Was ist neu

Anstandslos

Mitglied
Beitritt
20.03.2009
Beiträge
61
Zuletzt bearbeitet:

Anstandslos

Zweimal auf den Zündschlüssel gedrückt - eigentlich sollte er mittlerweile infrarogesteuerter Öffnungs-Schliess-Start-Computer heissen - und schon sitze ich in meinem Auto.

Ein paar Daten werden dem Öffner entnommen und mein Sitz bewegt sich in vier Richtungen gleichzeitig. Vor - Rauf - Hinter - mit einer leichten Schrägdrehung um 15 Grad.

In dieser Stellung kann ich schmerzfrei sitzen.

Früher als Autofahren noch eine Männerdomäne war, brauchte man höchstens 5 Verkehrsschilder Schilder.

"Vorsicht Mütter mit Kindern" - eine sehr interessantes Schild - waren die doch immer auf der Suche nach einem Mann, der für Ihren Lebensunterhalt aufkommen könnte. Da konnte man gar nicht schnell genug vorbeifahren.

"Halteverbot" - meistens war das ein Hinweis darauf, dass sich in unmittelbarer Nähe ein Billiardsalon befand, in dem es auch gute Hausmannskost gab. Die fünf Mark für den Strafzettel hatte ich nach 15 Minuten immer reingespielt.

"Überholverbot aufgehoben" - das tauchte immer kurz nach meinem vollendeten Überholvorgang auf. Komischerweise gab es das Schild "Überholen verboten" nicht. Vielleicht war ich aber auch immer zu schnell, um es zu sehen.

"Vorfahrtstrasse" - das wohl wichtigste Schild, wenn man einen Schaden rechts vorne hatte. Extra Gas geben an der Kreuzung - wenn man Glück hatte übersah ein Opa die Vorfahrt.

"Vorsicht Wild" - eine günstige Alternative sich mit Fleisch, frisch aus unseren Wäldern einzudecken - noch lange bevor Tschernobyl die pelzigen Dinger alle verstrahlte.

Aber jetzt, wo die Frauen in unsere Welt eingedrungen sind, ist alles anders. Wir haben nur noch halb soviel Platz - und überall Schilder, die einem genau sagen, was man tun muss.

Und wenn man es nicht befolgt, springt sofort wieder eine Frau in Uniform aus dem Gebüsch und notiert den Verstoss.

Ich drehe das Radio an - nostalgischer Sender. Aus den Lautsprechern dröhnt "nutbush city limits".

Mit meinen spärlichen Englischkenntnissen verknüpft ergibt das so was wie "Beschränkungen für Büsche mit Nüssen in der Stadt".

Irgendwie passend - finde ich.

Ich drehe voll auf und singe mit "NussBuschStadtBeschränkungen", "NussBuschStadtBeschränkungen", "NussBuschStadtBeschränkungen". "YeahYeahYeah".

Es gibt nichts schöneres, wie diese Hits, wenn man in einer Zeit aufgewachsen ist, wo man noch mit dem Micro vor dem Radio sass und versuchte diese Hits störungsfrei mit dem Kassettenrecorder aufzunehmen. Wehe, die Mutter öffnete den ,nicht entstörten Kühlschrank oder der Moderator quasselte in das Lied - dann war alles für die Katze. Man konnte gar nicht so schnell zurückspulen und beim letzten Lied positionieren, wie der nächste Hit schon wieder gestartet wurde.

Ich biege ein in eine sogenannte Zone.

Ein vier Meter hoher Schildermast - zwei Meter in der Breite - zeigt mir alle Verbote an. Jetzt ist Konzentration angesagt.

Es ist eine 30-er Zone, Parken ist nur mit Parkscheibe erlaubt, aber nicht länger als 15 Minuten, Halten ist nicht erlaubt nur für Anwohner mit behindertem Ausweis oder Behindertemausweis, kombiniert mit geraden Tagen im Mai und Juni - aber nicht, wenn Markt ist. Im Kreisverkehr gilt die Regelung rechts vor links, ausser es wird explizit mit schräg nach unten gerichteten weissen Pfeilen auf blauem Hintergrund davon abgeraten. Die Strasse ist im Übrigen eine Einbahnstrasse, in der allerdings Wenden erlaubt ist, wenn man anschliessend rückwärts weiter fährt. Parken darf man nur schräg in den extra beschrifteten Zonen. Die ersten 200 Meter sind eine Spielstrasse, Radfahren ist erlaubt, aber nur in Begleitung angeleinter Hunde. Kinderwägen dürfen nur mit ausreichender Beleuchtung in die Strasse eingeführt werden und Mütter müssen Helme und Sicherheitswesten tragen - ausser das Baby ist grösser als ein Meter und fünfzig oder wiegt mehr als 25 Kilo.

Mehr kann ich nicht erkennen, da Halten an dem Schild verboten und eine Mindestgeschwindigkeit von 15 km pro Stunde vorgegeben ist.

