Angst vor Verlust
Verlustangst
Es ist schon einfach ein bemerkenswert eigenartiges Gefühl. Einfach, ach was, als wäre es einfach, es ist alles andere nur das nicht. Jedoch ist es ein eigenartiges Empfinden so ganz und gar nicht gebraucht zu werden. Den Sinn seiner Existenz komplett verloren zu haben und sich somit als kleines nichts zu fühlen. Ich liege hier zwischen dem Gemisch aus Sand und Gras am Boden, vereinzelt krabbelt einmal eine Ameise auf mich drauf, merkt aber auch bald, dass ich sehr unspektakulär für sie bin und verschwindet wieder. Eine noch schlimmere Fehlplatzierung als jene im Moment ertrage ich wirklich kaum noch. Was auch wieder nicht stimmt ist kaum, kaum hieße es geht noch einigermaßen, was aber wirklich nicht stimmt. Ich halte es nicht mehr aus, zerbrechen wäre mir vielleicht lieber. Ich komme einfach nicht mit meiner Situation zurecht. Mein Platz ist auf weicher Haut, sicher eingehackt hinter den Ohren eines Menschen. Und zwar genau auf der Nase dieses Menschen, ich sitze perfekt auf ihm. Meine Bügel schmiegen sich rund hinter den Ohren an. Nur so und lediglich hier fühle ich mich wohl und sicher. Aber jetzt, nun liege ich hier auf dem Boden, neben mir stehen auch noch ein paar Turnschuhe. Kann sein, dass sie sich ähnlich fühlen wie ich. Spüren sie doch auch normalerweise die Wärme der Haut eines Menschen. Aber im Gegensatz zu mir, ist ihnen wenigstens die Umgebung vertaut, sie liegen am Boden, dort wo sie hingehören. Aber ich, ich halte es hier am Grund einfach nicht aus. Und wieder einfach, nichts ist einfach verdammt noch mal. Fühle mich hier doch niedergestreckt, abgelegt und vor allem nicht gebraucht. Das schlimmste kommt ja noch. Die Sonne scheint! Die Sonne, unsere Sonne, die Verbindung zwischen mir und diesem besonderen Menschen, der mich gefunden hat, mich zwar zu seinem Eigen gemacht hat, mir aber einen Sinn gegeben hat. Ich bekam den Sinn und ich verlieh ihm Schutz und noch dazu verleiht ihm meine Anwesenheit zu einer schönen Ausstrahlung. Wie soll ich mich denn jetzt fühlen? Abgelegt, nicht mehr gebraucht, nicht mehr gemocht, nicht mehr geliebt. Bin ich nicht mehr attraktiv genug. Wie lange hält denn dieser Zustand noch an? Oder ist die Sonne nicht mehr kräftig und bedeutungsvoll genug, um uns zu verbinden? Meine Stimmung steigert sich langsam zu einem riesigen Minderwertigkeitskomplex. Ist denn mein Ende schon in Sicht, werde ich endgültig abgelegt, aufbewahrt in irgend einer Schublade? Menschen machen das, habe all das schon gesehen, ja, ich war schon dabei. Ungeliebtes wird aus dem Leben verbannt. Menschen wie auch Gegenstände, da gibt es oft keine Unterschiede mehr in der Behandlung. Die Frage kreist immer wieder über mir, in mir und durch mich durch, ist meine Zeit gekommen Abschied zu nehmen? Sobald ich mich von meinem Menschen trennen muss und abgelegt werde ist alles vorbei, meine ganze Existenzberechtigung ist ausgelöscht. Dieser Mensch ist mein ganzer Lebensinhalt. Immer war die Sonne unsere Gemeinsamkeit, haben die Sonnenzeit gemeinsam geteilt, kann das denn vorbei sein? Fragen, Fragen, Fragen und ich habe Angst schreckliche sogar. Antworten werde ich keine finden, wie auch, was weiß ich denn schon wirklich über Menschen, sie sitzen neben mir und ich weiß nichts, weiß nicht, wie es mit mir weitergeht. Kann nur beobachten und warten. Und ich warte, mittlerweile schon so lange, dass endlich was passiert, dass ich endlich wieder an meinen Platz zurück darf und alles so ist wie früher, oder dass dem ganzen so bald wie möglich eine Ende gesetzt wird. Ich werde in die Tasche gepackt, nach hause getragen und dann verschwinde ich auf immer und ewig in einer Schublade oder sammle Staub in einem Regal. So, eines von den zweien. Was passiert, was passiert hier? Eine Hand greift nach mir, nicht die meines Menschen. Nein, das ist nicht die Hand meines Menschen, die mich schnappen will. Sondern von dem zweiten, der schon die ganze Zeit daneben sitzt. Er greift nach meinem Bügel, ahh, wie sanft er mich berührt, genauso schön, wie es mein Mensch zu Beginn unserer Beziehung machte. Was geschieht, ich werde vorbeigehoben an meinem Menschen. Ich freue mich zu früh, ich darf nicht zurück und mich auf seiner Nase niederlassen. Ahh, was macht denn dieser Mensch? Immer weiter, immer näher fliege ich in Richtung seines Gesichtes. Aber ich habe plötzlich keine Angst mehr, die Angst ist verschwunden, dieser neue Mensch den ich nicht kenne, was hat er vor? Ich sitze jetzt auf seiner Nase, die falsche, ich gehöre doch zu dem anderen. Meine Bügel werden hinter die Ohren geklemmt. Nein, nein, sie passen doch nicht zu diesen Ohren! Es hat nicht weh getan, ich fühle mich wohl hier. Kann das sein, es ist schön, sehr sogar! Die neue Umgebung wird, das neue Gesicht, es wird mir immer vertrauter, von Minute zu Minute. Was für ein Gefühl, wie ein Neuanfang! Sitze ich hier auch richtig, kann denn das möglich sein? Passe ich doch nur auf das Gesicht meines Menschen, dachte ich zumindest. Der neue Mensch behandelt mich viel sanfter und rücksichtsvoller als mein Mensch oder sollte ich sagen, so, wie mich mein Mensch zu Beginn unserer Freundschaft behandelt hat. Kann ich hier bleiben, ich möchte so gerne! Eigentlich bin ich schon einige Zeit in diesem Gesicht und ich scheine dem neuen Menschen zu gefallen und wohl zu tun. Er wird mich behalten und mich retten, vor meinem aus, vor meinem mir schon ausgemalten nutzlosen Dasein. Vielleicht werfen sich die Menschen nicht gegenseitig weg und machen das auch nicht mit ihren Gegenständen. Es ist ein Austausch, es ist nur ein Austausch, die Welt dreht sich weiter.