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Ansgar und die Frauen

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18.06.2014
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Ansgar und die Frauen

Er lag im Bett und spielte mit seiner Morgenlatte. In seinem Oberstübchen tanzte die Neue aus dem Büro Striptease in Endlosschleife, aber er hatte keine Lust zu onanieren. Er war Neunundzwanzig und noch immer Jungfrau. Und er fand plötzlich die Tatsache unerträglich, ab morgen Dreißig und noch immer Jungfrau zu sein.

Seine Mutter klopfte an die Tür, die Witwe Nolte.
„Kommst du zum Frühstück, Ansgar?“
„Ich komme gleich, Mama.“
Er verschränkte die Arme hinterm Kopf und dachte nach. Neulich hatte er seine Stilaugen nicht rechtzeitig vom Ausschnitt der Neuen im Büro losgerissen. „Wenn Sie’s so nötig haben, gehen Sie doch in die Odeonstraße - da hat’s genug Freudenmädchen!“

Ansgar fand ihren Ratschlag den einzigen Ausweg. Er nahm es sich für diesen Tag fest vor. - Als er sich das letzte Mal etwas fest vorgenommen hatte, wollte er noch Lokomotivführer werden.

Nach der ersten Brötchenhälfte sagte er zu seiner Mutter: „Hab heut Nachmittag was vor.“
„So.“
„Dauert nicht lang.“
„Schön.“
„Willst du nicht wissen, was ich vorhabe?“
„Was hast du denn vor?“
„Sag ich nicht.“
Sie schenkte Kaffee nach und sagte: „Triffst du dich mit einem Mädchen?“
Er verschluckte sich. Und als er wieder Luft bekam, sagte er: „Aber Mama!“
„Gott, ich dachte halt, du triffst dich vielleicht mit einem Mädchen, nicht.“
„Was soll ich denn mit einem Mädchen, sag mal!“
„Ich mein ja nur. Du hast noch nie eine Freundin gehabt, Ansgar. Hätte ja sein können, dass du dich end..., dass du dich mit einem Mädchen triffst. Hätte ja sein können, nicht.“
„Mädchen können mich mal.“
„Willst du keine Freundin haben?“
„Nö.“
„Nicht heiraten?“
„Nö.“
„Eine Familie gründen?“
„Mama!“
„Ach, Ansgar ...“

Er sah zu, wie sie den Frühstückstisch abräumte. Sie ließ einen Teller fallen und Ansgar blieb nicht verborgen, dass irgendetwas seiner Mutter Kummer bereitete. Das bedrückte ihn.

Er sagte: „Du denkst doch dran, dass wir morgen zusammen einkaufen wollen, nicht? An meinem Geburtstag? Da denkst du doch dran, oder?“
„Ach Gott! Jetzt hat Frau Schmitz mich zu ihrem Damenkränzchen eingeladen und ich hab zugesagt! - Du liebe Zeit, Ansgar, ich hab’s vergessen!“
„Aber Mama!“
„Ich kann’s doch wieder absagen, Ansgar, ich kann’s doch wieder absagen! Wir gehen morgen einkaufen, mein Junge, natürlich. Wir gehen an deinem Geburtstag neue Hosen für dich kaufen ...“
„Fein!“
„Ansgar, rückst du bitte mit dem Stuhl ein bisschen zur Seite, damit ich die Scherben aufheben kann?“

Am Nachmittag machte er sich auf den Weg. Die Odeonstraße war zu Fuß erreichbar. Es war ein Tag, an dem die Eisverkäufer sich überschlugen und viele Frauen nur das Nötigste anhatten. Ansgars Nervosität wuchs mit jedem Schritt. Und als er das Straßenschild endlich ausmachte, hatte er eine Scheißangst.

Es war eine stille Straße, die noch genauso aussah, wie sie nach dem Krieg wieder aufgebaut worden war. Ansgar sah ein paar Prostituierte herumlungern. Er atmete tief durch. Aus dem Fernsehen wusste er, dass die Bordsteinschwalben stets auf potentielle Freier zugingen. Darauf verließ er sich.

Aber keine der Dirnen sprach ihn an. Eine nach der anderen sah ihn gelangweilt an oder überhaupt nicht. Und wenn eine nicht an ihrer Fluppe zog, dann gähnte sie, dass das Zahngold in der Sonne blitzte.

Die letzte in der Reihe erlöste ihn aus seiner Not.
„Na, Jungchen!“
Eine Stimme wie ein voller Aschenbecher, und ihr blondes Haar war das einzig goldene an ihrem Herbst - die Schminke konnte darüber nicht hinweg täuschen, so reichlich sie auch war. Aber Ansgar war nicht enttäuscht: Immerhin ging es um seine Entjungferung.

