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Anna und die gute Fee
"Ich komme bald wieder", sagte Mama und gab Anna einen Kuss, bevor sie einkaufen ging. "Sei schön brav!"
"Ja", sagte Anna, "ganz bestimmt."
Anna war immer brav, das hätte Mama gar nicht sagen müssen. Anna war folgsam und tat, was die Großen sagten. Sie war so brav, dass sie schon allein zu Hause bleiben konnte. Sie brauchte keinen Babysitter mehr. Na ja, einen Babysitter brauchte sie schon längst nicht mehr, höchstens einen Große-Kinder-Sitter, aber nicht einmal den. Ja, sie war so brav, dass sie sich eigentlich eine gute Fee verdient hätte. Wie in der Geschichte, die ihr Mama vorgelesen hatte. Dort war den braven Kindern eine gute Fee erschienen und hatte ihnen drei Wünsche erfüllt.
Oooh, das wäre schön! Anna würden ganz viele tolle Wünsche einfallen, viel mehr als drei. Schade nur, dass Papa gesagt hatte, die Geschichten aus dem Märchenbuch wären in Wirklichkeit gar nicht wahr. Anna hoffte, dass Papa sich damit irrte. Aber Papa war ein Erwachsener, und wenn ein Erwachsener so etwas sagte, dann musste es wohl stimmen. Schade!
Als Anna schon gar nicht mehr an die Fee dachte und in ihr Zimmer ging, erschrak sie. Da stand jemand, der vorher nicht da gewesen war. Eine wunderschöne Frau mit goldblonden Haaren, die Anna anlächelte. Sie trug gläserne Schuhe wie Aschenputtel und ein glitzerndes, weißes Kleid, das mit Silberfäden bestickt war. Und in der Hand hielt sie einen Zauberstab mit einem leuchtenden Stern an der Spitze.
"Hallo, Anna", sagte die Frau und lächelte weiter, "ich bin eine gute Fee und kann dir drei Wünsche erfüllen."
"Juchhu! Hurra!", rief Anna. "Endlich kommst du! Das habe ich mir schon lange verdient. Ich bin nämlich immer brav und tue alles, was die Großen mir sagen, weißt du?"
"Ja, das weiß ich", sagte die Fee, und einen Moment lang sah ihr Lächeln ein bisschen eigenartig aus. "Genau deshalb bin ich zu dir gekommen."
"Ja! Super!", rief Anna. "Als Erstes hätte ich gern..."
"Moment, Moment!", unterbrach sie das Zauberwesen. "So einfach geht das nicht. Zuerst musst du auch etwas für mich tun."
"Wirklich?", fragte Anna. "Davon steht aber nichts im Märchenbuch."
"So ist es aber", erklärte die Fee. "Hat dir dein Papa nicht gesagt, dass die Dinge, die im Märchenbuch stehen, in Wirklichkeit gar nicht wahr sind?"
Ja, das hatte er schon gesagt. Aber Anna hatte gedacht, das würde bedeuten, dass es überhaupt keine Feen gäbe. Na gut, so sollte es ihr auch recht sein. Die Fee musste das ja besser wissen.
Inzwischen war die Fee ins Wohnzimmer geschwebt und schaute dort in jeden Kasten. Sehr höflich war das eigentlich nicht, bei fremden Leuten einfach so in die Kästen zu schauen. Aber Anna sagte lieber nichts, sonst würde ihr die Fee vielleicht doch keine Wünsche erfüllen. Danach setzte sich die Fee aufs Sofa und legte ihre Füße auf den Tisch. Das war eigentlich noch viel weniger höflich, aber Anna sagte lieber noch immer nichts.
"Als Erstes würde ich mir gerne diesen tollen Porzellanelefanten ansehen", fing die Fee wieder an. "Holst du ihn mir aus der Vitrine?"
