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Antworten nach dem Sinn, wie sie gelebt, nicht wie sie theoretisiert werden

wfd

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15.01.2010
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Antworten nach dem Sinn, wie sie gelebt, nicht wie sie theoretisiert werden

I - VORAB GESAGT

Ich erzähle diese Geschichte nur, da ich im aufgekratzen Zustand bin und durchdrehen würde, täte ich nun etwas ruhig-behagliches. Ein Grund für diese Anspannung ist aber das Gefühl, dass es wenigstens in der Theorie einen Leser dieser Geschichte geben könnte und dieser innerlich voller Verachtung auf mich ausspucken würde. Wäre mir nie der Einfall in den Kopf geflogen, dass ich als Mensch ja theoretisch auch eine Geschichte verfassen könnte und diese dann gehasst würde, wäre ich gar nicht in diese Panik hineingestürzt - die tierische Angst durch Verachtung als Mensch annuliert werden zu können - und hätte auch gar keinen Grund diese Panik mit einer Flucht ins Schreiben zu beruhigen. Vielleicht.

Dennoch erzähle ich eine reale Geschichte. Mir kam einmal die Idee eine Geschichte zu schreiben, in welcher der Erzähler das Leben von mindestens 2 Personen beschreibt, eine von diesen Personen er selber ist, er nicht mehr weiss welche der beiden. Also entscheidet sich der Erzähler beide Personen als eine zu behandeln. Ich ließ es, weil ich mir ausmalte, wie ein Leser den Gedanken der Geschichte erfassen und dann auf ihn ausspucken würde. Ihn als verworrenen Quatsch auffassen würde und sich mit ihm die Nase schneuzen würde. Ich stellte mir vor wie der Leser nach dem Überfliegen meines Papiers einen Juckreiz in der Nase verspürt, das von mir betippte Papier nimmt und mit ihm seine störende Nase erlöst. Dabei kam mir der Gedanke der Geschichte ganz freundlich vor, und auch klar. Ich bin sogar großer Freund der Klarheit.

II - DAS GESCHEHENE

Drum, auf in die Tatsachenwiedergabe. Den Anfang der zu beschreibenden Faktenabfolge habe ich gar nicht direkt mitbekommen, ich kenne sie nur aus zweiter Hand. Sie fand sogar auf einem fernen Kontinent statt. In familiärer Eintracht lebte dort die Protagonistin der Erzählung. Allein, ihr Vater, ein in den Finanzen nicht schlecht gestellter Ingeneuer wurde plötzlich aus dem ruhigen Leben geschleudert und riss damit alles weitere mit. Man hatte sich gegen ihn verschworen, so hieß es, - aber wer ist nicht versucht sowas als Verschwörungstheorie abzutun - und ihn aus der Arbeit gedrängt, seinen glänzenden Ruf ins Negative umgekehrt (es wurde sogar gemunkelt er hätte ein Kind vom Spielplatz gelockt und ... es missbraucht) und ihn somit vor jeder weiteren Anstellung ausgeschlossen. Ein ganz lächerlicher Augenblick entzündete dann die Katastrophe.

Die Geschichte, beängstigender, wertender Leser, fand in einer Umgebung, einer Gesellschaft statt, die zu einem nicht unbedeutenden Maße den "maskulinen" Mann als Ideal setzte. In seiner Arbeitslosigkeit, er hatte ja nichts besseres zu tun, griff der Vater nach der Leine des Familienhunds, ein sehr kleiner, gewissermaßen "putziger" Hund und führte ihn aus. Ein Spaziergang und frische Luft, das war seine ganze Motivation. Da verlachten ihn zwei in ihrer Gehässigkeit doch gut gelaunte Gestalten als Schwuchtel. (Keineswegs wirkte es so als seien sie grob um ihr eigenes Leiden zu lindern, in anderen Worten, zu kompensieren; eine Kränkung von so einem Kriechtier hätte der Vater womöglich noch ignoriert. Nein, sie schienen grob aus Übermut, Überfülle an Lebenskraft und Lebensfreude.) Diese Kränkung, und wie lächerlich mag sie gewesen sein, brachte eine noch viel lächerlichere Reaktion hervor. Man mag es kaum glauben, aber so ist es im Leben, man glaubt es nicht, bevor man die Wahrheit mühselig nachgeprüft hat, der Vater rannte zur lokalen Kirche, schnitt sich mit einem Messer (und der Hund stand daneben) die Pulsadern auf - und nun wird es noch abstruser - ließ das Blut in seinen Mund spritzen, gurgelte es im Mund (was soll diese Prozedur?) - die Passanten lachten schon teilweise - spuckte es auf den Boden (einen Moment überlegte er es an die Wand der Kirche zu spucken; etwa um sich nun gegen den himmlischen Vater selbst zu richten?) und forderte Gott auf ihn endlich in die Hölle zu werfen.

