Al-Khalili setzen wir uns in ein Straßencafé, die hier rund um die Uhr geöffnet haben. Ich bestelle zwei Kaffees. „Sara, ich wünschte, Du würdest hier bleiben und nicht nach Deutschland zurückgehen. Ich möchte gern jeden Tag mit Dir zusammen sein. Meine Gedanken waren in den letzten Stunden ständig bei Dir. Jede Minute, jede Sekunde habe ich an Dich gedacht und ich habe mich gefragt, wenn Du jetzt gehst, wann wirst Du nach Kairo zurückkommen? Wie kann ich damit leben, Dich nicht mehr zu sehen?“

Seine Worte klingen verzweifelt und sagen mir, was ich schon vermutete. Er hat sich über beide Ohren in mich verliebt. „Osama, Du machst mich verlegen. Ich weiß nicht, wann und ob ich jemals wieder zurück nach Kairo komme. Ich fliege heute nach Hause, nach Deutschland und dort wird mein Leben so weitergehen, wie zuvor. Und Du, Du wohnst hier und hast eine Familie, zu der Du gehörst, die Dich braucht und die Dich liebt. Am Ende wird es nicht mehr als eine Erinnerung sein, an die wir beide gern zurückdenken,“ und versuche ihm damit zu verstehen zu geben, dass wir uns wahrscheinlich nie wieder sehen werden. Allein die Entfernung von ein paar Tausend Kilometern, die dann zwischen uns liegt und die uns keine Chance auf ein baldiges Wiedersehens gibt, wird das Gefühl mit der Zeit verblassen lassen.

Der Flughafen befindet sich etwas außerhalb der Stadt. Ein letztes Mal fahren wir gemeinsam durch die Straßen von Kairo. Schweigend sitzen wir nebeneinander. Er nimmt meine Hand und hält sie während der ganzen Fahrt. Der Rückspiegel hat mich heute nicht im Visier. Ich schaue Osama die ganze Zeit über an. Betrachte sein kurzes, schwarzes Haar, über das ich gestrichen habe. Seine Lippen, die ich mit meinen Fingern nachgezeichnet habe. Seine dunklen, feurigen Augen, die jetzt traurig nach draußen auf die Fahrbahn blicken.

Wir sind angekommen. Die Hektik am Flughafen gibt uns nicht die Möglichkeit, uns lange und ausgiebig zu verabschieden. Er kann nur kurzzeitig vor der Abflughalle parken. Nachdem er mir mein Gepäck aus dem Kofferraum heraus gegeben hat, sagen wir uns ein einfaches Good-bye und schauen uns noch einmal tief in die Augen. Da stehe ich nun mit meinem Koffer und schaue ihm nach, wie er in sein Taxi steigt. „Ich werde immer auf Dich warten,“ sind die letzten Worte, die ich von ihm höre. Dann sehe ich ihn davonfahren.

Der Flug verläuft überwiegend ruhig. Auf meinem Zwischenstopp in Zürich habe ich fünf Stunden Aufenthalt, die ich zum Lesen nutze.

Als ich an meinem Heimatflughafen angekommen bin und mein Handy einschalte, ist da eine SMS: “Ich werde mein ganzes Leben mit der Hoffnung verbringen, Dich eines Tages wiederzusehen. Wa hashtiny. Osama.“

Heute sind es vier Wochen her, dass ich wieder aus Kairo zurück bin. Ein paar Mal am Tag klingelt mein Handy. Es ist jeweils nur ein Klingeln, das mir sagt: „Ich denke an Dich.“ Und ich klingle zurück...

