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Angriff im Rosengarten
Der Geist im Rosengarten
Angriff im Rosengarten
Kurzgeschichte von Anja Albus
Kartana konnte sich nicht rühren. Die Hände auf dem Rücken gefesselt, lehnte sie an dem großen Baum. Durch den dünnen Stoff ihrer Kleidung konnte sie die knochige Rinde der alten Eiche spüren. Langsam erhob sie den Blick und spähte in das Blattwerk, doch auch von oben würde sie keine Hilfe bekommen.
Erneut schweifte ihr Blick nach vorne, aber die trübe Abenddämmerung ließ sie nichts weiter erkennen, als die vielen großen Rosenhecken, die sie in einem geschlossenen Bogen weiträumig einkreisten.
Ihre Knie schmerzten, sie waren aufgeschürft und geronnenes Blut verschloss bereits die aufgekratzte Haut. Ihre Kleidung hing zerfetzt von ihren Schultern herab und in Höhe der Brust klaffte ein großes Loch im weißen T-Shirt, das den Blick auf ihre nackte Haut zuließ.
Noch immer hielt sie das Gefühl unbändiger Angst gefangen, doch nun, da sie hier saß, gefesselt, ohne die Möglichkeit der Flucht, eingekreist von diesem Labyrinth aus Rosenbüschen, legte sich langsam eine tiefe Frustration auf ihrer Seele nieder, die sie alle Angst und Ungewissheit vergessen ließ.
Sie schloß die Augen und erinnerte sich an den Morgen, als sie gutgelaunt, begleitet von ihrer Schwester, den Rosengarten betreten hatte. Die Sonne schien und lud die beiden Frauen zu einem Spaziergang in der herrlichen Frühlingsluft ein. Unbekümmert schlenderten sie einen schmalen Pfad aus ihrem gutbürgerlichen Urlaubsdörflein heraus und erreichten bald den Eingang zu diesem Labyrinth, das im Dorf nur „der Garten“ genannt wurde. Obwohl ihnen die Wirtin der Dorfschenke erzählt hatte, in diesem Garten herrsche ein böser Geist und sie sollten sich lieber davon fernhalten, vergaßen sie doch schnell die Worte der Alten, als sie die herrlich duftenden Rosenbüsche vor ihren eigenen Augen sahen. Und sie, als Kinder der Großstadt, glaubten sowieso nicht an böse Geister, Vampire und Dämonen.
Singend und beinahe tanzend betraten die beiden Frauen die unübersichtlichen Gänge, schlenderten erst zusammen, doch dann kam es ihnen in den Sinn, ihre Wege zu trennen, um herauszufinden, welche von ihnen wohl am schnellsten das Zentrum dieses Labyrinthes erreichen würde.
Gesagt getan, Kartana nahm den linken-, ihre hübsche, jüngere Schwester Sandra den rechten Pfad, dann trennten sie sich und jeder warf dem anderen noch ein „viel Glück“ zu. Betört vom süßen Geruch der vielen Rosen schlenderte Kartana nun alleine durch die Gänge. Immer tiefer lief sie hinein in das Labyrinth, nahm mal den linken-, mal den rechten Gang, trällerte ein Lied und war bester Laune. Und weiter?
Sie wusste es nicht. Das Letzte, an das sie sich erinnern konnte, war, dass der Weg, den sie eingeschlagen hatte, plötzlich einen scharfen Knick machte und beinahe in die entgegengesetzte Richtung zurücklief. Sie ging um die Ecke, erblickte dann einen sehr langen, geraden Gang, und dann? Wurde es Schwarz um sie.
Nun saß sie dort, gefesselt an Händen und Füßen, gepeinigt von unsäglichen Schmerzen, die ihr die vielen Schürfwunden an ihren Beinen bereiteten, wusste nicht, wie sie dorthin gekommen war, noch wo sich ihre kleine Schwester befand. Sie hatte gerufen, geschrien und geweint, alles vergebens, den ganzen Tag saß sie schon an die alte Eiche gelehnt, konnte sich nicht rühren oder sonst wie Hilfe erlangen.
