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Anna conda
Liebe zwei Seelen."
-Helga Schäferling-
Vorsichtig lenke ich den Wagen auf den Parkplatz hinter dem Gebäude und schalte den Motor aus.
Der Regen trommelt aggressiv gegen das Autodach und fließt vor mir die Windschutzscheiben herunter.
In einer Mischung aus Besessenheit und Abscheu starre ich auf die rote erleuchteten Fenster und Türen des Gebäudes. Nicht einmal eine Woche hatte ich es ohne Sie ausgehalten. Sie lockt mich an wie Licht das Insekt.
Von ihr gesteuert, ziehe ich den Schlüssel ab und möchte aus dem Wagen steigen, als mein Handy klingelt. Beim Blick auf das Display läuft es mir kalt den Rücken hinunter.
„Scheiße“, fluche ich leise und lasse mich in den Sitz fallen.
Ich starre die Telefonnummer noch einige Augenblicke an. Dann schließe ich die Augen und nehme den Anruf entgegen.
„Hallo?“
„Ich bin es“, sagt Christine, „wo bist du?“
Sie klingt verzweifelt. Ich schlucke schwer.
„Auf dem Weg zu einem Klienten“, antworte ich und lasse den Kopf sinken.
„Jetzt noch?“
„Ja. Sie haben mir einen neuen Fall gegeben. Ich muss … ich mein, ich komme so schnell wie möglich nach Hause.“
„Schon wieder ...“
„Versprochen!“
Ich knie auf dem kalten Boden und halte den Blick gesenkt. Weiche aber flinke Hände legen mir die Hände auf den Rücken und binden sie mit einem seidenen Stoff zusammen. Der Knoten wird festgezogen und schneidet mir ins Fleisch.
„Wollen Sie sie sehen?“, werde ich gefragt.
„Nein!“, antworte ich rau.
Ein langer Fingernagel gräbt sich in mein Kinn, zwingt mich den Kopf in den Nacken zu legen und ich starre in das schwache Licht der einzigen Lampe im Zimmer. Dann folgt die Dunkelheit.
Sie legen mir eine Augenbinde um den Kopf. Ein fester Ruck im Nacken und auch dieser Knoten sitzt.
„Sie wissen, wie Sie das jederzeit beenden können?“
„Ich weiß es in- und auswendig“, antworte ich und klinge gereizter als beabsichtigt, „Ich bin so weit!“
„Gut!“
Schritte entfernen sich von mir. Dann das Zuschlagen der einzigen Türe im Raum.
„Es ist bereits nach Neun."
„Ich weiß", seufze ich, "Ich werde mich beeilen.“
Stille am anderen Ende der Leitung. Statt einer Antwort höre ich mit an, wie sich Christine ins Schlafzimmer begibt und die Türe schließt. Vermutlich der Kinder wegen.
Das rote Licht ruft mich zu sich.
„Was fehlt dir hier?“, fragt sie mich plötzlich und zerreißt meine Gedanken an das, was im Innern des Gebäudes auf mich wartet.
„Was?“
„Was dir hier fehlt, habe ich dich gefragt!? Bei uns. Bei mir!?“
„Ich verstehe nicht“, lüge ich.
Sie seufzt.
„Was meinst du damit?“
Gespannt lausche ich in die Dunkelheit. Mein Brustkorb hebt und senkt sich gleichmäßig wie eine Maschine.
Die Wände hier sind dünn – sehr dünn. Aus den anderen Räumen dringt animalisches Rufen und Klagen. Ätzende Lust und Qual paaren sich in erlösenden Schreien.
Sie lässt mich warten. Das tut sie immer – foltert mich mit weniger als dem, was ich noch am Leibe trage.
Es ist kühl hier und ein Schauer übernimmt meinen nackten, pochenden Körper.
Plötzlich ein lautes, surrendes Geräusch – gefolgt vom Quietschen einer schweren, aufschnappenden Käfigtür.
„Ein letztes Mal“, flüstere ich mir zu.
„Wenn ich wüsste ,was es ist, würde ich es direkt ansprechen“, seufzt Christine.
„Ich glaube, du suchst nach etwas, dass gar nicht da ist“, sage ich und zucke unter meiner Lüge zusammen.
„Nein! Ich glaube, dass du nach etwas gesucht und es auch gefunden hast“, kontert sie, „Etwas rohes. Etwas, dass dich auffrisst.“
Der Schlag meines Herzens kämpft sich in jede einzelne Faser meines Körpers vor. Ich spüre die nutzlose Erektion zwischen meinen Beinen und beginne schneller zu atmen.
