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Anna Irene: Der Haß der Frau K. (02)
Es ist ein schöner Wintertag, Ende 1965. Die Sonne strahlt freudig von ihrem für die Jahreszeit höchsten Punkt. Frau K. steht in der Küche und ist gerade damit beschäftigt, Karotten in Scheiben zu schneiden. Auf dem Herd wird Butterschmalz in einem Topf langsam warm und zerrinnt. Frau K. will eben die geschnittenen Karottenscheiben in den Topf geben, da hört sie ihre Tochter Anna-Irene. Vorhin hatte sie doch noch so friedlich geschlafen und jetzt ist sie schon wach?!
Frau K. stellt den Topf auf dem Herd leicht erregt zur Seite und geht, um nach ihrer kleinen Tochter zu sehen. „Ja wer hat denn dich da aufgestellt?“, fragt sie. Anna-Irene wird von ihrer Mutter wieder ins Bett gelegt. Sie versteht nicht, daß die Laute, die sie hörte, kein Weinen sondern ein Lachen waren. Anna-Irene strengt sich noch einmal mit aller Kraft an. Es muß ihr nochmals gelingen. Die Stäbe des Gitterbettes sind eine gute Hilfe, wenn man sich von der Matratze in die Höhe ziehen will. Sie lacht laut vor Freude, weil sie es wieder geschafft hat, sich im Gitterbett aufzustellen. Frau K. hört sich in der Küche die quietschenden Laute eine Weile an und erscheint dann wieder, um Anna-Irene in die Horizontale zu legen. Sie achtet gar nicht darauf, was ihre Tochter ihr mitteilen will. Stattdessen geht sie ins Wohnzimmer, wo ihr Mann sitzt und Zeitung liest.
„Sag einmal bist du verrückt, du kannst doch nicht die Anna-Irene einfach im Bett aufstellen und alleine stehen lassen, das wird ihr doch viel zu anstrengend!“, tadelt sie ihn in aufgeregtem Tonfall. Etwas überrascht blickt er sie an – Fragezeichen stehen in seinen Augen. „Wieso?“ – „Na, hast vielleicht nicht du sie da hingestellt?!“ – Erst mit der Zeit wird Frau K. klar, daß ihre Tochter ihr die Freude über das neu Erlernte mitteilen wollte. Aber nun ist sie nicht in der Lage, ihre Tochter dafür zu loben oder ihr Freude darüber zu zeigen, sie ist dazu überhaupt nie fähig. Sie geht wieder in die Küche, stellt den Topf auf die heiße Herdplatte zurück und kommt eilig ihren Pflichten nach.
Vor einigen Tagen war sie mit Astrid beim Zahnarzt. Dieser riet ihr, Astrid den Schnuller wegzunehmen, da sie sonst schiefe Zähne bekommen würde. Frau K. schmiß Astrids Schnuller in den Mistkübel und versuchte, sie daran zu hindern, an Anna-Irenes Schnuller zu saugen. Dies gelang ihr bis heute nicht, dabei verzweifelt sie doch immer so, wenn sie es nicht schafft, ihre Aufgaben zu meistern. Sie kann sich selbst nicht ausstehen, wenn sie in irgendeinem Bereich versagt, wo man etwas von ihr erwartet. Jetzt setzt es Taten.
Frau K. nimmt Anna-Irene, ruft Astrid, weist beiden Plätze auf Sesseln zu, die sie extra vorher dorthin, nämlich vor den Ofen, gestellt hat. Sie baut sich drohend vor den beiden Mädchen auf, stochert im Ofen herum. Die Glut ist heiß. Die beiden Kinder wissen nicht, was nun geschehen wird, Angst sitzt in ihren Gliedern.
Frau K. macht einen Schritt, beugt sich zu Anna-Irene, die im selben Moment zusammenzuckt und den Kopf einzieht, reißt ihr den Schnuller aus dem Mund und sagt mit dröhnender, belehrender Stimme: „Wer nicht hören will, muß fühlen“, wendet sich dabei zu ihrer größeren Tochter, „Astrid. Wenn du nicht von selbst auf den Schnuller verzichten kannst, werde ich ihn eben verbrennen." Mit den Worten "Und du, Anna-Irene, bist selbst schuld, wenn du ihn immer wieder liegen läßt, damit deine Schwester ihn sich nehmen kann!“, beendet sie ihre Rede. Sie öffnet das gußeiserne Türl vom Ofen, wirft genußvoll den Schnuller hinein, zwei weitere, die sie schon bereitgelegt hatte, folgen.
Sie stochert etwas nach, damit auch ja alles gut brennt. - Großes Heulen bei den Kindern, die gar nicht begreifen können, was ihre Mutter hier eigentlich macht. Aber seltsame Aktionen sind sie nun trotz ihres jungen Lebens schon gewöhnt. Sie heulen sich später wie so oft in den Schlaf.