Von der Höllenqual, so war es vielleicht, versprach er sich eine gewisse Linderung seiner irdischen qualen. Immerhin, die Qualen in der Hölle mögen rein physisch stärker sein als alles irdische, aber sie sind durch ihre Ewigkeit auch eindeutig und klar. Das Bewusstsein, das Hoffen, dass die eigene Situation vielleicht doch noch irgendwie ein nicht auffindbares Potenzial zum Guten hat quält einen dort nicht mehr. Der Vater beruhigte sich irgendwann wieder, aber die Tochter wollte man nicht mehr bei ihm lassen. Sie wurde ins Flugzeug gesetzt und in ein andres Land gebracht.

Das war die Voraussetzung für den Zufall unseres Aufeinandertreffens, denn ich habe niemals mein Land, ja meine Stadt, verlassen, es war gewissermaßen logisch ausgeschlossen. Wir trafen auch nur über einen Umweg aufeinander; einen einzigen Bekannten hatte ich, Matthäus war sein Name. Er diskriminierte nicht allzu stark wer seiner Freundschaft würdig sein sollte, so wurde auch mir ein Mitseinskrumen zugeworfen. Matthäus fotografierte sehr gerne; er liebte es das Abbild etwas real existierenden festzuhalten, es zu fixieren, und besonders liebte er, dass er selbst die Ursache dieses Festhaltens war. Es war das Gefühl aus dem Strom der zufälligen Ereignisse eines über den Umweg des Fotos herauszugreifen. Das Ereignis war weg, aber das Foto war da, und, das Foto, war seines. Auf gewisse Weise war er Besitzer des Vorgefallenen; selbst wenn er nur Regent über das Fotos war. Ich denke das Gefühl, welches ihn getrieben hat muss ähnlich der Intuition des ersten Voodoo-Priesters gewesen sein , der auf die Idee kam eine Puppe, die Abbild eines gewissen Menschen ist, müsste solcherart mit diesem Menschen verbunden sein, dass die Zerstörung der Puppe auch das Leben des Menschen mit sich reisst.

Nun versteckte er sich im Park; er versteckte sich hinter einem kleinen Häuschen, das von dornigen Büschen umgeben war, und wartete auf das Erscheinen von Menschen, das es fotografisch zu studieren galt. Aber: Ein kleines Kätzchen streuchte auf dem Gras herum und da kommt auch unsere Protagonistin ins Bild. Sie setzte sich in die Hocke, schnalzte lockend mit der Zunge, wie man es so tut, und maunzend kam das Kätzchen auf sie zu. Es rieb sich an ihrem Bein, schloss schnurrend die Augen und bewegte das Köpfchen in der streichelnden Mädchenhand. Da nahm unsere Protagonistin die Katze am Kragen, stand auf und schleuderte sie in irgendeine Richtung. Sie rief dabei: "Hinfort mit dir, du verkitschtes Artefakt!"

III - DIE GEDANKENBEWEGUNGEN MEINES BEGEISTERTEN BEKANNTEN

In Matthäus Brust stieg ein erhebendes Gefühl auf; es war als ob sich sein Herz ausdehnte und in alle Richtungen strömte; gleichzeitig fühlte er wie sich seine Beine angenehm verkrampften, ähnlich, wie wenn man vor Aufregung zittert. Die Tatsache, dass sie ein Kätzchen verschmähte, ein Kätzchen nach dessen Liebe sich doch jeder sehnt, jedes Mädchen zumindest, so sein (vielleicht nicht unsexistischer) Gedanke, verwies für ihn auf Großes. Wenn sie nicht nach dem lechzt, nach dem sich alle, ja, alle sehnen, welches gewaltige, unbekannte Ideal musste ihre Lebensführung formen?

