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Animo - der technische Untod

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15.04.2008
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Animo - der technische Untod

Das Vorderrad meines Motorrads brach weg. Eine Ölspur, denke ich. Es gab keine Leitplanke. Wir segelten in den Abgrund hinunter, mein Motorrad und ich. Ich kann mich erinnern, dass diese Gegend „Höllental“ heißt, sie liegt im Südschwarzwald. Ich kann mich erinnern, zu denken „Wie schön ist diese Gegend“. Dann hörte ich jemanden schreien. Dann realisierte ich, dass ich es war, der schrie. Dann wachte ich auf.

Meine rechte Niere war durchbohrt, durch einen Bolzen des Dachs der Sägerei, in die ich gefallen war. Mein linkes Auge war durch Plexiglas- und Metallsplitter zerfetzt worden, die durch die Kollision meines Motorrads mit der Portalmaschine in alle Richtungen geschleudert worden waren. Meine Wirbelsäule war massiv verletzt, denn das brechende Blech des Dachs war aufgerissen und hatte sie in einem klaren Schnitt zunächst geschnitten, dann aufgetrennt. Die Kopfschmerzen waren so grässlich, dass ich mir selbst den Tod gewünscht habe. Den wünsche ich mir immer noch.

Die Rehabilitation war grausam. Es war mir unvorstellbar, so leben zu können. Die Unfähigkeit, stehen, oder gar gehen zu können, war grässlicher als alles andere. Nach zwei Wochen kam zu meinen Diagnosen noch die Depression hinzu, welche, wie Dr. Alina sagte, für jemanden in meiner Situation keine ungewöhnliche Erkrankung sei.

Eines Tages sprach mich ein Herr Dr. Avrutin Aquin an. Er stellte sich vor als Neurochirurg, welcher, nach seiner Aussage, in Zusammenarbeit mit seinem Institut, ein System entwickelt hatte, das mir wohl helfen können würde. „Das System ist ein lernender, aktiver Neuronaldetektor. Wir nennen es ‚Animo’“, sagte er, „es wird lernen, welche Signale von Ihrem Gehirn ausgehen, und interpretieren, was Sie meinen, was Sie tun möchten. Mithilfe der systemeigenen Fähigkeit zur Selbstreflexion wird das System die Reaktionen Ihres Körpers und ihres Verstands interpretieren und über evolutionäre Algorithmen und autopoietische Selbstentwicklung lernen, wie es die Signale Ihres Gehirns auf den Rest Ihres gelähmten Körpers korrekt übertragen kann. Sie werden wieder gehen können, Herr Jakob. Das System interpretiert Ihre Nervensignale und ersetzt die verletzte Stelle. Es ist ein intelligenter elektrochemischer Mechanismus, der sich an Ihr Denken anpasst und so, wie eine intakte Wirbelsäule, die Signale, die Ihr Verstand aussendet, weiterleitet.“

Zu diesem Zeitpunkt verstand ich kein Wort. „Wie kann das funktionieren“, fragte ich. Dr. Aquin sagte: „Es wird einige intelligente, dem Verstand ähnliche Algorithmen generieren, und damit die Zusammenhänge der Nervenverbindungen zumindest teilweise wiederherstellen.“
Ich weiß nun, weshalb ich ihn als einen Verrückten gesehen habe, obwohl mein Wunsch, den zu erfüllen er mir versprochen hat, stark war. Ich habe mich für das Angebot des Verrückten entschieden. Sie haben mir das System implantiert.

Nach etwa zwei Jahren konnte ich meine Beine wieder bewegen. Es waren eher unwillkürliche Bewegungen zunächst, aber nach intensivem Training kam die Kontrolle zurück. Nach einem Sturz bemerkte ich sogar das, was mir seit Langem gefehlt hatte: der Schmerz. Er war stark! Glücklich war ich, zu dem Zeitpunkt noch.
Ich habe sehr hart trainiert, wirklich hart, und ich habe schreckliche Schmerzen in Kauf genommen, um wieder dahin zu kommen, wo ich vor meiner Verletzung war. Oftmals ging ich spazieren im Höllental, dort, wo ich verunglückt war, damals. Die Erinnerung an dieses schreckliche Erlebnis war genauso groß wie meine Freude darüber, dass die Maschine, die in meinem Rücken arbeitet, mir mein Leben zurückgegeben hat. Zumindest dachte ich das.

