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Annemarie und Hermann Hunold

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15.07.2008
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Annemarie und Hermann Hunold

Seit einigen Wochen bot der Discounter „Plus“ einen Defibrillator an, „speziell für Zuhause und den privaten Gebrauch“. Sein Einführungspreis lag bei knapp achthundert Euro. Ein Schnäppchen? Der Rentner Hermann Hunold, 74 Jahre alt, zögerte.

Eigentlich sollte er nur zwei Päckchen Kaffee und ein Pfund Zucker mit nach Hause bringen, doch dieses lockende Angebot nistete seit Tagen verführerisch in seinem Kopf. Seine Frau Annemarie wunderte sich bereits, warum ihr Mann beinah täglich irgendeine Kleinigkeit einkaufen ging. Hermann streifte dann unentschlossen den engen Gang zwischen den Regalen mit Getränken aller Art und den Verkaufstischen mit Wurstwärmer, Wetterstationen und eben jenem Wiederbelebungsgerät entlang.
Immer wieder stellte er sich vor, wie seine Annemarie wohl reagieren würde, wenn er sie mit einem „Elektroschockgerät für Privatpersonen“ überraschen würde. Er war sich unsicher.

Seit Jahren litten er und seine Frau an Herzrhythmusstörungen. Wie schnell könnte sich in ihrem Alter daraus etwas Schlimmeres entwickeln? Erst kleine Stiche in der Herzgegend, dann ein Engegefühl in der Brust mit Schmerzen, die in den linken Arm ausstrahlen - und schon würde der Arzt von einem Herzinfarkt reden. Hermann Hunold kannte sich aus, er sammelte fleißig Zeitungsartikel zu interessanten Alterskrankheiten.

Defibrillator mit Batterieelektrodenkassette“, las er auf der Verpackung.
Scope biphasische Technologie.“ Er runzelte die Stirn..
Inklusive Notfallbeatmungstuch mit Schlüsselanhänger und einem 25 Euro Gutschein für ein Training zu Herz-Lungen-Wiederbelebungsmaßnahmen.“ Das hörte sich nach einem überzeugenden Argument an.

Vielleicht würde ja schon der Besitz dieses Wiederbelebungsgerätes eine beruhigende Wirkung ausüben. Sollte sein Puls einmal zu stolpern beginnen, wenn die Pausen zwischen den Schlägen erst beängstigend lang, dann wieder so kurz wären, dass zwei Schläge beinah zur selben Zeit erfolgen - er bräuchte nur zu dem Defibrillator schauen, sein Herz würde diesen Wink verstehen und umgehend wieder einen ordentlichen Rhythmus aufnehmen.

Eines Tages war es dann soweit. Er nickte, packte entschieden den Karton in seinen Einkaufswagen und ging zur Kasse. Dort musste er sein aufpochendes Herz noch einmal mit dem Argument überzeugen, dass die Gesundheit nicht umsonst zu haben sei - und endlich gehörte diese kleine Wundermaschine ihm.

Apropos Herzen, die von Annemarie und Hermann schlugen seit achtundvierzig Jahren füreinander.

Auf dem Nachhauseweg überlegte Hermann, ob er die Neuerwerbung seiner Frau vielleicht zum Geburtstag schenken sollte. Das hieße allerdings auch, er müsste noch sechs Wochen mit dem Erkunden des Gerätes warten. Seine Ungeduld kennend, verwarf er diesen Gedanken.

Der Fahrstuhl brachte ihn und seine Einkäufe bequem in den dritten Stock. Annemarie empfing ihn an der geöffneten Wohnungstür. Sie tauschten ein kleines Begrüßungsküsschen, wobei er schon in die Wohnung drängte und sie erstaunt auf seine prall gefüllte Plastiktüte schaute.
„Gab es wieder Senfgurken im Angebot?“