 

Hallo Clee Marker,
eine schöner Ausflug nach Ägypten, hört sich alles sehr authentisch, sehr selbst-erlebt an und das ist für mich leider auch ein Kritikpunkt. So manches, was für Dich interessant sein mochte, ist es für den Leser noch lange nicht! Den Anfang fand ich relativ langweilig. Zwar "richtig" im Sinne von fehlerfrei (mir ist zumindest nichts aufgefallen), aber doch sehr konventionell, mehr berichtend als erzählend. Ab dem Zeitpunkt im Hotel wurde es langsam spannender. Aufregend erst zum Schluss, wobei die Spannung aus den realistisch geschilderten Figuren herrührte, aus der Nachvollziehbarkeit, aber auch aus Details, die man vermutlich nur kennt, wenn man mal da war, wie der "Apfeltabak" oder "Schweizer Fahrstuhl". Solche Dinge finde ich wichtig, denn ich möchte beim Lesen auch jedes Mal ein Stück neue Welt erfahren. Das hast Du mir erst im Mittelteil geboten, am Anfang leider nicht.

Insgesamt ist der Text jedoch sehr sauber geschrieben. Ich habe den Eindruck, Du schreibst sehr viel. Für meinen Geschmack ist manches noch zu Reisebericht-artig, was bei solch einem Thema natürlich schnell zur Gefahr wird. Es ist mehr ein Text für Ägyptenfans. In einem Reisebuch könnte ich ihn mir gut vorstellen. Oder in einer Reise-Zeitschrift. Journalistisch ist er durchaus brauchbar. Literarisch finde ich ihn jedoch nicht, dazu fehlt mir die Verdichtung. Vielleicht würde ich nur die wirklich wichtigen Dinge beschreiben. Die Anreise-Passage drastisch kürzen, auch zwischendurch die "Fahrerei". Die A.B.A., Carmen und Mahmoud. Ich meine kürzen, nicht streichen. Dann schaffst Du mehr Raum für die Beiden. Ein bißchen plötzlich kommt für mich, dass sie ein Kind hat. Denkt sie vorher gar nicht an "zu Hause"? Ein paar Andeutungen früher fände ich gut.

Mir ist aufgefallen, dass Du sehr "vom Kopf her" schreibst. Sehr logisch, folgerichtig, (was natürlich auch sehr wichtig ist!), aber das Sinnliche darüber vernachlässigst. Ich war noch nie in Ägypten, aber ich stelle mir die Innenstädte sehr laut vor, viel Verkehr, viele Stimmen, fremde Gerüche,ein Übermaß an Eindrücken, gleich welcher Art. Ich würde an Deiner Stelle Gerüche, Geräusche einbauen. Auf manche erklärende "Schulbuch-Passage" verzichten. Auch auf so konventionelle Beschreibungen wie z. B.

Nachdem wir unseren Rundgang um die Pyramiden beendet haben, verweilen wir noch ein wenig auf dem Parkplatz und ich genieße noch einmal den Blick auf diese außergewöhnlichen, kolossalen Bauten.

Schön finde ich hingegen die Sensibilität gegenüber Deinen Figuren, auch so "Kleinigkeiten": wie Osama versucht zu erklären, dass er nur ein "einfacher Fahrer" ist. Seine Scham, die feinfühlige Reaktion der Frau. Auch Deine Beobachtungsgabe kommt mir nicht schlecht vor. Beim nächsten Text würde ich nur vorher überlegen, was ist wirklich wichtig. Es geht ja nicht um "Vollständigkeit", sondern um die aufregendsten Dinge einer Reise.

LG Petra

 

