Angels& Airwaves
Im Jahre 2009
Die Umgebung war dunkel und still, jedoch schien diese Stille nicht trügerisch sondern vertraut, natürlich. Man konnte nur seinen eigenen Atem hören. Und sehen? Was konnte man sehen, außer diese Weite und Dunkelheit? Kleine blinkende Lichter, die unzählige Jahre alt waren. Lichter, die in einer gewaltigen Explosion, in einem wunderbaren Farbenschauspiel gestorben sind. Drehte man sich nach links sah man einen großen blauen Planeten. Das Wasser strahlte blau, sonst gab es noch Kontinente. An einigen Stellen war es bewölkt, an Anderen wurde einem die freie Aussicht gewährt.
Ein Ausblick bei dem man innehalten musste.
„Hey Raymond, wie oft willst du diesen verkorksten Planeten noch anstarren? Wir müssen weiterarbeiten.“
Jack ließ den Schraubenzieher kurz sinken und betrachtete genervt seinen Kollegen. Anfangs war der amerikanische Astronaut auch von dieser trügerischen Schönheit geblendet gewesen bis er sich gewahr wurde, dass er doch nur um die Realität betrogen wurde.
„Du hast doch keine Ahnung“, brummte Raymond und verursachte in Jacks Leitung ein furchtbares Rauschen, sodass dieser seinem Kameraden kräftig gegen den Helm pochte. Raymond bewegte sich langsam über die Tragfläche der Raumstation Angels& Airwaves. Plötzlich meldete sich eine dritte Stimme über Funk.
„Jungs, wenn ihr fertig mit eurem Ringkampf seit, hättet ich ihr dann bitte die Güte weiter das Kabel zusammen zu schweißen. Grazie.“
„Warum denn die plötzliche Eile?“, fragte Raymond, während er gedanklich seinen Raumanzug verfluchte.
„Wahrscheinlich will der Kleine zu Papi“, kicherte Jack und hob die Enden des durchgebrannten Kabels an.
„Haha“, fauchte Jay, dann erwähnte er gespielt beiläufig: „Morgen geht es nach Hause.“ Er wusste genau, was für eine Reaktion er bei den Männern draußen auslöste. Seit 4 Jahren flogen sie zu dritt mit Angels& Airwaves um die Erde. Die Raumstation war der Nachfolger der jetzigen ISS, die immer noch für Forschungszwecke benutzt wurde, aber die neue Station konnte auch Urlauber beherbergen, musste aber noch getestet werden.
Raymond ließ kurz das Lötungsgerät sinken und unterdrückte es sich zu weinen. Auch Jack verzog das Gesicht. Die 30-jährigen Männer sahen sich an, schluckten kurz um zu realisieren, dass es endlich wieder heimwärts ging. Es ging nicht nur darum endlich wieder festen Boden unter den Füßen oder vernünftiges Essen zu bekommen, sondern viel eher um Raymonds Freundin Jenny, Jacks Frau Kati und seinem dreijährigen Sohn Pete sowie Jays pflegebedürftiger Mutter Viviane.
„Jay“, flüsterte Jack mit brüchiger Stimme, „meinst du das ernst?“
„Es geht wirklich nach Hause, Jungs. Nach Hause.“
Raymond schaltete das spezielle Lötungsgerät ein, sodass sie das reparierte Kabel nach fünf Minuten wieder verdecken konnten und sich auf den halbstündigen Weg zur Luke machten.
„Houston! Houston! Wir haben ein Problem!“, ertönte es aus den Lautsprechern der Bodenstation in Houston. Die Alarmsirenen schrillten schon unlängst. Professoren und Astronauten hatten sich um den großen Bildschirm versammelt. Dabei war auch Jenny, Raymonds Freundin. Sie spürte wie ihr Mund trocken wurde, als Jays panische Stimme erklang. Als sie den großen Kontrollraum betrat, herrschte eine unheimliche Stille bis auf die Sirene und die Stimme des jungen 20-jährigen Astronauten.
„Er tauchte aus dem Nichts auf, war einfach da. Es ist unmöglich noch auszuweichen. Der Aufprall findet in 15 Minuten statt. Verdammt, könnt ihr denn nichts mehr tun um wenigstens Jack und Ray zu retten. Sie sind noch draußen.“
Jays Stimme war von seinen ungesehenen Tränen zerfressen. Von panischer Todesangst gepeinigt berichtete er von den Kometen, der mit einem mal aufgetaucht war. Plötzlich ertönte Rays Stimme, die eine unnatürliche Ruhe ausstrahlte. Fassungslos lauschten die Mitarbeiter in Houston dem Gespräch der Astronauten. Jennys Körper begann unkontrolliert zu zittern.
„Jay, mein Kleiner. Bleib ganz ruhig, okay? Wir sitzen draußen auf der Tragfläche und betrachten die Erde. Es war wunderbar mit dir zusammen zu arbeiten und nach 4 Jahren taucht so ein beschissener Komet auf und will uns unsere Freude nehmen? Nein, mein Kleiner. Freu dich darauf, dass du bald deine Ruhe haben wirst.“
Jack schaltete sich dazu: „Warum hast du den Kometen erst so spät gesehen?“
Jay weinte. Er weinte wie er es noch nie zuvor in seinem Leben getan hatte. Sein Magen hatte sich umgedreht, er konnte kaum vor Schluchzen reden. All das hallte in Houston wieder. Die Sirene war verstummt.