Nach einigen Vorfällen, die mit gebrochenen Beinen geendet hatten, war ich wie neu. Ich fühlte mich so, als wäre niemals etwas passiert. Mein Gefühl war zurückgekommen, und alles was sich unterhalb meiner Hüfte abspielen kann, konnte und hatte sich auch abgespielt.

In Euphorie darüber feierte ich meine Neugeburt nicht mit einem rauschenden Saufgelage oder einer riesigen Abendgala. Ich wanderte entlang eines Wanderpfads, der entlang des Straßenverlaufs geht, an dem ich diese schreckliche Verletzung erlitten hatte.

Als ich einen Geröllhaufen heraufkletterte, rutschte ich aus, und stürzte. Ich habe gefühlt wie mein Genick brach, und ich fühlte auch all die Steine und kleinen Felsen, die auf mich niederprasselten. Ich war bedeckt durch Tonnen von Stein, und niemand wusste, dass ich dort war.

Dann habe ich realisiert, das Sie nach mir gegraben und mich aufgefunden haben. Sie haben mich also gefunden. Nach langer Zeit. Mein Körper ist schon lange tot. Ich habe eine Bitte an Sie: schalten Sie mich ab. Ich existiere seit etwa sechzig Jahren. Meine Batterie hält noch für etwa 130 Jahre. Ich bin so einsam.

Animo.

 

Das Erlebnis war intensiv.
Weg damit, kann man sich schon denken.

Das Vorderrad meines Motorrads brach weg. Eine Ölspur, denke ich.
Wegbrechen ist in dem Zusammenhang irrführend, Wegrutschen wäre besser.

Dann hörte ich jemanden schreien. Dann realisierte ich, dass ich es war, der schrie. Dann wachte ich auf.
Danndanndann. Vielleicht Absicht, dafür aber nicht stakkatohaftig genug, wegen Nebensatz.

Meine rechte Niere war durchbohrt, durch einen Bolzen des Dachs der Sägerei, in die ich gefallen war. Mein linkes Auge war durch Plexiglas- und Metallsplitter zerfetzt worden, die durch die Kollision meines Motorrads mit der Portalmaschine der Sägerei in alle Richtungen geschleudert worden waren.
Ein dreifacher und ein doppelter Genitiv, die mit "der Sägerei" enden.

Meine Wirbelsäule war massiv verletzt, denn das brechende Blech des Dachs der Sägerei war aufgerissen
Nochmal "der Sägerei" und: Blech bricht nicht bei normalen Temperaturen - Du widersprichst Dir da auch selber...

„Das System ist ein lernender, aktiver Neuronaldetektor. Wir nennen es ‚Animo’“, sagte er, „es wird lernen, welche Signale von Ihrem Gehirn ausgehen, und interpretieren, was Sie meinen, was Sie tun möchten. Mithilfe der systemeigenen Fähigkeit zur Selbstreflexion wird das System die Reaktionen Ihres Körpers und ihres Verstands interpretieren und über evolutionäre Algorithmen und autopoietische Selbstentwicklung lernen, wie es die Signale Ihres Gehirns auf den Rest Ihres gelähmten Körpers korrekt übertragen kann. Sie werden wieder gehen können, Herr Jakob. Das System interpretiert Ihre Nervensignale und ersetzt die verletzte Stelle. Es ist ein intelligenter elektrochemischer Mechanismus, der sich an Ihr Denken anpasst und so, wie eine intakte Wirbelsäule, die Signale, die Ihr Verstand aussendet, weiterleitet.“

Zu diesem Zeitpunkt verstand ich kein Wort. „Wie soll das funktionieren“, fragte ich. Dr. Aquin sagte: „Es wird einige intelligente, dem Verstand ähnliche Algorithmen generieren, und damit die Zusammenhänge der Nervenverbindungen zumindest teilweise wiederherstellen.“

Er kriegt mit überreichlich Technobabble erklärt, wie es funktioniert, dann fragt er, wie es funktioniert und bekommt es nochmal erklärt.

Ich weiß nun, weshalb ich ihn als einen Verrückten gesehen habe, obwohl mein Wunsch, den zu erfüllen er mir versprochen hat, stark war.
Da ist sprachlich der Nippel durch die Lasche gezogen - z.B. wieso "obwohl mein Wunsch stark war"?

Glücklich war ich, zu dem Zeitpunkt noch.
Unglücklich der Satzbau ist, junger Padawan!

