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Angry Seal
Genug! Jetzt reicht‘s!
Das dachte sich Felix Schwarz, nachdem er, im Tram fahrend, den Artikel über eine aufgedeckte Chemieschlamperei in Italien gelesen hatte, die eine großflächige Vergiftung des Bodens zur Folge hatte. Nicht dieser Artikel im Speziellen machte ihn wütend. Nein, es war die gesamte Zeitung, die Leute im Tram, die sich geistig von der Außenwelt abschotteten, unter Benützung von Hilfsmitteln, wie Musikplayern und Handys, und sich dabei so wichtig vorkamen und einen komisch anschauten, wenn man eines der unausgesprochenen ‚Regeln‘ brach, wie zum Beispiel, wenn man sich in einem Viererabteil neben sie setzte und nicht, wie es sich gehörte, schräg gegenüber; und überhaupt war es die gesamte Menschheit, die ihn ärgerte, die Menschheit, die es scheinbar nur darauf abgesehen hatte, diesen Planeten so stark zu schädigen, bis kein Zurück mehr möglich war.
Den meisten Menschen hier in der Schweiz fiel es nicht auf, denn sie lebten in ihrer kleinen Welt, in der sie verwöhnt und mit Luxus gemästet wurden, doch Felix glaubte es besser zu wissen, schließlich war er viel herumgereist, hatte Freunde aus zehn verschiedenen Staaten und informierte sich immer über Weltgeschehnisse aus verschiedenen Quellen.
Die Entwicklung der Gesellschaft schien in der Schweiz in eine gute Richtung zu gehen. Oder um es passender auszudrücken, zu kriechen. Doch was machten schon die mickrigen acht Millionen Menschen aus, die sich von allen internationalen Angelegenheiten fernhielten, als wäre es eine heiße Kochherdplatte? Die große Welt war draußen und dort passierte noch immer viel Schlechtes und Ungerechtes. Die ökologische Situation neigte sich in vielen Ländern ins Negative, der Geldgier und der Konsumwut wegen.
Felix hatte sich schon immer über diese Unstimmigkeiten, die egoistische Ignoranz der Menschen und die darunter leidende Natur Sorgen gemacht. Er hatte immer den Drang gehabt, etwas dagegen zu unternehmen, und nun hatte er das Gefühl von Anfang an alles falsch gemacht zu haben.
„Geh studieren, finde einen guten Job und verändere die Welt“, hatte man ihm gesagt. Jetzt war er Umweltingenieur und Spezialist in nachhaltiger Technologie, arbeitete in einem staatlichen Unternehmen für internationale ökologische Projekte und entwickelte Wasserspardüsen.
„War’s das?“, hatte er sich gefragt, nachdem er ein Jahr in diesem Unternehmen hinter sich hatte. Konnte er damit die Welt retten?
Er fühlte sich betrogen, was seine Wut gegenüber der Menschheit zu steigern schien, doch er merkte bald, dass er es selber war, der den falschen Weg gewählt hatte. Er hätte sich nicht dem Fluss des Systems fügen sollen, brav zur Schule gehen, studieren, eine Arbeit suchen und Steuern zahlen. Denn damit machte er genau das, was die Reichen und die Machthaber wollten. Dann noch nachträglich etwas verändern zu wollen, war ein Faustkampf gegen eine Betonmauer. In der modernen Gesellschaft hatte man längst Nischen geschaffen für eigenartige Menschen, die sich darin auszeichneten die Natur mehr zu lieben, als das Geld. Man steckte sie in Nischen, wie Umweltorganisationen, -behörden, -abteilungen und ähnliche kuriose Dinge mit dem Wort ‚Umwelt‘ darin, bildete Zäune darum, die aus Gesetzen und Vorschriften bestanden und ließen sie arbeiten, auf eine Weise, wie sie ja niemandem in die Quere kommen konnten.
Felix merkte zu spät, dass er von Anfang an alles hätte anders machen müssen und die Wege des Systems umgehen. Er hätte auf einem gesellschaftlich wichtigen Beruf ausbilden lassen, sich einen Job in irgendeinem dreckigen Unternehmen mit viel Einfluss, wie der Erdöl- oder der Fahrzeugindustrie schnappen sollen, dort aufsteigen und dann schließlich anfangen, mit seinem ‚grünen‘ Gedankengut das Unternehmen langsam aber bestimmt und unausweichlich in die richtige Richtung zu lenken.
Nun, dafür war es nun zu spät, er musste einen anderen Weg finden. Er wollte handeln. Seine Geduld gegenüber der Menschheit war am Überlaufen. Er musste etwas tun, etwas Radikales. Aber was?
Die Idee kam ihm später, als er bei der Arbeit im Büro, statt neue Pläne für Wasserspardüsen zu entwerfen, die 47 statt 45 Prozent Wasser einsparen sollten, mit einem alten Freund im Internet kommunizierte. Dieser Freund hieß Nikolai und lebte in Russland.
Nikolai hatte einen Universitätsabschluss als Maschineningenieur, hatte aber nach dem Uni-Abgang schnell gemerkt, dass es doch nicht so zu ihm passte. Statt Ingenieur zu werden, öffnete er eine Werkstatt am Meer in der Nähe von St. Petersburg und reparierte Boote.
Als ihm Felix darüber berichtet hatte, dass sein Leben richtig lief, berichtete ihm Nikolai, dass auch er nicht zufrieden ist und sich inzwischen in seiner Werkstatt wie eine Ratte in der Kanalisation vorkommt, was das auch immer heißen mochte. Er sagte Felix, dass er am liebsten in einem U-Boot durch die Weltmeere segeln - er schrieb tatsächlich segeln - wollte und Abenteuer erleben.
Und plötzlich wusste Felix, was die Lösung seines eigenen Problems war. Ein U-Boot! Eine gefährliche Maschine, die sich durch die Meere an alle möglichen Punkte der Erde begeben könnte, um dort die Ordnung aufzumischen und die Menschen eines Besseren zu belehren.
Felix sagte zu Nikolai, dass sein Traum eine wunderbare Idee sei und fragte ihn, wo er denn so ein U-Boot auftreiben könnte und der schrieb ihm, dass er einen Kollegen hatte, der in Murmansk lebte und Stellen kannte, wo U-Boote aus dem Kalten Krieg ohne Bewachung herumstanden. Daraufhin sagte Felix, dass er an einem solchen U-Boot ebenfalls interessiert wäre und dass sie unbedingt so eines besorgen sollten. Er teilte ihm auch seine ökoterroristischen Absichten mit und Nikolai schien außer sich vor Freude.
Eineinhalb Monate später reiste Felix bereits nach Murmansk, ohne seiner Familie, dem Arbeitgeber oder seinen Freunden irgendetwas zu sagen. Er hatte in der Zwischenzeit Kollegen auftreiben können, die er von seinem Vorhaben überzeugt hatte. Er war sehr vorsichtig gewesen und hatte nur Leute angefragt, von denen er wusste, dass sie nicht nein sagen würden.
Da war zum einen sein Mitbewohner Rolf, der gelernter Elektroniker war, nach zwei Jahren Arbeit seine Stelle verloren hatte und die letzte Zeit keine Motivation fand eine neue zu suchen. Alles langweilte ihn in der Schweiz und er sprach immer davon, dass er eine richtige Herausforderung brauchte, die er nur ungenügend in seinem kuriosen Hobby, Sprengstoffen und elektronischen Zündern, fand.
Zum anderen war da Julia, eine gute Kollegin von Felix, eine wahre Umweltaktivistin, die für Greenpeace auf Kühltürme von Atomkraftwerken kletterte und für den WWF tagelang im Dreck herumbuddelte. Doch auch sie gab sich nie zufrieden mit dem, was sie tat. Wie sie selber sagte, war sie zu wenig radikal und schöpfte ihre Möglichkeiten nie richtig aus. Mit der gleichen Begründung hatte sie ihr Biologiestudium ein Jahr vor dem Abschluss abgebrochen.
Die dritte Person war Linya, eine Koreanerin, die Felix in einem Austauschsemester in Dänemark kennengelernt hatte. Linya hatte damals ein Vollstudium in Kopenhagen gemacht und war danach dort geblieben, um dort bei der Meeresbehörde zu arbeiten. Felix hatte sich erinnert, wie ihm Linya einmal erzählt hatte, dass die Meere schlimmer verschmutzt sind, als oft angenommen und dass die meisten Behörden korrupt waren und Unternehmen so ziemlich alles erlaubten, wenn das nötige Kleingeld bereitlag. Auch ihre Organisation hatte Blut an den Händen. Die Ungerechtigkeit und die fahrlässige Verschmutzung der Weltmeere bereiteten ihr Sorgen und sie wollte raus aus diesem System.