Sie löste sich von der Hauswand.
„Wo haste denn dein Auto?“
„Mein was?“
„Dein Auto, Jungchen. Dass wir wohin fahren können und ’n bisschen Spaß haben.“
„Ich hab kein Auto.“
„Du hast kein Auto?“
„Wenn ich wo hin will, fahre ich immer Straßenbahn.“
„Gibt’s ja nich! Is mir ja noch nie untergekommen, so was!“
Sie lachte. Zwei, drei von den anderen riefen rüber, was los sei. Und dann fanden sie's auch lustig.

Eine kam heran. Sie war jung und hatte das bisschen Schminke gar nicht nötig, und der Rest von ihr sah noch viel besser aus. Sie sah die Blonde mitleidig an.

„Hier“, sagte die Junge und hielt der anderen einen Schlüsselbund hin, „geht ihr eben zu mir. Is ja nich weit von hier. Kennste doch, meine Bude.“
„Meinste, wir sollen?“
„Weißte! Wenn’s Geschäft nachher losgeht nach Büroschluss, kriegste wieder keinen ab! Nu guck nich so – stimmt doch, oder? Gestern haben se alle Gas gegeben, als du dich runtergebeugt hast zu ihnen im Auto ...“
Die Blonde kapitulierte. Und die beiden machten sich auf den Weg.

Sie hatte es so eilig, als wollte sie Ansgar gar nicht erst dazu kommen lassen, es sich noch anders zu überlegen. Aber ihr schaukelnder Hintern in dem knappen Rock schloss diese Erwägung aus. Sie hatte noch eine prima Figur, von hinten ging sie glatt als eine von diesen Tussen durch, die nachts durchs Privatfernsehen spukten.

Es war nur ein kurzer Weg um zwei Straßenecken.
Ansgar fand sich in einem Kellerloch wieder. Die junge Prostituierte hatte mit Hilfe von Ikea ein wohnliches Kellerloch draus gemacht. In der Wohnung darüber stritten ein Mann und eine Frau und der Fernseher gab auch noch seinen Senf dazu.
Ansgars Libido meldete sich krank. Die Blonde juckte der Radau überhaupt nicht.

Sie zog das Top über den Kopf und wollte Fuffzig haben. Die Füllung ihres Büstenhalters ließ die Streithähne oben belanglos werden. Und als er ihr den Schein gab, reckten sich ihm die blanken Brüste entgegen. Ansgar verstand, worauf er sich eingelassen hatte - und seine Libido war unbekannt verzogen.

Für die Blonde war dieses Phänomen eine der einfachsten Übungen. Gegen ihren Striptease waren Ansgars morgendliche Phantasien kalter Kaffee. Sie trat nackt vor ihn und er spürte ihre Hand am Hosenbund. Und dann war die Hose offen und sie fummelte sich in seine Unterhose. Da rührte sich nichts außer ihren Fingern.

Ihr Eifer ließ etwas nach und sie führte seine Hand auf ihren Schamhügel.
„Na, Jungchen, komm schon ...“
Sie ließ seine Hand durch ihr Schamhaar streifen, mit der Zunge fuhr sie über die Lippen und flüsterte ein Dutzend Mal, dass ihr so ein Prachtexemplar überhaupt noch nicht untergekommen war.
„Mensch, Jungchen, langsam machste mir Sorgen ...“

Die Sinnlichkeit hatte längst die Koffer gepackt, als sie ihn zum Bett schob und auszog. Er ließ sich alles gefallen. Sie stülpte den Fromms über sein geschlechtliches Minimum, bemühte sich mit dem Mund, damit der schlaffe Kerl ihren Anstrengungen entgegenkäme. Aber das Kondom füllte sich nicht.

Sie gab auf. Und Ansgar fühlte sich, als würde er alle Fünfen seiner Schulzeit auf einmal bekommen.
„Tja, Jungchen ...“
Dann saßen sie auf der Bettkante. Die Prostituierte hatte sich schnell wieder angezogen und Ansgar sah ihr beim Rauchen zu.
„Willste auch eine?“

