Ant Contact
Es war verrückt. Aber gleichzeitig auch eine Sensation. Er sah sich den Film wieder und wieder an und konnte es nicht fassen. Mit diesen Aufzeichnungen würde er reich und berühmt werden, das war ihm durchaus bewusst aber daran dachte er im ersten Moment überhaupt nicht, und auch später war es keinerlei Option die er in Betracht gezogen hätte. Nur ein unweigerlich kurzer Gedanke der genauso schnell wieder verschwand wie er gekommen ist. Er ist ein Wissenschaftler und hatte keinerlei Ambitionen dazu eine Person des öffentlichen Lebens zu werden, was er dann mit Sicherheit geworden wäre, hätte er seine Ergebnisse veröffentlicht. Aber er tat es nicht und das aus gutem Grunde.
Er ist ein Myrmekologe, zu Deutsch ein Ameisenforscher. Schon seit seiner Kindheit haben diese Insekten eine unheimliche Faszination auf ihn ausgeübt. Das soziale Gefüge eines Ameisenstaates ist vorbildlich, jeder ist Teil des Staates und bringt seinen Teil dafür ein. Er beobachtete die Ameisen schon seit seiner Schulzeit und als er zu Weihnachten von seinem Vater eine eigene Ameisenfarm bekam war er den Rest der Feiertage nicht mehr zu sehen. Er hatte Namen für jede einzelne Ameise und hatte sie versucht farblich zu markieren um sie voneinander zu unterscheiden, das ist ihm schließlich nach vielen Stunden gelungen. Er dokumentierte alles was er sah und was für ihn interessant erschien, er beobachtete was passiert wenn man verschiedene Dinge in die Farm legte. Ein Zuckerwürfel war innerhalb von Minuten auseinandergelegt worden und tief in den Gewölben der Farm gelagert worden. Jedes Nahrungsmittel das er testete wurde Zerlegt und abtransportiert.
Für ihn gab es nichts aufregenderes als die Ameisen zu beobachten wie sie ihr Leben bestritten. Als er sein Biologiestudium begann hatte er schon einige interessante Artikel über Ameisen geschrieben die auch in einschlägigen Fachmagazinen veröffentlicht wurden. Nach seinem Studium wurde er vom Frauenhofer Institut angeworben die ihm weitreichende Mittel zur Verfügung stellten um seine Forschungen zu finanzieren.
Seine Publikationen wurden weltweit veröffentlicht und nach ein paar Jahren war er der meistkonsultierte Myrmekologe. Seine Vorlesungen waren immer gebrechend voll und er hatte die absolute Gabe seine Zuhörer zu fesseln. Die Zuhörer staunten nicht schlecht wenn er ihnen erzählte das die Biomasse aller Ameisen auf der Welt die der Menschen um einiges übersteigt, und das obwohl eine normale Ameise gerade mal 6 bis 10 mg wiegt. Weiterhin ist es ihm zusammen mit einem Kollegen gelungen die größte Ameisenkolonie der Welt zu lokalisieren. Sie hat eine Länge von sage und schreibe 5760km und erstreckt sich von der italienischen Riviera bis in den Nordwesten Spaniens.
Das Ameisen ein vielfaches ihres Körpergewichtes tragen können ist allgemein bekannt aber dass die sogenannte Weberameise in der Lage ist sich auf einer glatten Oberfläche so festzukrallen dass fast das 200-fache ihres Körpergewichts notwendig ist, um sie davon zu lösen war den meisten nicht bekannt.
Genau diese Fähigkeiten waren für ihn immer schon ein Beweis dafür dass die Ameise das wohl beeindruckendste Geschöpf auf unser Erde ist. Vor einem Jahr hatte er sich aufgemacht im Amazonasdschungel einen Bau der sogenannten Amazonasameise (Polyergus rufescens)zu beobachten und eine Abhandlung über deren soziale Struktur und Lebensweise zu schreiben. Nach einem halben Jahr allerdings wurde sein Bild über die Ameisen komplett verändert. Denn was er damals entdeckte war wie ein Schock für ihn.
