Mitglied
- Beitritt
- 03.04.2018
- Beiträge
- 2
Apollo
Er wurde nach Apollo benannt, dem Gott der Kunst, der Heilung und des Lichts; er lacht darüber, als er Mary Jane raucht und blutige Striche auf seine Haut zeichnet. Vielleicht ist er doch Künstler.
Aber wie kann er Gott der Heilung sein, wenn er sich selbst zerstört?
Er liebt das Gefühl und das Adrenalin, wenn er mit dem Spiritus nasse Kreise um sich herum zieht und ein Streichholz fallen lässt, fast schon in der Hoffnung, die brennbare Flüssigkeit würde entflammen, ihn und sein Gehirn mit seinem chemischen Ungleichgewicht ohne zu zögern auffressen, wie seine Katze den Vogel seiner Schwester.
Er fragt sich, ob seine Eltern auch schreien würden, wenn er sich dem Feuer hingeben würde. Ist er die Katze oder der Vogel?
Seine Eltern wären froh, wenn er der Vogel wäre.
Er sei zu aggressiv, sagen sie, er müsse weggesperrt werden.
Trauma und chemisches Ungleichgewicht.
Als hätten sie vergessen, wie einmal der Schmuck aus dem Kästchen seiner Mutter verschwand.
Als hätten sie vergessen, wie sein Vater weggezogen werden musste, damals.
Wie seine Schwester ihnen mit blutender Nase den Piratenschatz im Garten zeigte. Gleich neben dem Grab ihres Vogels.
Damals, als Blumen noch das Grabmal des kleinen Tieres zierten, tropfte das Blut auf die vom Buddeln feuchte Erde, als er mit seiner Schwester mit gehetzten, dreckigen Fingern den Prunk aushob.
Beide kümmerten sich nicht einmal um den Dreck unter den Fingernägeln, obwohl man den eigentlich so schwer wegbekommt. Damals.
Die Kinder sollte man wegsperren, ja, die Kinder. Die Kinder, die nur leben würden, um ihren Eltern das Leben schwer zu machen.
Die Worte blieben an ihm haften wie die feuchte Erde an seinen Fingern. Trauma.
Er machte sich danach nicht mehr die Finger schmutzig, damals.
Bis sein bester Freund anfing Drogen und sich selbst zu verkaufen, nur ein paar Jahre später.
Er weiß nicht, ob es am Trauma oder am chemischen Ungleichgewicht lag, aber er hat wenig später mitgemacht. Sich gesichtslosen Menschen hingegeben. Männer, Frauen, jung, alt, fett, dürr, aber alle ohne Gesicht. Gesichtslos. Nahmen, aber gaben nichts zurück. Kein erstes Mal, kein Blut und auch keine Träne, die vergossen wurde. Seine persönliche Zerstörung.
Er sieht hässlich aus, wenn er weint. Jeder ist es, aber es ist etwas anderes, wenn man es ins Gesicht gesagt bekommt. Einer seiner ersten Kunden sagte es ihm, als sich seine früher noch runden Züge zu einer gequälten Grimasse verzogen hatten. Er erinnert sich noch genau an sein Gesicht.
Apollo wünschte, es wäre nicht so.
Er weint nicht mehr gern, seit damals. Es ist ein Zeichen der Schwäche geworden, und auch wenn er sich Tag für Tag in die roten Lichter schleppt, ist er diese Art von Unterwürfigkeit leid.
Er nutzt seine Stimme mehr. Er schreit sich die Lunge aus dem Leib, bis sein Vater eingreift. Manchmal wehrt er sich, manchmal nicht. Je nachdem, wie er sich fühlt.
Und obwohl sein Vater die Worte hört, greift er nicht ein.
Apollo ist sich sicher, er ist der Vogel. Sein letzter Gesang nicht erhört.
Gott der Vorhersage.
Er fragt sich, wann ihn seine ganz persönliche Katze verschlingen wird.
Ist sie das Feuer?
Wenn sein Vater ein Gott wäre, wäre er Aris oder Hades. Götter des Krieges und der Unterwelt; der Dunkelheit.
Seine Schwester schaut weg, wenn sie sich auf dem Flur treffen und greift sich verunsichert an den Goldschmuck an ihrem Hals. Sie hat sich früh genug unterworfen und ihren Vogel vergessen.
Er redet sich bis heute ein, Trost oder Behaglichkeit in den schwitzigen, gierigen Berührungen des Rotlichtviertels zu finden. Apollo lacht. Er ist Gott des roten Lichtes.
Das Geld gibt er für Sprühdosen, Streichhölzer und Spiritus aus, um sich abends, wenn ihn niemand sieht der Kunst hinzugeben. Dann ist es fast, als wäre er abseits.
Abseits von den Gesichtslosen, abseits, nur mit sich und seinen Gedanken konfrontiert.
Er ist weggesperrt zwischen den Schwaden Mary Jane und den roten Strichen auf dem Boden, auf seiner Haut, gezeichnet mit Farbe und Blut.
Gott der Kunst.