„Ich weiß es einfach nicht! Irgendetwas muss davor gewesen sein! Ein Objekt im Schatten? Man! Keine Ahnung!“ Jay schlug seinen Kopf gegen das Armaturenbrett. Immer und immer wieder bis er ohnmächtig auf den Boden sank. Der dumpfe Aufschlag und das Knistern des Funkkontaktes ließ Houston erschauern.
Raymond ergriff wieder das Wort: „Ich weiß nicht, ob du grad in Houston bist Jennyli, aber ich liebe dich. Egal wo du bist, was du gerade tust oder denkst, ich werde dich immer lieben.
Wir sehen gerade die Erde. Sie ist wirklich wunderschön anzusehen. Unsere Mutter Erde. Und diese Stille dazu. Ich habe keine Angst. Ich weiß nicht warum, aber ich habe keine Angst.“
„Man, hör auf solch ein Psychokram zu labern.“ Jack hatte seinen Humor nicht verloren. „Das sind die letzten Worte der Crew von Angels& Airwaves, denn...“ Rauschen.
Der Kontakt war abgebrochen.
Jeder legte sein Headset auf den Tisch und senkte den Kopf. Jenny spürte ihre Glieder nicht mehr. Sie waren nicht tot. Nein, sie waren nicht tot! Jenny dachte an all die Momente, die sie mit Ray erlebt hatte und nun sollten sie nicht mehr sein? Niemals! Sie spürte doch noch seinen Körper, seinen Atem. Roch seinen Geruch, hörte seine Stimme.
Jenny merkte nicht, dass sie zusammengebrochen war. Sie spürte nicht, dass ihre Augen leergeweint waren...
Im Jahre 2020
Ruhig drehte die Erde sich im natürlichen Kreislauf um sich selbst. Sie strahlte blau und grün, Wolkenschleier hingen hier und da in der Luft, während ein leichter leuchtender Kranz um ihr Umrisse bildete. Kein Teleskop auf dem Planeten schlug Alarm, als sich die drei Objekte näherten.
Ein Funk wurde eingeschalten, dann ertönte eine raue Stimme: „Da ist sie.“
Der zweite Funk begann zu rauschen: „Ich glaub ich fange gleich an zu heulen.“
„Musst du immer alles so in den Dreck ziehen.“
„Verdammt Ray, sieh dir das an!“
„Ich hab dir doch schon immer gesagt, dass sie wunderschön ist Jack.“
„Und voller Überraschungen.“
„Wer weiß was uns dort erwartet.“
„Bestimmt nicht das, was wir vor 15 Jahren verlassen haben.“
Ray und Jack flogen nebeneinander in ihrem Raumanzügen auf die Erde zu. Sie konnten ihre Gefühlswelt in diesem Moment nicht fassen, sie konnten auch nicht beschreiben, was sie in den elf Jahren erlebt hatten. Jegliche Erinnerungen ab dem Kometeneinschlag waren ausgelöscht. Sie wussten nur, dass sie ihre Liebsten holen sollten um sie von der Erde wegzubringen. Dorthin, wo sie waren.
„Was werden sie glauben, wer wir sind?“
„Wir sind Angels& Airwaves.“ Jay hatte sich auf den Rücken gedreht, sodass er unter seinen Kameraden flog.
„Dreh dich lieber um und betrachte das Schauspiel und genieße, das was mit uns gleich geschehen wird“, ermahnte Jack den Jüngeren.
Jay drehte sich um und brachte kein Wort mehr heraus. Die Sonne begann aufzugehen. Auf der wunderschönsten Weise, die sie konnte: Im Weltall. Langsam schienen die Strahlen sich ihren Weg über die Erde zu erkämpfen, während Jay gleichzeitig ein unbeschreibliches Glücksgefühl in seinem Körper spürte. Nach 15 Jahren steuerte er seine Heimat an, wenn auch nur für kurze Zeit. Er merkte nicht, dass aus seinem Raumanzug große Engelsschwingen wurden mit denen er die Atmosphären der Erde durchbrach bis er den staubigen verkohlten Boden der Erde unter sich spürte. Welch ein ungewohntes Gefühl ihn durchströmte. Jay spürte Glückstränen, welche ihm über die Wangen rollten. Auch Raymond und Jack ließen ihren Gefühlen freien lauf, doch gleichzeitig stellten die drei Männer fest, dass die Erde wüst und leer war. Sie standen auf einen großen Hügel, der mal wunderschön grün erblühte und nun nur noch aus abgestorbenen Pflanzen bestand. In Richtung Süden erstreckten sich schwarze Wälder voller abgestorbener Bäume, nach Norden hin ragten große Hochhäuser in den Himmel. Fabriken spuckten ihren Rauch durch die Atmosphären. Ray sank enttäuscht auf die Knie und fuhr mit seinem Finger durch den Staub.