Und wieder lässt sie sich Zeit. Nur langsam bewegt Sie ihren langen, glatten Körper auf mich zu.
Ich hebe den Kopf und starre ins Dunkel. Die Augenbinde nimmt mir nicht nur die Sicht, sondern auch einen Teil der Schuld. Christine und die Kinder erscheinen vor meinem inneren Auge. Ich bitte sie, sich umzudrehen und nicht hin zu sehen. So lange, bis es vorbei ist.
„Was willst du damit sagen?“, frage ich.
„Ich will damit sagen“, sagt Christine beherrscht „Dass ich dich vermisse. Ich vermisse dich sehr. Wir vermissen dich. Auch wenn du hier bist, verstehst du das?“
Ich drücke meinen Kopf gegen die Scheibe, während sich ihre Worte durch meine Eingeweide wühlen.
„Ich weiß nicht mehr genau wann“, fährt sie fort, „Aber ich habe das Gefühl, dass du eines Tages aus dem Haus gegangen bist, und seitdem …
Etwas Unheilvolles schiebt sich in ihre Stimme.
„... seitdem kommt jedes Mal immer weniger von dir zurück. Du … du löst dich auf. Aber worin?“
Das Gefühl ihrer Haut auf der meinen, löst ein elektrisierendes Knistern aus. Meine Haare stellen sich auf und mein Blut beginnt zu kochen.
Sie zieht ihre Kreise um mich - umschließt mich, nimmt mich ein und setzt mich in Brand. Instinktiv rüttele ich an meinen Fesseln.
Ihr Körper zieht sich zu. Sie ist überall. Ein einziger, erbarmungsloser Muskel presst mich zusammen, macht mich hilflos wie ein Kind. Ich lasse es geschehen.
Sie legt sich um meine Kehle und stößt mir ihren heißen Atem ins Gesicht. Mein Brustkorb gibt nach, knackt und ich ringe endlich zitternd nach Luft.
„Ich liebe dich, Christine!“
Sie antwortet nicht. Trotz des Regens kann ich hören, wie sie aufsteht und durch das Zimmer geht.
„Dich und die Kinder. Lass mich nachher nach Hause kommen. Nur noch dieses eine Mal.“
„Das hast du schon sehr oft gesagt ...“, wirft sie mir vor.
„Ich weiß. Es tut mir leid.“
„Ich will … ich will nur nicht, dass irgendwann jemand anderes durch diese Tür kommt und mir dann sagt, wo du verloren gegangen bist.“
„Das wird nicht passieren.“
„ ...dass dann dort jemand steht und mir sagt, dass ich einfach zu lange weggesehen habe. Das würde ich nicht ertragen. Denn ich liebe dich auch!“
Schwere Kiefer legen sich um meinen Kopf. Meine brennenden Lungen schreien nach Luft doch werden erbarmungslos übergangen. Heiß pocht es in meinen Lenden. Das Ende naht.
Riesige Zähne bohren sich durch meine Haut und öffnen mir meinen Schädel. Träge schiebt sich ihre Zunge durch meine Sinne und suhlt sich in allem was mir lieb und teuer ist.
Sie nistet sich ein, verzehrt mich ganz – schluckt und erstickt mich.
Doch noch ehe ich es tatsächlich mit der Angst zu tun bekommen kann, da schließt Sie sich wie eine fleischfressende Pflanze und mein Körper zerfließt in Ihren Säften.
Und im letzten Moment klaren Bewusstseins, da spüre ich wie ich mich in ihr verliere und bin endlich frei.
„Es wird spät. Doch lass mich nach Hause kommen“, bitte ich mit entschlossener Stimme, „Dieses eine Mal noch. Lass mich diese eine Sache noch erledigen und dann komme ich zu dir. Zu den Kindern. Nach Hause.“
Der Regen fällt inzwischen mit einer solchen Wucht herab, als wolle er sich durch das Wagendach hämmern.
Ich kann Sie atmen hören. Sekunden verstreichen wie Minuten.
„Bist du noch dran?“
„Fahr vorsichtig,“ seufzt Sie und legt auf.
Meine Finger pressen sich um das Handy und drohen, es zu zerquetschen. Beunruhigt wie ein angeschossenes Tier, knöpfe ich meinen Mantel zu und ziehe die Schlüssel ab.
„Nur noch dieses eine Mal“, schwöre ich mir und steige aus.
Der massive Körper windet sich unter Krämpfen. Sie würgt, spuckt und versucht zu schlucken. Doch ein Teil von mir, weigert sich mit Ihr zu verschmelzen.
Sie öffnet ihr riesiges Maul und speit aus, was Sie nicht behalten kann.
Denn mein Herz war nie für Sie bestimmt.