In Murmansk trafen die vier Freunde Nikolai, der seinerseits einen Kollegen aufgetrieben hatte, Valerij, einen seiner früheren Mitstudenten, der ein absoluter U-Boot-Freak war und sich mit Büchern und Simulatoren viel Wissen darüber angeeignet hatte.
Und dann kam auch schon der Bekannte von Nikolai, der vom U-Boot-Friedhof wusste. Er kam mit einem eigenen, verrosteten Boot, der ‚Anastasia‘. Er selber hieß Rudolf und war ein richtiger Aussteiger. Er zeigte ihnen seine verlotterte Hütte am Meer. In einem kleinen Garten zog er Kartoffeln und ein wenig Gemüse auf. Im Winter fischte er. Sein Leben war hart, sagte er, doch er wollte es so. Und als Felix ihm angedeutet hatte, was sie vorhatten, fragte er, ob er sich ihnen anschließen könnte.
Mit der Anastasia fuhr die gesamte Gruppe nach Norden. Auf dem langen Weg passierten sie viele, scheinbar verlassene Häfen mit Wracks von Schiffen, U-Booten und Flugzeugen, doch Rudolf fuhr immer weiter und sagte nur, dass alle diese Stellen unsicher seien, obwohl weit und breit keine Menschen zu sehen waren. Sie verließen die lange Bucht und bogen nach Westen ab.
Am nächsten Morgen befanden sie sich tief in einer baumartig verzweigten, langen Bucht. Vor ihnen befanden sich alte, halbversunkene Docks, Überreste von Hochhäusern an Land und fast ein Dutzend Schiffe und U-Boote. Die meisten davon waren in einem kläglichen Zustand, doch einige U-Boote schienen noch völlig intakt.
Die Gruppe näherte sich mit ihrem Schiff einem der U-Boote, welches gemäß Rudolf das Beste war. Obwohl er versicherte, dass er hier noch nie auf Menschen gestoßen war, verspürte Felix eine starke Nervosität und wäre fast am liebsten umgekehrt. Doch er hatte all diese Leute hierher gebracht, ein plötzlicher Rückzieher käme einem Verrat gleich.
Trotz der Tatsache, dass das ausgewählte U-Boot wohl mehrere Jahre im Wasser gestanden hatte, Eis und Kälte schutzlos ausgesetzt war, sah es so aus, als könnte es gleich jetzt in den Krieg ziehen. Nach einer genaueren Inspektion von außen schätzte Valerij, dass es sich um ein Jagd-U-Boot der Klasse Victor 1 oder 2 handelte. Das Ding stammt wahrscheinlich aus den 70er Jahren, hatte etwa sechs Torpedorohre und zwei kleinere Atomreaktoren für den Antrieb. Valerij erzählte, dass diese U-Boote bis zu 400m tief tauchen konnten und eine Reisegeschwindigkeit von mehr als fünfzig Kilometer pro Stunde erreichen konnten.
Felix kletterte mit Nikolai und Valerij auf das glatte Deck des U-Bootes. Sie öffneten nach etwa zwanzig Minuten Rumprobierens eine Einstiegsluke und kletterten hinein. Felix ging als erster und stieg langsam die instabil wirkende Leiter nach unten, ließ den muffigen Geruch, die Kälte, die aus dem Inneren des riesigen Metallfisches kam und die unheimliche Dunkelheit auf sich einwirken. Und plötzlich, zum ersten Mal auf dieser Reise fühlte er sich wohl. Die drei erkannten schnell, dass ein großer Teil der Technik in der Nähe der Luke fehlte, doch weiter im Inneren schien vieles noch intakt zu sein.
Sie kletterten wieder heraus und Felix erkundigte sich bei Rudolf, ob es eine gut versteckte Stelle in der Nähe gab, wo sie am U-Boot ungestört arbeiten konnten. Rudolf kannte eine. Als der Abend in die Nacht überging brachte man Stahlseile an dem schwarzen Ungetüm an und das Schiff wurde mit der Gewalt von Anastasias Dieselmotor aus dem Griff des Docks befreit. Als es kratzend aus der Untiefe in die Bucht gezerrt wurde, erwartete jeder, dass das Boot absäuft, doch es schwamm beharrlich weiter. Im Schutze der Dunkelheit wurde das Boot kriechend langsam aus der Bucht in eine andere gezogen.
Jeder in der Gruppe verspürte eine drückende Angst, entdeckt zu werden. Denn für das, was sie hier taten, konnte man sie womöglich auf der Stelle erschießen. Das dachten sie zumindest.
Die andere Bucht lag nicht weit entfernt, doch sie war völlig frei von Spuren der Zivilisation. Das Boot wurde unter einen überhängender Felsen gezogen, wo es geschützt war von Blicken vom Festland aus und aus der Luft. An allen Stahlseilen zerrend, zog es die ganze Gruppe so nahe wie möglich zum Felsenrand und machten es fest.
Sie setzten sich danach alle auf das Deck des ruhig vor sich hin schaukelnden Bootes und aßen etwas, zufrieden mit sich selbst und doch unsicher, was sie hier eigentlich taten. Julia sagte, dass sie einen Namen brauchten für das Boot. Rolf schlug den Namen ‚Angry Seal’ vor, weil das U-Boot für ihn wie eine Robbe aussah. Der Vorschlag gefiel allen. Felix hielt den Namen für bescheuert, doch er konnte sich damit identifizieren und stimmte zu.
Felix erklärte den anderen, dass sie das Boot nun fahr- und tauchtüchtig machen sollten, aber dass er da eigentlich nicht viel Ahnung davon hätte. Sie fanden heraus, dass das Boot die beiden Reaktoren noch hatte und sogar mit noch acht Torpedos ausgerüstet war. Felix schätzte, dass die Reaktoren noch genügend Brennstoff haben sollten, ansonsten konnten sie sich noch an den anderen Booten bedienen und dort noch brennfähig Uranpellets herausholen. Linya konnte es kaum fassen, dass der Uranbrennstoff nicht aus den Reaktoren entfernt worden war und alles einfach so herumstand, worauf Rudolf traurig erwiderte, dass das Russland sei und das es hier sogar möglich war, den Teufel in der Kirche anzutreffen.
Julia fragte Felix, ob er denn eigentlich eine Ahnung von Kernreaktoren hatte, worauf er antwortete, dass er nur die Theorie dahinter kannte und in seinem Studium einmal einen Reaktorsimulator bedienen durfte, den er jedes Mal ungewollt zur Schmelze brachte. Valerij beruhigte sie alle dann, indem er erklärte, dass in den U-Booten die ganze Reaktorsteuerung stark automatisiert sei und war das System einmal hochgefahren, würde es einem schon mitteilen, was man wissen sollte. Von der Strahlung muss man sich auch nicht fürchten, da sie auf tiefem Niveau ist, wenn der Reaktor ausgeschaltet ist und es spezielle integrierte Vorrichtungen gibt, um die Brennstäbe herauszuholen und auszutauschen.
Am nächsten Tag wurde das ganze U-Boot gründlich nach Mängeln abgesucht. Vieles an der Elektronik fehlte, doch wie Nikolai sagte, war alles irgendwie ersetzbar. Die sieben Kollegen reisten mit der Anastasia zurück nach Murmansk, wo jeder einen Auftrag bekam. Man versprach sich, in spätestens einem Monat wieder zurück zu sein. Diverses musste aufgetrieben werden. Dafür stellte Felix sein Privatkapital zur Verfügung, dass er seit Jahren auf die Seite gelegt hatte, um sich eine eigene Solaranlage zu bauen.
Felix reiste zusammen mit Nikolai zu dessen Werkstatt in St. Petersburg, wo sie nötige Ersatzteile zusammensuchten. Man merkte schnell, dass das Geld wohl auf Dauer nicht ausreichen würde. Nikolai sagte dann, dass er noch jemanden kennen würde, der ihnen womöglich helfen könnte. Er setzte sich sogleich mit diesem Jemand in Verbindung. Er war sein alter Freund Anton, der in Deutschland lebte und freischaffender Informatiker war.
Anton erklärte, dass er bereit war, ihnen zu helfen, unter der Bedingung, dass er in ihre Sache einsteigen durfte, was man ihm natürlich nicht verwehrte. Nur wenige Tage später kam er nach St. Petersburg. Er berichtete ihnen, dass er vor Jahren Programme vorbereitet hatte, mit denen er fähig war, Leuten, die ihre Bankgeschäfte online erledigten die Konto- oder Kreditkartenangaben zu stehlen und zu benutzen. Er hatte es noch nie benutzt, da das Risiko, entdeckt zu werden einfach zu hoch ist.
