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Another Nightmare Before Christmas
Der Mann öffnete die Augen. Dunkelheit umfing ihn. Warum war es so dunkel ? Er musste wohl mitten in der Nacht wach geworden sein, anders konnte er es sich nicht erklären. Was er sich auch nicht erklären konnte, war die Kälte, die seinen Körper einhüllte. Wo war seine Decke ? Der Mann fröstelte. Vielleicht hatte seine Frau sie genommen. Im Schlaf war sie oft sehr unruhig und klammerte sich an alles, was sie kriegen konnte. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie ihm seiner wärmenden Decke beraubte. Er setzte sich auf und tastete nach dem Lichtschalter. Seine Hand berührte kalten Stein. Er zuckte zurück, schloss die Augen und streckte seinen Zeigefinger aus. Stein. Wie ist das möglich ? Langsam erhob er sich. Ging einen Schritt, einen zweiten. Seine nackten Füße patschten über einen Steinfußboden, auch das musste eine Täuschung sein. Ihr Schlafzimmer war mit Teppich ausgelegt. Flauschiger, warmer Teppich, in dem die Füße versanken. Als ihr Sohn klein war, hatte er immer seine winzigen Zehen in den Teppich gebohrt und lächelnd gesagt: „Papa, das ist wie auf Wolken laufen. So wäre das doch, oder ?“ und er hatte seinen Sohn angelächelt und gesagt: „Genau so wäre das.“
Jetzt saß der Mann allein auf einem Steinfußboden, umgeben von vier Steinwänden, ungefähr 5 Schritte lang. Das hatte er herausgefunden, als er die Wände abgetastet hatte. Es war immer gut zu wissen, wo man sich befand. Besonders dann, wenn man nichts sah. Er starrte in die Dunkelheit. Sie starrte zurück. Er presste seine Hände auf die Augen bis Lichtblitz erschienen. Wieder starrte er in die Dunkelheit. Die Dunkelheit, diesmal durchmischt mit bunten Lichtfäden, starrte zurück. Wo zur Hölle war er ? Und noch viel wichtiger, wo war seine Familie ? Panik stieg in ihm auf. Was war das letzte, woran er sich erinnerte ? Angestrengt dachte er nach.
Der Weihnachtsbaum.
Sein Sohn, der mit leuchtenden Augen zu Weihnachtsliedern sang.
Seine Frau, die nach dem frisch gebackenen Stollen duftete.
Weihnachten stand vor der Tür und alle waren so fröhlich gewesen. Der Mann lächelte und dachte daran, wie sehr sich seine Familie über die diesjährigen Geschenke freuen würde. Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Es knarzte und eine verzerrte Stimme ertönte.
„Ich sehe du hast dich eingelebt, aber mach es dir nicht zu gemütlich, wir haben noch viel vor.“ Der Mann sprang auf und drehte sich orientierungslos im Kreis, versuchte auszumachen, woher die Stimme kam.
„Wer bist du? Und was willst du ?“ rief er in den Raum hinein.
„Was ich will? Nun ja. Das ist ein bisschen schwer zu erklären.“ Die Stimme kicherte.
„Wer bist du ?“
„Wer ich bin? Ich habe gehofft, du würdest dich erinnern.“
„Ich habe keinen blassen Schimmer wer du bist.“
„Das ist aber schade. Ich bin davon ausgegangen du würdest dich an die Menschen erinnern, deren Leben du zerstört hast.“ Die Stimme klang fast ein wenig gekränkt.
„Ich habe nichts getan!“ schrie er die Dunkelheit an.
Die Stimme kicherte. „Da bin ich mir nicht so sicher. Erinnerst du dich denn wirklich nicht mehr daran?“ sie wurde lauter „Muss ich dir wirklich erklären, was du getan hast?“ kreischte sie.
Die Gedanken des Mannes rasten, überschlugen sich und blieben dann doch auf einem Punkt liegen. Wie das Auto vor einem Jahr. Er schlug die Hände vor das Gesicht.
„Du weißt also wovon ich rede. Sehr schön.“ die Stimme hatte sich beruhigt, doch er hörte ihr kaum noch zu. Bilder tauchten vor seinen Augen auf.