Oje, ausgerechnet den. Diesen Porzellanelefanten fand Mama selbst nicht besonders schön, aber sie hatte ihn von ihrer Oma geschenkt bekommen, die schon gestorben war, und deshalb war er etwas ganz Besonderes. Man konnte ihn ganz leicht kaputt machen und deshalb hatte Mama es Anna streng verboten, ihn aus der Vitrine herauszunehmen.
"Das darf ich aber nicht", sagte Anna schüchtern.
"Ach komm!", sagte die Fee und grinste. "Ich verrate es auch keinem. Willst du denn keinen Wunsch erfüllt haben?"
Doch, Anna wollte sogar sehr gerne einen Wunsch erfüllt haben. Und wenn eine gute Fee wollte, dass sie das tat, konnte es nicht so etwas Schlimmes sein, oder?
Ganz vorsichtig und langsam machte Anna die Vitrine auf und holte den Porzellanelefanten heraus. Sie zitterte dabei und hatte das Gefühl, sie würde gleich stolpern, aber sie schaffte es, ihn heil auf den Tisch zu stellen.
"Du musst aber ganz, ganz vorsichtig sein", sagte Anna. "Wenn wir ihn kaputt machen, wird Mama sehr böse werden."
"Ja, ja", murmelte die Fee und schaute Anna gar nicht an.
"Anschauen tut man mit den Augen, nicht mit den Händen", hatte Papa schon oft zu Anna gesagt. Aber der Fee hatte das anscheinend niemand gesagt. Sie nahm den Elefanten und drehte ihn wild herum, um ihn von allen Seiten anzuschauen.
Anna machte die Augen zu. Sie konnte gar nicht hinsehen. Zum Glück war die Fee bald zufrieden.
"Da hast du ihn wieder", sagte sie und streckte ihn Anna entgegen. Anna griff sofort danach, aber bevor sie ihn erwischte, rutschte er der Fee aus der Hand und fiel auf den Tisch. Dem armen Elefanten brachen ein Bein, ein Stoßzahn und der Rüssel ab.
"Ups!", machte die Fee und kicherte.
"Uuuuuhhh!", machte Anna und zappelte nervös herum. "Jetzt wird Mama aber schimpfen!"
Aber dann fiel ihr zum Glück etwas ein: "Kannst du ihn wieder ganz zaubern?"
"Ist das dein erster Wunsch?", fragte die Fee.
"Nein!", rief Anna, "das gilt nicht. Du hast ihn doch kaputt gemacht."
"Na gut", murrte die Fee," ausnahmsweise."
"Erfüllst du mir jetzt einen richtigen Wunsch?", fragte Anna ganz leise.
"Natürlich", sagte die Fee. "Ich bin doch eine gute Fee. Was möchtest du denn?"
"Ich hätte auch gerne so ein superschönes Kleid, "sagte Anna, "genau so eines, wie du hast."
"Okay", sagte die Fee und sprach ein paar Zauberworte.
Im nächsten Moment hatte Anna ein Kleid an. Es war zwar wunderschön, aber trotzdem war Anna nicht zufrieden. Das Kleid war genau so wie das der Fee und es war leider auch genau so groß. Die Ärmel hingen Anna bis zum Boden und sie hätte sich aus dem ganzen Stoff ein Zelt machen können.
"Mist!", dachte Anna und war einen Moment zornig auf die Fee. Aber dann dachte sie, dass es vielleicht ihre Schuld gewesen war. Schließlich hatte sie sich ja genau so ein Kleid gewünscht.
Mühevoll krabbelte Anna aus dem riesigen Kleid und wollte schon über ihren nächsten Wunsch nachdenken. Aber die Fee sprach bereits wieder: "Als Zweites hätte ich gerne, dass du mir eine von den Pralinen dort gibst. Sie deutete auf die Glasschüssel voller Pralinen, die Mama zum Geburtstag bekommen hatte.