Felix erklärte ihm, was er und seine Leute vorhatten und er schien begeistert von der Idee zu sein. Er sagte, dass sie sowieso einen Informatiker im Team brauchen würden und er war der perfekte Mann dazu. Mit seinem Laptop mit Satellitenanschluss ging er ins Internet und leerte die Bankkonten ausgewählter Personen. Nach Absprache mit Felix und Nikolai waren seine Opfer Inhaber großer Chemiekonzerne und Erdölfirmen. Auch Jagdclubs, Hundezüchtungsvereine, einzelne Kosmetikfilialen und politische Parteien wurden ausgeräumt, obwohl ihre Vermögen gegenüber den Chemie- und Erdölchefs wie Trinkgeld aussah. Das gestohlene Geld kam in Konten, welche in kleineren Schweizer Banken neu erschaffen wurden. Gesamthaft war die Beute mehrere Millionen schwer, doch Anton versicherte, dass man einige Geldverschiebungen zurückverfolgen könnte und sie einen Teil des Geldes womöglich verlieren werden, was dann auch geschah. Was ihnen blieb, waren fast eineinhalb Millionen Euro. Sie waren zufrieden.
Wenige Wochen später trafen sich alle Gruppenmitglieder wieder in Murmansk. Alle waren gekommen.
Felix und Nikolai waren mit einem kleinen Lastwagen angereist. Den brauchten sie, um größere Ersatzteile, Elektronik und große Werkzeuge, wie Schweißgeräte und hydraulische Scheren zu transportieren. Julia kam ebenfalls mit einem gemieteten Lastwagen voller Nahrungsmittel, Kleider und wichtigen Haushaltsartikel. Linya brachte Meeresbodenkarten der ganzen Welt, Informationen zu Häfen und Buchten und Instrumente für Unterwasseruntersuchungen mit sich. Rolf hatte mehrere Koffer voller Werkzeuge, Elektronikersatzteile und Funkausrüstung dabei. Rudolf hatte seinen alten Kahn für die Überfahrt in Ordnung gebracht und hatte inzwischen einen Arbeitskran in dessen Mitte montiert. Auf der Anastasia befanden sich auch schon ein mobiler Diesel-Stromgenerator und eine Solaranlage mit leistungsfähigen Akkumulatoren. Valerij brachte Bücher über U-Boote und Schiffe, mehrere Computer mit U-Boot-Simulatoren und wochenlanges Training mit sich. Auch Anton hatte mehrere Computer dabei und dazu noch kompakte Stationen, für den Satellitenanschluss.
Alle Sachen wurden auf die Anastasia verladen und die Gruppe fuhr zur Angry Seal. Das U-Boot lag immer noch unverändert an der gleichen Stelle und schaukelte kaum merkbar in den Wellen. Diesmal fühlte sich Felix viel sicherer, als er sich auf die Hülle des etwa neunzig Meter langen Bootes stellte.
Der Kahn wurde ausgeladen, die Materialien auf der felsigen Küste gut verstaut. Das Boot wurde bei Flut soweit es ging aufs Land gezerrt und die Arbeiten begannen. Unter der Leitung von Nikolai wurden alte, kaputte Teile aus dem Boot entfernt. Während sich dann Nikolai und Rolf, um die Reparaturarbeiten an elektrischen Teilen des Schiffes kümmerten, brachte Anton die Bordcomputer zum Laufen. Mit der Hilfe von Valerij wurde ein U-Boot-Simulator an das Bordsystem gekoppelt, um die Steuerung des Bootes zu erleichtern. Rudolf und Julia kümmerten sich um die Torpedos, brachten sie mit Hilfe des Krans nach draußen, reinigten sie und erneuerten die Elektronik. Dabei merkten sie, dass zwei der Torpedos gar keine einfachen Torpedos waren. Es waren vielmehr eine Art Raketen. Valerij erklärte sogleich, dass es sich womöglich um Lenkwaffen des Typs Starfish handelte, welche aus den Torpedorohren verschossen werden konnten, von dort zur Oberfläche geleitet wurden und danach mit Hilfe der Raketenantriebe zu ballistischen Flugkörpern wurden. Die Starfish wurde früher sowohl mit konventionellen als auch atomaren Sprengköpfen ausgestattet. Keine der beiden Arten kam bei den vorhandenen Exemplaren der Angry Seal vor. Die Kopfkapseln der Raketen waren leer.
Felix hatte sich gut über U-Boot-Reaktoren informiert und als die Basiselektronik da war, riskierte er es, die beiden Druckwasserreaktoren hochzufahren. Auch nach Stunden hatte keiner der Reaktoren Kritikalität erreicht, keine Kettenreaktion kam zustande. Offensichtlich war der Kernbrennstoff aufgebraucht. Mithilfe eines, in den Reaktor eingebrachten, Aktivitätsmessgerätes, erfuhr er, welche Stäbe am schwächsten Strahlten. Mit einem vorhandenen Greifarm wurden die Stäbe einer nach dem anderen entfernt und in Spezialbehälter aus Blei eingelegt. Mit dem Kran auf der Anastasia wurden die Behälter durch die Reaktorluke herausgeholt. Felix, Nikolai, Rudolf und Linya fuhren dann zum U-Boot-Friedhof, wo die Angry Seal herkam. Sie durchsuchten die dort liegenden Boote nach Kernmaterial, überprüften die Aktivitäten und holten passende Stäbe aus den Kernreaktoren, indem sie die nötigen Elektronikteile des Bordsystems mit Strom vom Kahn versorgten und die in den jeweiligen Reaktoren vorhandenen Einrichtungen einsetzten.
Zusätzlich zu den Stäben holten sie noch zwei einigermaßen gut aussehende Torpedos aus dem U-Boot. Sie verluden alles auf die Anastasia und kehrten zurück.
Die neuen Stäbe wurden in die Reaktoren der Angry Seal eingesetzt. Felix versuchte einen neuen Start. In Schweiß badend vor Aufregung brachte er im ersten Reaktor eine kontrollierte Kettenreaktion zustande und übergab dem Reaktorsteuersystem die Kontrolle. Es klappte auch beim zweiten. Beide Reaktoren erbrachten eine Leistung von knapp 95 Megawatt. Genügend Energie, um eine Kleinstadt zu versorgen und dennoch weniger als die 140 Megawatt, die geleistet werden würden, wäre das Brennmaterial völlig frisch. Felix schätzte die Zeit, während der die Reaktoren noch laufen würden auf maximal drei Jahre.
Nachdem Nikolai und Rolf die beiden Generatoren repariert hatten, wurde die Stromversorgung völlig von Angry Seals Reaktoren übernommen. Die mobilen Generatoren wurden weggeräumt. An diesem Abend feierte das Team die Erweckung der Angry Seal zum Leben.
Die darauf folgenden Tage beschäftigte sich die Gruppe mit den Frischwasser- und Abwassersystemen, der Lufterneuerung und der U-Boot-Steuerung. Die Ruder wurden getestet und kalibriert. Die massive Schraube war völlig verrostet. Sie wurde mit viel Mühe entfernt und durch eine neue, speziell gefertigte, ersetzt. Die integrierten Not-Dieselgeneratoren und die beiden Notfallantriebe, mit ihren eigenen kleinen Schrauben, wurden ebenfalls wieder zum Laufen gebracht. Die Wassertanks und Tauchventile waren völlig verrostet und mussten vor Ort aus Stahlplatten neu geschweißt werden.
Valerij bestand darauf, dass man einen aktiven Ortungsschutz einbaute, der bei der Angry Seal allem Anschein nach fehlte. Nikolai und Rolf übernahmen diese Aufgabe und bastelten einen Kasten, der sich aus den Torpedorohren herausschießen ließ. Dabei verwendeten sie auch ein Sonargerät von Linya. Der Kasten würde nach dem Herausstoßen im Wasser schweben bleiben und starke Sonarimpulse von sich geben, um die Aufmerksamkeit von Ortungsmannschaften und Sonarsuchtorpedos auf sich zu lenken.
Die Außen- und Innenhülle wurde wo nötig repariert und mit einem neuen Spezialanstrich versehen, der angeblich weniger Radarwellen zurückwarf. Julia malte dazu noch im vorderen Teil des Bootes eine bösartig grinsende Fratze, die das Schiff tatsächlich wie eine Robbe aussehen ließ und seinem Namen alle Ehre machte.