hallo petra,
danke, dass du meine geschichte trotz ihrer länge (die mir schon bewusst war) durchgelesen hast und danke auch für deine kritik und die tipps bezüglich darauf, was sich verändern ließe.
ja, du hast recht. eigentlich schreibe ich reiseberichte, was man wohl deutlich erkennen kann. ich hatte zuerst gar nicht die absicht, etwas über eine meiner dienstreisen zu verfassen. bekommt man doch zu wenig von land und leuten mit, in den wenigen stunden, die man freizeit hat. aber dann ist mir das passiert. und es war ein erster versuch, diese art erlebnis aufzuschreiben. dass sich dabei immer wieder reiseberichterstatterartige passagen darin finden, ist mir aufgefallen.
was mir persönlich im nachhinein noch fehlt und was ich mich eigentlich oft gefragt habe, denkt er nicht an seine familie? an seine junge frau, die mit dem baby zu hause sitzt? wie verhält er sich ihr gegenüber nach dieser nacht? wie ist überhaupt die beziehung zwischen den beiden? was ist mit gewissensbissen? hat er welche? steht doch auch heute noch in ägypten eine gefängnisstrafe auf ehebruch. diese fragen lassen sich von meiner seite her zwar nicht beantworten, aber ich hätte sie aufwerfen können. gingen sie mir doch oft genug durch den kopf.
in bezug auf das „an zu hause denken“. ihr plötzlich auftauchender sohn ist schon erwachsen und geht weitestgehend seine eigenen wege. sie ist sehr jung mutter geworden.

lg von clee

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo clee,

ich war 6 Jahre mit einem Maroccaner verheiratet, irgendwann beschloß ich die Scheidung einzureichen, dem tat ich ohne jeglichen wirklichen Grund. Nach einer Oddysee von Gefühlen und Flucht und überleben von vielen Hindernissen hatte ich es geschafft. Die Scheidung war durch.
Als ich mit meinem Ex-Mann telefonierte, um zu erfragen ob er die Papiere erhalten habe, so hörte ich im Hintergrund Kinderstimmen, ich fragte ihn, ob er Besuch von seinem Freund hatte. Seine Antwort sticht heute noch tief: Er habe nach erhalt der Scheidungspapiere seine Frau und seine vier Kinder von Marocco geholt. Sein jüngster Sohn war zum Zeitpunkt der Scheidung 4 Jahre alt und sein Ältester 12 Jahre. Das er bereits bei meiner Eheschließung 11 Jahre verheiratet war, wurde mir von seiner gesamten Familie verschwiegen. Doch weil ich die Scheidung wollte, bin ich die böse Europäerin, weil ich keinen Sohn bekam, bin ich die böse Europäerin und weil ich dem Islam nicht beitrat war und bin ich immer noch eine Shitana.
Mit diesem Schicksal kann ich mittlerweile gut leben.
Dir, liebe Clee, kann ich nur einen Rat geben: Frage nicht nach dem was er zu Hause hat, wenn er in deinen Armen liegt, er würde dir keine Antwort geben.
Du bist "nur" eine Europäerin.

Ich wünsche dir viel Kraft für das was noch vor dir liegt.
liebe Grüße
Reneè


PS.: Deine Geschichte hat mir unheimlich gut gefallen, weil sie authentisch ist.

 

Hallo Reneè,
danke für Deine Zeilen. Dass was Du erlebt hast, ist sicherlich kein Einzelfall und klingt für mich sehr verletzend. Man hört nur immer wieder davon, kann es sich selbst aber nicht so recht vorstellen. Bis einem vielleicht plötzlich selbst einmal ähnliches wiederfährt.
Nun, es war nicht meine erste Begegnung mit dem arabischen Mann. Dadurch, dass ich hin und wieder auch im Nahen Osten unterwegs bin, kenne ich mittlerweile ein wenig seine Reaktionen auf die europäische Frau und nehme nicht alles so ernst, was er äußert.
Aber ich glaube, dass Osama wirklich das empfindet, was er sagt. Ich glaube, dass er Tränen in den Augen hat, wenn ich schreibe, dass ich vielleicht nie wieder nach Kairo komme werde. Ich glaube auch seinen Zeilen, dass er bis zu seinem Tod mit der Hoffnung leben wird, mich eines Tages wiederzusehen. Ich glaube aber auch Dir, dass ich am Ende „nur“ die Europäerin wäre.
Ich erinnere mich dabei auch an das Lied von Yuri Marqadi (vielleicht kennst Du es ja) „Arabion Ana“...: Ich bin Araber, mein Herz ist groß, also sei vorsichtig... so in etwa der Inhalt.

LG von Clee

 

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