Hermann ignorierte ihre Frage und stellte Kaffee und Zucker auf den Küchentisch, den Karton mit dem Defibrillator jedoch auf den Esstisch im Wohnzimmer. Er setzte sich auf einen Stuhl und bat seine Annemarie, doch bitte ebenfalls Platz zu nehmen, er möchte ihr gerne etwas zeigen.
„Jetzt bin ich aber gespannt“, sagte sie mit einem neugierigen Blick auf den großen Karton.
Hermann räusperte sich.
„Das ist ein Defibrillator“, sagte er schließlich.
Annemaries Augen weiteten sich ein wenig. Sie schien beeindruckt, nickte drei-, viermal.
„Du weißt, was das ist?“
„Bin ich blöd?“ Nun funkelten ihre Augen.
„Nein, das bist du nicht. Entschuldige die dumme Frage, meine Liebe.“
Hermann öffnete den Karton, entnahm die oben liegenden Papiere und legte sie einzeln auf den Tisch.
„Garantiebescheinigung, eine ausführliche Bedienungsanleitung, ein Informationsblatt für den Notfall, Sicherheitsbestimmungen“, erläuterte er die einzelnen Dokumente, „und das hier ist ein Gutschein über fünfundzwanzig Euro für ein Training zu Herz-Lungen-Wiederbelebungsmaßnahmen.“
„Für wie viele Personen?“
„Ach so, ja, eine gute Frage.“ Er dachte nach. „Wir wissen ja nicht, wer ihn womöglich zuerst bedienen muss. Ich werde mich erkundigen.“ Er schrieb eine kleine Notiz auf einen stets bereit liegenden Block, mit dem er seit geraumer Zeit versuchte, seiner zunehmenden Vergesslichkeit ein Schnippchen zu schlagen.
Danach räumte er weitere, in Plastiktüten eingeschweißte Zubehörteile wie mehrere Kabel, ein Netzteil und diverse Reinigungsmaterialien aus dem Karton. Endlich hob er vorsichtig das Gerät heraus und platzierte es behutsam in der Mitte des Tisches. Den nun leeren Karton stellte er auf den Teppich.
„Schön,“ sagte Annemarie. „Sieht gut aus.“

„Das hier sind die Elektroden“, sagte Hermann und zeigte sie seiner Frau, zwei runde Klebefolien an bunten Kabeln.
„Was hat das denn gekostet?“
„Die muss man am Körper aufkleben, damit der Strom zum Herzen fließen kann.“
Annemarie griff nach der Bedienungsanleitung und blätterte bis zu einem Bild, das den Längsschnitt eines Herzens darstellte. „Und wo klebt man die hin?“, fragte sie.
„Auf den Oberkörper.“
„Na ja, aber wo genau?“
„Das wird sicher in diesem Heft beschrieben sein, schau doch mal nach.“
Tatsächlich fand Annemarie auch hierzu eine entsprechende Zeichnung. Sie zeigte ihm die Seite.
Hermann knöpfte sein Hemd auf und suchte an seinem Oberkörper nach den richtigen Stellen.
„Die mit dem grünen Kabel hier, und die mit dem Roten hier“, meinte er.
„Ich denke, die Linke muss tiefer sein. Und die Rechte weiter nach hinten zum Rücken.
„Glaubst du?“
„Vielleicht ist es ja egal wo man sie hinklebt, einfach eine auf den Po und eine auf die Nase.“
„Annemarie, bitte.“
„Hier steht nur: Elektroden wie Pflaster auf die nackte Haut kleben, Skizzen zeigen die richtigen Stellen. Hier ist die Skizze.“
Hermann versuchte nun, die Elektroden auf seinem Körper so auszurichten, dass ihre Positionen mit denen auf dem Bild übereinstimmten.
„Ich denke, so müsste es hinkommen. Was meinst du?“
Annemarie las weiter vor: „Die Position wird so gewählt, dass der Strom zwischen ihnen durch das Herz fließt.“
„So ist das jetzt richtig. Wir sollten Markierungen anbringen, damit wir im Ernstfall nicht so lange suchen brauchen.“
„Mit einem Stift?“
„Oder einem Aufkleber. Vielleicht liegen ja welche bei, schau doch bitte einmal nach.“ Annemarie durchsuchte die Zubehörteile, während Hermann sich bemühte, die Positionen zu halten.
„Was hat das denn jetzt gekostet?“
„Sind das nicht welche?“
„Nein, da ist nichts dabei,“ sagte Annemarie. „Aber das würde ja eh nicht halten. Spätestens nach dem Duschen wäre alles weg.“
„Richtig, wir brauchen etwas Dauerhaftes.“
„Genau.“
„So etwas, wie Klaus hat.“ Hermann legte die Elektroden auf den Tisch zurück.
„Klaus? Du meinst ...?“
„Warum denn nicht?“
Ihr ältester Enkel Klaus war der Erste, der seine Großeltern mit Tätowierungen überraschte, eine auf dem Oberarm, eine Zweite auf der Schulter. Tattoos, wie er dazu sagte. Sie konnten zwar nicht erkennen, was sie darstellen sollten, aber die Zeichnungen hatten ihnen Beiden gut gefallen.
„Keine schlechte Idee.“
„Zwei kleine Kreuze, die keiner sieht, und wir müssen nicht lange überlegen, wenn es einmal, also, du weißt schon.“
„Aber warum denn Kreuze, sieht das nicht zu sehr nach Friedhof aus?“
Hermann schaute sie überrascht an: „Sondern?“
„Halt was Schönes. Für das rote Kabel nehmen wir ein Herz in Rot mit unseren Initialen. Und zum Beispiel eine schöne Blume mit grünem Stiel und großen, grünen Blättern für das grüne Kabel.“
Hermann schaute an seinem Oberkörper hinab und kicherte.
„Was ist denn?“
„Mit dem Herz bin ich einverstanden. Aber für Grün lasse ich mir das Zeichen von Werder Bremen eingravieren.“
Sie stellten sich beide vor, wie das Fußballabzeichen auf Hermanns nackter, faltiger Brust wohl aussehen würde.
„Ganz schön albern.“
„Und wie.“
„Statt der Blume könnte ich mir ja einen verschrumpelten Kopfsalat aufmalen lassen. Das würde wahrscheinlich besser passen.“
Sie lachten.