Neue Außensensoren, welche Linya mitgebracht hatte, wurden so gut es ging außerhalb des Bootes installiert und mit dem Inneren Bordsystem in Verbindung gebracht. Anton und Valerij sorgten dafür, dass jedes der vorhandenen Torpedos Kameras und eine Steuerung erhielten, damit auch nach dem Abfeuern noch die Möglichkeit bestand, diese zu lenken.
Als Letztes kam die Innenausstattung dran, wobei hier die Frauen die Führung übernahmen. Die Küchen, Toiletten, Schlafräume und der Kontrollraum wurden geputzt, aufgeräumt und neu gestrichen. Das Boot war für mehr als siebzig Personen ausgelegt, benutzen würden es nur acht. Deshalb blieben die meisten Mannschafträume völlig leer.
Nach etwa eineinhalb Monaten nach der Ankunft beim Boot, neigten sich die Arbeiten ihrem Ende zu. Es gab natürlich noch vieles, was man verbessern und reparieren konnte, doch die Basisfunktionen waren da.
Beim gemeinsamen Essen im U-Boot-Verpflegungsraum gratulierte Felix allen sehr herzlich und kündigte an, dass sie an nächsten Tag eine Testfahrt machen würden. Nikolai schlug vor, jedem im Boot eine klare Funktion zuzuweisen. Während Felix von allen ohne Gegenstimmen zum Kommandanten erkoren wurde, wurde Nikolai der Bordingenieur. Valerij würde die Steuerung des Schiffes übernehmen, Rolf die Bewaffnung. Anton wurde zum Informationstechniker ernannt, Lydia hatte sich um die Navigation und die Sensoren zu kümmern. Rudolf meldete sich freiwillig zum Koch, da er das gerne tat und Julia wurde zur Bordwissenschaftlerin und -ärztin.
Am nächsten Tag wurde das U-Boot von der Anastasia in das tiefere Wasser der Bucht herausgezerrt, woraufhin alle das Schiff bestiegen und die Luken dicht gemacht wurden. Im Kontrollraum stehend merkte Felix rasch, dass die Steuerung nicht einfach fallen werde, da man fast blind war und sich auf die Außensensoren verlassen musste. Zwar hatte das Team an zahlreichen Stellen Kameras installiert, doch diese lieferten keine vertrauenswürdigen Bilder. Linya aktivierte das Sonar, das GPS und das Ambient Noise Imaging, ein System für die Anzeige von Geräuschveränderungen im Wasser, welches sich eigentlich noch in der Entwicklung befand, und meldete sich bereit. Felix befahl Valerij, die Motoren anzulassen. Das Schiff gewann schnell an Fahrt und fuhr mit knapp fünfzig Kilometern pro Stunde unter den Jubelschreien des Teams aus der Bucht heraus. Außerhalb der Bucht probierte Valerij einige Manöver aus, die Steuerung funktionierte gut, auch wenn ein wenig träge.
Felix entschied, sie sollten einen Tauchgang machen. Durch das Wasser gleitend ließ Valerij die Tanks fluten und die Tauchflügel anwinkeln, während Linya ständig die Karten und die Sensoren im Auge behielt, um sicherzustellen, dass sie nirgends reinfahren würden. Nikolai kam ihr zu Hilfe, da sie schnell überfordert war.
Die Angry Seal begann zu sinken und verschwand einige Sekunden später unter der Wasseroberfläche. Sie stoppten das Abtauchen bei fünf Metern. Felix befahl tiefer zu gehen und das Schiff sank immer weiter. Bei dreißig Metern begann sich ein unheimliches Knarren im U-Boot auszubreiten. Julia fasste leicht verängstigt den neben ihr stehenden Rudolf am Ärmel. Das Knarren wurde immer heftiger, je tiefer sie gingen. Felix befahl den nicht beschäftigten Teammitgliedern alle Bereiche des Schiffes zu inspizieren, als die Sinkfahrt bei etwa fünfzig Metern beendet wurde. Rolf meldete gleich darauf über das interne Kommunikationssystem, dass er zwei Wassereinbrüche gefunden hatte und auch Julia meldete einen.
Die Nachricht ließ allen im Kontrollraum das Blut in den Adern gefrieren, doch schon bald darauf kamen die Nachrichtüberbringer zurück und beruhigten alle. Bei den Wassereinbrüchen handelte es sich nur um kleinere Rinnsale.
Felix befahl zum Auftauchen und zur Rückkehr zur ‚Basis‘. Die letzten Meter des Auftauchens gingen nicht so einfach, wie erwartet. Valerij musste die Tauchflügel voll anwinkeln. Nikolai vermutete, dass Wasser zwischen den zwei Hüllen eingedrungen war.
Wieder an Land, wurde das eingedrungene Wasser abgepumpt und die Außenhülle nach Schäden untersucht. Zahlreiche kleinere Risse wurden entdeckt, vor allem am Bauch, die wahrscheinlich durch die Herumschieberei des Bootes am Grund entstanden waren. Mit Hilfe von Seilen und der Anastasia wurde das U-Boot im Wasser auf eine Seite gekippt und die Risse wurden mit Stahlplatten abgedeckt und verschweißt.
Nun schien alles bereit zu sein. Felix meldete bei einer Sitzung, dass die Angry Seal bereit war für ihren Kreuzzug gegen die Menschen. Sie diskutierte, was denn ihr erstes Ziel sein würde und nichts anderes als der Walfang schien offensichtlicher zu sein. Man wusste noch nicht genau, wie man vorgehen sollte, doch eines war klar, man musste als erstes in ein Walfanggebiet fahren. Julia erklärte, dass ein riesiges Walschutzgebiet der International Walfang-Kommission rund um die Antarktis existiere, wo Länder, wie Japan trotz Verbot immer wieder jagen. Nikolai sagte darauf, dass es ziemlich riskant sein könnte, bis in die Antarktis zu fahren. Dann zeigte Julia eine Karte, wo alle bekannten Walfanggebiete aufgetragen waren. Zwei davon befanden sich ganz in der Nähe: Die Gebiete rund um Spitzbergen und bei Norwegen.
„Die Medien in Europa schreien immer, wenn Wale von Japanern gejagt werden“, sagte sie, „ doch was man vergisst, ist, dass Norwegen seit Jahren schon das internationale Seerecht missachtet und Wale jagt. Das Land hatte bei der Internationalen Walfang-Kommission im Jahre 1982 als einziges Land ein Veto gegen den Schutz der Wale eingelegt und fühlt sich dadurch nicht an das internationale Recht gebunden. Jemand müsste Norwegen eine Lektion erteilen.“
Valerij betrachtete aufmerksam die Karte.
„Ich würde vorschlagen“, sagte er dann, „wir meiden die Gebiete in der Nähe von Norwegen. Da wimmelt es nur so von U-Booten. Soviel ich weiß ist Spitzbergen dagegen ziemlich frei.“
Und so entschloss sich das Team nach Spitzbergen zu fahren. Felix fragte Rolf, ob die Torpedos einsatzbereit wären, worauf er versicherte, dass sie schwimmen würden, doch der Sprengstoff in den Köpfen sei ziemlich alt und wahrscheinlich nicht zu gebrauchen. Er würde neuen mischen und so viele Köpfe wie möglich damit bestücken.
Bevor die Angry Seal endlich in den Krieg ziehen konnte, musste die Gruppe sich noch um Abfälle kümmern, die bei der Reparatur des Schiffes entstanden waren. Alles wurde auf die Anastasia verladen und nach Murmansk gefahren. Während Rolf Läden nach Stoffen, die er für die Sprengstoffherstellung brauchen würde, absuchte, entsorgte der Rest des Teams die Abfälle fachgerecht, soweit es in Russland überhaupt möglich war. Metall- und Elektronikteile wurden von Linya, Julia und Anton auf einen Schrottplatz gebracht. Den Rest transportierten die anderen auf eine städtische Deponie, deren Anblick Felix das Herz regelrecht zusammendrückte. Er wusste zwar von der fehlenden Professionalität und dem fahrlässigen Umgang mit gefährlichen Stoffen auf den Deponien, doch es schockierte ihn jedes Mal aufs Neue. Alles wurde dort einfach auf einen Haufen gekippt und angezündet. Während die Haufen langsam vor sich hin rauchten, Dioxine und andere giftige Substanzen in die Atmosphäre freisetzten, gelangten wasserlösliche Substanzen in den Boden, das Grundwasser und den in der Nähe verlaufenden Fluss, da jegliche Abdichtung des Bodens einfach fehlte.