Ich springe vor, denn ich habe keine Ahnung wie ich ihr Kennenlernen vernünftig schildern soll. Matthäus, begeistert wie von Drogen berauscht, erzählte mir später von einem Gespräch, das er mit ihr führte. Auf das will ich eingehen. Sie erläuterte ihm ihre Sicht des Menschen, Gottes und der Welt, doch er wurde nicht richtig schlau aus ihr. Wann immer er sein Verständnis ihrer kryptischen Aussagen schilderte protestierte sie "Nein, so meine ich es nicht!"; doch es schien etwas damit zu tun haben, dass Menschen nicht ihrer eigenen Handlungen Ursprung sind. Eine fremde Struktur spräche durch die Menschen. Darum litten die Menschen an einer Illusion, sie hielten sich für Agenten, wo doch das Steuern der Handlungen höchsten irgendeinem, unbestimmten Muster oder ähnlichem zukommen könnte. So verstand es der arme, überforderte Matthäus jedenfalls. Sich in diesen Gedanken zurechtzufinden war kein leichtes. Ein mutigerer Mensch als ich, da bin ich mir beinahe sicher, würde auf diesen wirren Unsinn spucken!

Ich will noch ein Zugebnis erwähnen, dass sich zwischen den beiden zugetragen hat. Matthäus, nicht der Ärmste, hatte unsre Protagonistin in ein nicht unbedeutendes Restaurant eingeladen. Nach der Bestellung der Getränke und einer Erörterung über die Bedeutung des Wortes "Sinns", ja, selbst vor Sprachanalysen schreckten sie nicht zurück, schlenderte die würdevolle Protagonisten aufs WC, kam zurück und warf gutgelaunt ein mit Menstruationsblut vollgesaugten Tampon auf Matthäus leeren Teller und lachte krächzend (wie eine Krähe). In Matthäus' Bewusstsein stieg das Gefühl sich verzückt verziehender Gesichtszüge und eine warme Freude in der Brust auf. Ich glaube hier ging es um nichts Sexuelles, keinen Fetisch für Blut, weil es nun zufällig gerade aus einer menschlichen Vagina geflossen war, sondern, ganz unschuldig um die Freude am Kontrast würdeloses, primitives Tampon - wohlgestaltetes Restaurant.

Doch, oh weh, was passierte. Die Protagonisten verstarb einfach. Eines Tages, Gott weiss was ihre Pläne waren, stieg sie aus der Straßenbahn, zuckte, und .. verstarb. Ein nicht erkannter Herzfehler hatte ihr mitleidlosen Unwesen mit ihr getrieben.

Über Matthäus von dem ich dann und wann höre, weiss ich, dass er seine Ideale aufgegeben hat. Ich habe zwar nie verstanden was genau seine Ideale waren und er womöglich auch nicht, aber er hat wohl in der Protagonistin, die die Katze zurückweist, Großes erahnt. Er hasste nun, das behauptete er jedenfalls vor mir, ich bin mir da nicht recht schlüssig, alle ihm bekannten Ideale auf der Erde. Er würde sich nur noch mit dem befassen, das jedem Zweifel erhaben ist, nämlich den unmittelbaren Sinneserscheinungen als leeres Sinnesgewirr, ohne darüber hinausgehende Bedeutung. Ich weiss, dass er nun stundenlang - und ich habe ihn dabei gesehen, er hält tatsächlich Stunden durch, er handelte nicht aus Zierde - an diversen städtischen Plätzen ausharrt und er vertieft sich in die Töne und Bilder die alle keine Bedeutung haben. Das Auto das hupt hat Bedeutung für den Straßenverkehr, nicht für ihn, die Möwe, die am Fluss schreit hat Bedeutung für den Meeresbiologen, die fremde Möwe und das Beutetier, nicht für ihn, in dieser absoluten Beziehungslosigkeit zu ihm erschloss sich ein ästhetischer Genuss, der jeder Skepsis standhält. Man hört es rauschen, klingen, dröhnen, es erscheinen Färbigkeit, Muster, Formen, alles ohne praktische Bewandtnis: wie schön! Was soll ein Christ sagen, der sich über bildhafte Schilderungen des Evangeliums freut, da sie, wie er glaubt, die Wahrheit ausdrücken und er dann im Jenseits vor dem leeren Thron Gottes steht? Matthäus würde dieses Problem jedenfalls nicht haben.

