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Antonio
„Das ist abstoßend und widerlich! In deinem Alter!“
Antonio saß in seinem Sessel und sagte nichts.
„Sie wollen dich rauswerfen, wenn das noch mal vorkommt.“
Antonio sagte immer noch nichts.
„Jetzt sag doch mal was.“
„Tut mir leid, daß du wegen mir Ärger hast, Enzo.“
Enzo stapfte durch das karg möblierte Zimmer.
„Tut mir leid, tut mir leid. Ist das alles?“
„Ja.“
„Versprich mir, daß das nicht noch mal passiert.“
„Nein.“
„Was?“
„Nein.“
„Herrgott, was bist du nur für ein kranker alter Mann.“
Die Tür krachte ins Schloß. Enzo war weg.
Antonio ging zum Fenster und sah hinaus. Einen Moment lang überlegte er, ob er das Fenster öffnen sollte, um seinen wütenden Sohn zurückzurufen. Dann beschloß er, daß es sinnlos wäre. Enzo war in dieser Verfassung kaum zu einem vernünftigen Gespräch in der Lage.
‚Früher war es umgekehrt‘, dachte Antonio‚ ‚da war ich derjenige der schimpfte und von ihm unhaltbare Versprechen verlangte. Da hieß es immer, wir müßten mehr Verständnis für unsere Kinder haben. Jetzt wünschte ich, er hätte ein bißchen Verständnis für mich.‘
Es klopfte und bevor Antonio etwas sagen konnte, ging die Tür auf. Eine Pflegerin kam herein.
„Donna Foca wünscht Sie zu sprechen, Signor Brezzo.“
„Gerne. Wann soll ich zu ihr kommen?“
„Jetzt gleich.“
Die Pflegerin verschwand grußlos.
Antonio zog eine leichte Jacke über und verließ das Zimmer.
‚Dio, wäre ich zwanzig, wäre ich ein toller Hecht. Mit Achtundsiebzig ist man einen kranker Mann.‘
„Wir sind ein Senioren- und Pflegeheim, Signor Brezzo, und kein Jugendhaus. Wir haben eine Hausordnung und die gilt auch für Sie. Ihr Verhalten ist in keiner Weise duldungsfähig, haben Sie mich verstanden?“
Ihre Stimme war scharf und eindringlich. Nur ein Tauber hätte sie nicht verstanden.
„Ja, Donna Foca.“
„Dann sind wir uns ja einig.“
Sie beugte sich über ihren Schreibtisch und sah Antonio drohend an.
„Sind wir uns einig, Signor Brezzo? Keine Extratouren. Sie schlafen in ihrem Bett. Verstanden?“
Antonio nickte.
„Schön. Für den Moment lasse ich es damit bewenden Sie zu ermahnen. Das wäre alles. Sie können gehen.“
„Einen schönen Tag noch, Donna Foca.“ sagte Antonio und stand auf. „Ich denke, ich werde in die Kirche gehen.“
„Gute Idee,“ erwiderte sie, wobei sie ihn mit kalte Augen fixierte.
„Beichten Sie, Signor Brezzo. Und beten Sie.“
Antonio ging zunächst in ein anderes Gebäude auf dem weitläufigen Gelände. Durch einen der farblosen Flure gelangte er an eine Tür und klopfte.
„Wer ist da?“ fragte eine weibliche Stimme.
„Ich bin’s.“ antwortete er gerade so laut, daß sie ihn hören konnte.
Sie öffnete die Tür und er schlüpfte rasch ins Zimmer.
‚Wie schön sie ist,‘ dachte er. Ihr Haar war immer noch lang, obwohl die Schwestern ihr ständig rieten, es abzuschneiden. Das sei pflegeleichter. Sie hatte sich jedoch als recht widerspenstig erwiesen und ihr Haar mit Zähnen und Klauen verteidigt. Außerdem kümmerte sie sich selbst darum, was dem vorgeschobenen Argument den Boden entzog.
„Rosa,“ sagte Antonio und nahm sie in die Arme, „meine Schöne. Es wird unerträglich hier. Donna Foca ist in Rage und wird uns nicht mehr aus den Augen lassen. Enzo war hier und hat mich ausgeschimpft wie einen kleinen Jungen.“
„Unerhört.“ sagte sie, „Und Francesco will mich entmündigen. Ich sei wohl nicht mehr im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte. Eine Hure hat er mich genannt. Und ich dachte, ich hätte meine Kinder zur Liebe erzogen.“
„Jetzt behandeln sie uns wie Kinder. „
„Ich habe meine Kinder nie so behandelt.“ wies sie empört zurück.