In der Nacht traf das Team wieder zusammen. Ein Großteil der Bleibehälter mit den ausgedienten Brennstäben aus der Angry Seal wurden der Stadtverwaltung vor die Eingangstore gelegt und die Gruppe stach wieder in See.
Am nächsten Tag erreichten sie ihr U-Boot. Die Anastasia wurde unter das Felsendach gestellt und festgemacht. Mit Tränen in den Augen verabschiedete sich Rudolf von seinem Schiff und auch der Rest des Teams erfüllte ihn seine Ehre mit einer Schweigeminute. Sie alle waren der Anastasia dankbar, ohne welche das ganze Projekt wahrscheinlich gar nicht möglich gewesen wäre. Dann stiegen alle in die Angry Seal und das U-Boot verließ im gemächlichen Tempo die Bucht.
Die Fahrt war ruhig. Niemand war euphorisch oder zeigte Anzeichen von Panik, niemand sprach viel, alle gingen konzentriert ihren Aufgaben nach. Felix kam es vor, als wäre er schon seit einer Ewigkeit auf diesem Schiff und mit diesem Team zusammen. Die Tatsachen, dass er sich fünfzig Meter - tiefer wagten sie sich noch nicht - unter Wasser befand und wenig Ahnung von der Führung eines U-Bootes hatte, beunruhigten ihn seltsamerweise überhaupt nicht.
Anton hatte mit Linya einen schlängelnden, tausend Kilometer langen Pfad ausgearbeitet, der die Wahrscheinlichkeit auf andere Schiffe und U-Boote zu stoßen, wie Anton versicherte, minimierte. Und nach rund einem Tag ohne Zwischenfälle hatten sie die Barentssee durchquert. Sie kamen in die Nähe von Spitzbergen, tauchten auf und gingen in eine, die Inseln umrundende, Fahrbahn über. Anton überwachte über Satellit verschiedene Online-Schiffsradare und suchte nach Fischerbooten. Sie sichteten zahlreiche kleinere Schiffe, denen Sie vorsichtig aus dem Weg gingen und hängten sich an die Fersen eines größeren Fischerbootes, bis sie sich vergewissert hatten, dass es kein Walfangschiff war. Mit solchen kurzen Verfolgungen und Ausweichmanövern beschäftigten sie sich zwei Tage, ohne nur einen einzigen Walfänger zu finden. Auch Wale kamen ihnen nicht gerade viele über den Weg. Nur gerade acht Mal konnte das Ambient-Noise-Imaging-Gerät - Felix wollte das Sonar so wenig wie möglich benutzen - größere Objekte unter Wasser feststellen, von denen fünf als Fischschwärme interpretiert wurden und der Rest als walartige Wesen. Julia wurde langsam ungeduldig und recherchierte stundenlang im Internet nach Hinweisen, die ihnen helfen könnten.
Am dritten Tag hängten sie sich an zwei zusammen schwimmende, als Fischerboote deklarierte, Schiffe. Das Vordere davon war ein etwa fünfzig Meter langes, rotweiß bemaltes Boot mit großen Kränen am Heck. Das Hintere war wesentlich kleiner, wahrscheinlich ein Beiboot. Die Schiffe fuhren langsam Richtung Westen und gerade als Felix zum Abdrehen befehlen wollte, tauchte eine Gruppe von fünf Walen, die Julia als Zwergwale bezeichnete, in der Nähe auf.
Die Schiffe nahmen Kurs auf die Walgruppe, näherten sich ihr von hinten von rechts und links. Für Felix war klar, dass sie ihr Ziel hatten und befahl zum Abtauchen. Die Angry Seal ging runter auf zwanzig Meter und fuhr in Richtung der beiden Schiffe. Valerij richtete das U-Boot auf das größere der beiden Schiffe und folgte ihm in einer Distanz von zweihundert Metern.
Auf Befehl von Felix über das Bordkommunikationssystem machte Rolf zwei Torpedos bereit, schob sie mit Hilfe von Rudolf und eines Kranes in die Torpedorohre und startete das manuelle Steuersystem. Anton übermittelte ihm, dass man beim anvisierten Schiff mit einen Tiefgang von etwa sieben Metern rechnen musste und Rolf richtete dementsprechend die Höheneinstellung.
Alles war bereit und Felix merkte, dass ihn alle Anwesenden in der Kommandozentrale angespannt ansahen. Sie warteten auf seinen Befehl. Erst jetzt fragte er sich, was sie da eigentlich taten. Sein stark klopfendes Herz störte ihn beim Denken und dennoch wurde ihm klar, dass sie gerade dabei waren, ein Schiff anzugreifen. Bei diesem terroristischen Akt war es nicht ausgeschlossen, dass Menschen zu Schaden kommen. Menschen, welche Fische und Wale nicht aus Spaß jagten, sondern weil es ihr Job war. Damit verdienten sie ihr Geld, das sie und ihre Familien zum Überleben brauchten. Auch machte sich Felix Gedanken über die Verschmutzung, die sie mit dem Versenken des Schiffes anrichten würden. Ein Fischerboot, war, wie fast jedes andere Schiff auch, eine bunte Ansammlung giftiger Materialien, welche man an Land wahrscheinlich nie in solchen Mengen zum Bau irgendwelcher Maschinen erlauben würde. Wer würde sich darum kümmern?
Alex blickte jeden der anwesenden Teammitglieder an. Linya wich seinem Blick aus, Anton und Valerij erwiderten seinen Blick mit fragenden Gesichtern. Julia schaute Felix hart und aufdringlich in die Augen und Nikolai wirkte ein wenig hilflos.
„Was ist nun? Wir sind bereit“, meldete sich Rolf über die Kommunikationsanlage aus dem Torpedoraum. Seine Stimme war ungeduldig.
Zum Teufel damit, dachte Felix. Zum Teufel mit all diesen Walfängern. Keine langen Überlegungen mehr. Keine Gnade.
Er blickte nochmals zu Nikolai, der auf einmal völlig selbstsicher erschien und nickte ihm zu. Nikolai begriff, ging zur Fernsprechanlage hinüber und drückte die Sprechtaste.
„Rolf, Rudolf… Feuer frei mit zwei Torpedos.“
„Verstanden, feuern mit zwei Torpedos.“
Felix wischte sich die feuchten Handflächen an den Hosen ab und ging zu den Bildschirmen hinüber, wo einerseits die Routen der Torpedos angezeigt werden würden und andererseits die Kameraübertragung von den Torpedokameras.
Für einen kurzen Moment schüttelte das U-Boot ein wenig mehr als sonst.
„Torpedos abgefeuert“, ertönte Rolfs Stimme und einer der Bildschirme zeigte zwei gestrichelte Linien, die versetzt parallel vom U-Boot wegbewegten. Alle starrten wie verzaubert auf die Bildschirme. Die Torpedokameras lieferten völlig nutzlose, verwackelte Bilder von den Nasen der Waffen. Rolf würde es schwer haben, wenn sie nur nach der Sicht ausrichten müsste, doch es war gar nicht nötig. Die Richtungen stimmten. Nur wenige Sekunden nach dem Abfeuern verschwand die Bildübertragung beider Torpedos und der Bildschirm mit den Pfaden zeigte die Zerstörung beider Waffen an. Das Ziel war getroffen.
Es wurde ganz ruhig im Kommandoraum. Felix kam es vor, als hätte die Angry Seal selbst die Luft angehalten. Mit trockener Stimme befahl er auf Periskoptiefe zu gehen. Oben betrachtete er das getroffene Schiff. Weder Rauch noch Feuer war zu sehen, doch auf dem Schiff herrschte reges Treiben. Leute rannten herum, fuchtelten mit den Armen. Dann bemerkte Felix, dass das Fischerboot mit dem Heck voran am Sinken war. Die Torpedos waren zwar nicht explodiert, doch hatte der Impuls anscheinend ausgereicht, um die Hülle des Schiffes zu beschädigen.
Rettungsboote wurden zu Wasser gelassen, das kleinere Schiff näherte sich dem großen, um Leute aufzunehmen. Felix verspürte den plötzlichen Drang hinzufahren und den Menschen zu helfen, doch besann sich gleich wieder. Er durfte jetzt keine Schwäche zeigen.
Die Angry Seal ging auf dreißig Meter hinunter und fuhr in schnellem Tempo nach Norden, als würde sie dem entfliehen wollen, was sie gerade getan hatte. Die Stimmung an Bord war bedrückt. Alle zwangen sich zu einem Lächeln, doch war die gespielte Freude und die Angst, die sie verspürten, nicht zu übersehen.