Es war der 21.Mai 2009 als er nach dem aufstehen das gefilmte Material der vergangenen Nacht sichten wollte. Er lief zu der Kamera und entfernte die Speicherkarte. Die Kamera hatte er selbst entworfen, statt einem normalen Okular befanden sich sechs flexible Sondenkameras daran. Mit diesen konnte er bis in den Ameisenbau vordringen. Die meisten hatte er rund um den Bau versteckt, abgedeckt mit Moos und Blättern um die Umgebung so zu belassen wie sie ist. Er steckte die Speicherkarte in den Slot am Laptop und begann sich die Aufzeichnungen anzusehen. Er spulte etwas vor und trank dabei einen frisch gebrühten Kaffee. Plötzlich zuckte er zusammen, stoppte den Vorlauf und ging etwas zurück dann ließ er den Film normal ablaufen.
Die Tasse fiel scheppernd zu Boden und seine Augen weiteten sich unnatürlich. Ein Keuchen erklang aus seinem vor Staunen und Unglauben geöffneten Mund. Er spulte nochmals zurück und nochmal und nochmal, er konnte nicht glauben was er da sah. Das war völlig unmöglich. Versuchte man ihn zu verarschen? War das ein Studentenscherz? Er wusste selbst wie unglaubhaft sich das anhörte, niemand wußte das er hier war, das Institut kannte nur den Ort wo er seine Unterkunft hatte aber mehr auch nicht. Der Bau der Amazonasameise hatte er erst nach mehrtägiger Suche gefunden. Es war demnach unmöglich das irgendjemand davon wissen konnte. Und genau das machte ihm Angst. Wenn außer ihm niemand davon wusste, dann war es Realität. Dan war die Welt nicht mehr so wie vorher, dann war alles im Wandel.
Er beschloß die Nacht über hier zu bleiben und sich mit seinen eigenen Augen davon zu überzeugen. Sofern das Phänomen noch einmal auftauchen sollte, aber er musste es zumindest in Betracht ziehen. Bei Einbruch der Dämmerung kroch er durch das Unterholz, ausgerüstet mit einem Nachtsichtgerät und seinem kleinen Netbook das mit den Kameras per Funk verbunden war und alles aufnahm was auf der Lichtung des Ameisenbaues abspielen würde.
Nach fünf Stunden warten ohne dass irgendetwas passierte gähnte er herzhaft und Gedanken wie, Lichtspiegelung, Halluzinationen oder Gerätefehler schwirrten in seinem Kopf herum. Er überlegte schon das Unternehmen aufzugeben und zurück zum Camp zu fahren um sich zu duschen, ein kühles Bier zu trinken und einfach nur einzuschlafen. Plötzlich wurde ein Summen hörbar, vergleichbar wie ein Bunsenbrenner. Er blieb ruhig liegen und beobachtete, plötzlich lag die Lichtung in hellem Licht und das Summen verwandelte sich in ein sanftes aber kraftvolles Dröhnen. Er blickte gen Himmel und was er sah ließ sein Adrenalin hervorschießen wie Sekt aus einer geschüttelten Flasche. Es war schier unglaublich aber aus dem Nachthimmel senkte sich eine 2 Meter durchmessende, vermutlich stählerne Kugel dem Erdboden entgegen.