Konnte sich diese Frau denn nichts Harmloses wünschen? Mama würde es bestimmt nicht mögen, dass jemand ihre Geschenke aufaß.
"Ich glaube, das darf ich auch nicht", sagte Anna kleinlaut und fürchtete gleich, dass ihr das diesmal auch nichts nützen würde.
"Ach was", sagte die Fee. "Ob da eine fehlt, merkt doch keiner. Aber wenn du keine Wünsche mehr erfüllt haben willst ..."
Doch, natürlich wollte sie noch Wünsche erfüllt haben. Überhaupt, wo der erste derart in die Hose gegangen war. Anna fühlte sich ziemlich schlimm dabei, aber wahrscheinlich hatte die Fee recht. Ob eine Praline fehlte, würde bestimmt niemand bemerken. Sie hielt ihr die Schüssel hin, damit sie sich eine aussuchen konnte.
"Zu zweit naschen ist lustiger", sagte Annas Besuch. "Komm, nimm dir auch eine."
Aber Anna wollte gar keine. Diese Pralinen waren mit Alkohol gefüllt und schmeckten ihr überhaupt nicht. Und, wer weiß, vielleicht würde sie davon sogar einen Schwips bekommen.
"Lieber nicht", sagte sie.
"Oooch", machte die Fee, "willst du mir diesen kleinen Gefallen nicht tun?"
Oje, das klang, als würde sie traurig oder böse werden, wenn Anna es nicht täte. Eine würde schon nicht so schlimm sein. Sie stellte die Schüssel auf den Tisch, steckte sich eine Praline in den Mund und biss hinein.
Igitt! Wieso aßen die Erwachsenen das bloß gerne? Anna kniff die Augen zusammen und würgte die Praline hinunter. Brrr!
Als sie die Augen wieder aufmachte, sah sie, dass die Fee sich eines von Mamas Büchern aus dem Regal genommen hatte, ganz ohne zu fragen. Das war schon wieder unhöflich, aber Anna sagte immer noch nichts. Sie wollte endlich ihren zweiten Wunsch erfüllt haben. Nach dieser grauslichen Praline wünschte sie sich etwas wirklich Gutes.
"Als zweiten Wunsch hätte ich gerne einen Becher voll Eis, der nie leer wird", sagte sie.
"Kein Problem", sagte die Fee und schnippte mit den Fingern, ohne dass sie aufhörte, in Mamas Buch zu lesen.
Vor Anna stand ein großer Eisbecher auf dem Tisch. Mit Waffeln und einem kleinen Schirmchen, so wie man sie im Eissalon bekommt. Wow! Das hatte die Fee jetzt aber gut gemacht.
Es gibt viele verschiedene Sorten Eis, und sie schmecken alle unterschiedlich. Manche nach Schokolade, manche nach Früchten, manche nach Joghurt. Und dann gab es noch das Eis, das die Fee gezaubert hatte. Das schmeckte nach Hustensaft.
Wäääh! Das war ja noch viel schlimmer als die Alkohol-Praline. Anna musste schon wieder die Augen zusammenkneifen und sie schüttelte sich. Das konnte sie auf keinen Fall essen. Sie nahm den Becher und wollte ihn ins Klo leeren, aber das brachte überhaupt nichts. Denn, wie sie es sich gewünscht hatte, wurde er nie leer. Na toll!
Langsam wurde Anna zornig. Die Fee blätterte immer noch in Mamas Buch, mit den Füßen auf dem Tisch, und naschte Pralinen.
"He, du musst noch den Elefanten reparieren", schimpfte sie.
"Ja, mach ich gleich", sagte die Fee. "Inzwischen musst du aber noch eine Kleinigkeit für mich erledigen, damit ich dir deinen dritten Wunsch erfüllen kann."
Sie führte Anna ans Fenster. Von hier aus konnte man eine Bushaltestelle sehen, an der eine Bank stand.