Erst am nächsten Tag, als die Angry Seal in hundertfünfzig Kilometern vor der Küste Spitzbergens stoppte, rief Felix das Team zusammen und entschied sich darüber zu reden. Er beruhigte alle und sagte, dass sie das Richtige getan hatten und dass beim Angriff wohl niemand zu Schaden gekommen war. Doch er möchte niemanden zwingen damit weiterzumachen, sollte jemand aussteigen wollen, dann war das jetzt der richtige Zeitpunkt. Alle meldeten, dass sie bereit waren weiterzumachen, obwohl Rudolf zuerst etwas unsicher wirkte.
Die Stimmung wurde wieder lockerer. Die Leute redeten darüber, wie sie den Angriff erlebt hatten, welche Gedanken ihnen durch den Kopf geflogen waren und welche Angst sie hatten. Rolf sagte, dass die Sprengköpfe der Torpedos nicht funktioniert hatten, womöglich weil er die alten Zünder verwendet hatte. Er wollte sich gleich darum kümmern und versicherte, dass die restlichen sechs Torpedos nicht versagen würden. Anton fand im Internet Berichte über ihren Angriff. Man hatte keine Ahnung über die Angry Seal. Norwegen machte Russland für den Anschlag verantwortlich mit der Begründung, es wären verirrte Trainingstorpedos gewesen. Die Fischer selbst vermuteten einen Zusammenstoß mit einem Wal. Andere spekulierten über herumtreibende Wasserminen aus dem Zweiten Weltkrieg. Nur gerade ein Bericht, welcher von einer Naturschutzorganisation verfasst wurde, erwähnte, dass es sich beim versenkten Schiff um einen Walfänger handelte.
Schon am nächsten Tag kam Julia zu Felix und zeigte ihm einen Bericht über den Anfang der Robbenjagdsaison in Kanada. Sie war der Meinung, dass man hinfahren und die Situation aufmischen sollte. Felix fragte, ob sie denn wusste, wo die Jagt genau stattfand und sie zeigte ihm detaillierte, selbstgemachte Karten vom Sankt-Lorenz-Golf. Eine Sitzung wurde beigerufen, die Idee der Mannschaft präsentiert und da sich alle als einverstanden erklärten begann die Angry Seal noch am gleichen Abend ihre Reise in Richtung Kanada zu der Insel Neufundland.
Sie fuhren an der Jan-Mayen-Insel vorbei, passierten Island im Norden, umfuhren den südlichen Teil Grönlands und nahmen dann direkten Kurs auf die Nordostküste der Neufundlandinsel. Während der Reise wechselten die Teammitglieder mehrmals die Aufgaben, da es alle anstrengend fanden tagein tagaus die gleichen Sachen zu tun. Zwei Mal wurde die Fahrt gestoppt, damit alle richtig Ausruhen konnten. Sechs Tage nach dem Beginn der Reise kamen sie in die Nähe der Insel. Sie mussten aufpassen, da sich an einigen Stellen Eisberge befanden und die Angry Seal nicht sehr tief tauchte.
Julia machte klar, dass die Robbenjagd stark umstritten sei. Einerseits werden wohl nirgends sonst als bei dieser Jagd so viele Tiere auf einmal und das dazu noch offen sichtbar erledigt. Das sei auch der Grund dafür, wieso man darauf überhaupt aufmerksam wurde. Früher wurden viele junge Robben getötet, des weißen Felles wegen, was heute aber wegen Importverboten und der moderneren Tierschutzregelung kaum noch praktiziert wird. Auf der anderen Seite müsste man auch begreifen können, dass die Jagd auf die Sattelrobben für die lokale Bevölkerung wichtig ist zum Überleben, wegen des Fleisches und wegen der Felle. Im Generellen wird die Robbenjagd in Europa wohl viel grausamer dargestellt, als sie wirklich ist. Teilweise laufe in den Schlachthäusern viel Schlimmeres ab, dies aber verdeckt von der Öffentlichkeit.
Darauf fragte Valerij sie, was sie dann hier eigentlich machen, wenn das Ganze gar nicht so schlimm sei und Julia antwortete darauf, dass trotz guter Regelungen und Kontrollen, dennoch viel Grausames angerichtet wird, wie zum Beispiel die illegale Abschlachtung von Jungtieren, die dann noch auf dem Eis gehäutet werden. Außer dem Fell wird dann auch gar nichts mehr weiterverwendet. Außerdem sei diese Robbenart inzwischen gar nicht mehr so ungefährdet, wegen des immer dünner werdenden Eises. Die Jagdquote sei aber über Jahre hinweg nur noch höher geworden, statt sich der neuen Situation anzupassen.
Die Angry Seal begann langsam nördlich von Neufundland in Richtung des Festlandes zu fahren. Immer wieder tauchte sie auf und die Mannschaft suchte visuell nach Hinweisen. Anton entdeckte per Satellit nur wenige Schiffe, die sich entlang der Küste bewegten. Das Team versuchte einigen von ihnen zu folgen und sie zu beobachten. Ständig mussten sie den zahlreichen Eisbergen und völlig von Eis überdeckten Meeresabschnitten ausweichen oder unter ihnen durchschwimmen.
Nach einem Tag entdeckte das Radar der Angry Seal zwei Helikopter und ging auf Periskoptiefe. Anton berichtete, dass es sich um private Maschinen handelte, eine davon trug das Abzeichen des Internationalen Tierschutzfonds. Die Helikopter führten sie direkt zu den Schiffen, die sie suchen. Das Eis war hier an einigen Stellen rot gefärbt, als hätte ein Riese darüber aus großer Höhe einen Pinsel mit roter Farbe ausgeschüttelt. Vier Schiffe lagen in einer Eisbucht, Leute waren auf dem Eis zu erkennen. Beide Helikopter flogen in tiefen, kreisförmigen Flugbahnen über die Stelle, wo sich am meisten Leute aufhielten, welche ihnen sogleich durch Handzeichen zu erkennen gaben, dass sie sich verziehen sollten.
Kein Zögern mehr.
Felix befahl der Mannschaft sich kampfbereit zu machen. Die Angry Seal tauchte auf dreißig Meter ab und nahm eines der mittleren, angelegten Schiffe ins Visier. Diesmal plagte Felix sein Gewissen nicht, er zog keine langen Gedankenketten und auch der Rest des Teams schien die beim ersten Mal sich zeigende Angst verloren zu haben. Nur wenige Minuten nach dem Abtauchen flog der erste, von Rolf überarbeitete Torpedo. Er traf. Felix ließ das U-Boot neu ausrichten und ein weiteres Torpedo abfeuern. Ein am Rand liegendes Schiff wurde getroffen. Ein drittes Torpedo traf ein weiteres Schiff in der Mitte.
Die Angry Seal ging vorsichtig auf Periskoptiefe und das Team betrachtete das Resultat. Alle drei getroffenen Schiffe brannten; wie von Rolf versprochen hatten die Torpedozünder diesmal funktioniert. Panik hatte sich auf dem Eis ausgebreitet und einige der Leute begannen die Helikopter in der Luft zu beschießen, welche sich bereits aus dem Staub machten. Die Jäger auf dem Eis schienen die Tierschützer in der Luft für den Angriff verantwortlich zu machen.
Die Angry Seal tauchte ab und verließ rasch den Schauplatz.
Am nächsten Abend erfuhr die Gruppe das Resultat ihres Angriffes über das Internet. Die drei getroffenen Boote waren gesunken, ein nebenan stehendes stark beschädigt. Auf der Seite der Jäger gab es zwei Tote, die sich zum Zeitpunkt des Angriffes auf den Schiffen aufgehalten hatten. Zusätzlich war ein Kopilot in einem der Helikopter tödlich von einem Jäger an Land getroffen worden. Die Helikopterbesatzung wurde vom übereifrigen Verdacht der Jäger, sie angegriffen zu haben, freigesprochen. Man vermutete, dass militante Tierschützer dafür verantwortlich waren, welche noch vor dem Auslaufen der Schiffe Sprengsätze an die Schiffe befestigt hatten. Wieder war die Angry Seal unentdeckt geblieben.
Die getöteten Jäger beschäftigten die Mannschaft sehr. Felix machte sich viele Gedanken darüber.
Wie einfach war es doch zu handeln, auf Schiffe zu schießen, wenn man im Bauch dieses Stahlmonsters saß und seine Umgebung nur durch Kameras, das Periskop und die Sensoren wahrnahm! Und wie schwer war es einem dann, wenn man zu hören bekam, was man angerichtet hatte.