IV - UND wICHtig

Ich persönlich war vor einigen Tagen im Kino. Ich hasste den Film während sich das Restpublikum neben mir auf den Boden lachte. Ich übertreibe nicht, der Junge neben mir hatte einen Lachkrampf, dass er zu platzen schien. Das Mädchen neben ihm, Schamesröte im Gesicht, gab zu sich in die Hosen gemacht zu haben, hielt die Popcorntüte vor den Schritt und stahl sich zu den Toiletten.

Wieder auf der Straße war es kalt, Laternen, sich bewegende Werbetafeln, Elektronikgeschäfte, Leute die Spenden sammeln, Prostituierte und zitterende Bettler traten auf nachdem das Kino verschwand. Da ich nichts zu tun hatte beschloss ich nicht im Zug davonzufliegen, sondern den vierstündigen Fußweg in meine Wohnung auf mich zu nehmen. Ich genoss das Elend über alle Maßen, es war so viel befriedigender als jeder Film. Ja, der Höhepunkt war, - ich nahm den Weg durch den reichsten Teil der Stadt, als ich einen Bettler sah, dem das Bein fehlte, dessen nackter Stumpf auf dem nackten Zementboden harrte (während es regnete!) und vor einem Geschäft für luxuriöse Kleidung ausharrte. Nur ein par Meter vor ihm durchquerte ich eine U-Bahn Station in der ein Heruntergekommener umherirrte, der Essensreste vom Boden aufsammelte und sie ohne auf Dreck, Bakterien und - wer weiss - schon gewachsene Schimmelpilze zu überprüfen, in seinen Mund steckte. (Vielleicht ist er nun tot; der Achtlosigkeit wegen.)

Als ich an einem ungeschützt daliegenden Bettler vorbeikam, der vor seiner Mütze, die als Münzsammler fungieren sollte, eingeschlafen war und aus dessen offenem Mund der Speichel floss, nahm ich aus meiner Tasche dreißig Euro, faltete sie und steckte sie ihm in den Mund. Die Idee, dass er aufwachen und sich vielleicht über das unerwartete Wunder, die aus dem Nichts materialisierten Geldscheine, freuen würde hatte einen gewissen Reiz für mich. Ich hatte bloß Angst, dass der Wind die Scheine wegwehen würde.

Was mich quält ist, dass ich nicht weiss ob ich aus Egoismus handle - da ich mich zum Beispiel selbst verachte und in dem verachteten Bettler selbst wiederkenne, da ich von der Welt enttäuscht bin und in dem gescheiterten Bettler eine Allegorie auf mein gescheitertes Leben erfühle oder da ich es als Witz sehe und amüsant finde einem Bettler so viel zu geben und das Geld dann auch noch, wie originell, ihm in den Mund, haha, zu stecken - oder ob ich aus tatsächlicher Nächstenliebe handle. Gäbe es genuine Nächstenliebe, wie verdeckt und verschüttet von andrem sie auch sein mag, wäre - so scheint es mir wahrhaftig - in der Tat alles gelöst. Der Sinn des Lebens, diese pathetischen, aufgeblasenen Worte, wären in der ganz profanen, tagtäglichen Nächstenliebe aufgelöst.

Auf der andren Seite: Der einzige Bekannte, den ich nach Matthäus bekanntierte, erschloß mir eines Tages, dass er im Gefängnis war und weswegen. Als ich in einer Alkohollaune sein Verbrechen an unbekannte Kneipenbesucher weitererzählte, wurde er erst erbost, drohte mir mit der Faust, entspannte sich dann und sagte: "Naja, es glaubt ja eh keiner, die Wahrheit ist so absurd, dass du sie ausplaudern kannst, und trotzdem glaubt dir niemand, haha!" In diesem Punkt bin ich mir zwar nicht so sicher wie er, von der Hand zu weisen ist sein Einwand jedoch auch nicht.

 

Hallo wfd!

In Mangel von Zeit gehe ich diesmal nicht auf die Geschichte ein. Habe ich noch vor, schon wegen des ungewöhnlichen Aufbaus. Aber erstmal möchte ich dich darum bitten, dich an die Konvention zu halten und die Fettschrift zu entfernen. Bei der Gelegenheit auch mal über den Text gehen und den einen oder anderen Rechtschreibfehler entfernen.
Soviel erstmal.

Gruß
Kasimir

 

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