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Ansichten einer Pflanze

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28.09.2002
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Ansichten einer Pflanze

Meine Art erschreckt viele Menschen, oder sie betrachten mich mit etwas wie Ekel oder Abscheu. Den meisten Leuten bin ich nur oberflächlich bekannt, und doch hegen sie den gleichen Widerwillen gegen mich, wie die Leute, die meine Art besser kennen. Obwohl ich manchmal der Meinung bin, gerade diese Leute verachten mich noch mehr.

Meine Geburt ging langsam und sanft vor sich. Nicht so für meinen Wirt. Der stöhnte auch und konnte doch nichts gegen mich machen. Ich fiel in eine Astgabel und blieb hängen. Das reichte für mich aus. Die Natur hat uns im Lauf der Zeit so ausgerichtet, daß wir nicht mehr brauchen. Nur eine Astgabel oder Einkerbung in der Rinde, wo wir hängenbleiben können.

Die Menschen geben jeden und alles einen Namen. Auch meine Gattung hat einen bekommen. In der hiesigen Fachsprache heiße ich Viscum album, aus der Familie der Loranthaceaen. Meine Art beschimpft man in dieser Fachsprache als Haustorien. Oder auf gut deutsch: Ich bin eine Mistel, eine Schmarotzerpflanze. Jetzt, wo man einen Namen hat, falle ich auf, klinge gräßlich. Manchmal hängen sich die Leute zu irgendeinen besonderen Anlaß als Brauch einen Mistelzweig an die Haustür. Ich werde dazu aber noch nicht einmal verletzt. Man schlägt den Ast meiner Wirtspflanze ab, an den ich hänge, so daß man nur zu genau sieht, wie ich meine Wurzeln in den unschuldigen Birkenbaum hineingetrieben habe.

Ich wuchs also langsam zu einer kleinen Mistel heran und zwang meine Wurzel in den kräftigen Birkenast. Meine Wurzeln fanden schnell die Leitungsbahnen des Astes, wo es Wassser und Nährstoffe für mich gab. Ja, ich schmarotze mir diese Sachen, ich habe sie nicht mühevoll aus dem Boden gezogen. Ich habe den einfachen Weg gewählt. Zumindest auf den ersten Blick.
Aber was sollte ich auch machen. Ich wurde als Mistel, als Halbparasit geboren und wurde gezwungen zu wachsen. Ich konnte nicht anders und mußte meine Wurzeln in die Äste der Birke hineinbohren. Doch was sollte ich denn anderes tun?

Manchmal höre ich die Menschen, wenn sie unter mir gehen „ Schau, diese arme Birke ist von Misteln befallen. Schade für den Baum.“ Wenn ich das Wort „befallen“ schon höre! Sie tun geradezu als ob ich eine Seuche wäre, die den Baum den Tod bringen würde. Ich habe sicherlich niemanden befallen. Außerdem würde ich niemanden freiwillig befallen. Nein, meine Existenz wurde durch einen Zufall freigelegt. Absichtlich hat das niemand gemacht. Warum freuen denn eigentlich nicht die Menschen, wenn sie mich sehen. Sie könnten doch auch sagen: „Seht her, die Birke ermöglichlicht die Existenz einer weiteren Pflanze. Statt ein Lebenwesen stehen nun zwei Lebenwesen dort und freuen sich des Lebens.“ Nein, sie tun mein Lebens als unmoralisch ab und bemitleiden die Birke.
Ich verstehe das nicht. Vor allem, bei dem Menschen schaut es doch ganz genauso aus und trotzdem wehrt sie niemand dagegen. Wie ihr Glück und die Liebe, Körperkraft und Geld abgesaugt wird, direkt in die Leitungsbahnen eines großen Staatswesen, an dem selbst wieder unzählige Parasiten sitzen und von dort Geld und Einfluß absaugen. Manchmal kommt es mir so vor, sie zapfen sich alle gegenseitig an, und doch berkt es niemand, und doch beschimpft es niemand.

Aber mit solcher Ungerechtigkeit habe ich gelernt zu leben. Ich konnte nie anders, ich war immer gezwungen zu schmarotzen. Ich hätte ja schwerlich meine Wurzels aus den Ast ziehen können, um mein Glück auf dem Erdboden versuchen zu können. Das bin ich viel zu klein. Meine Wurzeln reichen nicht tief genug. Ich brauchte ja auch noch nie tiefer als 10 cm in den nächsten Ast zu dringen. Nein, am Boden wäre mein Leben zu Ende. Aber nicht daß der Menschen. Sie lassen sich aussaugen und haben doch die Wahl dabei. Mir scheint, es macht ihnen regelrecht freude, sich in einen unermüdlichen Kampfe gegenseitig umzubringen. Den sie saugen ja noch nicht einmal mit Maß. Nein, sie hollen sich alles, was sie kriegen können, ganz gleich, ob die Wirtspflanze dabei draufgeht.
Ich sollte aufhören, mir Vorwürfe zu machen. Ich bin was ich bin, und ich bin wirklich froh, nicht ein Mensch zu sein, sondern ganz offen ein registrierter Parasit.
08/01

 

Hallo Paradies 3001!

Ein interessanter Gedanke, das Staatssystem mit einer Mistel zu vergleichen, obwohl es ja in der Regel eher sozial ausgegrenzte Menschen sind, die als solche bezeichnet werden.

Die Gedanken der Mistel finde ich sehr interessant und kann damit auch etwas anfangen - nur ist es eigentlich keine Geschichte. Es ist eine Ansammlung von Gedanken. Aber auch aus den besten Gedanken wird noch keine Geschichte, wenn man ihnen keine Handlung gibt.
Sie könnte zum Beispiel mit dem Gärtner sprechen, der sie letztlich dann auch abschneidet und als Weihnachtsschmuck verkauft. Irgendwas fällt Dir doch sicher ein, was Du aus dieser Gedankensammlung noch machen kannst?