Ihrer Stimme kaum mehr mächtig versuchte sie erneut, nach Hilfe zu rufen, doch außer einem krächzendem „Hilfe, so helft mir doch, ich bin hier!“, verließ kaum ein Laut ihre ausgedorrte Kehle, zu oft hatte sie ihre Stimmbänder bereits beansprucht.
Immer länger wurden die Schatten um sie herum, legten sich bedrohlich auf ihre Seele und ließen ihre Angst bis ins Unermessliche ansteigen. Noch einmal rief sie nach ihrer Schwester, wieder vergebens, eine Antwort blieb aus.
Es schossen ihr wilde Fragen durch den Kopf: „Was war nur geschehen? Wie bin ich hierher gekommen und wo ist Sandra?“ Doch wie sehr sie auch nach einer Antwort sann, sie konnte sich keine geben.
Dann kam die Dunkelheit. Erdrückend, unheilvoll und pechschwarz. Alles verschlingend legte sie ihre Arme um die Welt, verschluckte jeden Funken Lichts und tauchte alles in grässliche, angsteinflößende Schwärze.
Kartana hockte dort. Ihre Augen angstvoll aufgerissen. Ein Geräusch hatte sie hochfahren lassen und ließ sie vor Angst erstarren. Es klang wie ein Knurren, wie das Tappen eines tollwütigen Hundes, der langsam um sein Opfer kreiste. Immer näher kam der Laut, doch der Mund, der es erzeugte, blieb weiterhin in der Dunkelheit verborgen.
„Jetzt ist es soweit!“, schoss es Kartana durch den Kopf, „Jetzt kommt es, um mich zu holen!“ Sekundenlang erinnerte sie sich an die Worte der Wirtin, die sie so eindringlich vor diesem Ort gewarnt hatte, dann verloschen alle Gedanken, denn ein erneutes Geräusch, lauter, schneller als das erste, vertrieb alle wirren Sätze aus ihrem Kopf.
Es knackte, knurrte und brummte. Tief, dunkel und...böse.
Kartanas spürte nichts mehr. Die Macht über ihren Körper entglitt ihr, Angst wich der Panik, die sich immer weiter in ihrem Kopf breit machte. Langsam rollte sie sich auf die Seite, ließ sich mit dem Gesicht auf den staubigen Boden sinken, schöpfte dort noch einen Augenblick regungslos nach Atem, dann begann sie, sich wie ein Fisch zu winden, versuchte fortzukommen von diesem schrecklichen Ort. Immer schneller bewegte sie sich auf die Dornenbüsche zu, sie hörte nichts mehr von dem vermeidlich schrecklichen Angreifer, spürte keine Schmerzen, sondern war einzig und alleine von einem Gefühl beherrscht, unbändiger Panik. Ihr Blick richtete sich auf die schemenhaft auftauchenden Dornenbüsche, die nun überdimensional hoch vor ihr aufragten.
Dann war es da. Kartana hörte sein Knurren, seine Tritte und es war nah, sehr nah. Ihr Mut sank und sie legte den Kopf auf das schmutzige Erdreich. Abgestorbene Dornen piekten ihr ins Gesicht, sie spürte es nicht. Verzweiflung hielt sie gefangen, ließ sie bewegungslos verharren. Sie roch fauligen Atem, schloss die Augen und hörte direkt neben sich erneut das tiefe, bedrohende Gebären. Aber es geschah ihr nichts. Beinahe hätte sie erwartet, spitze Zähne eines vermeindlichen Angreifers in ihrem Fleisch zu spüren, doch sie blieb unangetastet.
Obwohl sie wusste, dass ihr Angreifer unmittelbar neben ihr stand, versuchte sie erneut die Flucht. Langsam bewegte sie ihren Körper weiterhin auf die Rosenbüsche zu und der gesichtslose Angreifer knurrte erneut tief und böse.
Dann wurde sie gepackt. Jemand, oder etwas, ergriff den Bund ihrer Hose und zog sie daran empor. Einige Augenblicke baumelte ihr Körper in der Luft, bewegungslos erstarrt. Dann brach alle Angst aus ihr heraus. Sie schrie, weinte und wandt sich heftig. Strampelnd und kämpfend sträubte sie sich gegen die Kraft, die sie immer weiter an ihrer eigenen Kleidung in die Höhe zog.
