Anschlag auf Gott
Rollte eine Bowlingkugel die Treppe hinab? Die Dame aus dem Erdgeschoss wunderte sich und schritt in den Hausflur. Am Fuß der Treppe lag die junge Frau aus dem ersten Stock. Blutüberströmt. Tot. „Allahu akbar“, brüllte jemand von oben. „Allahu akbar!“
Sein Gesicht klatschte auf das Laminat, der Strick fiel ihm ins Genick und die Gewindeschraube trieb sich in seinen rechten Handrücken. Betonstaub verteilte sich im Zimmer. Röchelnd raffte er sich auf, nahm die Schlinge vom Hals und drückte eine Socke auf die Wunde. Eine blutige Nase und ein Loch in der Flosse. Das Attentat des homophoben Islamisten war gescheitert. Er zerknüllte das Abschiedsmanifest und warf es aus dem Fenster. Dass es unten auf der Wiese jemand auflesen und die Polizei informieren könnte, war ihm schnurzegal.
Elf Menschen hatte Amri überfahren und beinahe wären es zwölf Opfer geworden, wenn die Altbaudecke kein Knäckebrot gewesen wäre. Die süße Vorstellung, der Held der Tragödie zu sein, hatte ihn darüber hinweggetröstet, die Zeitungsberichte vom Mord des Amri aus der Ferne an einem Homosexuellen zu verpassen. Sein Manifest wäre in die Literaturgeschichte eingegangen.
Homosexuell war er nicht, aber das wusste niemand. In der ersten Fassung hatte er geschrieben, dass er nach seiner letzten Freundin die Liebe zu Männern entdeckt hatte. Aber eine Freundin hatte es nie gegeben, außerdem klang das nicht nach einem Helden. Ein Held war Richard Dawkins. Der Mann hatte erkannt, was uns alle zerstören würde: die Religion, jede Religion. Abartig sind die Religiösen. Sie glauben nicht nur an Märchen, sondern zwingen auch anderen ihren Gotteswahn auf. Wer nicht mitmacht, wird getötet. Und weil Liebende gleichen Geschlechts in Jahrtausende alten Werken von Wahnsinnigen verteufelt wurden, machen deren Anhänger Jagd auf sie. Diskutieren kann man mit Religiösen nicht. Sie hören ebenso wenig zu wie die Verbrecher in Weiß, die man anfleht, auf die Zwangsjacke zu verzichten.
Hunderte Stunden von Serien und Ego-Shootern später kochte ihm das Blut. Die Ehe für alle war verabschiedet worden. Dafür interessierte er sich weniger, aber die Reaktionen der fundamentalistischen Christen in Facebook ließen seine Pulsadern austreten. Von Fehlentwicklungen und Irrungen war die Rede, Jesus wurde zitiert und Kardinal Marx wollte vor das Verfassungsgericht ziehen. Wie die Islamisten. In Facebook schrieb er sich die Finger wund, aber das reichte nicht. Er musste endlich zur Tat schreiten. Könnte er mit einem Lastwagen den Kardinal zum Schweigen bringen? Nein, denn weder wusste er zu fahren, noch besaß er Kontakte zum Verfassungsschutz. War nicht seine junge Nachbarin, gleich nebenan, eine Christin? Ihr Kreuz um den Hals war ihm nicht entgangen. Aber vielleicht war sie nur evangelisch. Er stellte die dritte Wodkaflasche auf den Tisch und schwankte zu ihrer Wohnungstür. Er klingelte. Sie öffnete ihm. Einerseits ein hübsches Mädchen, andererseits würde sie mit Burka auch als Islamistin durchgehen.
„Hallo“, sagte er. „Hast du eine Tüte Mehl für mich?“
Sie zögerte. „Klar, einen Moment bitte“, sagte sie und ging in ihre Küche. Er folgte ihr.
„Was hältst du von der Ehe für alle?“
„Was?“ Sie erschrak. Nervös suchte sie nach dem Mehl. „Die Ehe für alle?“
„Das ist eine einfache Frage.“ Er baute sich vor ihr auf.
„Ich halte nichts davon, denn die Ehe besteht aus Mann und Frau, oder?“ Ihre Stimme zitterte. Sie kannte ihn nicht und hatte nur geraten. Falsch geraten.
„Ich wusste es!“, brüllte er. Er zog das Steakmesser aus dem Holzblock und rammte es ihr in die Brust. Es knirschte so schön, hatte er eine Rippe gespalten? Dann in den Bauch, butterweich. Sie schrie wie ein Mädchen und rannte aus der Wohnung, taumelte im Hausflur, hing am Treppengeländer. Ab hinterher und dreimal in den Rücken. Es floss wie frischer Traubensaft, nur dicker. Ein kräftiger Tritt und sie rollte die Treppe hinunter. Hoffentlich war er nicht an der Reihe, die Treppe zu wischen. Unten schlug ihr Kopf auf. Die alte Frau aus dem Erdgeschoss kreischte. „Allahu akbar“, grölte er. „Allahu akbar!“