Einige Wochen später
Frau K. ist schon sehr genervt von der leidigen Aufgabe, zwei kleine Kinder im Haus zu haben. Das größere, Astrid, läuft den ganzen Tag herum, nichts ist vor ihr sicher und Anna-Irene, dieses kleine, ihrer Mutter völlig fremde Kind, mit dem sie nur Arbeit hat...
Eigentlich wollte sie dieses zweite Kind ja gar nicht, aber als es nunmal passiert war, erwies es sich als gutes Mittel, ihren Mann noch eine Weile zu behalten. Der würde sie doch nicht wirklich verlassen, mit so einem kleinen Kind, dachte sie.
Aber nun sieht die Sache doch ganz anders aus. Er werde die Scheidung einreichen, wenn sie nicht einwilligt. Jetzt hat sie dieses Kind völlig umsonst ausgetragen. Aber sie wird es ihm heimzahlen. Sie wird dieses Kind studieren lassen, damit er Alimente zahlen kann, bis er schwarz wird. Haß baut sich auf in ihr. So gesehen wird dieses Kind doch einen Nutzen für sie haben. Sie wird ihrem Mann sein restliches Leben gründlich versalzen, das nimmt sie sich jetzt ganz fest vor.
Viel Hass und Zorn hat sich in den letzten Wochen in ihr aufgestaut. Sie ist dem Nervenzusammenbruch nahe.
Sie haßt es, mittags zu essen, doch muß sie für ihre beiden Kinder eine Mahlzeit zubereiten. Wenn diese ihr wenigstens die Ruhe ließen, dies zu tun. Aber nein, die Große muß ständig beobachtet werden und die Kleine will schon wieder eine frische Windel.
Erst zu Astrid, die hat wieder einmal alle Wäsche aus dem Kasten geräumt. Frau K. brüllt Worte, die für Astrid nicht verständlich sind, weil diese es lustig gefunden hat, die Wäsche neu zusammenzulegen. Sie wollte ja nur nachmachen, was sie bei ihrer Mutter gesehen hat. Frau K. nimmt sie an den Haaren, zerrt sie hin und her, während sie dem kleinen Kind die viele Arbeit vorwirft, die sie zu machen hat und wie arm sie denn deshalb sei und wie böse Astrid ist, die ihr noch mehr Arbeit aufhalst.
Frau K. ist zum Explodieren geladen, als sie sich der kleinen Anna-Irene widmet. Sie weiß, jetzt wird sie all ihrer Wut nachgeben, niemand kann sie sehen und die Kinder werden sich ohnehin später an Nichts erinnern, weil sie noch so klein sind. Auch die Nachbarin, die einzige in diesem Haus im Zaubertal, ist gerade weggegangen, also keine Gefahr, daß irgendjemand etwas mitbekommen könnte.
Sie will sich jetzt einmal so richtig auslassen und ihre Macht demonstrieren. Dazu legt sie sich noch ein Paar Utensilien bereit. Sie knallt Anna-Irene förmlich auf den Wickeltisch, schreit auf sie ein. Reißt ihr währenddessen die Windel vom Leib und reinigt sie mit unsanft festem Druck.
Danach betrachtet sie machtbesessen diesen kleinen Körper. Nimmt die bereitgelegten Schnüre, bindet sie am Gestänge des Wickeltisches fest. Das andere Ende schnürt sie um die Hände von Anna-Irene, mit den Füßen verfährt sie ebenso, wobei sie eine Vorfreude zeigt, als käme der wahrhaftige Weihnachtsmann.
Dann nimmt sie das Messer, verformt ihr Gesicht zu einer Fratze aus der die Augen jeden Moment herauszuschießen drohen und setzt mit der Messerspitze an der Kehle von Anna-Irene an, während sie, völlig außer sich, aber doch etwas gedämpft in der Lautstärke, schreit: „Ich werde Dir die Haut bei lebendigem Leib abziehen, Du...“.
Weiter kommt sie nicht, denn sie hört, daß hinter ihr die Tür zum Vorzimmer aufgeht, was sie abrupt die Aktion beenden läßt.
Ihr Mann kam früher als erwartet von der Arbeit nach Hause, steckt aber nur den Kopf bei der Tür herein und grüßt. Frau K. zuckt zusammen, verdeckt aber mit ihrem Körper, was sie am Wickeltisch angerichtet hat oder wahrscheinlich schaut er gar nicht so genau, denn er schließt die Tür wieder von außen, geht ins Schlafzimmer und legt sich ins Bett.
Frau K. bindet Anna-Irene wieder los, diese ist sichtlich erstaunt, fast starr vor Schreck und weiß überhaupt nicht, was das alles war, weswegen sie auch die ganze Zeit brav stillgelegen ist. Sie bekommt wieder eine frische Windel, um den Bauch sehr fest zugeschnürt.
In die Scheidung von ihrem Mann willigt Frau K. anfang 1966 letztlich auch noch ein. Wobei sie ihre Bedingungen, die sich rein auf die Kinder beziehen, mit folgenden Worten dem Kindesvater gegenüber vor Gericht vorträgt:
„Die Anna-Irene nehm mir ich und mit der Astrid kannst du machen was du willst.“
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