Plötzlich griff eine Hand nach ihr und legte sich kalt und fest um ihren Hals. Der Griff zwang ihren Kopf nach hinten, Kartana verdrehte die Augen und winselte leise. Würde diese Hand nur um einen Deut fester zudrücken, wäre ihr Leben verwirkt.
Angsterfüllt erschlafften ihre Glieder, ihr Widerstand schwand dahin. Immer weiter wurde an ihrem Hals gezogen, gleichzeitig packte die zweite Hand fester ihren Hosenbund und zog sie unaufhörlich in eine aufrechte Position. Sie spürte den Boden unter ihren Füßen und reflexartig stellte sie sich auf ihre Beine.
Die Finger, die sich noch immer fest um ihren Hals klammerten, lockerten etwas den Griff, doch die zweite Hand, die bisher ihre Hose festgehalten hatte, umschlang nun blitzschnell ihre Taille und drückte ihren Körper gegen den des unsichtbaren Angreifers.
Erneut drang ein tiefes, unheilvolles Knurren an Kartanas Ohren und ihr Blick wanderte nach unten. Obwohl es inzwischen um sie herum stockfinstere Nacht geworden war, erkannte sie vor sich den riesigen Körper eines großen schwarzen Hundes, der sie mir geöffnetem Maul böse ansah.
“Das kann alles nicht war sein!“ dachte sie und erneut begann sie sich zu winden, um dem zangenartigen Griff ihres Hintermannes zu entkommen. Doch vergebens, der Arm, der sie umschlungen hielt, legte sich wie eine Schraubzwinge um sie und ließ ihr keine Chance zur Flucht.
„Halt schon still, dann ist es gleich vorbei!“ Die dunkle, unheimliche Stimme schien direkt von oben zu kommen, „Komm Mädchen, laß mal sehen, was du zu bieten hast!“
Gierig wanderte die freie Hand des Angreifers ihren Körper entlang, ertastete ihren flachen Bauch, griff weiter nach oben und fand dort das Loch, welches in ihrem T-Shirt klaffte. Langsam schob sich die Hand unter den Stoff, spielte dann kurz mit ihren Brustwarzen, um im gleichen Moment grob nach ihrem Fleisch zu greifen.
Nun gab es für Kartana kein Halten mehr. Mit einem hellen Schrei auf den Lippen begann sie erneut ihren gepeinigten Körper zu winden, schüttelte sich, und ihre unter Panik und Stress stehenden Muskeln entwickelten Kräfte, mit denen selbst der fiese Fremde nicht gerechnet hatte. Für einen kurzen Moment lockerte sich der Griff um Kartanas Taille, gerade lange genug, um ihr eine Möglichkeit zur Flucht zu bieten.
Die Muskeln ihrer Beine erschlafften und wie ein glitschiger Aal entschlüpfte sie dem Griff des Angreifers. Sie sank auf die Knie und ließ sich nach vorne fallen, genau auf die Rosenhecke zu. Dabei streifte ihr Gesicht das dornige Gestrüpp und die Stacheln hinterließen lange Striemen auf ihren Wangen. Doch Kartana spürte den Schmerz nicht. Sie wollte nur weg. Blitzschnell wandt sie ihren Körper, robbte sich nach vorne und drückte mit ihrem Kopf und dem Oberkörper die Rosen beiseite. Die Freiheit so dicht vor den Augen, spornte sie ihren Körper noch einmal zu Höchstleistungen an und schnell wie eine Schlange kroch sie unter der Hecke hindurch.
Mit so einer Aktion seines Opfers hatte der Angreifer scheinbar nicht gerechnet. Er stand noch einen Augenblick verwirrt vor dem Gestrüpp und schaute auf die Stelle nieder, wo gerade die Frau verschwunden war, dann reagierte er und pfiff nach seinem Hund. Das große Biest sprang aufgeregt herbei, umkreiste seinen Herren und bellte laut und unüberhörbar. Nur eine Handbewegung war nötig, um das Tier auf die Suche nach dem Opfer zu schicken und angestachelt von dem Befehl des Mannes schoss der Hund davon.