„Sie war mal so schön“, flüsterte Jack kaum hörbar.
Jay schirmte sein Gesicht mit der Hand ab, weil die Sonne am Untergehen war.
„Sie wird nicht mehr leben, oder?“, fragte er. „Ich bin umsonst hergekommen.“
„Was sagt dein Herz dir?“, erwiderte Ray, während er ein Foto von Jenny, dass er in seiner Brusttasche hatte, betrachtete.
Jay schien etwas zu antworten, doch der 45-jährige Mann bekam nichts mehr mit, denn plötzlich stand Jenny vor ihm. Er erkannt nur ihre Konturen, jedoch war der Rest unsichtbar. Sie drückte zärtlich sein Kinn hoch und streichelte sanft seine Wange. Ray spürte ihre Haut und merkte jetzt erst, wie sehr er sie vermisst hatte. Das Herz mit Sehnsucht erfüllt, umfasste er die Hand von Jenny. Erst war Ray unsicher, ob er sie überhaupt greifen konnte, doch dann drückte er fest zu und sagte mit belegter Stimme: „Jetzt komme ich dich zu mir holen, Jenny.“
Ray dachte nicht mehr an Jay oder Jack, sondern nur noch an seine wunderschöne Freundin und flog Richtung Stadt um sie mit seinem Gewissen zu finden. Er versuchte es erst in der alten Wohnung, wo er gleich einen Glückstreffer landete. Ray landete leise auf dem Balkon und spähte in das dunkle Schlafzimmer. Wie eine Prinzessin lag Jenny in dem großen Bett und schlief friedlich. War sie all die Jahre allein geblieben? War ihm treu gewesen? Wie würde sie es aufnehmen, dass er hier war? Raymond betrachtete noch lange so seine Freundin. Der Mond begann hinter seinem Rücken aufzugehen und der lange Arm der Milchstraße mit den dichten Sternenhaufen glänzte und funkelte am stillen Nachthimmel. Schließlich nahm Ray all seine Kraft zusammen um ans Fenster zu klopfen.
Jenny wurde von einem dumpfen Klopfen aus dem Schlaf geweckt. War es im Traum gewesen? Noch die Augen geschlossen haltend dachte sie darüber nach, als es wieder am Fenster klopfte. Jenny riss erschrocken die Augen auf. Ein Dieb? Ein Mörder? Kerzengerade saß sie im Bett und wagte es nicht aus dem Fenster zu sehen. Als Jenny schließlich doch leicht den Blick drehte, schluchzte sie laut auf und begann unter einem plötzlichen Tränenausbruch zu flüstern: „Geh weg! Nein! Du bist doch tot! Raymond, du bist tot!“
Raymond war bestürzt über diesen Zusammenbruch und trat durch die offene Balkontür. Kurzerhand bekam er ein Kopfkissen ins Gesicht geschleudert und sah eine Jenny vor sich, die sich in der dunkelsten Ecke des Zimmers verkrochen hatte. Ihr ganzer Körper bebte, zuckend glitt sie zu Boden. Raymond hockte sich vorsichtig vor Jenny auf den Boden und berührte ihre Hand. Diese zuckte erst weg, dann schmiegte sie sich jedoch in Raymonds.
„Wie- wie kann das sein?“
„Du wirst es mir nicht glauben, wenn ich es dir erzähle, aber bitte vertraue mir, okay?“
„Es ist wie ein Traum.“
Raymond zog Jenny in seine Arme und sie schloss die Augen. Sie sah das unendliche Weltall vor ihren Augen, die Sonne, wie sie hinter der Erde aufging, die Galaxien und Planeten. Ihr kamen die Tränen, aber Tränen des Glücks.
Raymond riss sie aus ihrer Trance in dem er aufstand und Jenny mit hochzog. Ihr Kopf weigerte sich immer noch das zu glauben, was gerade geschah, aber ihr Herz sagte ihr, dass sie einfach Ray vertrauen sollte, sodass sie ihren Mann auf den Balkon folgte. Ray drückte Jenny einen sanften Kuss auf den Mund, denn auch er musste sich erst wieder an die plötzliche Nähe gewöhnen. Schließlich schloss er seine Freundin in die Arme und stieg mit ihr in den endlosen Nachthimmel. Jenny wollte ihren Augen nicht mehr trauen, als sie auch Jack mit seiner Frau und seinem Kind sah. Nur Jay tat ihr sehr leid, da seine Mutter in der Zeit verstorben war, jedoch war Jay auch glücklich darüber, da sie von ihrem schweren Leiden erlöst wurde.
Die Engelsflügel der Männer wurden wieder zu Raumanzügen, die auch ihre Familienmitglieder bekamen.
„Na Ray, alles flockig bei dir?“, fragte Jack lachend.
„Jep und bei dir Jay?“
„Es könnte nicht besser gehen.“
„Und was werden sie denken, wer wir sind?“, lachte Raymond.
„Wir sind Angels& Airwaves“, antworteten Jack und Jay zusammen.
Der Satz hallte noch in den Ohren aller wieder, als sie die Erde verließen und in die unendliche Weite des Weltalls eintauchten...