Vor allem Linya und Rudolf machten sich große Sorgen. Die anderen redeten ihnen gut zu und versuchten sie zu beruhigen. Beim Gruppentreffen erklärte Felix, dass er den Tod dieser Menschen sehr bedauerte. Doch in jedem Krieg gibt es Opfer und in diesem hier kann es nicht anders sein. Damit hatten sie alle von Anfang an gerechnet. Es war schlimm, was sie getan hatten, doch am Schluss würde sich das alles auszahlen.
Felix glaubte selber nicht voll und ganz, was er den anderen erzählte. Doch er wusste, dass es wichtig war, dass das Team sich in diesem Moment auf ihm abstützen konnte und er brauchte diese Worte, um sich selber zu beruhigen. Er merkte, dass seine Rede Wirkung zeigten und die Leute sich zusammenrissen, doch statt sich darüber zu freuen, machte ihm das Angst.
Diesmal war es Anton, der den Vorschlag für den nächsten Einsatz brachte. Einige Stunden nach dem letzten Gruppenmeeting kam er zu Felix und zeigte ihm eine Ankündigung auf der Homepage einer Schiffswerft in den USA. Es wurde angekündigt, dass sich der Bau eines Luxuskreuzers, „wie ihn die Welt noch nie gesehen hatte“, dem Ende neigte und das Schiff bald eingewassert werde.
„Stell dir vor“, sagte Anton, „wir versenken diese Luxusbombe noch bevor sie den Hafen verlässt. Das wäre ein harter Schlag gegen den Kapitalismus, die Konsumgier und die Überheblichkeit der Menschen.“
Der Vorschlag wurde den anderen Teammitgliedern vorgeschlagen. Alle waren interessiert und doch etwas skeptisch. Die erwähnte Werft befand sich in der Karibik an der Südküste der USA. Man müsste sich seinen Weg zwischen zahlreichen Inseln bahnen. Dort war es nicht wie hier im Nordpolarmeer. Außerdem wäre man in der Nähe der Werft direkt in der Höhle des Löwen. Dort würde es doch nur so von Militärschiffen und sogar vielleicht U-Booten wimmeln. Nicht zu vergessen waren die passiven Abhörvorrichtungen, die als Schutz gegen U-Boote dienten und womöglich gerade dort vermehrt installiert waren.
Es wurde lange diskutiert und überlegt und man kam zum Schluss, dass das Vorhaben machbar war. Während Anton nach der besten Passage durch die Karibischen Inseln recherchierte und Berechnungen anstellte, nahm die Angry Seal in dreißig Metern Tiefe Kurs auf die Bermuda-Inseln.
Drei Tage später hatte man die Bermudas ohne Zwischenfälle, wie Gasblasen, bis an den Meeresgrund reichende Wirbelstürme oder irgendwelche Magnetfeldanomalien passiert und erreichte in weiteren zwei Tagen Florida. Anton, Linya, Valerij und Nikolai hatten inzwischen einen weitgehend sicheren, weiterführenden Pfad ausgearbeitet. Dieser führte die Angry Seal in größeren Tiefen vorbei an den Bahamas durch die stark durch Verkehr belastete Floridastraße. Hier bewegten sie sich im Schleichtempo, um nirgends anzustoßen und erreichten in weiteren achtundvierzig Stunden Kuba.
Als sie Havanna passierten, gab es so viele Signale von den Sensoren, dass gleich drei Leute an die Apparaten ran mussten, um die Information rechtzeitig auswerten zu können. Mehrmals waren mit Hilfe des Sonars U-Boot ähnliche Strukturen zu erkennen. Felix befahl tiefer, auf fünfundsechzig Meter zu gehen und obwohl die Angry Seal protestierend knurrte, blieben sie dort, bis sie Kuba hinter sich gelassen hatten.
Einen Tag später befanden sie sich endlich in der Nähe der Küste der USA. Sie näherten sich ihrem Ziel. Die Werft befand sich in einer kleineren Bucht, in die sie auf großer Tiefe, schleichend hineinfuhren. Sie näherten sich dem Zielhafen auf fünfzig Kilometer und verbrachten dort abgetaucht den restlichen Tag, um dann in der Nacht aufzutauchen.
Anton informierte sie, dass das Schiff bereits eingewassert wurde, den Werfthafen aber noch nicht verlassen hatte, so stand es zumindest im Internet. Anhang von Videos, welche bereits im Internet kursierten und der Hafenpläne, konnte Anton den Aufenthaltsort des Schiffes im Hafen herausfinden. Die Angry Seal tauchte wieder ab und näherte sich sehr langsam fahrend ihrem angeblichen Ziel. Die Fahrt erwies sich als sehr schwierig, da der Hafen stellenweise nur gerade zehn Meter tief war. Valerij versuchte solche Plätze zu meiden und immer auf mindestens fünfundzwanzig Meter zu bleiben.
In der Nähe des Zielschiffes tauchten sie kurz auf Periskoptiefe auf und Felix vergewisserte sich mit der Nachtsichtkamera, dass sie das richtige Schiff vor sich hatten. Er war gut möglich, dass man im Hafen das U-Boot entdeckt hatte, doch das war unwichtig. Die Angry Seal handelte schnell. Rolf schickte ein Torpedo los und während sich Felix vergewisserte, dass das angelegte Schiff getroffen wurde und in ihrer Mitte eine Feuerkugel aufleuchtete, leitete Valerij bereits das Wendemanöver ein. Die Angry Seal tauchte auf nur zehn Meter ab und raste aus dem Hafen.
Nur die Ambient-Noise-Imaging-Sensoren benutzend erkannte die Gruppe, dass sich ein Objekt an ihre Fersen gehängt hatte. Als sie die Bucht verließen kam ein weiterer hinzu. Linya vermutete, dass es sich um Schiffe der Marine handelte. Die Angry Seal beschleunigte und ging auf fünfzig Meter runter. Die Verfolger ließen nicht locker und kamen immer näher. Erst in der Nähe von Kuba ließen sie ab. Auf Befehl von Felix fuhr man zur westlichen Spitze Kubas. Das U-Boot wurde in hundertfünfzig Kilometern von der Küste entfernt angehalten.
In der folgenden Nacht erfuhren sie das Resultat. Das Schiff wurde durch die Explosion des Torpedos stark beschädigt. Da das automatische Abschottsystem nicht eingeschaltet war, lief der ganze untere Teil des Bootes voll. Dieses sank dann auf den fünfzehn Meter tiefer liegenden Grund. Mehr als die Hälfte des Luxusliners ragte noch immer aus dem Wasser. Der Schaden betrug Milliarden.
Das Team erfuhr auch, dass Reste des Torpedos gefunden worden waren. Außerdem hatten zwei Schiffe der Küstenwache ein nicht identifiziertes U-Boot detektiert und bis zur Grenze des Hoheitsgewässers verfolgt.
Der Presse fehlten die Schuldigen. Man wusste nicht, wen man für den gezielten Angriff verantwortlich machen konnte, beziehungsweise durfte. Kein Land wurde öffentlich verdächtigt. Man ging von einem terroristischen Akt aus.
Während die Angry Seal im Süden von Kuba vorsichtig die Karibik zwischen Venezuela und der Dominikanischen Republik verließ, erfuhr die Gruppe, dass man die Jagd auf sie eröffnet hatte. Kuba erklärte sich bereit mit den USA zu kooperieren und die Gewässer der Karibik zu durchsuchen, um das vermeintliche U-Boot zu finden. Als die erste ‚Anti-Terror-Flotte’ zusammengestellt war, befand sich die Angry Seal bereits im Atlantik.
Es wurde eng für die Angry Seal. Man wusste nun, dass man nach einem U-Boot suchen musste. Doch das Team hatte noch nicht vor, aufzugeben. Und Felix merkte, dass die Angst vor einem möglichen Verfolger die Leute nur noch mehr zusammenschweißte. Er selber bekam das Gefühl, dass es nun definitiv kein Zurück mehr gab und sie weiter machen sollten.
Die Idee für den nächsten Schlag begann aufzugehen, als Julia einen aktuellen Artikel über die Stierhatz in Spanien fand. Sie war völlig verärgert und zeigte offen ihre Entrüstung gegenüber den fragwürdigen Traditionen in Spanien, wie den Stierkämpfen und anderen Tier entwürdigenden Praktiken.
„Was können wir denn schon vom Wasser aus tun?“, fragte Rudolf.