Kartana hatte es geschafft. Obwohl sie aus unzähligen Wunden an Armen und Beinen blutete, war sie dem furchtbaren Angreifer entkommen. Noch immer erfüllte Panik ihren Körper und stachelte sie zu Höchstleistungen an. Sie rutschte über den harten Boden, schrabbte sich dabei immer weiter Wunden in ihr Fleisch, doch sie spürte es nicht. Wie von Sinnen hastete sie vorwärts.
Und plötzlich gelang es ihr, einen Fuß aus der Fessel zu befreien, die beide Beine fest umschlungen hatte. Sie hielt kurz inne, drehte sich vom Bauch auf den Rücken und begann wie wild zu strampeln, um das Seil gänzlich loszuwerden.
Dann sprang sie auf die Füße. Noch immer von wilder Panik getrieben, stolperte sie vorwärts, hastete in der Schwärze durch das nicht enden wollende Durcheinander der vielen Rosenbüsche. Weiter und weiter trieb sie die Angst, immer schneller trugen sie ihre Beine fort von dem unheimlichen Ort.
Sie lief rechts, dann wieder links und noch einmal links, dann stockte sie und blieb für einen Augenblick reglos stehen. War sie hier nicht schon einmal vorbeigekommen? Der Mond war inzwischen aufgegangen und spendete ein wenig Licht, gerade soviel, damit sie sich wenigstens etwas orientieren konnte. Nein, diesen Weg sollte sie besser nicht nehmen, der würde sie wieder zurück in das Zentrum des Labyrinths bringen. Sie drehte sich noch einmal um, rannte in ihren Spuren zurück, bis sie auf eine weitere Gabelung stieß, an welcher sie erneut links abbiegen konnte.
Noch einmal stockte sie, schaute die Gabelung entlang und stritt mit sich selbst. Doch ein Geräusch ließ sie erstarren. Das Knurren war zu ihr zurückgekehrt. Es schien von allen Seiten zu kommen, immer lauter, immer bedrohlicher.
Kartanas Gedanken schalteten sich aus. Erneut ergriff Panik Besitz von ihrem Verstand und übernahm die Kontrolle über ihren Körper. Ohne weiter darüber nachzudenken, stürzte sie den vor ihr liegenden Gang entlang und rannte, so schnell sie ihre Beine tragen konnten.
Das Knurren wurde leiser, immer leiser und bald konnte Kartana nur noch das Rauschen ihres eigenen Atems hören. Ihre Schritte verlangsamten sich, wurden schwerer und schwerer, doch noch immer lief sie, obwohl unsägliche Schmerzen sich unter ihren Rippen breit machten und ihre Lunge brennen ließen. Dann plötzlich strauchelte sie und stürzte. Sie war in ein Morastloch oder ähnliches getreten, verlor dabei das Gleichgewicht und da ihre Hände noch immer auf ihrem Rücken gefesselt waren, konnte es ihr kaum gelingen, die Balance zu halten.
Einen Moment blieb sie reglos liegen, spürte die Schmerzen, die mehr und mehr von ihrem Körper Besitz ergriffen. Ihrem Mund entfuhr ein leiser Schrei, kaum hörbar hallte er in die kühle Nachtluft hinaus. Sie drehte sich um, zog ihren Beine aus dem morastigen Untergrund und versuchte ihren gepeinigten Körper erneut auf ihre Füße zu stemmen...
Doch sie kam nicht mehr dazu. Ein gleißender Schmerz durchströmte von ihrer Kehle abwärts ihren Körper und ließ alle Muskeln augenblicklich erschlaffen. Einzig die Augen weiteten sich vor dem grauenvollen Anblick. Das letzte, was sie sah, waren die schwarzen Augen des großen Hunden, bevor er ihre Kehle zerfetzte.
Einige Tage später las man in der Dorfzeitung:
Wieder zwei junge Frauen vom Geist des Rosengartens getötet. Polizei ist ratlos!