Ansgar fand, er dürfe sich keine weitere Blöße geben. Es war seine allererste und er versuchte es gleich auf Lunge. Bei dem Hustenanfall sprangen seine Lebensgeister in die Rettungsboote. Die Blonde wollte sich totlachen.
„Na, Jungchen, kommt schon mal vor, dass der Piephahn nicht mitspielt.“
Sie entsorgte seine Fluppe und tätschelte ihm die Wange.
„Mach dir man nix draus, hörste.“
Ansgar sagte: „Ist mir ja noch nie passiert!“
„Glaub ich dir.“
„Noch nie! Und ich hab schon oft, wissen Sie!“
„Klar, das sieht man.“
„Kann ich gar nicht mehr zählen!“
„Hätte mich auch gewundert, wenn’s nich so wär.“
Ansgar flüsterte: „Ist mir ganz schön peinlich ...“
„Was glaubste, wie oft ich das schon erlebt hab, Jungchen. Selbst die hartgesottensten Stecher haben mal ’n Platten. Brauchste dir keinen Kopp drum machen.“
„Sie haben bestimmt schon sehr oft, oder?“
„Gott, ja ...“
„Ich dachte schon, Sie wären jetzt böse mit mir ...“
„Ach wo.“
Sie drückte ihre Kippe aus und Ansgar nahm sich fest vor, das Rauchen zu üben.
„Sie sind sehr nett“, sagte er. Ein Honigkuchenpferd war ein Trauerkloß gegen ihn.
„Na, Jungchen: Dein Geld kriegste aber nich wieder, hörste!“
„Aber das will ich doch gar nicht ...“
„Nu zieh dich mal wieder an, Jungchen.“
Sie stand auf.
„Und steh mal auf, dass ich ’s Bett wieder herrichten kann.“
„Wollen Sie schon gehen?“
„Kannste glauben - und du kommst mit!“
„Können wir nicht noch ein bisschen bleiben?“
„Jungchen“, sagte sie, „was willste denn hier noch?“
„Ich finde Sie sehr nett ...“
Sie lachte ohne eine Spur von Heiterkeit.
„Jungchen ...“
„Nur ein bisschen noch, ja? Ich zieh mich auch an ...“
„Aber sofort! Und dann gehen wir beide, hörste!“
„Nur ein bisschen ...“
„Jungchen!“
„Bitte!“
„Mensch, jetzt hab ich aber die Faxen dicke!“

Sie zog Ansgar vom Bett wie nichts. Ihre Kraft machte ihn sprachlos. Sie drückte ihm seine Klamotten in die Hand und Ansgar begriff, dass sie die Schnauze voll hatte. In seinem Kopf wurde Feueralarm gegeben.
„Jetzt gibste Gas, Jungchen, sonst lernste mich kennen!“
Aber Ansgar gefiel es auf Wolke Sieben, er wollte sich nicht runterschubsen lassen. Er sah die Badezimmertür und rannte los. Die Prostituierte bekam’s erst mit, als der Schlüssel geräuschvoll im Schloss drehte.
„Was machste denn nu!“
„Will noch hier bleiben! Mit Ihnen!“
„Jungchen, mach kein Scheiß!“
Ansgar setzte sich aufs Klo. In diesem Bad fanden neben der Kloschüssel nur noch die Füße Platz auf dem Fußboden.

„Machste wohl, dass du da raus kommst!“
Ansgar war entschlossen, diese Klobrille nicht mehr zu verlassen. Sein Herz hatte Sitzstreik befohlen.
„Jungchen!“
Sie hämmerte gegen die Tür und hörte erst auf, als ihr die Hände weh taten.
„Au, verdammte Scheiße!“
„Haben Sie sich wehgetan?“
Eine ganze Weile blieb es unerträglich still. In seinem Gemüt machten sich die ersten Streikbrecher auf den Weg.
„Jungchen“, bat sie auf einmal ganz lieb, „nu komm doch raus ...“
„Aber ich will mit Ihnen auf dem Bett sitzen - und wenn ich rauskomme, dann gehen wir, haben Sie gesagt!“
„Gut, setzen wir uns noch ’ne Weile aufs Bett ...“
„Wirklich?“
„Versprochen, Jungchen.“
„Sie lügen mich doch nicht an, oder?“
„Aber wo werd’ ich denn.“
„Sie sind sehr nett ...“
„Ich weiß, Jungchen.“
Ansgar entdeckte unter der Decke eine Spinne. Er hätte sie vor Glück umarmen mögen, aber sie war schon tot.
„Kommste jetzt, Jungchen?“
„Gleich.“
„Was heißt: gleich?“
„Ich muss mal ...“

Als er sich den Hintern abwischte, kam die junge Prostituierte nach Hause.
„Mönsch, hat der Kerl ’n Stehvermögen, dass ihr immer noch hier seid! – Hab ’n Anruf gekriegt von meiner Mutter, muss ich dringend hin. Aber in diesen Klamotten kann ich da nich auftauchen, verstehste.“
„Klar“, meinte die Blonde, „wir hauen gleich ab.“
Sie klopfte an die Badezimmertür.
„Mach mal hinne, Jungchen, wir müssen weg. Haste doch gehört.“
Als Ansgar aus dem Bad trat, rief die Junge: „Mönsch, mach bloß die Tür zu – da kriegt man ja keine Luft mehr!“