Schnee fiel. Er stand vor der Festhalle und hörte gedämpft die Musik spielen. Die Feier war lustig gewesen, alle Menschen waren beschwingt und in Partylaune. Eigentlich hatte er nicht trinken wollen, doch sein Chef hatte ihn mehreren Investoren vorgestellt und sie hatten Geschäfte gemacht. „Ohne ein Glas Scotch geht hier gar nichts.“ hatten sie gelacht. Jetzt stand er im Freien und ließ sich die eisige Luft ins Gesicht blasen. Er sollte kein Auto fahren, das war ihm klar, doch er hatte seiner Frau versprochen, noch heute nach Hause zu kommen. Es schneite, die Straßen waren glatt und das andere Fahrzeug viel zu schnell. Oder war er es gewesen ? Er war sich nicht sicher. Das Auto kam von der Fahrbahn ab, krachte durch die Leitplanke und verschwand in einem Graben. Er saß in seinem Auto und starrte in den Rückspiegel. Aus dem rauchenden Graben stieg eine Gestalt auf und fuchtelte mit den Armen. Der Mann trat aufs Gaspedal. Am nächsten Morgen stand in der Zeitung „Kind verbrennt im Auto, Frau stirbt an der Unfallstelle, Mann schwer verletzt“.
„Ich wusste nicht was ich tun sollte.“ er schluchzte.
„Du hättest helfen können! Du hättest mir verdammt nochmal helfen können meinen Sohn aus dem Auto zu ziehen! Ich hatte nicht genug Kraft. Er hat sich an meine Hand geklammert und ich konnte ihm nicht helfen. Er hat mich angesehen, als sich die Flammen um ihn geschlungen haben. Mein einziger Sohn..“ die Stimme brach „Meine Hand war hinüber, Vebrennungen vierten Grades. Aber ich konnte ihn doch nicht loslassen.“
„Es tut mir so leid! Ich wünschte ich könnte es rückgängig machen, aber ich kann es nicht! Bitte, verzeih mir!“ der Mann weinte.
„Verzeihung!“ die Stimme kreischte, so dass er sich die Ohren zuhalten musste.
„Du hast mein Kind verbrannt! Du hast meine Frau umgebracht! Ich habe beide geliebt und du hast sie mir genommen. Weißt du was ich das letzte Jahr über gemacht habe? Ich habe dich beobachtet. Nicht einmal Reue hast du empfunden. Deine schöne Frau und deinen unglaubliches Kind hast du belogen darüber, was für ein Monster du bist. Wie kannst du sie ansehen ohne daran zu denken, was du mir genommen hast ? Wie kannst du nur mit dir leben du Bastard? Das einzige was du verdienst, ist Rache.“
Für ein paar Sekunden war alles ruhig. Die Stille war bedrückend, es fühlte sich an, als würden die Wände immer näher auf den Mann zukommen. Er wollte schreien, doch kein Laut kam heraus. Das musste ein Albraum sein, dachte er. In Albträumen kann man nicht schreien. Sein Unterbewusstsein spielte ihm einen Streich. Die Tatsache, dass der Unfall vor einem Jahr geschehen war, ließ seine Gedanken verrückt spielen und bescherte ihm den schlimmsten Traum seit Jahren.
Plötzlich wurde der Raum gleißend hell. So hell, dass er das Gefühl hatte, seine Augen würden verbrennen. Er spürte einen Schrei in sich aufsteigen. Der Raum begann sich zu drehen, die Wände wirbelten um seinen Kopf, doch er konnte immer noch nicht schreien. Dann wurde er in den Wirbel hineingezogen und er nahm den dumpfen Aufprall wahr, als sein Kopf auf dem Boden aufschlug.
Zum Glück wachte er in diesem Augenblick auf. Es war nur ein Albtraum gewesen. Es war der schönste Moment seines Lebens, als er erkannte, dass er nie in einem dunklen Raum eingesperrt gewesen war und niemand, absolut niemand, irgendeine Form der Rache üben wollte. Gleich würde sein Sohn die Tür aufreißen und auf sein Bett springen, um ihn aufzuwecken.
Der Mann ärgerte sich, dass er sich von einem solch lächerlichen Traum hatte verschrecken lassen. Er hob den Arm, um seiner Frau durchs Haar zu streichen. Oder versuchte es wenigstens. Seine Hände waren an etwas gefesselt. Er riss die Augen auf. Er saß mitten in einem Raum auf einem Stuhl. Gegenüber saßen sein Sohn und seine Frau, völlig durchnässt und ihre Augen rot vom Weinen. Der charakteristische Geruch von Benzin schwängerte die Luft. Eine Person stand hinter ihnen, eine Maske verbarg das Gesicht. Die Maske lächelte. „Auge um Auge.“ krächzte die Stimme. Dann ließ die Handprothese das Streichholz fallen.
Diesmal konnte der Mann schreien.