"Hier", sagte die Fee und zauberte einen Schraubenzieher her. "Die Bank da draußen hat auf der linken Seite eine lockere Schraube. Nimm dir das Werkzeug und schraub sie ganz heraus, ja?"
"Aber dann fällt vielleicht jemand runter, wenn er sich draufsetzt", sagte Anna.
"Eben", sagte die Fee. "Das ist ja das Lustige dran."
Anna fand das überhaupt nicht lustig, sondern gemein. "Das darf ich aber ganz bestimmt nicht."
"Na komm schon, ich mache dafür den Elefanten wieder ganz", drängte die Fee. "Wenn du dauernd nörgelst und widersprichst, wird es ewig dauern, bis du deinen dritten Wunsch bekommst."
Da hatte die Fee wieder recht. Anna seufzte und lief mit dem Schraubenzieher zur Haltestelle hinunter. Sie schaute sich ein paar Mal um, ob auch niemand da war, der sie sehen konnte. Ihr Herz klopfte, als sie so schnell sie konnte die Schraube herausdrehte und wieder in die Wohnung zurücklief.
Die Fee stand am Fenster und schaute gierig hinaus.
"Schau!", rief sie. "Da kommt schon einer."
Ein alter Mann in einem dicken Mantel und mit einem Stock ging langsam auf die Bank zu. Anna hoffte, dass diese eine Schraube nichts ausmachen würde. Sie kaute an ihren Fingernägeln, als der Mann sich hinsetzte.
Sofort machte es "Krach!" und der alte Mann saß auf dem schmutzigen Boden. Die Fee lachte, aber Anna tat der Mann leid. Hoffentlich hatte er sich nicht weh getan. Zum Glück kam gerade eine junge Frau, die ihm wieder aufhalf. Er sah aus, als wäre er sehr erschrocken.
Diesmal kam Anna sich nicht schlimm vor, sondern richtig böse. Die Fee lachte noch immer und Anna schaute sie zornig an. Langsam ging sie ihr auf die Nerven.
"Kann ich jetzt endlich meinen dritten Wunsch erfüllt haben?", sagte Anna. "Ich hätte gerne eine Spielzeug-Ritterburg, so eine wie Robert hat."
Robert war ihr Freund und er hatte zu Weihnachten eine große Ritterburg bekommen, mit der sie jedesmal spielten, wenn Anna ihn besuchte.
"Schon passiert", sagte die Fee und zwinkerte nur kurz.
Anna fürchtete schon, dass sie wieder etwas falsch machen würde, aber gleich stand die Burg neben ihr am Boden und Anna konnte keinen Fehler daran erkennen. Endlich hatte die Fee etwas richtig gemacht. An der Burg stimmte alles. An einer Turmspitze hing sogar die Fahne von König Robert dem Großen, die ihr Freund gebastelt hatte.
Komisch, die Burg war sogar an der gleichen Stelle kaputt. Sie hatten einmal aus Versehen ein kleines Stück von einer Mauer abgebrochen und dieses Stück fehlte auch hier.
Hm. Anna kam ein ganz unangenehmer Gedanke. Die Burg sah nicht nur aus wie Roberts Ritterburg. Das war Roberts Ritterburg. Die Fee hatte einfach Roberts Burg hierher gezaubert. Jetzt würden bestimmt alle glauben, Anna hätte sie gestohlen. Sie musste sie unbedingt zurückbringen, aber sie wusste nicht, wie sie das machen sollte, ohne dass es jemand bemerkte.
Diese blöde Fee! Sie hatte nur Unheil angerichtet und von ihren drei Wünschen hatte Anna überhaupt nichts gehabt.
"Ich kann dir noch mehr Wünsche erfüllen, wenn du willst", schlug die Fee vor.
"Nein!", rief Anna gleich. "Geh lieber zu irgendwelchen anderen Kindern und erfüll denen ihre Wünsche."