Mistelsamen verbreiten sich übrigens selten von selbst: Vögel versuchen, die Mistelbeeren ohne die Kerne zu essen, wobei sie ihnen oft am Schnabel hängen bleiben (durch die klebrige Flüssigkeit in den Beeren). Die Vögel wetzen sich dann den Schnabel an einem Ast, um sie wieder runterzubekommen. Oder sie essen sie mit und scheiden sie irgendwo wieder aus. Dann ist die Wahrscheinlichkeit allerdings recht gering, daß der Same an die richtige Stelle kommt...
Mein Kosmos-Pflanzenführer meint außerdem, daß die Lieblingsbäume von Misteln Pappeln, Apfelbäume und Linden sind, aber das nur zum Aufbessern des Allgemeinwissens... ;)

Ich habe vorhin Deine Aldi-Geschichte gelesen - bei dieser hier hast Du wesentlich weniger Fehler, die, die ich noch gefunden habe, liste ich Dir hier auf.
Schau doch bitte mal die Aldi-Geschichte durch und schreib auch die Zahlen aus.

"Die Menschen geben jeden und alles einen Namen" - jedem und allem

"Wassser" - s

"zu irgendeinen besonderen Anlaß" - irgendeinem

"an den ich hänge" - an dem

"zwang meine Wurzel in den kräftigen Birkenast" - Wurzeln

"die den Baum den Tod bringen würde." - dem Baum

"Warum freuen denn eigentlich nicht die Menschen, wenn sie mich sehen." - Warum freuen sich denn ... sehen?

"Statt ein Lebenwesen" - einem

"sie tun mein Lebens als" - Leben (ohne s)

"bei dem Menschen schaut es doch ganz genauso aus und trotzdem wehrt sie niemand dagegen. Wie ihr Glück und die Liebe, Körperkraft und Geld abgesaugt wird, direkt in die Leitungsbahnen eines großen Staatswesen" - ...bei den Menschen schaut es doch ganz genauso aus und trotzdem wehrt sich niemand dagegen. Wie ihnen Glück und die Liebe, Körperkraft und Geld abgesaugt werden, direkt in die Leitungsbahnen eines großen Staatswesens...

"und doch berkt es niemand" - bemerkt

"Ich hätte ja schwerlich meine Wurzels aus den Ast ziehen können" - ...meine Wurzeln aus dem Ast...

"Das bin ich viel zu klein." - Dazu bin ich viel zu klein.

"10 cm" - Bitte alles ausschreiben: zehn Zentimeter

"Aber nicht daß der Menschen." - das

"es macht ihnen regelrecht freude, sich in einen unermüdlichen Kampfe" - ...Freude, sich in einem

"Den sie saugen ja noch nicht einmal mit Maß." - Denn

"Nein, sie hollen sich alles" - holen

"08/01" - sollte vermutlich heißen, daß Du die Geschichte im August 2001 geschrieben hast. Wirkt aber hier so, als wäre es der Parasit Nr. 08/01. ;)

Liebe Grüße
Susi

 

Hey Paradis!

Sehen wir einmal von den (an dieser Stelle wahrscheinlich unwichtigen) Fehlern ab und sprechen wir über deine so gut wie perfekt gelungene Ansammlung von Gedanken! Mag sein, dass dies keine Geschichte im eigentlichen Sinne ist. Man kann es allerdings auch anders sehen: Es ist die Geschichte einer Mistel. Ohne Handlung, ohne Schluss, aber ein Lebewesen berichtet über seine Existenz. Meiner Meinung nach ausreichend für eine Geschichte.

Ich finde gelungen und besonders, dass du den Hintergrund - Gedanken (Staatswesen) auf eine Schmarotzerpflanze übertragen konntest und neben dem (eventuel) kritisieren das Thema auf eine mir bisher unbekannte Art angesprochen hast. Ausserdem bewundere ich nebenbei sehr, dass die Pflanze hier direkt und überwiegend als ein LEBEWESEN (!) beschrieben wurde, was doch zu oft vergessen wird.

Ich find die "Geschichte" oder "Gedanken - Sammlung" super!

Frieden auf Erden...

Sie

 

Kurzer Hinweis zur dem Kommentar von Häferl:

Danke für die Rechtschreibbelehrung, aber ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht meine Rechtschreibprüfung auf Word installiert. Außerdem sehe ich die Fehler nicht als tragisch an.

Allerdings machst du eine eindeutige falsche Aussage, nämlich, daß Mispeln Lieblingsbäume haben. Das ist falsch. Das geht ganz einfach nach Arten. Spezielle Mispelarten gehen nur auf spezielle Bäume. Manche sind nicht betroffen, manche schon. Ich hab mir die Birke herausgesucht, weil ich eine kenne, die viele von den Haustorien "besitzt".

Diese Aussage hat übrigens ihre Richtigkeit, denn ich habe nochmal in meinen Fachbüchern nachgeschaut. Mein Beruf ist nämlich treffenderweise Gärtner :-). Deshalb erübrigt sich auch, in der Geschichte ein Gepräch mit einen Gärtner einzubauen. Ihr Autor ist ja schließlich Gärtner.

3001

 

Wie ich Dir schon in meiner PM (Du mußt mir Kommentare auf meine Kritiken nicht auch als PM schicken, das macht nur meine PM-Box voll, ich lese das hier sowieso...) geschrieben habe: Meine Quelle war der Kosmos, ISBN 3-440-08041-2, Beschwerden über den Inhalt bitte ebendort hin, danke. ;)

 

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