„Also, jetzt sag schon, was hast du dafür bezahlt?“
Hermann begann sein Hemd zuzuknöpfen.
„Ich glaube, das war eine ganz schön dumme Idee von mir.“
„Was meinst du?“
„Ich meine, mit dem Gerät.“
„Meinst du?“
„Ja. Jetzt stell dir mal vor, ich falle um, in der Küche oder im Schlafzimmer, mit einem Herzkasper, oder wie heißt das hier, mit einem Kammerflimmern. Du musst dann losrennen und das Gerät holen, vielleicht noch nach einem Verlängerungskabel suchen, das Hemd aufknöpfen, die Elektroden auf unsere hübschen Bildchen kleben, den Stromschlag auslösen, den Notarzt anrufen, meine Vitalzeichen prüfen, womöglich noch mal ein paar Hundert Watt nachlegen, damit meine Pumpe wieder anspringt oder sogar die Zahnprothesen rausnehmen und mich beatmen. Weißt du, was ich glaube?“
„Nein, was glaubst du denn?“
„Falls ich das Ganze überleben sollte, würdest du anschließend tot neben mir liegen.“
„Na, dann musst du mich wiederbeleben.“
„Genau, immer schön abwechselnd, bis an das Ende unserer Tage.“
„Was ja nie kommen würde, da wir uns ständig gegenseitig retten.“
„Genau.“
„Bis mal einer aufs Klo muss.“
„Oder Beide.“
„Dann wären wir erledigt.“
Annemarie griff nach Hermanns Hand.
„Und jetzt sagst du mir, was du für dieses Gerät bezahlt hast.“
„Etwas über siebenhundert Euro.“
„Hermann, es ist wohl am Besten, wenn du das Teil morgen wieder zurückbringst.“
„Meinst du, die nehmen das wieder?“
„Sag einfach, dass es nicht funktioniert. Du hättest es an mir ausprobiert, aber das hätte nichts mehr genutzt.“
„Ach, Annemarie, sag doch nicht so was.“
Sie lächelten sich liebevoll an, gerührt und etwas befangen putzte er sich die Nase.
„Ich bin so froh, dass ich dich habe, Annemarie.“
„Und ich dich, Hermann.“

 

Hallo Jürgen,

etwas absurd. Ich frage mich, wann es soweit sein wird, dass es Wiederbelebungsmaschinen bei einem Discounter geben wird.

Muss allerdings zugeben, dass die Geschichte etwas langweilig daher kommt. Der größte Teil dreht sich darum, wie man das Gerät erwirbt, wie man es anwendet, und wie man es wieder zurückbringt. Irgendwie belanglos erzählst du von Dingen, die mich z.B. nicht interessieren, wie er die Sachen aus dem Karton nimmt.

„Garantiebescheinigung, eine ausführliche Bedienungsanleitung, ein Informationsblatt für den Notfall, Sicherheitsbestimmungen“, erläuterte er die einzelnen Dokumente, „und das hier ist ein Gutschein über fünfundzwanzig Euro für ein Training zu Herz-Lungen-Wiederbelebungsmaßnahmen.“

sowas wirkt für mich irgendwie belanglos und uninteressant

vielleicht hätte alles mehr Pepp gehabt, wenn du viel stärker herausstellt, wie wichtig so ein Gerät sein könnte, die Angst noch stärker herausstellt, so ist es irgendwie ein fröhliches Reden über ein Wiederbelebungsgerät.

Ein Dialogstück am Ende hat mich gut amüsiert:

„Falls ich das Ganze überleben sollte, würdest du anschließend tot neben mir liegen.“
„Na, dann musst du mich wiederbeleben.“
„Genau, immer schön abwechselnd, bis an das Ende unserer Tage.“
„Was ja nie kommen würde, da wir uns ständig gegenseitig retten.“
„Genau.“
„Bis mal einer aufs Klo muss.“
„Oder Beide.“
„Dann wären wir erledigt.“

Am Ende bleibt der Eindruck, dass mich die Geschichte nicht gepackt hat.
Der Schreibstil hätte hie und da noch ein paar Ausreiser machen können, so hälst du mich nicht bei der Stange.