Eigentlich tat Anna jedes Kind leid, dem diese Fee einen Wunsch erfüllte, aber sie hatte wirklich genug von ihr. Anna zog sie an der Hand ins Vorzimmer und machte die Tür auf. Dann schubste sie die Fee hinaus.
"Bist du ganz sicher?", fragte die Fee noch.
"Ja", sagte Anna und machte schnell die Tür zu.
"Auf Wiedersehen!", rief die Fee von draußen.
"Hoffentlich nicht", dachte Anna.
Sie seufzte und ging ins Wohnzimmer zurück. Da bemerkte sie, dass die Fee die ganzen Pralinen aufgefuttert hatte. Außerdem hatte sie lauter Schokoladeflecken in Mamas Buch gemacht. Hoffentlich hatte sie wenigstens den Elefanten wieder ganz gezaubert.
Das hatte sie zwar getan, aber nun hatte der arme Elefant ein Bein mitten im Gesicht, einen Rüssel in seinem Maul und er stand auf einem Stoßzahn statt auf einem Bein. So sah er eher aus wie ein Ungeheuer aus dem Weltraum.
So eine Gemeinheit! Alle würden Anna dafür die Schuld geben. Sicher würde ihr niemand glauben, dass eine Fee das alles angerichtet hatte. Sie setzte sich aufs Sofa und hatte das Gefühl, sie würde gleich anfangen zu weinen.
Da bemerkte sie, dass plötzlich wieder jemand neben ihr stand. Es war eine nicht besonders hübsche Frau mit schlecht gekämmten braunen Haaren. Sie trug ein Kleid, das eher wie ein Nachthemd aussah, und braune Sandalen. In der Hand hielt sie einen Plastikzauberstab, wie man ihn im Spielzeuggeschäft kaufen konnte.
"Hallo, Anna", sagte die Frau und lächelte, "ich bin eine gute Fee. Ich kann dir drei Wünsche erfüllen."
Oh nein, nicht schon wieder! Die andere Fee hatte wenigsten so ausgesehen wie eine richtige Märchenfee. Wenn diese zweite schon so merkwürdig aussah, konnte das ja lustig werden.
"Nein danke!", rief Anna schnell. "Geh lieber zu einem anderen Kind, das dich dringender braucht. Ich habe überhaupt keine Wünsche."
"Oh", machte die Fee, "du bist aber ein braves Mädchen, dass du zuerst an die anderen Kinder denkst."
Wenn Mama nach Hause kam, würde sie Anna bestimmt nicht für ein braves Mädchen halten.
"Außerdem habe ich heute schon eine gute Fee gehabt", sagte sie noch. Das klang wie "Ich habe Schnupfen gehabt" und es war auch genau so schlimm gewesen.
"Das ist aber komisch", wunderte sich die Fee. "Normalerweise kommen wir nicht zu zweit zum selben Kind. Erzählst du mir etwas über diese Fee?"
Anna erzählte, wie die erste Fee alle ihre Wünsche vermasselt und sich wie ein schlimmes Kind benommen hatte.
"Arme Anna", sagte die andere Fee. Sie setzte sich neben sie und strich ihr über die Haare. Diese zweite Fee war in der kurzen Zeit schon netter zu Anna gewesen als die andere den ganzen Tag.
"Sag mal", fing die Trösterin wieder an, "bist du dir sicher, dass das eine gute Fee war?"
Anna war erstaunt. "Gibt es denn auch böse Feen?"
"Aber natürlich", sagte die Fee. "Zum Glück nur wenige. Aber leider gibt es überall auch ein paar Böse, auch unter den Feen."
"Aber sie hat gesagt, dass sie eine gute Fee ist", jammerte Anna.
"Na, überleg einmal", sagte die Fee, "wenn du eine böse Fee wärst und wolltest, dass die Kinder schlimme Dinge für dich tun, würdest du dann zugeben, dass du böse bist?"