Nach einigen Vorfällen, die mit gebrochenen Beinen geendet hatten
Gut, im Vergleich zu einer Querschnittslähmung sind gebrochene Beine Kinderkram, aber im Prozeß der langwierigen Reha ist mir das zu läppisch eingeflochen

Mein Gefühl war zurückgekommen, und alles was sich unterhalb meiner Hüfte abspielen kann, konnte und hatte sich auch abgespielt.
Den Satz verstehe ich überhaupt nicht. Was hat sich abgespielt?

Ich wanderte entlang eines Wanderpfads, der entlang des Straßenverlaufs geht, an dem ich diese schreckliche Verletzung bekommen hatte.
Wieder zuviele Abhängigkeiten, 2x "entlang", 2x "wander". Und "bekommen" tut man Geschenke. "Ich wanderte auf einem Pfad entlang der Straße, an der ich diesen schrecklichen Unfall hatte", oder so.

Ich war bedeckt durch Tonnen von Stein, schier unsichtbar.
Ich kann nicht erklären warum, aber "schier unsichtbar" stößt mir übel auf.

Dann habe ich realisiert, das Sie nach mir gegrabt und mich aufgefunden haben. Sie haben mich also gefunden. Nach langer Zeit. Mein Körper ist schon lange tot. Ich habe eine Bitte an Sie: schalten Sie mich ab. Ich existiere seit etwa sechzig Jahren. Meine Batterie hält noch für etwa 130 Jahre. Ich bin so einsam.

Animo.

"Realisiert" ist ein Anglizismus, den ich verabscheue, "gegrabt" ein Flüchtigkeitsfehler.

Die Idee ist ziemlich gut, aber die Auflösung geht mir ein bißchen zu flott, das hättest Du vielleicht unauffällig ankündigen sollen, so daß man sich hinterher an die Stirn patscht und ausruft: "Aber natürlich! Deshalb hat Bruce Willis bei den Gesprächen mit der Mutter nix gesagt!" Öhm, so in der Art.

Warum will Animo denn abgeschaltet werden? Jetzt wo er ausgegraben ist...

 
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Hallo JackOLantern,
ich habe einige Anmerkungen zum Schluss.
Damit diese Geschichte für mich nachvollziehbar wird, denke ich mir das so: Unter der Geröll-Halde wird Animo gefunden, nach maximal 57/58 Jahren – mindestens zwei Jahre hatte ER, sein Träger, ja das System intus. Dann wird Animo aus dem bereits komplett verwesten (!) Körper von IHM heraus- b.z.w. abgelöst und an ein Computersystem angeschlossen. Auf diese Weise kann sich Animo dann mitteilen, diese Geschichte ja erst erzählen und am Ende darum bitten, ihn abzuschalten. Der Wunsch stillgelegt zu werden, ist für mich schon plausibel, denn was hat Animos Existenz für einen Sinn ohne IHN? Da Animo als komplexes selbstreflektierendes und autodidaktisch lernendes System beschrieben wurde, ist es durchaus nachvollziehbar, das er sich mit IHM im Laufe der Zeit vollständig identifiziert hat – Animo berichtet in ICH-Form, obwohl er nicht ER ist! – und nun endlich auch sterben will.
So hat die Story für mich Logik – ob alle Leser dahin kommen, ist die andere Frage. Besser im Text mehr darauf eingehen, Jack.
Gute Tage noch!
kinnison

 
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Hallo Kinnison,

Dankeschön für Deinen Bericht. Du hast es erfasst. Die Idee dahinter war, dass der Erzähler von vorneherein Animo war, und dass er "ausgelesen" wurde.

Der Sinn seiner Existenz kam ja zunächstmal daher, dass er dafür gebaut wurde, wofür er überhaupt gebaut wurde. Dadurch dass er aber zuerst die Bewegungen, dann den Tastsinn, und dann schließlich das Bewusstsein seines menschlichen "Symbionten" in sich aufnahm, hat er irgendwann auch dessen Persönlichkeit übernommen.

Das war die Idee dahinter. Es gibt also keine Unterscheidung mehr zwischen der ursprünglichen menschlichen Seele und der Maschinenseele. Und die Maschinenseele, die überlebt hat, ist ganz alleine, ohne Kontakte, ohne Gespräche oder Input, und leidet furchtbar darunter.

Gruß,
Jack

P.S.: Animo hat vergessen, dass er nicht sein Körper ist.

 

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