MfG Mantox

 

Hi Mantox,
danke dir fürs Lesen.

etwas absurd. Ich frage mich, wann es soweit sein wird, dass es Wiederbelebungsmaschinen bei einem Discounter geben wird.

Die Antwort ist einfach: jetzt!
gibst du ein:
http://www.plus.de/
In das Suchfeld "Defibrillator" eingeben und du kannst zwischen zwei Modellen auswählen. Nimmst du das für 799 Euro, kannst du die Werbetexte lesen, die auch Hermann Hunold las. Nichts davon ist ausgedacht.

Die Geschichte zeigt ein altes Paar, dass liebe- und humorvoll miteinander umgeht und von der Angst im Alter vor der Krankheit und dem Sterben. Und von dem Geschäft mit der Angst dieser Menschen.
Und das ist das Absurde.

vielleicht hätte alles mehr Pepp gehabt, wenn du viel stärker herausstellt, wie wichtig so ein Gerät sein könnte
Glaubst du wirklich, dass sich durchschnittliche alte Leute im Fall der Fälle mal schnell reanimieren können?

... die Angst noch stärker herausstellt,
Nein, die Beiden haben gemerkt, dass diese Aktion Blödsinn ist.

Herzliche Grüße
Jürgen

 

hallo,

Ich fand dei geschichte ganz nett. Du beschreibst eine absurde situation und wie zwei alte leute mit witz und ironie über das sterben nachdenken. Ein ganz wenig fand ich aber auch, dass die Geschichte etwas fehlt. So der letzte kick eben, der das Ganze noch etwas mehr ins Absurde befördert. Aber ganz amüsante Schilderung, gekonnt dargestellt.

mfg,

JuJu

 

Hallo Juju,
vielen Dank für das Lesen und deinen Kommentar.

Ein ganz wenig fand ich aber auch, dass die Geschichte etwas fehlt.

Das scheint tatsächlich ein schwieriger Punkt zu sein, ich rätsel selbst, ob das auch für mich stimmt.
Ich habe sie mit Absicht in die Rubrik "Alltag" gestellt, weil ich zu einem absurden, aber real existierendem Angebot eine ruhige Geschichte schreiben wollte, ich habe also den absurden Ausgangspunkt mit Absicht nicht absurd weiter geführt, eben keine Satire daraus machen wollen.
Und wie gesagt, ob jetzt noch etwas fehlt und wenn ja,was, darüber rätsel ich selbst noch.

Herzlichen Dank
Jürgen

 

Also mir gefällt die KG richtig gut. Na gut, hier und da müsste dann noch …
Aber so absurd sie dann erscheint, so absurd ist es eben dann doch nicht mehr. Die Geräte hängen inzwischen in Flughäfen rum, in größeren Kinos, Bürokomplexen und dergleichen mehr.
Apropos absurd … der anfänglich schöne absurde Stil geht irgendwann verloren, es ist als ob du dich nicht traust es durchzuziehen. Und das ist schade.
Also wenn du mich fragen würdest: …

Den ersten Absatz streichen und gleich einsteigen mit „eigentlich sollte er nur zwei Päckchen ...“, dass Hermann nicht mehr 20 und Rentner ist, ist ergibt sich im nachfolgenden Text.
Richtig schön abgefahren das hier:
„Defibrillator mit Batterieelektrodenkassette“, las er auf der Verpackung.
„Scope biphasische Technologie.“ Er runzelte die Stirn..
„Inklusive Notfallbeatmungstuch mit Schlüsselanhänger und einem 25 Euro Gutschein für ein Training zu Herz-Lungen-Wiederbelebungsmaßnahmen.“ Das hörte sich nach einem überzeugenden Argument an.

Auch der nachfolgende Absatz: „Vielleicht würde ja schon der Besitz ...“
Dann aber leider wird es zu langatmig, zu ausführlich, zu detailliert.
Will sagen: Kürzen, kürzen, kürzen.
Ich weiß für einen Autor schlimme Worte, aber es würde den anfänglichen Schwung erhalten.
Ich bin mir sicher: Da geht noch was. Da geht noch richtig was. Für mich liegt in der KG ausreichend Potential und es lohnt die Arbeit. Und wer weiß, vielleicht wird dann der Schluss einfach so stimmig. Bedarf dann nicht mehr (jetzt in der Fassung wäre es dringend nötig – sehe ich auch so, wie meine Vorredner) eines besonderen Abschlusses. Denn so gesehen ist er schon da, geht aber im/durch den überladenen Mittelteil einfach unter.

 

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