Ich habe vergessen, warum ich losgefahren bin und wohin ich will.

Ein gutes Mittel, um den Faden wieder zu finden ist einfach weiterfahren - meistens fällt es mir dann wieder ein.

Ideal ist ein Kreisverkehr. Dort entfernt man sich nicht so weit - von dem vermutlich angepeilten Ziel - und kann in Ruhe nachdenken, wenn man dort Vorfahrt hat.

Jetzt hab ich es wieder. Ich wollte in die Arbeit.

Mein Navi ist völlig überfordert mit den eingespeisten Signalen und fordert mich permanent zum Umdrehen auf. Aber ich bin stur. Nach 100 Metern kommt sowieso die Stelle, an der ich mich scharf rechts halten soll, weil mir angeblich ein Geisterfahrer in der 30er Zone entgegenkommt.

Jetzt kommt eine Reihe extra angepflanzter Büsche, hinter der diese Wächterinnen stehen. Bloss nicht stehen bleiben , ist mein einziger Gedanke.

Mist. Die Bremsleuchten vor mir - mit neuester LED Technik - tauchen die Umgebung in ein unheimliches Rot ein.

Zum Glück hatte ich mich vor der Fahrt noch eingecremt - Bremslichtfaktor 4.

Ich muss halten. Schon springen etliche dieser Strassenräuberinnen aus den Büschen und zücken ihre Stifte und Blöcke.

Mittlerweile kommt im Radio "Let it be". Ich bin der gleichen Meinung und betätige meine Scheibenwaschanlage um das Anheften des Strafzettels zu verhindern.

Zum Glück ist nicht Februar. Zum Schutz der Ratten in der Kanalisation ist es nämlich in dieser Zone verboten, die Waschanlage zu bedienen - im Februar, weil die Reinigungsflüssigkeit die Aufzucht der Jungen gefährden könnte.

Ein neues Gesetz, seitdem die Verbieter über die fünf Stimmen Hürde gekommen sind. Und ich hab sie auch noch gewählt, weil sie vor der Wahl versprochen haben, die Verbote zu verbieten.

Das nächste Mal wähle ich wieder die FVP - die "Frauen vereinigt euch Partei". Die sind sich wenigstens nicht einig.

Noch 30 Meter, dann bin ich aus der Zone draussen.

Ich gebe Gas in dem Moment springt ein Baby - 20 Kilo schwer - aus seinem Kinderwagen heraus und läuft direkt auf mein Auto zu. Die Mutter hinter ihm her - ohne Helm. Vermutlich war das Baby nicht angeschnallt.

1000 Gedanken schiessen mir gleichzeitig durch den Kopf.

Auf keinen Fall darf ich anhalten. Wenn ich Glück habe, dann beisst der Hund vor mir - immerhin angeleint mit dem Radfahrer - das Kind, bevor ich es erwische. Dann wäre die Rechtslage geklärt und ich könnte weiter fahren. Wenn ich Pech habe erwische ich die Mutter und muss das Kind grossziehen.

Das ist die neue Rechtslage, seitdem die Gentests verboten wurden. Wer die Mutter als letztes berührt hat verloren. Ein Gesetz, dem sogar die FVP skeptisch gegenüber steht.

Ich habe nur eine einzige Chance. Ich gebe Vollgas, schalte mein ESB aus, reisse die Handbremse hoch und leite eine 180 Grad Wende ein. Rückwärts schiesse ich so schnell wie möglich aus der Zone raus. Mein Hintermann, der eine Frau ist, erwischt das Kind. Soweit ich weiss, gehört ihr jetzt die Mutter.

Ich komme vor dem Schild am anderen Ende der Zone zu stehen , suche schnell den entsprechenden Abschnitt und lese, dass Mütter nur an ungeraden Tagen übernommen werden müssen, ausser sie haben keinen Helm. Da hat sie aber noch mal Glück gehabt.

Wäre es nicht besser gewesen, die Mutter umzufahren - mit einer Mutter hätte sich doch nichts anfangen können. Aber vielleicht hat sie schon Kinder. Wer weiss es schon.

Mein Navi warnt mich vor einem Tross Kindergartenkinder. Eine sehr nützliche - wenn auch verbotene Eigenschaft. Vorsichtig fahre ich an den Kindern vorbei - soviel Mütter kann ich mir nämlich nicht leisten.

Ich höre im Radio, dass nur die Rentner ihre Rente bekommen, die auf sämtliche medizinische Versorgung verzichten, ausser sie berühren eine Krankenschwester mit Beleuchtung.

Muss mir erst von meinem Anwalt durchrechnen lassen, welche Alternative günstiger ist.

Vermutlich bin ich anstandslos durch die Zone gekommen und jetzt weiss ich es auch wieder:

Ich muss gar nicht in die Arbeit - ich bin ja Rentner.

Oder ist heute ein gerader Tag ?