Nikolai fragte daraufhin Rolf, ob die beiden Starfish-Torpedos brauchbar wären.
„Im Moment nicht, doch ich könnte das hinkriegen.“
„Was wäre dann ihre Reichweite?“
„Vierzig, maximal fünfzig Kilometer. Ich würde mit weniger rechnen, da uns die nötige Manövriersoft- und hardware fehlt. Aber was wollt ihr damit. Was wollt ihr damit verschießen?“
Es war Linya, die den ungewöhnlichen Vorschlag brachte: „Alte Brennstäbe.“
Felix ging es kalt den Rücken runter, als er das hörte. Seit Team bereitete gerade einen Anschlag mit einer sogenannten ‚Schmutzigen Bombe‘ vor, die ein größeres Areal mit radioaktiven Partikeln überdecken würde. Die Strahlenbelastung wäre nicht sehr hoch, aber dennoch ein Risiko für die Gesundheit. Angewandt in einem Stadtgebiet hätte das fatale Folgen für die dort ansässige Bevölkerung. Konnte er das verantworten? Er fühlte eine große Unsicherheit und doch begann ihm die Idee zu gefallen.
„Tatsächlich“, überlegte Rolf, „Ich könnte das Material aus den ausgebrannten Brennstäben, die wir noch haben mit Sprengstoff mischen und in die Torpedoköpfe einfüllen.“
„Wir brauchen ein Ziel in der Nähe der Küste, damit die Starfish-Lenkwaffen nicht zu weit fliegen müssten“, überlegte Nikolai, „Was meinst du dazu, Felix?“
Das war seine Chance, diesen Wahnsinn zu beenden.
„Am besten, wir schießen auf eine Stierkampfarena“, sagte er stattdessen, „Dann wird sie und das Gebiet darum herum für Jahrzehnte unbenutzbar.“
Nur eine Stunde später hatten sie das perfekte Ziel. Es war eine größere Stadt im Süden Spaniens an der Mittelmeerküste. In der sich im Stadtzentrum befindenden Stierkampfarena fanden noch regelmäßig Kämpfe statt.
Nach sechseinhalb Tagen Fahrt und Pausen erreichten sie die Meerenge von Gibraltar. Einen weiteren Tag später befanden sie sich im Mittelmeer in wenigen Kilometern vor ihrer Zielstadt. Rolf hatte mit Hilfe von Nikolai und Felix inzwischen die Lenkwaffen präpariert. Rolf hatte gesagt, dass er alles getan hatte, was er konnte. Was wohl noch fehlte, war ein Test, doch das konnten sie sich mit nur zwei Raketen nicht leisten. Also vertrauten sie auf das eine Mal. Anton simulierte verschiedene Szenarios für die Flugbahnen ab und programmierte schließlich das Steuersystem.
Und da waren sie, bereit für ihren Angriff mit den beiden Bomben. Am späten Abend näherten sie sich der Küste auf nur zwei Kilometer in einer Tiefe von zehn Metern. Die Stimmung in der Kommandozentrale war so, wie nie zuvor. Zwar waren alle die meiste Zeit schweigsam, doch entging Felix das Leuchten in den Augen seiner Leute nicht. Sie schienen zu allem entschlossen zu sein, bereit für den Angriff.
Aber Felix selber zögerte. Er wartete mit dem endgültigen Befehl. Dann nickte er den Leuten im Raum zu und ging in den Torpedoraum, um den Befehl persönlich zu überbringen. Dort befanden sich Rolf, Rudolf und Nikolai. Nikolai und Rolf hatten die beiden Computer besetzt für die Steuerung der Waffen. Sollten die Geschosse vom Kurs abweichen, würden sie manuell nachhelfen können. Als Felix den Raum betrat, standen alle erwartungsvoll auf. Rudolf ging zur Seite und zeigte schweigend auf die beiden Zündknöpfe, die sich in den hintersten Teilen der Torpedorohre befanden.
„Vier Sekunden“, sagte Nikolai, „Zünde die zweite erst vier Sekunden, nachdem du die erste gezündet hast.“
Felix nickte.
„Es geht los“, sagte er dann und betätigte die Knöpfe mit der richtigen Pause dazwischen.
Auf den Bildschirmen war zu sehen, wie die Starfish-Lenkwaffen bald die Wasseroberfläche durchstoßen hatten und die reaktiven Triebwerke gezündet wurden. Danach folgte ein nicht allzu lange andauernder Flug. Nikolai und Rolf korrigierten die Flugbahnen und dann schauten alle, wie die beiden Geschosse rund zweihundert Meter über der Stierkampfarena explodierten.
Felix befahl sofort mit dem Aufbruch, die Angry Seal ging tiefer und fuhr Richtung Gibraltar. Auch diesmal blieb es nicht ohne Verfolger. Zuerst war es ein kleineres Boot, dann zwei und schließlich kam noch ein Schiff hinzu, das grösser als die Angry Seal selbst war. Linya warnte, dass sie seltsame Sonarsignale wahrnahm, was darauf hinwies, dass man sie aktiv zu orten versuchte, sei es vom Schiff aus, oder durch Tauchsonare einer Flugmaschine. Nur wenige Momente später bekam sie ein schnelles Objekt auf dem Schirm zu sehen, das sich dem U-Boot näherte.
Felix befahl abzutauchen und das durch Nikolai und Rolf gebastelte Abwehrgerät einzusetzen. Während die Angry Seal auf sechzig Meter Tiefe ging, feuerte Rolf den Kasten mit dem Ablenksonar ab. Linya stellte das aktive Sonar des U-Bootes ab und nutzte nur noch das Ambient-Noise-Imaging-System. Die Ablenkung funktionierte, das schnelle Objekt verschwand von den Bildschirmen und die Angry Seal wurde durchgeschüttelt, wahrscheinlich durch die entstandene Unterwasserexplosion.
Die Verfolger waren noch da. Felix befahl tiefer zu gehen, etwas anderes blieb ihnen nicht mehr übrig. Bei achtzig Metern wurde das Knurren der Hülle zu einem Heulen, bei neunzig Metern begann die Angry Seal zu kreischen. Doch Felix gab den Befehl weiter abzutauchen, obwohl Rudolf und Nikolai an mehreren Stellen Wassereinbrüche entdeckten.
Die Angry Seal sank weiter.
Es war Glück, das sie entkommen ließ. Sie hatten die Flucht aus dem Mittelmeer überlebt und befanden sich im Atlantik rund zweihundertfünfzig Kilometer von der portugiesischen Küste entfernt. Es war allen klar, dass sie zusammen Schlimmes angerichtet hatten und nur knapp dem Tod entronnen waren.
Während der Nacht tauchten sie auf und reparierten soweit es möglich war ihr Schiff.
Bei der nächsten Sitzung berichtete Anton, dass sie erfolgreich ein etwa eineinhalb Quadratkilometer großes Gebiet rund um die Stierkampfarena radioaktiv verstrahlt hatten. Das Gebiet wurde evakuiert. Bei der aufgekommenen Panik wurden zwei Personen getötet und mehrere andere verletzt. Man plante bereits Dekontaminationsmaßnahmen, die sich wohl über Jahre hinweg ziehen würden. Die wenigsten Medienberichterstatter erkannten richtig, dass es sich bei der Arena um das primäre Ziel gehandelt hatte.
Die spanische Marine berichtete, dass es sich beim Angreifer um ein U-Boot handelte und dass sie es nach missglückten Kontaktversuchen beschossen hatten. Zur Freude des Teams war sie der Meinung, das Boot versenkt zu haben. Die Sucharbeiten dauerten noch an.
Nach dieser Meldung war es kein Wunder, dass die Medien den Angriff mit demjenigen in den USA in Verbindung brachten. Man redete von irgendeiner bis jetzt noch unbekannten Terrororganisation.
Felix redete lange mit seinen Leuten. Er machte ihnen klar, dass er niemanden im Team unter Druck setzen wollte. Wie es aussah, war es noch nicht zu spät aus der Sache auszusteigen und jedem stand diese Möglichkeit offen. Er ließ die Leute für einen Tag in Ruhe, damit sie darüber nachdenken konnten.
Am nächsten Tag war es klar. Das Team würde zusammenbleiben.
Und so fuhr die Angry Seal Richtung Norden, zu ihren Geburtshafen. Das Schiff verlangte eine gründliche Reparatur, Vorräte und Waffen mussten wieder aufgefüllt werden. Und dann würde es weitergehen, dachte Felix. Weiter zum Südpolarmeer, wo Staaten wie Japan illegalen Walfang betrieben...