Mit majestätischen Leichtigkeit blieb die Kugel ein paar Zentimeter vor dem Waldboden in der Luft schweben, das Dröhnen erstarb und die Lichter wurden gedämpft. Sein Herz hämmerte und er wagte kaum zu atmen, er nahm das Fernglas und beobachtete die Kugel. Sie war durchzogen von Linien die blau schimmerten und zu pulsieren schienen. Er betrachtete die Unregelmäßigkeiten und erahnte das er vor einer Sensation stand, er war aufgeregt und…….was war das? Er schwenkte das Fernglas und sah geschäftiges Treiben am Ameisenbau. Zu tausenden strebten die Amazonasameisen nach draußen und formierten sich um die Kugel. Was zum Teufel….? Plötzlich wurde aus dem unteren Segment der Kugel eine Art Plattform ausgefahren und schwebte langsam nach unten. Als diese auf dem Boden ankam, wurden die Ameisen geschäftig. Aus dem Bau schleppten sie verschiedene Dinge wie Larven, ein toter Gecko, Bambusrohre, Blüten und Blätter zur Plattform und stapelten sie dort. Nach einer halben Stunde war die Plattform gefüllt und verschwand wieder im Inneren der Kugel. Die Ameisen formierten eine Art Durchgang und er sah dass die Königin aus dem Bau kam und Richtung Kugel ging. Dort angekommen blieb sie stehen, ihre Fühler wackelten hin und her und ein kleiner Lichtstrahl aus der Kugel erfasste Ihre Fühlerenden, die Königin erstarrte, sie war vollkommen bewegungslos, auch die bis jetzt hin und her zuckenden Fühler waren völlig regungslos. Nach ein paar Sekunden erlosch der Strahl und es kam wieder Bewegung in die Königin. Sie kehrte um und verschwand kurz darauf wieder im Bau. Die Kugel begann wieder leicht zu summen und stieg sanft und erhaben in den Nachthimmel. Als von Ihr nichts mehr zu erkennen war, folgten die restlichen Ameisen ihrer Königin und verschwanden im Bau.
Er blieb noch zwanzig Minuten still liegen bevor er langsam und so geräuschlos wie möglich zurückkroch. Er stand auf und seine Beine zitterten, ihm wurde bewusst was für eine Auswirkung diese Entdeckung haben würde. Er war Zeuge des ersten Kontaktes mit einer außerirdischen Intelligenz. Doch entgegen aller Erwartungen der Menschheit waren nicht sie es die kontaktiert wurden, sondern dieses Volk der Amazonasameisen. Er ging völlig in seine Gedanken versunken zurück ins Camp, er nahm die Speicherkarte aus der Kamera und sah sich das erlebte nochmals auf seinem Notebook an. Er war betroffen und völlig aufgelöst. Die Menschheit würde das niemals verstehen, die Ameisen würden alle untersucht werden, man würde den Amazonas zum Sperrgebiet erklären, man würde alle Hebel in Bewegung setzen um herauszufinden wer die Außerirdischen sind. Die Neugier der Menschheit und der Wissendurst der Wissenschaftler würde den Ameisen den Tod bringen. Das konnte er nicht zulassen. Er blickte auf die Speicherkarte und ohne noch einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden wusste er was er tun musste um das zu verhindern. Er nahm die Karte ging zum Lagerfeuer und ließ sie in die glühende Asche fallen. Das Plastik schmolz kurz darauf und kurze Zeit später war nur noch ein häßlicher schwarzer Klumpen davon übrig. Er löschte sämtliche Aufzeichnungen über die Amazonasameise und packte seine Sachen ein. Er liebte die Ameisen und er könnte es sich nie verzeihen wenn sie wegen ihm und seinen Forschungen zu Schaden kommen würden. Er brach sein Camp ab, löschte das Feuer und mit einem letzten Blick in Richtung des Ameisenbaues wandte er sich um und wünschte seinen kleinen Freunden alles Gute.
Als er im Unterholz verschwunden war, schwebten die drei Kugeln auf die Überreste des Feuers zu, eine Kugel näherte sich dem schwarzen Klumpen der ehemaligen Speicherkarte die anderen beiden verfolgten völlig geräuschlos den Menschen. Die ehemalige Speicherkarte wurde von der Kugel mit einem Strahl erfasst und kurz darauf wieder fallen gelassen. Ein Signal der Kugel erreichte die beiden anderen und kurz darauf blieben diese regungslos stehen, fuhren die Neutralisatoren ein und beobachteten wie der Mensch seinen Weg unbehelligt fortsetzte.