 

Hallo gdeki,

sag mal, schreibst du jeden Tag eine Satire? :confused:
Oder postest du jeden Tag eine von deiner Satirehalde? Das Satireforum muss man ja bald in gdeki-Forum umbenennen, so viele Dinger stehen hier von dir.
Nee...ist keine Kritik, ich bin nur fraulich neugierig.

Nun zur Story, die mir ausnehmend gut gefallen hat, weil du jede Menge anderen Kram en passant untergebracht hast. Diese Seitenhiebe von den gefährdeten Rattenbabys bis hin zur neuesten Rechtsprechung, des Verbots des heimlichen Gentest für Väter (nicht für Mütter), hat mir gefallen.

Woran es mangelt: ist eine schöne runde Geschichte. Klar, du hast schon in diesem Text einen Protagonisten und der fährt. Also, den Vorwurf, dass du keine Geschichte gepostet hast, kann man dir nicht machen. Aber eine Geschichte ist dann doch noch ein wenig etwas anderes, also eine gute Geschichte meine ich. Die hat z.B. einen Spannungsbogen und plätschert nicht von Straße zu Straße weiter.

Trotzdem habe ich deine "Geschichte" gern gelesen, weil viel in ihr steckte und ich diese ganzen kleinen Seitenhiebe ganz interessant fand.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Lakita,

vielen Dank für Dein Statement. Geb Dir recht, es ist keine Spannung drin.
Es soll ja auch ein bischen die Abstumpfung wiederspiegeln, die sich im Bürger aufbaut, der nur noch versucht heil durch den Tag / durchs Leben zu kommen.

Langsam hat man ja das Gefühl, das Leben besteht nur aus Strafen, die man bezahlen muss. Aber das ist schon wieder eine andere Diskussion :-)

Die Satirehalde ist in meinem Kopf. Tendenz Zynik. Aber das Forum fehlt leider - oder Gott Sei Dank :-) Wir wollen ja nicht jammern - gell.

Wenn ich an so einem roten Faden ziehe, dann kommt eben manchmal eine Geschichte raus.

Bin auch schon mal geschimpft worden, weil ich sowenig Kritiken einstelle.

Gebe mir aber da auch Mühe, dem Verbot zu viele Geschichten einzustellen nachzukommen :-))

Du als Anwältin kennst wahrscheinlich eine Unmenge dieser haarsträubenden Verordnungen und Rechtssprechungen. Ich wüsste gar nicht ob ich in so einem Beruf noch ernsthaft bleiben könnte.

Ich käm in diesem Staat echt besser klar, wenn man einfach mal gesagt kriegt (vom Bundeskanzler persönlich) :

Leute, wir sind am Ende, es geht nur noch darum geld zu beschaffen und dafür seid Ihr Bürger da. Ende der Durchsage :-)

Aber so ehrlich darf man als Politiker ja nicht sein - gell ...

Also in dem Sinne und vielen Dank fürs Lesen

Dein Allerwerterster

gdeki

 

Hallo gdeki,

Die Satirehalde ist in meinem Kopf. Tendenz Zynik. Aber das Forum fehlt leider - oder Gott Sei Dank :-) Wir wollen ja nicht jammern - gell.

Alle Achtung wegen der Satirehalde in deinem Kopf.

Aber weshalb glaubst du, dass dir das Forum für Zynismus fehlt? Die Satireheimat ist groß. Dort ist genügend Platz für zynische Geschichten.

Bin auch schon mal geschimpft worden, weil ich sowenig Kritiken einstelle.
Ja, das ist in der letzten Zeit ein verbreitetes Phänomen, dass jede Menge neuer Autoren hier reinschneien und der Überzeugung sind, kg.de sei ein Dienstleistungsbetrieb, in dem ihre Geschichten kostenlos kritisiert werden. Da wird dann schon mal kräftig gemault, wenn der Service etwas lahmt. :D

Diese Seite lebt davon, dass sich möglichst viele aktiv beteiligen. Würden wir alle ab sofort nur noch Geschichten hier hereinstellen, aber keine kritisieren, wärs nur noch Lese-kg.de. So einfach ist die Welt. Vermutlich wirds deshalb so leicht übersehen. :D

Lieben Gruß an den Allerwertesten

lakita

 

Hallo gdeki,

komisch, manche Geschichten erkennt man ohne Brille von weitem: guck Dir das mal an und vergleiche. Die Gaußverteilung der Absatzlänge meine ich. Die zeigt auf, daß Du hier keine Geschichte erzählst, sondern randomisiert Gedankenfetzen aneinanderreihst.
Wenn ich dann eintauche und den "ground truth" mache, läßt sich die Annahme leicht validieren. Deine Gedanken sind gut und spannend, aber versuche sie mal so hintereinander zu reihen, daß sie die Struktur eines Erlebnisses bekommen, eine logische, zeitlich bestimmte Struktur, für die gilt: jeder Gedanke erscheint an der Stelle, an der er erscheinen muß; an jeder anderen Stelle wäre er unpassend.
Versuch's mal; mit Deinen Gedanken lohnt es sich.

Gruß Set

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom