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Anfang Juni
Es war Anfang Juni und es schneite dicke Flocken in der Sierra, tief im kastilischen Kernland. Auch wenn dieser Umstand eine Menge zusätzlicher Arbeit bedeutete, nahm sich A. die Zeit, die Schönheit des Landes zu bewundern. In der Ferne glitzerten die Gipfel und von seiner erhöhten Position konnte er einen kleinen Bach, der sich windend durch eine tiefe Schlucht zog und den er schon beim ersten Überflug bemerkt hatte, wiedererkennen. Man konnte verstehen, warum die Menschen darum kämpften.
Doch das Land war nicht die einzige Schönheit. Im fahlen Licht der morgendlichen Sonne, welches einen Hauch von Wärme mit sich zu tragen schien, und von den hohen Kiefernwäldern umsäumt, musste selbst der Mensch mit dem fragwürdigsten Sinn für Ästhetik, die ebenmäßige Anmut der drei 111er eingestehen. Das primäre Ziel ihrer Existenz war die Verbreitung von Zerstörung und Tod und man hatte eine möglichst furchteinflößende Erscheinung bei ihrer Konstruktion bestimmt nicht vernachlässigt. Er war immerhin dabei gewesen. Und dennoch strahlten sie eine Aura von gewaltiger Entschlossenheit, Stärke und Unberührbarkeit aus, bei der eine gewisse Anziehung nicht zu verleugnen war.
Doch gegenüber dem Schnee waren sie empfindlich. Alle gefrorenen Drucköffnungen mussten befreit, Steuerung, Klappen und Bremsen kontrolliert und nicht zuletzt
das Motorenöl für den Winterflugbetrieb eingefüllt werden.
Eigentlich war das keine Aufgabe für einen konstruierenden Ingenieur, aber er hatte sich daran gewöhnt. Und zudem bahnten sich ja noch weitaus unerwünschtere Tätigkeiten für ihn an, als dass er Gedanken der Unzufriedenheit an diese im Vergleich nichtige Aufgaben hätte verschwenden können.
Er hatte sich der Legion nur mehr oder weniger freiwillig angeschlossen, um die Heinkel bei ihrer ersten zweckmäßigen Verwendung zu studieren. Er war auch eigentlich Zivilist und weit davon entfernt Parteimitglied zu sein, doch schon direkt nach seiner Ankunft, hatte ihn der lange Arm der Kommandantur in eine abzeichenlose, bräunlich-olivfarbene Uniform gezwängt und erwog nun auch noch ihn aufgrund akuten Mangels, als aktiven Piloten zu benutzen.
Aus offensichtlichen Gründen sträubte sich A. natürlich, doch er war schon zu oft auffällig geworden. Da er die einmalige Chance sein Werk am Ort des Gesehen zu erleben, nicht gefährden wollte, blieb ihm nur zu hoffen, dass keiner der Stammbesatzung ausfiel.
Die Führungsoffiziere, mit denen er gezwungener Maßen aufgrund seiner Stellung hauptsächlich verkehren musste, konnten nicht anders, als ihre „politisch-weltanschauliche Erziehungsaufgabe“ auch auf ihn zu projizieren. So versuchten sie ihn stetig von der verwerflichen Vermischung beim Feind zu überzeugen. Von der Unreinheit seiner völkischen Zusammensetzung gänzlich abgesehen, war dieser nicht einmal in der Lage eine ideelle Konstante innerhalb seines Lagers zu halten.
Er war durchsetzt von den schändlichsten, politischen Auswüchsen: Kommunisten, Anarchisten, Staatenlosen aus allen Teilen der Welt, Gewerkschafter, Volksverräter, Sozialisten und Juden.
Als A. eine Parallele zu den unterschiedlichsten Strömungen auf Seiten der Nationalisten in diesem Krieg zog, fand er sich kurz vor der Rückführung in die Heimat wieder, und konnte dieser nur entgehen, in dem er sich verpflichtete bei Bedarf im aktiven Dienst einzuspringen. Dass er seit knapp einem Jahrzehnt nicht mehr selbst geflogen war, schien sie nicht zu stören.
Und so stand er unter dem massiven, linken Benz-Triebwerk und wartete auf den Befehl.
Die Sonne hatte die Wipfel der höchsten Kiefern jetzt schon überschritten und es würde nicht mehr lange dauern bis die Entscheidung feststand.
Es war gut möglich, dass die wohl notwendige Gegenoffensive, die von den Mannschaften mit kindlicher Aufregung erwartet wurde, schon sehr früh begann.
Die Internationalen waren am Tag davor recht weit vorgerungen, doch man hörte, dass dies nur unter großen Verlusten möglich gewesen war.
Nun, da die Verstärkung von der Front eingetroffen war, war der nächste logische Schritt Segovia unter Druck zu setzten. Und wer wäre dazu besser geeignet als die fabrikneuen, zweimotorigen Maschinen.
Und in der Tat heulten die Sirenen los. Wie verschreckte Asseln unter einem hochgehobenen Stein, schwärmten die Spanier aus den Barracken auf die Transporter.
Der Obersturmbannführer, machte klar, dass die Sorgen begründet waren und nur wenig später fand A. sich in der gläsernen Nase des „Pedros“ mit der Kennung 25-32 wieder.
Zu seiner Erleichterung konnte er feststellen, dass er nur als zweiter Mann benötigt wurde und nicht die volle Verantwortung für den, fast eine halbe Million Reichsmark teuren Vogel übernehmen musste.
Die Luft war kalt doch die Motoren sprangen beim ersten Versuch und ohne jegliche Unregelmäßigkeiten an und schickten ihr bedrohliches Brummen bis tief in die Schlucht.
Das Brummen erfüllte A. mit Stolz. Nicht auf das Vaterland oder den Führer, so wie es gefordert wurde, sondern auf sich und die Kollegen im Reichsluftfahrtministerium.
Der Befehl lautete einige zivile Häuserblöcke und insbesondere die Straße nach Madrid unter Feuer zu nehmen und so zu verhindern, dass allzu große Massen flohen.
Besonders die Verwüstung der Straße schien von großer Bedeutung zu sein, da der Obersturmbannführer persönlich die Steuerung der 25-32 übernahm. A. aber würde den Hebel für die Luken ziehen müssen.
Die Maschinen erhoben sich lautstark und zugleich majestätisch. In der Luft verstärkte sich ihre bedrohliche und gewalttätige Wirkung.
Sie durchschnitten die tiefliegenden Wolken und die runden Nasen kamen zeitgleich aus der weißen Decke hervor.
Das Land unter ihnen war grün und braun und schön doch A.s ganze Aufmerksamkeit galt nur den Reflektionen des Sonnenlichts auf den polierten Kruppstahl des linkensfliegenden Rottenführers.
Unbeschwert, fast schon spielerisch tummelt die tonnenschweren Maschinen zwischen den Wolken und durchschnitten den blauen, kalten Himmel darüber.
Auf der anderen Seite des Horizonts tauchten die Antagonisten auf. Drei grünlackierte Tschaikas. Doppeldecker die dem Konstruktionsgedanken des letzten Jahrzehnts entsprungen und natürlich hoffnungslos gegen die modernste Errungenschaft des deutschen Ingenieursgeistes unterlegen waren. Und trotzdem nicht minder schön anzusehen.
Schnell wurden sie größer und offenbarten den markant zum Rumpf abknickenden Oberflügel. Kurz vor Schussweite begannen sie wild umher zu wirbeln, drehten und überschlugen sich und schienen in einem tollen Spiel von Emporsteigen und Abfallen in einen Zustand chaotischer Ordnung zu verfallen. Die roten Sterne leuchteten auf den Rümpfen.
Der Obersturmbannführer ließ unberührt weiter geradeaus fliegen; die überlegene Defensivkraft ließ Vertrauen zu. Madrid war nur noch wenige Minuten entfernt.
Dann ein verirrter Schuss, ein brennendes Triebwerk und eine Notlandung.
Man könnte noch erzählen wie A. einige Monate komatös im Lazarett vegetiert.
Doch eigentlich endet es hier.