Draußen auf der Straße sagte die Blonde zu ihm: „Nu muss ich wieder in die Odeonstraße, Jungchen, arbeiten. Da biste nur im Weg.“
„Aber wir wollten doch ...“
„Jungchen, geht doch jetzt nicht mehr! Und ich muss arbeiten – willste denn immer daneben hocken, sag mal?“
„Geht das nicht?“
„Jungchen! Irgendwann wird dir das doch langweilig!“
„Meinen Sie?“
„Geh man nach Hause, hörste. Kommste eben morgen wieder.“
„Au ja!“
„Morgen“, sagte sie, „morgen sitzen wir wieder auf dem Bett und erzählen uns was.“
„Ja, morgen!“
„Nu sieh man zu, Jungchen.“

Als Ansgar nach Hause kam, war seine Mutter vorm Fernseher eingeschlafen. Er weckte sie. Er musste ihr auf der Stelle klarmachen, dass es morgen nichts würde mit ihrem Einkaufsbummel.

 

Sie zog das Top über den Kopf und wollte Fuffzig haben.

Ich finde den Text gut. Der hat was Echtes. Ich würde dir nur dringend raten, diese Verklausulierungen hinter der wörtlichen Rede wegzulassen.

Bsp: Ein Honigkuchenpferd war ein Trauerkloß gegen ihn.

Ich finde das unpassend für das Sujet dieses Textes, der Inhalt ist ja eher tragisch, und diese Einschübe wirken dann noch platter und konstruierter, die nehmen dem Text das eigentlich Gute, die Seele, wenn man so will.

Die Dialoge sind gut. Ich mag das, so frei Schnauze, aber ich würde mich nicht darauf verlassen, da muss schon noch etwas hinter sein, nur echt klingen bedeutet nicht immer, auch echt zu sein, etwas Echtes zu erzählen.

Ja, ein armes Schwein und irgendwie auch nicht, dein Protagonist. Entjungferung bei einer Dirne, dass ist natürlich ein altes Thema, aber du hast es hier gut aufbereitet, finde ich, kurzweilig, nicht zu dick aufgetragen.

Ich bin gespannt, was du so an längeren Texten hast.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Jimmy,

vielen Dank für deinen Kommentar.

Ich bin nicht sicher, ob ich dich richtig verstanden habe: Mit meinen (un)komischen Metaphern ziehe ich ein armes Schwein ins Lächerliche? Wenn du es so verstanden wissen möchtest, muss ich gestehen: Tatsächlich habe ich mir kaum (auf keinen Fall genug) Gedanken gemacht, wie die flapsige Ausdrucksweise meinen Prot. tatsächlich darstellen wird. Irgendwo ist ein armes Schwein, zweifellos. Verbietet sich deswegen jedoch jeglicher Spott? Da bin ich - ehrlich gesagt - nicht ganz sicher: Es wird mir niemand weismachen können, ein Muttersöhnchen sei ganz und gar unschuldig an seiner charakterlichen Beschaffenheit. Die einzige Frage, die sich mir stellt: Wie viel Mitleid/Rücksicht darf dieser Mensch beanspruchen? (Womöglich bietet meine These Grundlage zu ausgiebiger Diskussion ...) Nochmals vielen Dank für deinen Denkanstoß, ich werde mir Gedanken machen.

Schönen Gruß

Karsten

 

Das meine ich nicht. Wie du was sagen willst und überhaupt, deine Intention, die ist davon erstmal nicht berührt. Ich meinte dies eher als Frage des Stils. Du könntest das, was du sagen möchtest, dem Leser auch zeigen. Du musst das nicht mit diesen Einschüben machen, das wirkt auf mich unnötig albern. Aber vielleicht soll es so wirken, und du wolltest eigentlich eine Art Satire schreiben?

Gruss, Jimmy

 

Och nö, 'ne Satire hatte ich nun wirklich nicht im Sinn. Locker-flockig wollte ich es schon verstanden wissen, besonders tiefschürfend war es nicht gemeint. (Daher erstaunte mich doch ein wenig deine Ansicht, die Story sei gar tragisch).

Aber mir ist klar geworden: Irgendetwas funktioniert da nicht. Und mit Hilfe deiner Hinweise will ich entweder der Sache auf die Spur kommen - oder die Geschichte als Jugendsünde (Räusper!) abtun.

Greetings

Karsten

 

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