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APRIL
APRIL
"Arne ist weg. Für immer. Verdammter Bockmist, ich habe ihn doch so geliebt! Jetzt sitze ich hier auf meiner einsamen Hütte, all das Zeug um mich herum erinnert an ihn:
Auf die Gitarre hat er noch vor vierzehn Tagen neue Saiten aufgezogen. Die verwelkten Tulpen in der Vase sind von ihm, die meisten Bücher, viele Bilder. Ich halte es hier einfach nicht mehr aus. Ich muss raus, unter Leute!"
Luzie spricht neuerdings mit sich selber, mit wem sollte sie sonst reden?
Mit den Zebrafinken im Vogelbauer? Die beachten sie doch gar nicht. Ihre Tochter ist für ein Jahr am anderen Ende der Welt in Tasmanien, die gelegentlichen e-mails sollen fröhlich wirken. Die wenigen Bekannten will sie auch nicht nerven. Ihr Freundeskreis ist seit der Zeit mit Arne deutlich geschrumpft.
"Ach Arne, wo bist Du?"
Sie sieht sein Gesicht vor sich: den spöttischen Mund mit den schmalen Lippen, die blauen Augen. Sie fühlt sich allein, einsam, das hat sie noch nie erteragen können. Sie hatte immer schon einen "horrror vacui".
Sie greift zur Handtasche, ja, Hartgeld steckt im Seitenfach, zum Trenchcoat,zieht die Wohnungstür hinter sich zu.
Draußen schüttet es wie aus Kübeln. Die Erde in den Vorgärten riecht so frisch, sie registriert die Narzissen im kreisrunden Beet. Ziellos läuft sie durch die Straßen. Wohin? Sie weiß es nicht, sie lässt sich treiben, die Fußgängerzone entlang zum Marktplatz, zum Kaufhaus, fährt ein paar Stationen mit der Straßenbahn, sieht sich im Spiegel, ein fremdes Spiegelbild in der grauen Masse mit verwischtem Augen-make-up.Sie landet im Stadthafen. In diese Gegend kommt sie äußerst selten, es ist ein Gelände mit Bistros, italienischen und türkischen Esslokalen, Musikkneipen.
Einem Sexshop, einem Spielsalon, einer kleinen Moschee.
Abends wird in dieser Ecke der Bär toben, um diese Tageszeit aber sind die gepflasterten Wege am Kanalufer wie ausgestorben.
Zwei Jugendliche in roten Jacken brettern auf Skateboards an ihr vorbei.
Der Regen rauscht, ihr Gesicht ist gefühllos, die Beine schmerzen. Da entdeckt sie die kleine Eckkneipe, es zieht sie hinein. Eine freundliche Wirtin begrüßt sie."Was darf es denn sein?"
"Ein doppelter Cognac bitte!"
Am ovalen Tisch neben der Eingangstür sitzen drei Männer in blauen Overalls, zwei Dicke und ein Dürrer. Sie essen Buletten und Kartoffelsalat, dabei schmatzen sie und beäugen Luzie neugierig.
Der Dürre schlurft zur Musikbox, wirft eine Münze hinein.Plötzlich erklingt ein Song, der Spannung in ihr weckt, der Refrain prägt sich ihr ein:"Dieser Tag ist so wie damals im April" nölt der Sänger.Sie leert das Cognacglas, der Song geht ihr nicht aus dem Kopf, sie will ihn nochmal hören.
Die drei Männer zahlen gerade, kurz begegnen ihre Blicke denen des Dürren, wortloser Dialog von zwei Melancholikern.
Sie erhebt sich, sucht im Register der Musikbox den Song, findet ihn, wählt die entsprechende Buchstabenzahlenkobination, wirft eine Münze in den Schlitz."Arne, wo bist Duß Warum bist Du jetzt nicht bei mir? Wir waren doch so glücklich. Warum bist Du Zigaretten holen gegangen und nicht wiedergekommen?
Wir hatten doch den Himmel auf Erden!"
Scharf wie eine Rasierklinge bohrt sich der Song in ihr Herz, der unbekannte Sänger nölt:
"Meine Sehnsucht, bringt Dich nicht mehr her, denn Dein Herz hat keine Flügel mehr, dieser Tag ist so wie damals im April".
Luzie legt das Hartgeld auf den Tisch, greift nach dem Mantel, hastet raus.
Da ist der Schmerz und die Pein, da ist der Abschied.
Da ist der Hafen, das moderige Wasser, auf das der Regen platscht, die frische Frühlingserde.
Arne ist weg.
Es ist April und noch kein Neubeginn!
Rena Rave-Schneider, copyright
nate51renate@aol.com
[ 30.05.2002, 19:47: Beitrag editiert von: Ben Jockisch ]