"Ja, genau!", dachte Anna. Die andere Fee hatte sie die ganze Zeit angelogen. So ein gemeines Biest!
"Aber jetzt wird es Zeit, dass du deinen ersten Wunsch richtig erfüllt bekommst", sagte die Fee.
Anna dachte kurz nach und sagte dann: "Ich wünsche mir, dass du alles, was die böse Fee angerichtet hat, wieder gut machst."
"In Ordnung", meinte die gute Fee, "aber vorher würde ich mir gerne auch von dir etwas wünschen."
Oje, jetzt fing das wieder an. Bestimmt würde sie jetzt von Anna verlangen, dass sie eine Bank ausraubte, oder so etwas.
Aber die gute Fee wollte etwas ganz anderes: "Wenn in Zukunft jemand etwas von dir möchte, dass du für Böse hältst, dann wünsche ich mir, dass du das nicht tust. Auch nicht, wenn es ein Erwachsener sagt, nicht einmal, wenn es eine Fee sagt."
"Ich verspreche es", sagte Anna.
Danach begann die gute Fee, alles wieder in Ordnung zu bringen. Sie zauberte alle Teile des Porzellanelefanten wieder an die richtige Stelle, füllte die Glasschüssel mit Pralinen und ließ die Schokoladeflecken aus Mamas Buch verschwinden.
Die Schraube bohrte sich wieder in Die Bank an der Bushaltestelle, der alte Mann vergaß, was mit ihm geschehen war und seine Hose wurde wieder sauber. König Robert der Große bekam seine Ritterburg zurück, ohne dass er bemerkt hatte, dass sie überhaupt fort gewesen war. Auch das Kleid und der Eisbecher verschwanden, aber darauf konnte Anna gut verzichten. Anna hatte der Fee beim Aufräumen geholfen und am Ende war die Wohnung schöner als zuvor.
"Was wünscht du dir als Zweites?", fragte die gute Fee dann.
Anna überlegte wieder. "Kannst du auch eine andere Fee verzaubern?", fragte sie.
"Ja, das kann ich", antwortete die Fee. "Und ich glaube, ich weiß schon, was du dir wünscht."
Von diesem Tag an hatte die böse Fee ein merkwürdiges Problem. Immer wenn sie zu einem Kind kam und sagen wollte, dass sie eine gute Fee sei, kamen ganz andere Worte aus ihrem Mund. Sie sagte jedes Mal: "Ich bin eine böse Fee. Tut bloß nichts von dem, was ich sage."
Die böse Fee verstand das nicht. Sie wollte das gar nicht sagen, aber sie konnte es nur verhindern, wenn sie sich den Mund zuhielt. Aber dann taten die Kinder erst recht nicht, was sie wollte. Die Kinder wunderten sich nur darüber, dass sie solche seltsamen Dinge sagte, und lachten sie aus.
Anna hatte inzwischen ein schönes Kleid geschenkt bekommen, weil sie so brav die Wohnung aufgeräumt hatte. Es sah ein bisschen aus wie das der guten Fee, also ein bisschen wie ein Nachthemd. Das Kleid der bösen Fee wäre zwar schöner gewesen, aber Anna wollte gar nicht aussehen wie sie.
Papa hatte mit ihr eine Ritterburg aus Holz und Papier gebaut. Sie war zwar nicht ganz so schön wie die von Robert, aber dafür hing gleich an mehreren Türmen die Fahne von Königin Anna der Prächtigen. Hin und wieder bekam Anna auch einen Eisbecher. Die wurden zwar meistens sehr schnell leer, aber sie schmeckten viel besser als das Hustensafteis.
Manchmal kam die gute Fee sie besuchen und fragte, ob Anna sich schon ihren dritten Wunsch überlegt hätte. Aber Anna wollte noch warten. Nach dem, was sie mit der bösen Fee erlebt hatte, wollte sie sich ihren letzten Wunsch für eine wirklich wichtige Gelegenheit aufheben.