„Ich kann nicht lang bleiben Rosa, aber wir treffen uns später im Park. Da können wir reden, und ich hab auch schon einen Plan.“
„Was für einen Plan?“
„Darüber will ich jetzt noch nicht reden. Aber sag mir eins, Cara, hättest du nicht auch Lust zu verreisen?“
Rosas Augen blitzten.
„Und wie, Caro. Am Liebsten für immer.“
Er drückte sie an sich und seine Hände zitterten, als er ihr übers Haar strich.
In der Kirche war es ruhig und kühl. Antonio fand seinen Freund Paolo schlafend auf einer Steinbank in der Krypta.
„He Paolo,“ flüsterte er und stieß den Schlafenden dabei leicht an, “zuviel Wein zur Pizza, he?“
Paolo schrak auf.
„Antonio. Ich muß eingeschlafen sein. Geht es dir gut? Dein Anruf...“.
„Nein, Paolo, nichts ist gut.“
Antonio schüttete seinem Freund sein Herz aus, wobei er nichts ausließ. Auch die Freude nicht, die ihm seine Liebe zu Rosa bescherte, was Paolo in ungläubiges Staunen versetzte.
Keiner der beiden bemerkte Pater Anselmo, der im Eingang zur Krypta zu Stein erstarrt zu sein schien, was nur durch sein gelegentliches Bekreuzigen widerlegt wurde.
„Du mußt uns helfen.“ schloß Antonio seine Rede.
„Maria, wie denn das?“
„Euer Haus auf Elba; wir könnten eine Weile dort bleiben.“
„Und dann? Mal abgesehen davon, daß Anna da nicht mitmachen wird. Ihr seid nicht verheiratet.“
„Aber verwitwet.“
„Das ist doch nicht das selbe!“. Paolo bekreuzigte sich .“ Anna ist da sehr streng. Und wovon wollt ihr leben?“
„Sei doch nicht so vernünftig.“
„Toni, ihr könnt doch nicht einfach durchbrennen. Ihr seid keine zwanzig mehr. Wartet ein bißchen, dann kehrt Ruhe ein.“
„“Was ändert denn das? Und überhaupt, wir haben keine Zeit zu verlieren. Keine zwanzig, he. Was ist jetzt? Hilfst du uns?“
„Ich tu was ich kann und rede mit Anna.“
Pater Anselmo hatte genug gehört. Geräuschlos zog er sich zurück und stieg kopfschüttelnd die Treppe hinauf.
Niedergeschlagen saß Antonio mit Rosa auf einer Bank im Park des Seniorenheims.
„Anna hat sich furchtbar aufgeregt. Sie sei keine Kupplerin und wir sollten für unsere Seelen beten. Du meine Güte, wo sind wir? Im Mittelalter?“
„Keine Reise.“ sagte Rosa.
„Keine Reise.“
Still saßen sie auf der Bank und hielten sich an den Händen.
„Entschuldigen Sie,“ Die beiden schraken zusammen. Vor ihnen stand eine Schwester mit einem Pfarrer.
„Pater Anselmo möchte Sie sprechen.“.
„Was soll das heißen er ist übers Wochenende verreist? Nein, er ist nicht hier.“ Enzo lief unruhig hin und her, während er ins Telefon schrie. „Herrgott, was treibt ihr da eigentlich? Ja ,ja, schon gut. Ich weiß, daß ihr kein Gefängnis seid. Wieso kann ein Patient – na gut, ein Bewohner. Wieso kann ein Bewohner einfach so verschwinden?“.
Seine Frau kam zur Tür herein und schwenkte aufgeregt eine Zeitung.
„Enzo, sieh dir das an.“
Enzo winkte ungeduldig ab.
„Wir sollten die Polizei verständigen.“
Seine Frau hielt ihm die Zeitung direkt vors Gesicht.
Enzo traute seinen Augen nicht.
„Moment mal, ich melde mich wieder.“
Er knallte den Hörer auf die Gabel.
„Was?“ murmelte er.
‚Verbotene Liebe mit Happy End‘ stand da in großen Lettern. Darunter ein Bild, das Antonio mit einer alten Dame und einem rundlichen Pfarrer zeigte. Alle drei strahlten.
‚Weil ihre Liebe im Seniorenheim und bei ihren Kindern auf Ablehnung und Unverständnis stieß, haben Antonio B. und Rosaria V. heimlich geheiratet. Pater Anselmo, der die beiden in der Kapelle St. Marino traute:
„Es ist wunderbar, der Liebe einen Dienst erwiesen zu haben.“
Nun suchen die beiden eine kleine Wohnung. Doch zunächst geht es auf Hochzeitsreise. Wir wünschen den beiden viel Glück.‘
Entgeistert griff Enzo zum Telefon.